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Gegen die Abschiebung von Schülern – Ein Gespräch mit Dr. Hans Christoph Stoodt


Von Milena
Rampoldi, ProMosaik. Vor einigen Tagen habe ich von unserem Mitstreiter Dr. Hans
 Christoph Stoodt diese Einladung zu erhalten
und ich habe mich entschieden, ihn zum Thema zu interviewen. Menschen sind
nicht abschiebbar, denn es gibt keine Flüchlinge, sondern nur Menschen.
Hallo liebe Leute,

Unter dem Eindruck von derzeit 27 drohenden Abschiebungen an unserer Schule
veranstalten engagierte Lehrerinnen und Lehrer, Schülerinnen und Schüler am Donnerstag 29.6.2017 einen Tag mit vielen Aktivitäten an
der Philipp-Holzmann-Schule (Siolistrasse 41, Frankfurt am Main)

Das Ziel: wir zeigen, daß wir zusammen leben und das Leben genießen können.

Und: wir sammeln Geld, um von unmenschlicher Abschiebung aus unserer Mitte
bedrohten Menschen

die Möglichkeit zu geben, dagegen alle Mittel auszuschöpfen.
„Ich bin mehr als du sehen kannst!“
Unter diesem Motto findet tagsüber ein Workshop-Festival und am Abend eine
Spendengala statt.
Diese Initiative wird vom Förderverein der Philipp-Holzmann-Schule e.V., dem
Verein Freunde Arabischer Kunst- und Kultur e.V.
und dem 3ALOG e.V. in Kooperation mit der Heinrich-Böll-Stiftung in Hessen, dem
Pädagogischen Zentrum
(Fritz-Bauer-Institut und Jüdisches Museum,
dem evangelischen Verein für Jugendsozialarbeit in Frankfurt und der
Orientalischen Musikakademie in Mannheim veranstaltet.

Hauptförderer der Initiative ist die Arbeitsgemeinschaft der Christlichen
Kirchen in Deutschland mit ihrem Projekt: „Weißt Du wer ich bin?“
Das Projekt wird vom Bundesministerium des Innern und dem Europäischen
Integrationsfonds gefördert.)

Ein besonderes Erlebnis mit insgesamt 16 Workshops soll Raum für
Austausch und Begegnung zwischen Menschen mit und ohne Migrations- und
Fluchterfahrungen und Menschen mit besonderen Bedürfnissen anbieten.
Gemeinsamkeiten sind festzustellen, Unterschiede werden diskutiert.
Gemeinsam werden praktische und kreative Herausforderungen gemeistert.
Nach Beendigung der Workshops wird für alle Beteiligten und Mitwirkenden eine Abschlussfeier
gemeinsam mit allen Beteiligten und mitwirkenden Personen
sowie eingeladenen Gästen und Besuchern durchgeführt.
Musikalische-, künstlerische Theater- und Tanzdarbietungen, kurze Eindrücke
aus den Workshops und eine kleine Verköstigung werden das moderierte
Abendprogramm gestalten.

Unter dem Motto „Ich l(i)ebe in Sicherheit, ich bleibe!“ wird der
Höhepunkt der Veranstaltung eine Versteigerung von erstellten Karikaturen und
Holzwerkstücken
aus den Workshops sowie eine Spendenaktion der Initiative sein.
Knapp 27 Schülerinnen und Schüler der Schule wurden in den vergangenen Monaten
aufgefordert, binnen Tagen die Bundesrepublik zu verlassen. Aus diesem Grund
werden alle Einnahmen aus den Versteigerungen sowie die Spenden für die
Unterstützung der geflüchteten SchülerInnen der Philipp-Holzmann-Schule
verwendet u.a. für die Finanzierung nötiger Rechtsberatung.
Im Anhang finden Sie den Flyer mit Informationen zu den Workshops und der
Spenden Gala.

Zur Teilnahme laden wir ganz herzlich ein!
Wir freuen uns auch auf Freunde, Familien und Bekannte.
Melden Sie sich bitte für den Workshop Ihrer Wahl mit einer Email bis zum
28.6.2017 an:

phsworkshops@gmail.com

Bei Fragen wenden Sie sich bitte an:
Angeliki Papagiannaki-Sönmez
Dr. Hans Christoph Stoodt: hcstoodt@gmx.de

Mehr Infos gibt es hier:

https://3alog.net/project/workshop-festival-frankfurt/

Zeitgleich starten wir eine Spendenkampagne zum selben Zweck auf:
https://betterplace.org/p55126

Beste Grüße,
Hans Christoph Stoodt

Philipp-Holzmann-Schule
Berufliche Schule der Stadt Frankfurt
Siolistraße 41
60323 Frankfurt am Main

Bitte gern an Interessierte weiterleiten!



