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Schutzpflicht des Staates – Rassistische Wahlplakate müssen abgehängt werden


Von Hendrik Cremer, MiGAZIN, 13.
September 2017. Erneut hängen in deutschen Städten rassistische Wahlplakate der
NPD und auch diesmal diskutieren Kommunen, wie sie damit umgehen sollen. Dr.
Hendrik Cremer vom Menschenrechtsinstitut gibt in seinem MiGAZIN-Gastbeitrag
eine klare Handlungsempfehlung: unverzüglich abhängen!
Hendrik Cremer ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter
des Deutschen Instituts für Menschenrechte
Sinti und Roma sind bis heute
rassistischer Diskriminierung und Hetze ausgesetzt. Nach aktuellen Berichten
hängen in Ingolstadt – wie auch in anderen deutschen Städten – Wahlplakate mit
der Parole „Geld für die Oma statt für Sinti und Roma“. Die Plakate wurden –
wie schon zuvor in früheren Wahlkämpfen – von der NPD aufgehängt. Während in
den Kommunen nun diskutiert wird, ob die Plakate entfernt werden dürfen, sollte
doch klar sein: die örtlich zuständigen Behörden haben die Wahlplakate
unverzüglich abzuhängen.
Dies ergibt sich aus der grund-
und menschenrechtlichen Schutzpflicht des Staates vor rassistischen Angriffen;
die NPD-Parole ist nicht durch die Meinungsfreiheit gedeckt. Zum gleichen
Schluss kommt auch ein Rechtsgutachten zum Umgang mit rassistischen
Wahlkampfplakaten vom Oktober 2015, das das Bundesministerium der Justiz und
für Verbraucherschutz in Auftrag gegebenen hat. Die Meinungsfreiheit ist
zweifelsohne ein zentrales Menschenrecht, das – so formuliert es das
Bundesverfassungsgericht – für die freiheitlich-demokratische Staatsordnung
„schlechthin konstituierend“ ist. Die Meinungsfreiheit ist jedoch kein
Freifahrtschein für rassistische Diffamierungen und Parolen.
Das Verwaltungsgericht Kassel hat
zwar im September 2013 befunden, dass die Wahlplakate keinen Straftatbestand
des deutschen Strafrechts erfüllen. Es ist allerdings unverständlich, warum das
Gericht nicht geprüft hat, ob die Plakate in ihrer Aussage rassistisch sind und
einen Angriff auf die Menschenwürde darstellen. Denn dies ist anzunehmen, so
dass sie den Tatbestand der Volksverhetzung gemäß § 130 Abs. 1 Nr. 2
Strafgesetzbuch (StGB) verwirklichen.
Tipp: Eine ausführliche Stellungnahme des Deutschen
Instituts für Menschenrechte mit dem Titel „Rassistische Wahlplakate müssen
abgehängt werden. NPD-Parole ‚Geld für die Oma statt für Sinti und Roma‘ von
der Meinungsfreiheit nicht gedeckt“ kann hier heruntergeladen werden.
Die Kernaussage auf dem Plakat
besteht darin, dass Sinti und Roma im Vergleich zu anderen Menschen
minderwertig sind: Sinti und Roma sind weniger wert als andere Menschen. Dies
ist die zentrale Aussage, die dem Plakat eindeutig zu entnehmen ist. Die NPD
wirbt dafür, dass nach ihren Vorstellungen andere Menschen („die Oma“) Geld,
also staatliche Leistungen, erhalten sollen, statt Sinti und Roma, wobei „die
Oma“, stellvertretend für die ältere Generation der deutschen Bevölkerung steht
und begrifflich offensichtlich auch deswegen gewählt wurde, um einen Reim zu
kreieren. Für rassistische Konstruktionen typisch, ist, dass hier
unterschiedliche und zugleich homogene Gruppen innerhalb der Bevölkerung
konstruiert werden, die es in der Realität gar nicht gibt. So gibt es
selbstverständlich Überschneidungen zwischen Sinti und Roma und der älteren
Generation in der deutschen Bevölkerung.
Die Plakate sind nicht nur
angesichts der Verwirklichung von § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB abzuhängen, der den
in Artikel 1 des Grundgesetzes garantierten Schutz der Menschenwürde umsetzt.
Darüber hinaus sind die lokalen Behörden auch aus Art. 4 a) des Internationalen
Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form rassistischer Diskriminierung (ICERD)
menschenrechtlich dazu verpflichtet. Das Übereinkommen ist seit 1969 in
Deutschland in Kraft. Demzufolge haben die Kommunen Wahlplakate, die
rassistisches Gedankengut verbreiten, auch dann zu entfernen, wenn die
Wahlplakate keinen Straftatbestand des deutschen Strafrechts erfüllen.
Es geht im Fall von rassistischen
Verbalangriffen nicht nur um den grund- und menschenrechtlichen Schutz für die
diffamierten Gruppen, etwa Angehörige von Minderheiten oder nach Deutschland
geflohene Menschen. Es geht um das Einschreiten des Staates gegen Angriffe auf
die demokratische Gesellschaft und die Menschenrechte insgesamt.
Dr. Hendrik Cremer arbeitet seit
2007 am Deutschen Institut für Menschenrechte. Er ist Wissenschaftlicher
Mitarbeiter in der Abteilung Menschenrechtspolitik Inland/Europa mit den Themen
Asyl und Migration, Rassismus und Kinderrechte. Er studierte
Rechtswissenschaften in Marburg und Hamburg. Anschließend war er als
Rechtsanwalt mit den Schwerpunkten Aufenthalts- und Sozialrecht tätig.