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Kleidervorschriften: Zwischen Akzeptanz und Empörung

von Frauensicht, 24. März 2017

Private Arbeitgeber erlassen Kopftuchverbote und eine
Islamgemeinschaft ein Kopftuchgebot. Auf der Strecke bleibt in beiden
Fällen die persönliche Freiheit von Frauen.

Ein privater Arbeitgeber darf unter bestimmten Voraussetzungen das Kopftuch verbieten.  © dapd
Der Europäische Gerichtshof
(EuGH) hat erstmals über Kopftuchverbote von privaten Arbeitgebern
entschieden. Unternehmen dürfen laut dem Urteil «politische,
philosophische und religiöse Zeichen» am Arbeitsplatz verbieten, sofern
eine firmeninterne Vorschrift das sichtbare Tragen jedes
politischen, weltanschaulichen und religiösen Zeichens untersagt. Doch
auch eine Vorschrift, die letztlich doch nur eine Religion oder
Weltanschauung betrifft, kann laut dem EuGH gerechtfertigt sein.
Allerdings nur bei Mitarbeitenden mit Kundenkontakt. Die
«unternehmerische Freiheit» habe dann Vorrang.
Ein privater Arbeitgeber darf unter bestimmten Voraussetzungen das Kopftuch verbieten.
Ein privater Arbeitgeber darf unter bestimmten Voraussetzungen das Kopftuch verbieten.© dapd
 

Urteil betrifft Musliminnen
Das
Urteil hat in der Öffentlichkeit für wenig Empörung gesorgt. Es
entspreche dem Zeitgeist, der sich von der «Liberalität der europäischen
Gesellschaften, auf die diese einst stolz waren» verabschiedet habe,
schreibt die «Süddeutsche Zeitung». In der Praxis habe das Urteil nur
für muslimische Frauen Bedeutung, weil andere religiöse Zeichen nicht
ins Auge springen oder nicht am Arbeitsplatz getragen werden. Die vom
EuGH definierten Voraussetzungen für ein Kopftuchverbot könnten
Arbeitgeber problemlos erfüllen. «Das kann dazu führen, dass muslimische
Frauen aus der Arbeitswelt hinausgedrängt werden.» Vor Diskriminierung
warnt auch Amnesty International. In einer Zeit, in der Identität und
Erscheinungsbild ein Reizthema sind, bräuchten die Menschen mehr Schutz
vor Diskriminierung und nicht weniger.
Glaubensgemeinschaften gegen Kleidungsvorschriften
Glaubensgemeinschaften
kritisierten, dass für den EuGH die unternehmerische Freiheit Vorrang
hat vor der individuellen Glaubensfreiheit. Der Zentralrat der Muslime
in Deutschland erklärte, das Urteil sei eine «Abkehr von verbrieften
Freiheitsrechten» und öffne das Tor, «dass muslimische Frauen in Europa
weiter Diskriminierungen ausgesetzt werden». Bekir Alboga,
Generalsekretär der Türkisch-Islamischen Union (Ditib), sagte, man dürfe
Frauen nicht vorschreiben, wie sie sich zu kleiden haben.
Islamverband erlässt Kleidungsvorschrift
Doch andere Islamverbände machen genau das. In Österreich
hat die Islamische Glaubensgemeinschaft (IGGÖ) eine Fatwa
veröffentlicht. Danach ist das Tragen eines Kopftuches für Frauen und
Mädchen ein «religiöses Gebot». Diese Kopftuchvorschrift hat in der
Öffentlichkeit für Empörung gesorgt. Integrationsminister Sebastian Kurz
(ÖVP) und Staatssekretärin Muna Duzdar (SPÖ) sprachen von einem Angriff
auf die Freiheit und Selbstbestimmung von Frauen. Auch intern ist das
Gutachten umstritten. Carla Amina Baghajati, Frauenbeauftragte der
Glaubensgemeinschaft, kritisiert ein Kopftuchgebot. «Kopftuchtragen hat
im Islam nicht den Stellenwert eines Dogmas oder einer Doktrin.» Frauen
könnten selber bestimmen, ob sie ein Kopftuch tragen wollen oder nicht.