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Pfr. Dr. Stephan Johanus – Wir brauchen heute diese Sensibilität und auch das Verstehen anderer Kulturen, verschiedener Spiritualitäten und religiöser Ausdruckformen.


Von
Milena Rampoldi, ProMosaik. In Kürze erscheint die zweite Ausgabe des
Poesieprojektes CARA in Zusammenarbeit mit der Künstlerin LaBGC auch in
türkischer und arabischer Übersetzung. Vor der Buchpräsentation, die im Mai in
Zürich stattfinden wird, möchte ich mein Interview mit Pfr. Dr. Stephan Johanus
vorstellen, der das Vorwort zu CARA ausgehend von der Perspektive der
interkulturellen Theologie verfasst hat. Möchte ihm herzlichst für seine Zeit
danken.
Warum
ist die interkulturelle Theologie von so großer Bedeutung für uns heute?
Nun,
ich sehe hier drei Gründe. Zwei davon sind für mich sachlicher Art, der
dritte betrifft meine persönliche Erfahrung. Zum einen leben wir in einem neuen
Zeitalter der Geschichte des Christentums. Was ich meine ist, dass sich heute
die Mehrzahl der Christen in den nicht-westlichen Ländern, den ehemaligen Entwicklungsländern
oder Schwellenländern, aufhalten. Die Christen aus dem
Abendland und den westlichen Kulturen sind inzwischen in der Minderheit
weltweit.
Die
Interkulturelle Theologie beschäftigt sich mit den Theologien aus Asien,
Afrika, Lateinamerika, also aus Nicht-westlichen Ländern, um sie zu verstehen.
Lange Zeit haben die Christen aus diesen Kulturen die Europäische Theologie
studiert. Jetzt ist es Zeit, dass wir nachziehen und auch die Theologien diesen
jungen Kirchen wahrnehmen.
Religiöse
Erfahrungen, auch christlich-religiöse Identitäten, machen sich
immer mehr in einem interkulturellen Zwischenraum fest. Viele Menschen sind
durch die Globalisierung Träger von mehreren Kulturen geworden. Die
interkulturelle Theologie ist eine Disziplin innerhalb des Fächerkanons der
Theologie, die für das kulturelle Umfeld von Glaube und Religion sensibel
macht. Wir brauchen heute diese Sensibilität und auch das Verstehen anderer
Kulturen, verschiedener Spiritualitäten und religiöser Ausdruckformen. Obwohl die
interkulturelle Theologie an verschiedenen Theologischen Fakultäten ein neues
Fach geworden ist, repräsentiert dieses Fach meiner Meinung nach eher eine neue
Perspektive,
die in fast alle theologischen Disziplinen eine wichtige Rolle spielen sollte.
Zum
anderen ist mir das Christentum selbst erst durch eine Begegnung sehr
früh in meiner Biografie mit einer Kirche in Afrika plausibel geworden. Damals
war ich eher gelangweilt von der Kirche in Deutschland und lutherische Christen
in Tansania haben sozusagen meinen Glauben wieder gerettet durch ihre Vitalität,
ihre Freude an Christus, ihre Begeisterung und ihre Gastfreundschaft, auch ihre
Musik, afrikanische Musik natürlich! Das war von Anfang an für mich eine sehr
positive Erfahrung.
Wie
können wir heute die interkulturelle Theologie in den interreligiösen Dialog
einbringen?
Das
ist eine schwierige Frage. Ich glaube, dass wir unsere Erfahrungen des
“Fremden” aus der interkulturellen Theologie mit in die Begegnung in den
interreligiösen Dialog sozusagen mitnehmen können. Erst einmal geht es da auch
um ein Verstehen, auch wenn wir meinen, dass uns dieses Andere schon immer
irgendwie bekannt sein müsste. Aber das ist es nicht immer. Trotzdem müssen
Fremdheitserfahrungen nicht unbedingt negative Erfahrungen sein. Es kann auch
einfach bedeuten, dass ich meinen Horizont erweitere und lerne Dinge anders zu
sehen. Das können wir schon vorab üben. Obwohl mir manchmal auch bestimmte
Formen der christlichen Religion z.B. inzwischen fremder sind, als die Ansicht
von Buddhismus.
