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(Keine) Toleranz für Intoleranz – auch für die AfD

Von Jürgmeier, Infosperber,
06. Okt 2017 – Wie mit den Siegern umgehen, das ist die deutsche Frage der
Stunde. Freie und offene Gesellschaften müssen die AfD aushalten. (2)

© Wikimedia Commons
Wie mit der AfD umgehen? –
Bekämpfen? Kopieren? Ignorieren? Ausgrenzen? (Parteitag 2017, Köln)


Sie sind längst wieder in der
europäischen Politik angekommen. Die Rechtskonservativen. Die Rechtsradikalen.
Jetzt auch in Deutschland. Und selbst wenn sie nicht wirklich Siegerinnen sind
– die Frage der Stunde lautet: Wie mit AfD & Co. umgehen? Die
Formulierung erinnert ein wenig an das ratlose «Wie mit diesem
verhaltensauffälligen Jugendlichen umgehen?» Ist die AfD ein
Erziehungsproblem?

Wenn die AfD Normalität wird
Wie mit der AfD umgehen? –
Bekämpfen? Kopieren? Ignorieren? Ausgrenzen? Mit ihnen diskutieren? Sie
zwingen, über andere als ihre Lieblingsthemen zu reden? In einer der vielen
Nach-Wahl-Talkshows fordert eine Vertreterin der Comeback-Partei FDP, es
dürfe nicht Normalität werden, dass die jetzt auch da sitzen. (Das sei, schiebt
sie empört nach, schon bei der Linkspartei geschehen.) Abgesehen davon, dass AfD-Mitglieder
schon lange und ganz selbstverständlich in TV-Runden thronen – jetzt wird es
normal werden, dass sie im deutschen Bundestag reden, dass Mitglieder anderer
Parteien mit ihnen in der Kaffeepause vor dem Gipfelistand warten und über die
Fussball-WM parlieren. Auch aus Angst, dass Alexander Gauland – der sich zum
dominierenden Gesicht der AfD provoziert hat – mit dem Satz «Die
Behandlung, die Sie uns alle angedeihen lassen, bringt uns nach oben» recht
bekommt.
Was wäre die richtige Behandlung
der AfD? – Ist die AfD krank? In einer anderen Runde reden die
versammelten Gäste lange über den Wahlausgang. Natürlich auch über das Resultat
der Newcomers. Gauland (schon wieder) – der nach den ersten Hochrechnungen die
Jagd eröffnet hat – schweigt und höckled gelassen, merkt irgendwann an, es
werde viel über die AfD, aber nicht mit ihnen geredet. Soll man, muss
man mit AfD-Leuten reden? Wie mit der AfD umgehen? Heikle Fragen.
Sie wirken, zum einen, dünkelhaft (Stichwort Elite) und machen, zum anderen,
die AfD, ihre Ideologen und ihre Wählerinnen zu etwas Besonderem. Sie
liefern Material für das propagandistische Gejammer der AfD, man dürfe
die Wahrheit, dürfe nicht mehr sagen, was man denke.
Die Nazis sind die Vergangenheit…
Wie mit der AfD umgehen? –
Das haben andere schon mit Blick auf ganze Völker gefragt. Die Frage nach dem
«Umgang mit», zum Beispiel der AfD, stellen jene, die sich (noch)
mächtig und in Sicherheit wähnen. Nach 1933 hätte niemand gefragt «Wie mit den
Nazis umgehen?». Da war die bange Frage: Wie werden die Nazis mit uns umgehen?
«Mit der AfD ziehen keine
geifernden Nazis in den Bundestag ein, sondern mehrheitlich brave Bürger»,
schreibt Wolfgang Koydl in der Weltwoche vom 18. September 2017.
Aufgrund seiner Recherchen an der Wahlparty kommt er zum Schluss, hier sei «ein
Querschnitt der deutschen Gesellschaft versammelt: Angestellte, Handwerker,
Lehrer, mittelständische Unternehmer». Das ist nicht wirklich beruhigend. Die
wenigsten Nazis waren geifernde Nazis. Auch sie waren «Querschnitt der
deutschen Gesellschaft», die Schlächter «ganz normale Männer». Der Faschismus
ist das Menschenmögliche.
