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Israels Hauszerstörungen im Westjordanland – das „Rekordjahr“ 2016

von B’Tselem, deutsche Übersetzung von Jakob Reimann, JusticeNow, 01. März 2017. 2016 kam es zu einer deutlichen Zunahme der Zahl palästinensischer Häuser, die von israelischen Behörden im gesamten Westjordanland zerstört wurden, einschließlich Ost-Jerusalem.
Fehlende Baugenehmigungen werden als Vorwand vorgeschoben. Seit
B’Tselem 2004 mit der systematischen Dokumentation begann, kam es in
keinem Jahr zu mehr Hauszerstörungen als im vergangenen. In
Ost-Jerusalem haben die Behörden 88 Wohnhäuser und 48 andere Gebäude
abgerissen. Andernorts im Westjordanland zerstörten die Behörden weitere
274 Wohnhäuser und 372 andere Gebäude. Diese Hauszerstörungen belegen
die israelischen Bemühungen, die Anwesenheit von Palästinensern in
solchen Gebieten einzuschränken, die Israel annektieren will. Die
Behörden ziehen für dieses Vorgehen Nutzen aus perfiden bürokratischen
Verwaltungsinstrumenten.

Das Westjordanland (ohne Ost-Jerusalem)

Im August 2015 führten die israelischen Behörden im gesamten Westjordanland eine beispiellose Kampagne von Hauszerstörungen
durch und zerstörten dabei etwa 100 Gebäude – die Hälfte davon
Wohnhäuser, in denen über 200 Menschen lebten, darunter etwa 100
Minderjährige. Die damals als ungewöhnlich umfangreich angesehene Welle
der Zerstörung wurde Ende 2015 wegen der jüdischen und muslimischen
Feiertage inoffiziell gestoppt.
Anfang 2016 nahmen die Behörden die Zerstörungen wieder auf.
Als die Monate verstrichen wurde das, was Ende 2015 noch als
übertrieben maßloses Ausmaß der Zerstörung erschien, zur Norm und Teil
der offiziellen israelischen Politik in der gesamten
C-Area des Westjordanlands.
Als Teil dieser Politik zerstörte Israel
im Jahr 2016 insgesamt 274 Häuser im Westjordanland (ohne
Ost-Jerusalem), wodurch 1.134 Menschen obdachlos wurden, darunter 591
Kinder. Das Ausmaß der von Israel herbeigeführten Zerstörung von 2016
überstieg gar die Zahlen abgerissenen Häuser aus 2014 und 2015
zusammengerechnet.


Ein
Bulldozer des israelischen Militärs, der für Hauszerstörungen genutzt
wird, auf einer Landstraße zwischen Nablus und Ramallah in der C-Area im
Westjordanland. Das Foto wurde freundlicherweise zur Verfügung gestellt
von Philipp Blank,
Blankerman.
Die Hauszerstörungen der israelischen
Behörden konzentrierten sich vor allem auf drei wesentliche Regionen:
die South Hebron Hills, das Gebiet um Ma‘ale Adumim sowie das Jordantal.
Die Bemühungen, Dutzende von kleinen Hirten- und Bauern-Communities aus
der C-Area zu vertreiben, werden besonders in diesen drei Regionen
deutlich. Im Ma‘ale Aumim-Gebiet, welches Land umfasst, das Israel als
E1-Area bezeichnet, zerstörten die Behörden 49 Wohnhäuser, wodurch 224
Personen, darunter 115 Minderjährige, auf die Straße gesetzt wurden. In
Gemeinden in den South Hebron Hills, die der drohenden Vertreibung
ausgesetzt sind, zerstörten die Behörden 34 Wohnhäuser, 166 Personen,
darunter 87 Minderjährige, wurden obdachlos. Besonders umfangreich waren
die Hauszerstörungen im Jordantal: 551 Personen, darunter 291
Minderjährige wurden obdachlos, nachdem die Behörden dort 123 Wohnhäuser
zerstörten.