Vielleicht
kann man sagen, dass sich die interkulturelle Theologie und der
interreligiöse Dialog gegenseitig ergänzen. Sicherlich spielt der interreligiöse
Dialog in den interkulturellen Theologien eine größere Rolle bislang als bei
uns, weil die nicht-westlichen Theologien meist aus einer Minderheitenkirche
stammen, also von Christen die ganz natürlich in einer Situation eines ganz
alltäglichen interreligiösen Dialogs, oder besser noch einer interreligiösen
Konvivenz leben.
Wie
können Kunstformen wie die Poesie den interkulturellen Dialog
fördern?
Es
gibt das seltsame Phänomen, dass mich Kunstformen aus anderen Kulturen eher
ansprechen, mich direkter betreffen, als Kunstformen aus meinem eigenen
Kulturkreis. Ich weiß nicht, ob Ihnen das auch schon einmal so gegangen ist.
Das bedeutet für mich einfach, dass es da Menschen gibt in einem anderen Land,
die genau über die gleichen Erfahrungen, Wünsche und Träume sprechen, die ich
auch bei mir verborgen wiederfinde. Durch die größere Distanz kommt mir etwas
näher. Das ist eine widersprüchliche, aber reale Erfahrung, die ich nicht
einfach erklären kann. Manchmal sind es die kleinen Freiheiten, die es in anderen
Kulturen gibt, die mich faszinieren und die ein gewisses Charisma freilegen,
das es so bei uns nicht gibt.
Ich
habe z.B. einmal einen Afrikaner trommeln gehört in einer charismatischen Kirche.
Es war ein ziemlich extatisches Trommelfeuer, irgendwie verrückt. Und seine
einzige Botschaft war: “God loves you!” Aber weil es irgendwie so
exzessiv und extatisch daherkam, hab ich das wirklich verstanden. Der Mann
hatte sich total verausgabt auf seiner Trommel. Das war Kunst für mich! Es war
genial.
Warum
haben Sie entschieden, sich dem CARA-Projekt anzuschließen?
Ich
würde sagen, entschuldigen Sie den religiösen Ausdruck, ich wurde “berufen”
dazu. Also, es war ein Anruf und ich wusste erst einmal nicht so richtig worum
es geht. Dann haben mich die Gedicht doch angesprochen. Sie hatten etwas von
den Haikus, die ich aus Japan kenne. Wenig Worte. Tiefe Bedeutung. Stille
dazwischen. Das mag ich. Und die Bilder von LaBGC erinnerten mich an
Illustrationen zu den Gedichtbänden des Mönchen Ryokan. Die liebe ich. Sie sind
ganz verspielt und naiv. Sie zeigen oft das Verliebtsein von Ryokan in die
Natur.
Wie
viel schwieriger oder wie viel einfacher ist der innermonotheistische Dialog,
wenn man vorher die fernöstlichen Religionen studiert hat wie Sie?
Das
ist eine gute Frage. Der Dialog mit jemand, der ganz anders ist als wir,
ist manchmal einfacher, als mit jemandem, von dem man meint, er sei eigentlich
recht ähnlich, oder müsste doch eigentlich doch die gleichen Ansichten
haben wie man selbst. Dort wo die Unterschiede manchmal nicht so
groß sind, ist das Bedürfnis sich abzusetzen, umso grösser. Ich habe das
gehört, dass es so z.B. zwischen der Christkatholischen Kirche in der Schweiz
und den Lutheranern gehen soll, wenn die sich um die Liturgie streiten. Sie
sind sich sehr ähnlich, aber im Detail haben sie dann doch andere
Vorstellungen. Und an diesen kleinen Unterschieden hängen dann auch die
Identitäten. Das ist manchmal sehr schwierig. Das ist es einfacher
festzustellen, naja, du bist halt ganz anders. Mhm.
