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Von Schwarzen und Bananen Eine kleine Kulturgeschichte – von Sami Omar

von Sami Omar, 1. Juni 2017. Eine meiner ersten bewussten
rassistischen Konfrontationen mit einer Gruppe fand an einem Bahnhof statt. Am
Süd-Ausgang, zwischen Bahnhofsmission und Polizei, standen fünf oder sechs typische
90er-Jahre-Nazis unseres Alters. Springerstiefel, olivgrüne Bomberjacken und
Lonsdale-Pullover, die sie ihr letztes Konfirmationsgeld gekostet haben muss.
Sie riefen im Chor „husch, husch, husch, N* in den Busch“, als mein Freund und
ich an ihnen vorbeimussten. Einer hielt eine Banane in der Hand. Er streckte
sie uns entgegen und machte Affenlaute dazu. Wir passierten sie wortlos, die
Augen geradeaus gerichtet. Aus hinreichend sicherem Abstand, den Fluchtweg im
Blick, riefen wir ihnen unfreundliche
 
Mutmaßungen über die Berufe ihrer Mütter zu und rannten, was das Zeug
hielt.

Foto by herby
Sachs
Noch lange nach diesem Erlebnis
hielt ich rassistische Beleidigungen, die nahelegen, ich sei ein Affe, für
nichts Besonderes. Dabei ist es eben diese Entmenschlichung schwarzer Menschen
und PoC´s, die koloniale Machtbestrebungen plausibilisieren sollten und dies
bis heute tun. Die Absicht war und ist es, eine ethisch-moralische
Rechtfertigung für die Entrechtung, Unterwerfung, Ausbeutung und Ermordung
ganzer Völker zu konstruieren. Man spricht Menschen davon frei, im Sinne einer
christlichen oder humanitären Idee handeln zu müssen, weil es sich bei
Schwarzen nicht um Menschen handle, sondern um Tiere. Ein zentrales Symbol
dieser Animalisierung ist das, was uns damals am Bahnhof entgegengehalten wurde.
Es ist das, was heute schwarzen Fußballspielern wie Dani Alves oder Mario
Balotelli bei der Arbeit entgegenfliegt. Es ist das, woraus Josephine Bakers
Rock 1926 in „La Revue Nègre“ gemacht war: Bananen!
So wenig wie die Kartoffel
mitteleuropäischen Ursprunges ist, so wenig ist die Banane afrikanischen
Ursprungs. Es war Alexander der Große, der mit seinem Heer durch Asien zog,
Kriege führte und nebenbei auch auf den Geschmack der Frucht kam. Ab dem
dritten Jahrhundert vor Christus findet sie auch in Europa Abnehmer und wird in
altgriechischen und römischen Schriften erwähnt. Erst mit der Ausbreitung des
Islam im siebten Jahrhundert nach Christus findet die Banane über Madagaskar
den Weg auf das afrikanische Festland. Hier in Europa war sie lange Zeit der
Inbegriff der Exotik und unterstrich in Medien, Literatur und bildender Kunst
das Ferne, Fremde schlechthin. Bürgern der DDR wurde eine Sehnsucht nach der
Frucht angedichtet, in welcher sich ihre Unfreiheit versinnbildlichte.
Mit der Aufklärung im 18. Jahrhundert
wurde auch das christliche Dogma der monogenetischen Entstehungsgeschichte der
Menschheit in Frage gestellt. Leider war das Ergebnis neuer Erklärungsansätze
eine Polygenese, die eine Art Menschen-Ranking nahelegte. Menschen
verschiedenen Aussehens haben demnach unterschiedliche Ursprünge und
entsprächen unterschiedlichen Arten. Ganz unten auf den letzten Plätzen des
Rankings fanden sich unter anderem schwarze Menschen. Ihnen wurde die Begabung
zur Vernunft gänzlich abgesprochen. Mit „wissenschaftlichen Mitteln“ versuchte
man anhand äußerlicher Merkmale die Positionen der Menschen in dem Klassifizierungsmuster