Milena Rampoldi: Man
spricht immer von Bildung als Weg zur Integration. Wie rechtfertigt man dann
Abschiebungen von Menschen, die im Bildungssystem integriert sind?
Da gibt es viele
Ungereimtheiten, und unser Eindruck ist, daß die staatlichen Stellen in dieser
Frage oft vorbei an dem handeln, was zB. Wirtschaftsverbände sagen. Letztere
bitten dringend um Arbeitskräfte und sind teilweise sehr engagiert in Fragen
der Ausbildung gerade auch von jungen Geflüchteten. Es ist klar, daß sie das
nicht aus purer Uneigennützigkeit tun, aber sie tun es – und für einen jungen
Afghanen zB. kann das den Unterschied zwischen der Abschiebung ins angeblich
“sichere ” Afghanistan oder dem Ankommen hier bedeuten. Der Weg dazu
heißt: Anschluß ans Bildungssystem in Deutschland finden, eine Ausbildung
beginnen. Viele schaffen das. Aber nicht wenigen werden auch Steine in den Weg
gelegt. Sie erhalten falsche Auskünfte, werden schlecht beraten, treffen auf
Interviewer und Entscheider ohne Kenntnisse und Empathie. Das kann sehr junge
Menschen in dramatische Situationen bringen. Ihnen versuchen wir, wenigstens an
unserer Schule, möglichst effizient zu helfen. Ganz klar mit dem Ziel, daß sie,
wenn sie das wollen, hier leben und bleiben können.
Der Begriff „sicheres
Herkunftsland“ klingt in meinen Ohren wie ein Spiel. Wie sehen Sie das?