«Soll man die AfD eine
Nazipartei nennen?» Fragt die deutsche Tageszeitung am 27. September. Gereon Asmuth verweist
auf «einschlägige Foren», in denen AfD-ler (und womöglich auch AfD-lerinnen)
verkünden würden, «wer als Erstes dran sein soll». Das sei «Nazi-Jargon in
Reinform». Und: «Wer redet wie ein Nazi und wer handelt wie ein Nazi – ist ein
Nazi. Und eine Partei, die Nazis eine Plattform, ja sogar Spitzenpositionen
bietet, ist eine Nazi-Partei.» Punkt. Johanna Roth entgegnet, solche Vergleiche
– «auch wenn sie angesichts übler Rassisten in AfD-Kreisen angebracht
scheinen mögen» – seien «grundsätzlich falsch, ziehen sie doch mit einer
Parallele zu den Tätern immer auch eine zu den Opfern. Das relativiert den
Holocaust und würdigt dessen Opfer herab.»
…die AfD hat eine unbekannte und
unbenannte Zukunft
Im Klartext: Wer Auschwitz
instrumentalisiert, um aktuelle Menschenverachtung und verbale
Gewalt(androhungen) zu skandalisieren, wird einerseits zur Wasserträgerin der
Holocaustleugner, andrerseits erscheint der alltägliche Rassismus und die ganz
normale Hassrede in diesem grellen Scheinwerferlicht plötzlich als harmlos.
Unter Treblinka machen wir’s nicht. Das ist respektlos gegenüber den Millionen
Gemordeter und den Überlebenden jener Zeit. Wer bei der Kritik von
Nationalkonservativen und Rechtsradikalen regelmässig die Nazikeule schwingt,
nimmt dem Begriff und der (glücklicherweise) vergangenen Realität den
Schrecken. «Dann sind wir halt Nazis, wird es irgendwann heissen.» Schreibt
Johanna Roth und erinnert an die «Wutbürger von Heidenau», die sich Sigmar
Gabriels «Pack» (für rechte Randalierer) wie einen Orden ansteckten und
Bundeskanzlerin Angela Merkel zuriefen: «Wir sind das Pack» (taz, 27.9.).
Die AfD ist keine
Nazipartei. Die Nazis sind Vergangenheit. Die AfD ist rassistische und
faschistoide Gegenwart. Aber sie bedroht ihre Gegner und Gegnerinnen nicht mit
paramilitärischen Kampftruppen. Ihre Führungsleute rufen nicht zur Gewalt auf,
künden keine Feldzüge und Vernichtungsprogramme an. Die unbeantwortete Frage
ist – folgt dem Hass der Strasse das Geschrei in den Parlamenten, der
menschenverachtenden Sprache die ausgeübte Gewalt? Die AfD hat das
Potenzial für eine Zukunft, die noch unbekannt ist und unbenannt bleiben muss.
Noch können wir hoffen, dass die
Sätze von Erich Kästner aus dem Jahre 1958 nicht noch einmal aktuell werden:
«Die Ereignisse von 1933 bis 1945 hätten spätestens 1928 bekämpft werden
müssen. Später war es zu spät. Man darf nicht warten, bis der Freiheitskampf
Landesverrat genannt wird. Man darf nicht warten, bis aus dem Schneeball eine
Lawine geworden ist. Man muss den rollenden Schneeball zertreten. Die Lawine
hält keiner mehr auf» (Zitat aus der taz vom 25.9.).
Demokratische und multikulturelle
Gesellschaften
müssen AfD & Co. aushalten
Wenn der neue deutsche Bundestag
noch vor Ende Oktober zum ersten Mal zusammenkommt, wird nicht (wie bisher) das
betagteste Mitglied die Sitzung als Alterspräsident eröffnen, sondern der
amtsälteste Abgeordnete – das ist Noch-Finanz-Minister Wolfgang Schäuble, CDU.