Interessant,
wie du das siehst.
Im
Übrigen komme ich mit Menschen aus buddhistisch geprägten Kulturen, wie
z.B. Japanern, oftmals fast besser klar als mit Christen. Sie sind sehr offen
und flexibel im Denken. Vielleicht ist das auch ein positives Vorurteil oder
einfach eine Erfahrung, die ich bisher noch nicht anders gemacht habe. Aber das
“undogmatische” Denken in den asiatischen Religionen ist mir sehr
angenehm. Es kommt meiner methodistischen Interpretation des christlichen
Glaubens sehr nahe, in der es auch weniger
um Dogmen als mehr um Erfahrungen geht.
Welche
sind Ihrer Meinung nach die größten Hindernisse und Herausforderungen für eine
interkulturelle Gestaltung von Religionsgemeinschaften, im Besonderen in den
kulturell so vielfältigen Religionen wie Christentum und Islam?
Sie
sprechen von kulturell verschieden geprägten Formen des Christentums? Oder des
Islam? Nun, mit dem Islam habe ich mich bisher noch nicht sehr intensiv
beschäftigt. Grundsätzlich denke ich da aber ein wenig wie Paulus, der den Ausspruch
geprägt hat, zu suchen, was dem anderen dient. Es gibt in der interkulturellen
Begegnung zwei Dimensionen. Die eine ist, dass ich auf mein Eigenes einmal
verzichte und einfach einmal in die Form einsteige, in der andere kommunizieren können.
Das betrifft nicht nur verschiedene Religionen und Kulturen, sondern auch
innerhalb einer Gesellschaft verschiedene Milieus.
Und
dann gibt es auch Momente, wo ich einfach einmal von mir erzähle, Formen
gebrauche, die mir wichtig sind und die ich benutze, um mich auszudrücken. Auch
wenn diese Formen für andere fremd sind, werden sie sie annehmen, oder
zumindest “aushalten”, wenn sie die Erfahrung gemacht haben, das ich
auch versuche mich in ihre Welt zu begeben. So spreche ich z.B. auch in der
Schweiz ganz bewusst manchmal etwas Berliner Dialekt. Die Leute verstehen das
ja und dann merken sie, er spricht jetzt die Sprache seiner Heimat, seines
Herzens. Es klingt halt etwas schräg in ihren Ohren, aber das bin ja ICH! Ein
nicht-Schweizer, und das ist dann auch o.k.
Das
ist dann sogar etwas kostbares. Und dann schalte ich auch wieder etwas auf
Schwietzerdütsch um. Interkulturelle Begegnungen und interreligiöser Dialog
bedeuten für mich nicht, dass ich nicht auch von meinen Wünschen, Hoffnungen
und Glaubenswegen erzähle. Nur dass dies alles in einem Raum der Freiheit
geschieht, in dem auch der andere so sein kann, “wie ihm der Schnabel
gewachsen ist” und wie er sich “von Herzen” ausdrücken kann. Nur
so funktioniert die Brücke zwischen den Kulturen,
wenn wir uns als Menschen begegnen und auch “von Herz zu Herz” kommunizieren.
Dann verlieren die Kulturen ihren unüberwindbaren Graben.
Nur
haben wir Europäer oftmals Schwierigkeiten “religiös” zu sein. Das haben
wir nicht geübt. Wo auch? In der staatlich verordneten Kirche, wo immer nur der
Pfarrer sagt, wie alles richtig geht? Ich bin jetzt etwas polemisch, zugegeben.
Aber da können wir sehr viel von Hindus, Muslimen, Buddhistischen und Schintoisten
lernen.
Das Video von Aygun Uzunlar zur Ausgabe 1 von CARA.