Das ist kein Spiel, allenfalls ein blutiges und bitteres. Die Bundesregierung
selbst schickt ihre Funktionsträger nur unter schwersten Sicherheitsmaßnahmen
nach Afghanistan. Sie rät deutschen Touristen dringend vom Besuch des Landes
ab. Die NATO will ihr Truppenkontingent in Afghanistan erhöhen. Die USA sahen
sich kürzlich veranlasst, die sogenannte “Mother Of All Bombs” in
Afghanistan einzusetzen. Ein UN-Bericht zur Sicherheitslage dort berichtet
gerade heute: in den letzten Monaten hat sich die Sicherheitslage in
Afghanistan dramatisch verschlechtert. Neben den Taliban operieren dort
landesweit
weitere ca. 20 Milizen, die Angst und Schrecken
verbreiten. Dieses Afghanistan soll ein sicheres Land sein, in das
man guten Gewissens Menschen zurückschicken kann, auch gegen deren Willen? Das
ist unfassbar. Und es ist zynischer Opportunismus. Jede/r weiß: in Wahrheit
geht es der Bundesregierung damit, dem rechten Rand im Land entgegenzukommen,
indem man gegenüber den Allerschwächsten law and order markiert. Es geht gar
nicht um eine Beurteilung der Frage, wie sicher Afghanistan ist. Es geht
um die wahlarithmetische “Sicherheit” der Großen Koalition, nicht um
die von Menschen, die vor Krieg und Terror nach Deutschland fliehen. Es geht
um die Bundestagswahlen Ende September 2017. So einfach und so brutal ist das
leider.
Wie gestaltet sich die
Situation konkret an Ihrer Schule?
An vielen Beruflichen
Schulen gibt es heute junge Geflüchtete, die aufgrund ihres Alters schulpflichtig
sind. Sie müssen nach dem Gesetz “beschult” werden. Das ist für sie
tatsächlich die Chance, vernünftig Deutsch zu lernen, fachliche Kenntnisse in
einem bestimmten Arbeitsfeld zu erwerben, in Kontakt mit Menschen zu kommen,
die sich auf dem Markt für Azubis in der Region gut auskennen und sie
vermitteln können. Wir wissen, daß das Arbeitsleben in der Bundesrepublik kein
Zuckerlecken und kein Schlaraffenland ist. Aber es ist der beste denkbar Platz
für das Ankommen hier im Land.
Nicht wenige Geflüchtete sind Analphabet/innen, wenn sie zu uns kommen. Sie
lernen Lesen und Schreiben, Deutsch, Mathematik usw. Derzeit sind das bei uns 5
Klassen mit ca. 150 Menschen. Von ihnen haben derzeit 27 einen negativen
Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) als Antwort auf
ihren Asylantrag. Das löst natürlich vieles aus: Kampfgeist bei den einen,
riesige Angst, manchmal Panik und irrationales Verhalten bei anderen. Man darf
nicht vergessen, viele von ihnen sind schwer traumatisiert hier angekommen.  Wir
bemühen uns, ganz praktische Schritte mit den von Abschiebung Bedrohten zu
machen: einen Rechtsbeistand organisieren, Zusammenhalt und fühlbare
Solidarität schaffen, stabile Kontakte herstellen und zunächst Kontakt zu
Beratungsdiensten – und vor allem: niemanden allein lassen in dieser Lage.
Welche Ziele verfolgen
Sie mit dem Workshop-Festival und der Spenden-Gala?
Wir wollen erlebbar
vermitteln, daß wir miteinander Spaß und Freude haben können, daß wir gemeinsam
lernen, daß Heterogenität einen positiven Wert hat, den wir verteidigen wollen.
Wir wollen feiern und zugleich möglichst viel Geld einwerben, gleichsam die
Kriegskasse füllen, um den Geflüchteten, die gegen eine Ausreiseanordnung des
BAMF klagen müssen, die nötigen finanziellen Mittel dafür bereit zu stellen.
Damit verteidigen wir nicht nur unsere Schüler/innen, sondern auch unsere
eigene Vorstellung von Bildung und dem Ort Schule. Eine Schule, aus der heraus
jemand widerstandslos abgeschoben werden kann, verändert unwiderruflich ihren Charakter.
Sie wird aus einem Ort, an dem es möglich sein soll, angstfrei zu lernen, zu
einer Art Vorhof des Abschiebeknastes. Das wollen wir auch für uns selber
nicht. Darum verteidigen wir nicht zuletzt auch uns selber mit dieser
Aktivität.
ProMosaik ist der
Meinung, dass es keine Flüchtlinge gibt, sondern nur Menschen. Was antworten
Sie denen, die diese Aussage als banal abtun?
Daß es sehr bequem ist,
solch einen wahren Satz als Banalität abzutun. Denn der Satz ist ja nur
scheinbar banal. Er stellt ein riesiges Programm dar, für daß erst einmal
gekämpft werden muß.  Vielleicht spüren Menschen, die das abtun, intuitiv,
daß sie sich aus dieser bequemen Rolle als Kommentator am Seitenrand
herausbequemen müssten, wenn sie den Satz: es gibt keine Flüchtlinge, es gibt
nur Menschen, wirklich ernst nehmen würden. Denn das würde den Kampf für eine
Welt in Gleichheit, Freiheit und Geschwisterlichkeit bedeuten. Wer das nicht
will, sollte die anderen, die dazu bereit sind, wenigstens nicht auch noch
verspotten. 
Wie bringen wir Inhalte
wie Gleichheit, Respekt und Menschenwürde in unser Bildungssystem?
Indem wir drei Dinge
tun.
Erstens: mit allen Mitbetroffenen von Ungleichheit, Diskriminierung und
Unterdrückung genau anschauen, was es ist, worunter sie leiden müssen, ihnen
zuhören, was sie fordern, sie darin unterstützen, ihre Forderungen zu erheben
und laut auszusprechen.
Zweitens: uns mit allen Betroffenen um das tiefere Verständnis des Grundes für
Ungleichheit, Diskriminierung und Unterdrückung bemühen.
Drittens: mit ihnen gemeinsam dafür kämpfen, daß wir sobald wie möglich alle
als Gleiche unter Gleichen leben können: juristisch, wirtschaftlich, auf der
Ebene aller Lebensformen.
Es geht um das gemeinsame lebendige Erleben, um das gemeinsame Lernen des
Denkens in Zusammenhängen und den gemeinsamen Kampf. Fehlt eine dieser drei
Ebenen, leiden die beiden anderen darunter. Wer nicht kämpfen will, kann nicht
klar denken, wer nicht weiß, wonach zu suchen ist, kann auch nicht deutlich
erkennen. Das muß immer wieder gemeinsam organisiert werden. Und die
Unterrichtenden sollten das nie stellvertretend für die Schüler/innen, sondern
immer gemeinsam mit ihnen tun. Wenn das allgemeiner Standard würde, wären wir
schon viel weiter.