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Myanmar: Regimewechsel ohne Wunder

Von Peter G. Achten , Infosperber, 24. März 2017 – Burmas neue Regierung kommt nicht richtig vom Fleck. Sie muss
ihre Macht mit den Militärs teilen – zum Vorteil der Uniformierten.
Geflüchtete
Karen im Osten Burmas: Armee attackiert weiterhin ethnische Minderheiten
© Burma Campaign UK
Nach fast fünfzig Jahren Militärdiktatur legte der ehemalige General Thein
Sein im Einverständnis mit dem General Nummer eins, Than Shwe, seine Uniform
ab. In zivilen Massanzug gekleidet wurde er 2011 Präsident und machte mit
schrittweisen Reformen den Übergang zur Demokratie möglich.
Mit Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi hatte er, nachdem er sie
nach fast zwei Jahrzehnten Gefängnis und Hausarrest frei liess, bald ein
ansprechendes Arbeitsverhältnis. Im November 2015 errang die von Suu Kyi
geführte Nationale Liga für Demokratie (NLD) nach fast fünfzig Jahren
Militärdiktatur einen überwältigenden Wahlsieg.
Unrealistische Erwartungen
Die Erwartungen in Myanmar und im Ausland waren riesengroß. Unrealistisch,
wie sich jetzt, ein Jahr nach Regierungsantritt, herausstellt. Wie anderswo auf
der Welt wurden auch in Myanmar beim Regimewechsel keine Wunder vollbracht.
Hintergrund der Enttäuschungen auch unter NLD-Anhängern ist ein
hochexplosives Gemisch von Problemen. Der Friedensprozess mit den Minoritäten kommt
kaum vom Fleck. Die Wirtschaft wächst zwar mit rund acht Prozentpunkten pro
Jahr, allerdings von einem sehr, sehr tiefen Niveau aus, so dass die
Armutsbekämpfung nur bescheidene Fortschritte macht. Schliesslich müssen sich
Suu Kyi und die NLD mit den Militärs die Macht teilen, mit Vorteil für die
machterfahrenen Uniformierten.
Panglong-Konferenzen
Der Konflikt mit den nationalen Minoritäten – rund einem Drittel der 55
Millionen Einwohner Myanmars – hat seine Wurzeln tief in der Kolonialgeschichte
und nahm seinen Ausgang im 19. Jahrhundert unter den britischen Kolonialherren.
Burma wurde damals zu Britisch Indien geschlagen, die nicht-burmesischen
Regionen eingeschlossen. 1947, kurz vor der Unabhängigkeit, berief der
Gründervater des modernen Burma, General Aung San – Vater von Aung San Su Kyi
–, nationale Minoritäten und Bamars (Burmesen) zu einer Friedenskonferenz in
Panglong ein. Man einigte sich auf ein föderales Burma mit der Möglichkeit zur
Abspaltung.
Doch «Panglong 1947» wurde nie in die Tat umgesetzt. Im August 2016 begann
in der Hauptstadt Nayipidaw die Konferenz «Panglong II». Doch nicht alle
Minoritäten waren vertreten. In verschiedenen Grenzregionen, so in den
nördlichen Staaten Kachin und Shan, ging der Krieg weiter, nicht selten
provoziert von Offensiven der Armee. Eine weitere, jedoch nicht anerkannte
Minorität, die Rohingyas, wurden und werden an der Westgrenze zu Bangladesh von
den Streitkräften verfolgt und drangsaliert.
Eine weitere Gesprächsrunde der Panglong-II-Friedenskonferenz soll Ende
März stattfinden. Suu Kyi, welche die Friedensgespräche formell präsidiert,
äusserte sich bislang öffentlich nur mit wenigen und unklaren Worten zu diesen
Konflikten.
Macht der Militärs
Offensichtlich muss Staatsrätin und Aussenministerin Aung San Suu Kyi einen großen, wenn nicht den größten Teil der Macht mit den Militärs teilen. Zwar
hat die NLD im Parlament eine solide Mehrheit. Doch den Uniformierten stehen
verfassungsmässig 25 Prozent der Sitze zu, womit sie jede Änderung der
Verfassung verhindern können.
Zudem sind die wichtigsten Ministerien fest in der Hand der Tatmadaw
(Armee), also das Innenministerium, das Grenzschutzministerium sowie das
Verteidigungsministerium. Einige werfen Suu Kyi mittlerweile vor, dass sie in
der Verwaltung auch jener in NLD-Hand befindlichen Ministerien die alten
Bürokraten nicht entließ. Das wäre aber schwierig, weil vom Innenministerium
aus sämtliche Regierungsposten im Lande bestimmt werden.
Auch die Wirtschaft läuft nicht rund, außer jene Bereiche, in denen burmesische
Geschäftsleute, seit Jahr und Tag mit den Militärs verbandelt, fette Gewinne
einfahren, legal und illegal. Solche Interessen verhindern auch dringend
notwendige Wirtschaftsreformen, zumal im Finanz- und Bankenbereich. Die
Investitionen aus dem Ausland stagnieren. Wichtige Infrastrukturprojekte kommen
nur schleppend oder gar nicht voran.
Misstrauen auf beiden Seiten
Was sich in Myanmar herausgebildet hat, ist ein duales System. Ein
demokratisch gewähltes Parlament und eine demokratisch legitimierte Regierung
stehen den machtbewussten Militärs gegenüber. Beide Seiten misstrauen sich
zutiefst, wissen aber auch, dass sie zusammenarbeiten müssen. Viele Beobachter
vermuten, dass die Streitkräfte bereits auf die Wahlen von 2020 schielen. Denn
wenn die jetzige Regierung keine wirtschaftlichen und politischen Reformen
zustande bringt, wenn die Armut nicht erfolgreicher bekämpft wird, und wenn im
Friedensprozess mit den nationalen Minoritäten keine entscheidenden
Fortschritte erzielt werden, dann könnte – so die Rechnung der Militärs – die
Nationale Liga für Demokratie die Mehrheit verlieren. Dem jetzigen Armeechef
General Min Aung Hlaing werden bereits Ambitionen aufs höchste Staatsamt
nachgesagt, sofern die «Vereinigte Solidaritäts- und Entwicklungs-Partei»
dannzumal die Wahlen gewinnen sollte.
Demokratie-Ikone Aung San Suu Kyi gibt sich unterdessen gelassen. Ende
Februar sagte sie in einer ihrer wenigen öffentlichen Äußerungen zur Innen-,
Wirtschafts- und nationalen Friedenspolitik: «Zehn Monate oder ein Jahr, das
ist nur eine kurze Periode.» Nach jahrzehntelanger Militärherrschaft, fügte sie
hinzu, brauchten Veränderungen einfach Zeit.