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CARA im islamischen Weltbild


von Milena Rampoldi, ProMosaik. In Kürze wird die zweite Ausgabe der Gedichte von CARA in Zusammenarbeit mit der Künstlerin LaBGC auch in türkischer und arabischer Sprache veröffentlicht werden. Darin sieht ProMosaik eine große Chance, um durch die Poesie auch interreligiöse Brücken zu bauen. Dazu ist auch unser Interview mit Pfr. Dr. Johanus sehr aufschlussreich. Im Folgenden fokussiere ich dann auf die islamische Vision von CARA.

 
CARA
spiegelt sich im islamischen Weltbild in Form von drei Hauptachsen wieder, die
in der koranischen Auffassung des Lebens und der Welt als Schöpfung Allahs fest
verankert sind: im Ideal der Einheit (tawhid), in der Zweiheit (des
Ideals der islamischen Geschlechterbeziehung, die sich auch in der Pflanzen-
und Tierwelt wiederfindet) und der Vielheit der Kulturen, Ethnien,
Weltanschauungen und Religionen wie von Allah gewollt.
Die
Einheit ist die Grundlage des monotheistischen Glaubens an den Einen Gott, an
den Völlig Anderen, den Allbarmherzigen, den Allerbarmer (ar-rahman,
ar-rahim
). Dies führt im Islam zur Unmöglichkeit der Verschmelzung des
Gläubigen mit Gott und der Schöpfung mit Gott und zur Ablehnung der mystischen
Vereinigung wie im Falle des Sufimeisters al-Hallaj, der ana al-haqq (Ich
bin die Wahrheit) ausrief, und jeglicher pantheistischer Anschauung.
Über die Ablehnung der Verschmelzung des Menschen mit
Gott und Seiner Weisheit heißt es u.a. in Koran 49:16 provokatorisch: „Sag:
Wollt ihr Allah über eure Religion belehren, wo Allah weiß, was in den Himmeln
und was auf der Erde ist? Und Allah weiß über alles Bescheid.“
  
Die
Zweiheit ist im Islam sehr stark in der Schöpfungsgeschichte verankert, aus der
sich dann die Komplementarität von Mann und Frau ableitet, wird aber aus dem
Göttlichen und auch Innergemeinschaftlichen ausgeschlossen, wenn es
beispielsweise im Koran heißt, dass Frieden gestiftet werden soll, wenn sich
zwei Gruppierungen innerhalb der Gemeinde streiten.
Ablehnung
der Zweiheit im Göttlichen bedeutet im Islam die Ablehnung jeglicher
Beigesellung (Schirk) und jeglicher Anschauung eines persönlichen Gottes,
der Mensch wird. Allah ist für die Muslime ein unergründlicher, ent-pantheisierter,
ent-persönlichter Allmächtiger Gott. Die Zweisamkeit gehört in diese Welt, in
die muslimische Ehe, von der es im Koran 30:21 heißt: „Allah hat zwischen euch Liebe und Barmherzigkeit
gesetzt” und in die Natur, die auch auf der geschlechtlichen Zweiheit besteht.
In diesem
Sinne erhalten die Gedichte von CARA in der islamischen Weltanschauung einen
sehr starken anthropologischen Stellenwert. Sie spiegeln die eheliche Liebe und
die positive Spannung zwischen den Geschlechtern in der Ehe, die Sehnsucht, die
Hingabe, die Suche, die Unvollkommenheit des Irdischen und auch die
fragmentarische Komplementarität der Geschlechter wieder.
CARA ist
aber im islamischen Weltbild auch ein Lobgesang an die Diversität im Sinne des
Koranverses 5:48, indem die Diversität mit der ethischen und soteriologischen Dimension
des Islam verbunden wird:
„Und wenn
Allah gewollt hätte, hätte Er euch zu einer einzigen Gemeinde gemacht. Er
wollte euch aber in alledem, was Er euch gegeben hat, auf
die Probe stellen. Darum sollt ihr um die guten Dinge wetteifern. Zu Allah
werdet ihr allesamt zurückkehren; und dann wird Er euch das kundtun, worüber
ihr uneins waret.“
Die Einheit zwischen allen Kulturen, Menschen und
Religionen bleibt im Islam auf das Transzendente und Soteriologische bezogen,
da es nur eine Bewegung der Offenbarung von Oben nach Unten und nicht umgekehrt
von Unten nach Oben im Sinne der Auferstehung Christi gibt.
Und diese Anschauung der Diversität und Vielseitigkeit
der Kulturen und Religionen ist auch der Kerngedanke der islamischen
Religionsfreiheit nach Koran 2:256 („Es gibt keinen Zwang in der Religion“) und
des Glaubens als Unterwerfung (Islam) und nicht als Bindung (religio).
In diesem Sinne schrieb Johann Wolfgang von Goethe mehr als treffend:
„Wenn Islam Gott ergeben heißt, im Islam leben und
sterben wir alle“.
Anbei noch das Video von Aygun Uzunlar zum CARA-Projekt.