der weißen Europäer und Nordamerikaner (Rechtfertigung der Sklaverei) zu
festigen.
Vor dem Hintergrund dieser
allgemein anerkannten Klassifizierungsmuster der Menschheit schien es nicht
unlogisch, dass der Affe – der Fast-Mensch, dessen Lieblingsspeise die Banane
angeblich ist – im Europa des ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhundert am
selben Ort wohnte, an dem auch afrikanische Menschen ausgestellt wurden: in
Zoologischen Gärten, auf Volksfesten und in Varieté-Theatern.  Sie waren Anschauungsmaterial, tierähnliche
Wesen und Zivilisierungsprojekte, mit denen der fortschrittliche Mensch sich
seiner Macht über die Natur versichern konnte. Körperliche Eigenschaften
konnten nun vom Volk besichtigt werden, was zur Untermauerung der rassistischen
Klassifizierungsmuster hervorragend geeignet schien und das Selbstbild des
Europäers als hoch- und das des Afrikaners als minderentwickelt festigte.
Die semantische Brücke
Banane-Affe-schwarzer Mensch ist ein Relikt dieser Animalisierung und
Kategorisierung. Sie wurde in unzähligen Filmen, Cartoons, Büchern und Witzen
reproduziert. Und sie sitzt tief. Kaum ein weißer Mensch hat sich beim Essen
einer Banane  in Gedanken schon einmal
mit der Sichtweise seiner Mitmenschen auf ihn befasst. Ich schon! Ich setzte
das mir aufgezwungene rassistische Denkmuster fort, indem ich mich beim Essen
einer Banane in der Öffentlichkeit frage, ob ich gerade rassistische Denkmuster
reproduziere. Ich bin wahrlich nicht stolz auf mich, aber das Beispiel zeigt
auch, dass der Rassismus um mich Spuren in mir hinterlässt. Spuren, die ich am
liebsten verleugnen würde.
Leider zeigt die Realität, dass
mein Gefühl mich nicht gänzlich täuscht. Denn offenbar fühlen sich manche
Menschen noch genötigt, den Unterschied zwischen Affen und schwarzen Menschen zu
unterstreichen, damit auch ja keine Missverständnisse aufkommen. Auf einer
Internetplattform namens mamacommunity.de klagt eine Frau ratlos: „Wenn Leon
einen dunkelhäutigen Mensch sieht, sagt er automatisch Affe zu ihm … also bis
jetz is mir des nur immer aufgefallen wenn der fernseh läuft! (…) Wir haben
hier im Haus selber nur Türken, italiener usw.“
Der Ratschlag einer Mutter lautet:
„…zeige ihm doch mal 2 bilder. einmal von nem affen und nem dukelhäutigem. dann
soll er dir sagen was der unterscheid zwischen den beiden ist….das heißt Fell
bzw haare. hände usw.“
Und eine andere empfiehlt: „Beschreibe
ihm doch dass Menschen die dunkelhäutig sind auch reden können usw.“
Wie Leon zu Bananen steht, ist
nicht überliefert!
Omar 2017

Der Autor und Moderator Sami Omar
schreibt und arbeitet zu den Themen Migration, Integration, Rassismus und
Diskriminierung für Print und Online-Medien. Er tritt als Referent zu diesen
Themen auf und moderiert Veranstaltungen aus Politik und Kultur. Sami Omar ist
Kampagnenreferent und Mitarbeiter eines Fachdienstes für Integration und
Migration bei einem deutschen Wohlfahrtsverband. 2016 erschien sein zweites literarisches
Werk “Geht schon, danke”. Seine Kurzgeschichten erscheinen in
Literaturzeitschriften, Anthologien und sind Teil seines abendfüllenden
Bühnenprogramms, mit dem er deutschlandweit auftritt. Sami Omar wurde 1978 als
Sohn eritreischer Eltern im Sudan geboren und wuchs als Kind deutscher Eltern
im schwäbischen Ulm auf.