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Concordia-Preis für Edith Meinhart: “Menschenrechte haben ihre anstrengenden Seiten”

von Edith Meinhart, Profil, 04. Mai 2017. 

Concordia-Preis für Edith Meinhart: "Menschenrechte haben ihre anstrengenden Seiten"
Edith Meinhart wurde mit dem Concordia-Preis für Menschenrechte ausgezeichnet. Ihre Dankesrede.

Elfriede Hammerls Laudatio lesen Sie hier.

Sehr geehrte Damen und Herren,

Ich muss gestehen, dass ich Menschenrechte früher einmal für
eine Art Wellness-Konzept gehalten habe. Nach dem Motto: Wer nett ist
zu mehr oder weniger allen Benachteiligten und Beladenen, ist auf der
guten und richtigen Seite. In diesem Punkt wurde ich herb enttäuscht.
Als Journalistin habe ich bald begriffen, dass Menschenrechte durchaus
ihre anstrengenden Seiten haben.

Wer auf dem Gebiet nicht speziell bewandert ist, hat
vielleicht parat, dass es ein Recht auf Leben gibt und niemand gefoltert
werden darf. Weitergehende Gespräche laufen schnell darauf hinaus, dass
Menschenrechte irgendwie für andere sind. Arme zum Beispiel. Oder
Ausländer. Nicht so wichtig für einen selbst.

Was ist so anstrengend an Menschenrechten?

Es beginnt schon damit, dass die Opfer nicht immer die Guten
ist. Insgeheim hätten wir das alle gern. Menschen, denen Unrecht
widerfahren ist, sind jedoch nicht zwangsläufig geläutert. Sie können
sogar ausgesprochen unsympathisch sein.

Mehr noch: Manchmal bekommt ausgerechnet die Familie mit den
drei entzückenden Kindern kein Asyl; und weil das Verfahren zügig und
fair war, ist an der Entscheidung auch gar nichts zu kritisieren. Und
manchmal muss man sich dafür einsetzen, dass der Ungustl, der mit Drogen
dealt und zu Hause Frau und Kinder terrorisiert, nicht abgeschoben
wird, weil ihm in seiner Heimat die Hinrichtung droht.


So etwas wie eine Checkliste für alle erdenklichen Lagen, was menschenrechtlich in Ordnung ist und was nicht, gibt es nicht.

Zweitens: So etwas wie eine Checkliste für alle erdenklichen
Lagen, was menschenrechtlich in Ordnung ist und was nicht, gibt es
nicht. Ansprüche müssen abgeglichen werden. Verschiedene Menschenrechte
stehen sogar im Widerspruch zueinander.

Hier steht das Demonstrationsrecht gegen ein Recht auf
Eigentum, von der sich die Erwerbsfreiheit ableitet: Kürzlich wurde das
Demonstrationsrecht in Österreich – marginal aber doch – zugunsten der
Ansprüche von Geschäftsleuten eingeschränkt. Wer hätte das vor einigen
Jahren gedacht?

Bis in die höchsten Instanzen sind Gerichte mit Abwägungen
befasst: Wie verhält sich das Recht, die eigene Religion auszuüben und
ein Kopftuch zu tragen, zum Anspruch eines Arbeitgebers, den Auftritt
seines Unternehmens nach außen zu bestimmen? Es gäbe noch viele
Beispiele.

v.l.n.r.: Astrid Zimmermann, Elfriede Hammerl, Edith Meinhart, Martina Salomon
v.l.n.r.: Astrid Zimmermann, Elfriede Hammerl, Edith Meinhart, Martina Salomon

Drittens, und das ist mein letzter Punkt: Von
Menschenrechten ist meistens im Zusammenhang mit Ausbeutung,
Machtmissbrauch und Diskriminierung die Rede; und in der Regel gehören
die Opfer zu einer Randgruppe. Ich weiß nicht, wie es zu dieser
Schlagseite gekommen ist. Sie hat jedenfalls dazu geführt, dass
Menschenrechte in der öffentlichen Wahrnehmung als Minderheitenprogramm
ankommen.

Stimmig ist das nicht. Auch ein Unternehmer, der um die
Genehmigung einer Betriebsanlage ansucht, verlässt sich auf ein faires
Verfahren und andere Menschenrechte. Nur werden sie in seinem Fall so
gut wie nie beschworen.


Am Ende geht es immer um uns alle.

Die Menschenrechtsexpertin Marianne Schulze würde an dieser
Stelle fragen: Und, wie steht es mit Ihnen? Sie hat mir erlaubt, sie
hier wiederzugeben: Sie sind heute morgen in einer Wohnung aufgewacht.
Vielleicht teilen Sie Tisch und Bett mit jemandem. Sie müssen es nicht
sagen. Sie haben einen Café getrunken, Ihr Recht auf Nahrung und
Kleidung wahrgenommen. Sie haben Informationsfreiheit genossen,
Nachrichten gehört, Zeitung gelesen und ihr Handy aufgedreht. Vielleicht
haben Sie danach Ihr Recht auf Arbeit ausgeübt. Sie haben von in der
Früh bis jetzt eine Reihe von Menschenrechten in Anspruch genommen, ohne
eine Sekunde darüber nachzudenken.

Es geht am Ende nicht nur um andere, wenn es um
menschenwürdige und faire Behandlung geht, um die Freiheit, eine Meinung
zu äußern, um Zugang zu Gesundheit und guter Bildung, um korrekt
arbeitende Gerichte oder ein geschütztes Privat- und Familienleben. Am
Ende geht es immer um uns alle.

Wir verlassen uns auf die menschenrechtlichen Fundamente
unserer demokratischen Ordnung, als wären sie naturgegeben. Es heißt,
sie seien unveräußerlich, zumindest im Kern, zu dem das Recht auf Leben
gehört. Aber selbst da: Wie sicher können wir sein? Menschenrechte sind
eine menschliche Übereinkunft. Wenn wir uns umschauen, steht es uns
schmerzlich vor Augen, dass sie unter Druck geraten und sogar
aufgekündigt werden können. Deshalb müssen sie immer wieder erklärt und
verteidigt werden. Nicht nur für die anderen, sondern für uns alle.