General

STAAT IN MORD VERWICKELT? Neue Untersuchung zu NSU-Mord belastet Ex-Verfassungsschützer


Von MiGAZIN, 7. April 2017. Nebenkläger des Kasseler NSU-Mordopfers Halit
Yozgat wollen neue Beweise vorlegen, wonach ein früherer hessischer
Verfassungsschutzmitarbeiter eine Falschaussage zum Mordfall getätigt haben
soll. Eine NSU-Aufklärungsinitiative vermutet eine Verwicklung des Staates in
den Mord.

  Die Tatwaffe der NSU, eine Ceska
© Friedrich Burschel

Im Münchner NSU-Prozess wollen die Nebenkläger des Kasseler NSU-Mordopfers
Halit Yozgat voraussichtlich am 10. Mai neues Beweismaterial präsentieren. Es
solle die bisherigen Aussagen des früheren hessischen
Verfassungsschutzmitarbeiters Andreas Temme widerlegen, sagte Ayşe Güleç von
der „Initiative 6. April“ am Donnerstag in Kassel. Yozgat war am 6. April 2006
in seinem Internetcafé von einem mutmaßlichen NSU-Täter erschossen worden.
Eine Untersuchung des Forschungslabors „Forensic Architecture“ der
Universität London zeige, dass Temme, der unmittelbar vor dem Mord am Tatort
anwesend war, sowohl den tödlichen Schuss gehört als auch die Leiche von Halit
Yozgat gesehen haben müsse, sagte Güleç. Temme hat bisher wiederholt
bestritten, etwas gehört oder gesehen zu haben.
Bei der Untersuchung sei das Internetcafé komplett nachgebaut worden, sagte
Christina Varvia von „Forensic Architecture“. Sowohl eine nachgestellte
Kamerafahrt in Augenhöhe Temmes sowie ein Digitalmodell hätten eindeutig
gezeigt, dass der Verfassungsschutzmitarbeiter den kurz zuvor erschossenen
Yozgat gesehen haben müsse. Auch der Schuss, der an Temmes Sitzplatz im Café
mit einer Lautstärke von mindestens 86 Dezibel ankam, sei nicht zu überhören
gewesen. Dies hätten auch vier andere Zeugen aus dem Café bestätigt.
Staat in Mord verwickelt?
Es stelle sich die Frage, warum jemand ein falsches Zeugnis gebe und nicht
zur Rechenschaft gezogen werde, sagte Varvia. „Warum ist der Staat in diesen
Mord in Person von Herrn Temme verwickelt?“, fragte sie. Was tatsächlich am 6.
April in dem Internetcafé geschah, sei aber nicht Gegenstand der Untersuchung
gewesen. „Wir wissen immer noch nicht, wer die Täter sind“, bilanzierte Güleç.
Der NSU-Mordserie fielen zwischen
2000 und 2006 mutmaßlich zehn Menschen zum Opfer. Die Aufarbeitung der Taten
beschäftigt Justiz und Staatsorgane bis heute. Nebenklägern des Münchener
Prozesses erscheint insbesondere die Rolle Temmes ungeklärt. Dieser gab an,
weder einen Schuss gehört, noch das Mordopfer beim Verlassen des Cafés gesehen
zu haben. Das Münchner Gericht stufte seine Aussagen bisher als glaubwürdig
ein. (epd/mig)