General

Rasse sagt man nicht mehr


von Sami Omar, 10. Oktober 2017. Wenn man sein Bauchfett von beiden Seiten her
zusammenquetscht, sehen fast alle Bauchnabel so aus, wie eine der schmelzenden
Uhren auf Salvador Dalís Gemälde „Die Beständigkeit der Erinnerung“. Diese
Erkenntnis ist Gold wert. Sie werden Freude damit haben. Bitteschön, gern
geschehen!  
Salvador Dalí – der bis heute im Verdacht steht, dem Faschismus
und seinen prominenten Vertretern zugetan gewesen zu sein – wird in einem
Artikel  seines Kollegen Breton mit der
Überzeugung zitiert: … dass alle
gegenwärtigen Unruhen in der Welt rassischen Ursprungs seien, und die beste
Lösung bestünde in einer Übereinkunft aller weißen Rassen, die dunklen in
Sklaverei zu zwingen.
Der Vorschlag wäre heute innerhalb einer seriösen
Debatte völlig untragbar. Er fußt aber auf einer Theorie, die auch  heutigen Debatten zugrunde liegt, Debatten um
die angebliche Bedrohung des christlichen Abendlandes durch „fremde Kulturen“. Er
lautet immer noch in etwa so: Menschen gehören nach Art und Aussehen zu unterschiedlichen
Gruppen. Diese Gruppen heißen Rassen und sind mit verschiedenen Wertigkeiten
menschlichen Lebens verknüpft.
 Nach dem Ende des zweiten
Weltkrieges brach für Deutschland in vielerlei Hinsicht gleichsam eine neue Ära
an. Was im Dritten Reich gewesen ist, das sollte und durfte sich auch in der
Sprache nicht fortsetzen. Das Konstrukt der Rasse durfte so nicht mehr genannt
werden. Zuviel war geschehen, als dass man daraus etwas Neues erwachsen lassen
hätte können. Und tatsächlich ist das Wort Rasse über die Jahrzehnte aus dem
Sprachgebrauch verschwunden. Es ist kaum noch zu lesen oder zu hören. Jedoch
wird im Deutschen aus gutem Grund ein Unterschied zwischen Begriff und Wort
gemacht.  Während „Begriff“ ein
gedankliches Konstrukt bezeichnet, ist mit „Wort“ die dem Konstrukt zugeordnete
Bezeichnung  gemeint.  Das Wort Rasse mag also nahezu verschwunden
sein, das gedankliche Konstrukt versteckt sich heute aber hinter einem anderen
Wort. Das Wort lautet: Kultur! Es ist zum Kampfbegriff geworden und wird – von
manchen bewusst, von anderen unbemerkt – äquivalent zum Rassebegriff gehandelt.
 „Die Ideologie des
Multikulturalismus, die importierte kulturelle Strömungen auf geschichtsblinde
Weise der einheimischen Kultur gleichstellt und deren Werte damit zutiefst
relativiert, betrachtet die AfD als ernste Bedrohung für den sozialen Frieden
und für den Fortbestand der Nation als kulturelle Einheit.“
AfD-Parteiprogramm
Dem Zitat wohnen zwei Gedanken inne: Die Sorge um die
Reinheit der Kultur als in sich geschlossenes, homogenes, von anderen Kulturen
klar trennbares Gut. Und die Sorge um den Verlust ihrer vermeintlich höheren
Wertigkeit durch eine Vermischung mit anderen, naturgemäß niederen Kulturen.
Ersetzt man das Wort Kultur in diesen Zitaten mit dem Wort Rasse, so wird
ersichtlich, wie nahezu synonym sie hier verwendbar sind. Im Sprachgebrauch der
neuen Rechten in Europa wird die Herabsetzung anderer Traditionen und
Gebräuche, aber auch anderen Aussehens und anderer Herkünfte unter dem
Deckmantel kultureller Bewahrungsbestrebungen betrieben. Dabei liegt alledem
nichts anderes zugrunde, als die Knüpfung unterschiedlicher Wertigkeiten an
Menschen anderer Herkunft und deren Traditionen. Und es wird verleugnet, wie
sehr die Kulturgeschichte, z.B. des Abendlandes durch Transkulturalität geprägt
ist und schon immer war. Selbst der ganze Stolz und intellektuelle Quell des
Abendlandes, nämlich das antike Griechenland, könnte als Blaupause einer
transkulturellen Gesellschaft dienen.  Während
das Land ab dem späten 18. Jahrhundert zur quasi aus-sich-selbst-entstandenen
Hochkultur stilisiert wurde, speiste sich tatsächlich auch diese Gesellschaft
aus den verschiedensten kulturellen Einflüssen Ägyptens, Babyloniens,
Phöniziens und anderer mehr. Nicht ohne Schwierigkeiten, wohlgemerkt.
Kultur, bezeichnet das vom Menschen selbst gestaltete. Natur,
das dem Menschen gegebene. Die Bedeutung des Wortes „Kultur“  verschiebt sich  hin zu einer Eigenartigkeit, die durch
menschliche Natur vorgegeben sei. In dieser Logik können die „fremden Menschen“
also nichts für Ihre bedrohliche Minderwertigkeit. Man kann völlig  frei von Schuldzuschreibungen behaupten, dass
die Verteidigung der eigenen Kultur ebenso natürlich sei, wie die
Andersartigkeit zwischen den Kulturen.
Dumm nur, dass dieselben Menschen, die ihre Kultur verteidigt
wissen wollen, auch unbedingten Integrationswillen von Zugewanderten fordern.
Wäre deren Andersartigkeit aber wirklich natürlich- und nicht kulturell
bedingt, so wäre Integration undenkbar. Wer kann schon gegen seine Natur?
Der Trick mit dem Bauchnabel und der schmelzenden Uhr
funktioniert übrigens mit Bäuchen aller Kulturen. Vermutlich wusste Salvador
Dalí davon nichts.
Omar `17