Ost-Jerusalem

Die israelischen Behörden setzten ihre
diskriminierende Politik gegen die palästinensischen Bewohner
Ost-Jerusalems fort als Teil einer Gesamtstrategie, die darauf abzielt,
Palästinenser zum Verlassen der Stadt zu drängen. Diese Maßnahmen sind
Teil der Bemühungen, vor Ort demografische und geographische Tatsachen
zu schaffen, die jeden zukünftigen Versuch, die israelische Souveränität
über Ost-Jerusalem in Frage zu stellen, vereiteln würde. Im Jahr 2016
zerstörten die israelischen Behörden 73 Häuser in Ost-Jerusalem. 15
weitere wurden von ihren Besitzern selbst abgerissen, nachdem diese von
den Ämtern entsprechende Abrissverfügungen erhalten hatten. Sie
zerstörten ihre eigenen Häuser, um zu vermeiden, von den Israelis die
Kosten des Abrisses und weitere heftige Geldstrafen auferlegt zu
bekommen. Alles in allem machten die Behörden 295 Menschen obdachlos,
darunter 160 Minderjährige. Dies ist die größte jährliche Zahl von
Hauszerstörungen, seit B’Tselem im Jahr 2004 mit der Dokumentation in
Ost-Jerusalem begann. Die Behörden rissen weiter auch 48 gewerbliche
Gebäude ab. Diese Zahlen spiegeln eine starke Zunahme der Zahl der
Abrisse in Ost-Jerusalem wider. Im Gegensatz dazu haben die Behörden im
Jahr 2015 dort insgesamt „nur“ 47 Häuser abgerissen.
Um einen Eindruck der Absurdität der Hauszerstörungen zu erhalten, schaut Euch dieses Video an.

Die israelische Agenda

Zusammenfassend lässt sich feststellen,
dass sich – trotz der Unterschiede zwischen der C-Area und Ost-Jerusalem
bezüglich der zuständigen Behörden und der unterschiedlichen geltenden
Gesetze – die Politik, die Israel in beiden Gebieten verfolgt, sehr
ähnelt: die Zahl der Palästinenser soll in so viel Land wie möglich
maximal reduziert werden. Voller Zynismus führen die Behörden den
vermeintlich illegalen Häuserbau als Vorwand für die Hauszerstörungen
an, während es dieselben Behörden sind, die den legalen Häuserbau von
Palästinensern verbieten. Sie umgehen die Genehmigung von Bauplänen für
Palästinenser und sagen dann, sie können keine Baugenehmigungen
erteilen, weil es keine Pläne gibt. Die kürzlich der israelischen NGO Bimkom von der Zivilverwaltung vorgelegten Zahlen
deuten darauf hin, dass die israelischen Behörden in den ersten sechs
Monaten des Jahres 2016 insgesamt 37 Baugenehmigungen für Palästinenser
in der C-Area erteilt hatten. Diese Zahl bleibt nicht nur weit hinter
der Erfüllung der Bedürfnisse der Bevölkerung zurück, sondern zeigten
Ermittlungen von Bimkom, dass die Zivilverwaltung unerwähnt ließ, dass
praktisch alle Genehmigungen (35 der 37) auf eigenen Wunsch der
israelischen Behörden für den Häuserbau in der al-Jabal-Region
ausgestellt wurden. In dieses Gebiet südlich von Jerusalem plant die
israelische Verwaltung die gewaltsame Zwangsumsiedlung von
Beduinen-Gemeinden, die derzeit östlich der Maale Adumim-Siedlung leben.
Dies bedeutet, dass die Zahl der Baugenehmigungen in der C-Area, die
als tatsächliche Reaktion auf Anträge von Palästinensern erteilt wurden,
praktisch nicht vorhanden ist – nämlich 2 an der Zahl.

Während Israel diese Politik der
Hauszerstörungen verfolgt, ignoriert es vorsätzlich die Realität, die es
für Palästinenser schafft. Die staatlichen Behörden tun so, als würden
sie nicht die geringste Verantwortung dafür tragen, wie diese Realität
zu Stande kam. Ohne die Möglichkeit zum legalen Häuserbau bleibt den
Palästinensern die einzige Option, ihre Häuser ohne Genehmigung zu bauen
– um dann in ständiger Angst leben zu müssen, dem Abriss ihrer Häuser
sowie ihrer gesamten Lebensgrundlage zuzusehen. Der Staat zwingt
Zehntausende von Menschen dazu, in unmenschlichen Bedingungen zu leben,
ohne eine Lebensgrundlage und ohne die Hoffnung oder die geringste
Möglichkeit, ihre Lebenssituation zu verbessern. Diese seit Jahren
umgesetzte Politik ist gesetzeswidrig und unmoralisch. Sie stellt die
gewaltsame Zwangsumsiedlung von geschützten Palästinensern innerhalb der
besetzten Gebiete dar, sei es direkt durch den Abriss ihrer Häuser,
oder indirekt durch die Schaffung von unmöglichen Lebensbedingungen.
Diese von sämtlichen Behörden verfolgte Politik verletzt direkt und im
schwerstem Maße die fundamentalsten Menschenrechte von Zehntausenden von
Palästinensern und indirekt jene von Hunderttausenden mehr.
Gleichzeitig bietet diese Politik auch die entscheidenden Beweise dafür,
dass Israel langfristige Pläne verfolgt, die gesamten
Palästinensergebiete in Ost-Jerusalem und dem Westjordanland auch in
Zukunft zu kontrollieren und seine Bewohner zu unterdrücken und zu
enteignen.