Mit diesem Buebetrickli hat der scheidende Bundestagspräsident Norbert Lammert
(CDU) verhindert, dass der «Holocaust-Relativierer Wilhelm von Gottberg»
(Tagesanzeiger, 26.9.) von der AfD für zwei bis
drei Stunden das deutsche Parlament leitet. Eine parteiübergreifende Initiative
aus Kultur und Politik warnt laut Spiegel, 27.9., davor, «der AfD den Vorsitz im
Kulturausschuss zu übertragen. Es dürfe nicht passieren, dass eine
‹rechtsradikale Partei› an einer der sensibelsten Stellen des parlamentarischen
Systems ihr ‹nationalistisches Gift› injiziere…»
Solche Winkelzüge stützen zum
einen das AfD-Narrativ der tapferen Ausgegrenzten, zum anderen verraten
sie einen beklemmenden Mangel an Vertrauen in Vision beziehungsweise Praxis
einer freien und demokratischen Gesellschaft, in der Toleranz auch gegenüber
jenen gilt, die lautstark «Keine Toleranz für Intoleranz» fordern. Wer zu
Ausgrenzung und Verbot greift, macht die AfD grösser als sie ist und
unterstellt – zu Recht oder Unrecht –, breite Teile der Bevölkerung seien durch
rassistische Ideologien beziehungsweise faschistoide Inszenierungen verführbar
oder, schlimmer noch, die Wurzeln von Rassismus und Faschismus seien in unseren
Kulturen noch immer verankert. «Der Schoss ist fruchtbar noch, aus dem das
kroch» (Bertolt Brecht). Aus dieser ängstlichen Perspektive erscheint das
Menschenfeindliche als die emotional stärkere Kraft als die Utopie der
Freiheit, Gerechtigkeit und Vielfalt, welche unsere Gesellschaften in den
letzten Jahrzehnten mit-geprägt hat.
Dieses aus ihrer Sicht «rot-grün
verseuchte 68er-Deutschland» (Jörg Meuthen, Bundessprecher AfD) –
«verschwult, vergendert, geschlechtsgrenzenauflösend» – sei für die
Rechtskonservativen «ein Horror», schreibt Jan Feddersen am Montag nach der
Wahl in der taz.
Und plädiert für Gelassenheit gegenüber jenen, die sich als Siegerinnen feiern
und an die Wand gemalt werden: «Die AfD wird nichts ändern können, ihr
gemeinsamer Hass ist solitär und einer von Verzweifelten. Sie werden sich mit
dem neuen Deutschland arrangieren müssen, sie sind auch lifestylig nie mehr als
Verlierer gewesen – selbst dann, wenn sie aktuell ein Siebtel der Stimmen
gewinnen sollten.» Umgekehrt wird sich das «neue Deutschland» – das auch ein
widersprüchliches ist – mit der AfD arrangieren müssen. Demokratische
und multikulturelle, aufgeklärte und offene Gesellschaften müssen AfD
& Co. ebenso aushalten wie (andere) fundamentalistische religiöse und
politische Bewegungen.
Aber die von Rechtskonservativen
gegenüber Angehörigen anderer Kulturen gerne eingeforderte Anerkennung
«europäischer Werte» muss auch ihnen selbst abverlangt werden. Das heisst, es
gilt das Primat der Menschenrechte und der Verfassung vor politischer sowie
religiöser Freiheit in Rede und Praxis. Direkt Betroffene müssen konsequent vor
rassistischer, menschenverachtender, Gewalt androhender Rede und Tat geschützt
werden. Wenn ein Alterspräsident der AfD im deutschen Bundestag
nationalistische Visionen verkünden würde, wäre das zu ertragen; wenn er
rassistische Diffamierung betriebe oder den Holocaust leugnete, müsste ihm das
Wort entzogen werden, wäre er auch als «gewöhnliches» Ratsmitglied nicht mehr
tragbar.
Den ersten Teil dieses Essays zu
den deutschen Wahlen 2017 – AfD: 12.6%. Das sind die Sieger. Das ist das Volk.
– lesen Sie hier.