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Die heuchlerische Politik der SVP gegen Rassismus

Von Christian
Müller, Infosperber,
12. März 2017. Eine Motion der SVP im Nationalrat unter dem Stichwort
Anti-Rassismus ist in Wirklichkeit eine Aktion der Pro-Israel-Lobby.


Israel
und Palästina von 1897 bis zur Gegenwart
Seltsam:
Da reicht der SVP-Nationalrat Christian Imark aus dem Kanton Solothurn eine
Motion ein mit dem Aufruf, die «Verwendung von Steuergeldern für Rassismus,
Antisemitismus und Hetze» sei «konsequent (zu) unterbinden». Und es gibt 41
Mitunterzeichner, von denen weitere 34 der SVP angehören.
Ausgerechnet!
Die SVP, die ihre Wahlerfolge seit Jahren mit der erfolgsgarantierten Methode
der Fremdenfeindlichkeit erreicht – man denke etwa an ihre Abstimmungsplakate –
plötzlich aktiv gegen Rassismus? Unter den Mitunterzeichnern etwa auch der
Aargauer Andreas Glarner, der sich nicht scheut, Einwanderer der
intellektuellen Minderwertigkeit zu bezichtigen!
Man
könnte meinen, dass bei einem solchen Szenario im Nationalrat alle roten
Lämpchen aufleuchten müssten: Ausgerechnet die SVP gegen Rassismus?
Und
wenn man dann noch weiss, dass Motionär Christian Imark und sechs weitere
Mitunterzeichner der Motion im Frühling 2016 in illegale Siedlungen im von
Israel besetzten Gebiet wallfahrten, um sich das dortige Business erklären zu
lassen: Müsste da nicht sogar eine grosse rote Warnleuchte aufleuchten? (Infosperber berichtete darüber.)
Auch
der genaue Text der Motion von Christian Imark sagt schon fast alles: «Der
Bundesrat wird beauftragt, die einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen,
Verordnungen und Reglemente dergestalt anzupassen, dass öffentliche Gelder der
Schweiz, welche direkt oder indirekt für die Entwicklungszusammenarbeit
eingesetzt werden, nicht mehr gesprochen werden dürfen, wenn die unterstützten
Nichtregierungsorganisationen (NGO) in rassistische, antisemitische und
hetzerische Aktionen oder BDS-Kampagnen (Boycott, Disvestment and Sanctions)
verwickelt sind. – Unter hetzerischen Aktionen sind beispielsweise Kampagnen
von NGO zu verstehen, die von rivalisierenden Gruppierungen oder souveränen
Staaten als Provokation aufgefasst werden können. Unter BDS-Kampagnen sind
Boykott, Kapitalabzug oder Sanktionen gegen rivalisierende Gruppierungen oder
souveräne Staaten zu verstehen.
»
Alles
ist allgemein formuliert, die NGOs werden im Motionstext nur als NGOs erwähnt,
nur eine einzige Organisation wird namentlich genannt: die BDS, Boycott,
Divestment and Sanctions
, zu deutsch: Boykott, Desinvestition und
Sanktionen. Die BDS ist eine
Nicht-Regierungs-Organisation, die sich mit friedlichen Mitteln – eben zum
Beispiel mit Boykott – dafür einsetzt, dass der Staat Israel endlich aufhört,
auf militärisch besetztem palästinensischem Gebiet ausserhalb des
völkerrechtlich anerkannten israelischen Staatsgebietes mit den Grenzen von
1967 Land zu nehmen und israelische Siedlungen mit Tausenden von Häusern und
Wohnungen zu bauen.
Keine
Motion gegen Rassismus
Im
Klartext: Es musste jedem Mitglied der grossen Kammer in Bern absolut klar
sein, dass es bei dieser Motion nicht um eine generelle Kampfansage gegen
Rassismus ging, sondern gezielt und ausschliesslich gegen die BDS und andere
Organisationen, die sich gegen die Völkerrechtsverstösse Israels engagieren.
Auch der Bundesrat empfahl deshalb die Motion klar zur Ablehnung. Seine Politik
gegenüber Israel ist ja auch klar definiert und im Internet nachlesbar: «Die
Schweiz setzt sich für einen auf dem Verhandlungsweg erzielten, gerechten und
dauerhaften Frieden zwischen Israelis und Palästinensern ein. Sie anerkennt den
Staat Israel innerhalb seiner Grenzen von 1967 und engagiert sich für einen
lebensfähigen, zusammenhängenden und souveränen Staat Palästina auf der
Grundlage der Grenzen von 1967 und mit Ost-Jerusalem als Hauptstadt. Nach
Auffassung der Schweiz gelten alle von Israel kontrollierten Gebiete, die
ausserhalb der Grenzen von 1967 liegen, gemäss humanitärem Völkerrecht als
besetzte Gebiete. Die Schweiz ist der Ansicht, dass die israelischen Siedlungen
gegen das humanitäre Völkerrecht verstossen und zudem ein grosses Hindernis für
den Frieden und für die Umsetzung einer Zweistaatenlösung darstellen.
»
In
seinem Votum vor der Abstimmung über seine Motion zählte Motionär Christian
Imark einige «rassistische» NGOs auf, darunter zum Beispiel auch «Breaking the Silence», eine
Organisation von israelischen (!) Soldaten, die nicht mehr schweigen wollen
dazu, was die israelische Armee in den von Israel besetzten Gebieten anrichtet.
In seiner Argumentation folgte Christian Imark weitgehend den Ausführungen der
israelischen Nicht-Regierungs-Organisation NGO-Monitor,
also auch einer NGO, die sich im
übrigen nicht scheut, auf ihrer Website auch die Schweizer Hilfswerke HEKS und Caritas der
Unterstützung antisemitischer Organisationen zu bezichtigen. (Dass Christian
Imark seinen eigenen Text in mehreren Punkten kaum flüssig lesen konnte, sei
nur am Rande vermerkt. Immerhin wurde dabei klar, dass er ihn nicht vollständig
selber geschrieben haben kann.) Von den völkerrechtswidrigen und von der Uno
erst vor ein paar Wochen erneut verurteilten Aktionen Israels sagte Imark
natürlich kein Wort. Auch nicht vom Beschluss der israelischen Knesset von vor
wenigen Wochen, wonach Israel im besetzten Gebiet künftig auch private
Landeigentümer «rechtens» enteignen darf.
Und
was macht der Nationalrat? Er stimmt der Motion mit 111 gegen 78 Stimmen zu
(Wer wie gestimmt hat, siehe unten). Israel soll Palästina doch annektieren,
die Kriege da unten sollen doch weitergehen, was geht uns schon das Elend in
den von Israel besetzten Gebieten an?
Ignoranz?
Gleichgültigkeit? Immer parat für Heucheleien? Oder finanzielle Interessen, wie
es die SVP- und FDP-Siedlungswallfahrer mit ihrem Business-Trip nach Ma’ale
Adumim im von Israel besetzten Gebiet vor Jahresfrist aufgezeigt haben?
Man
kann wirklich nur noch – verärgert – den Kopf schütteln. Und hoffen, dass der
Ständerat diese Motion bachab schickt.
Was
sagen die grossen Zeitungen?
Der Tages-Anzeiger thematisierte
in seinem Bericht über die Abstimmung vor allem, dass auch die FDP die Motion
des SVPlers unterstützte und damit ihren eigenen Bundesrat Didier Burkhalter in
den Regen stellte.
Die NZZ machte
immerhin darauf aufmerksam, woher die der Motion Imark zugrundeliegenden
Behauptungen zur Finanzierung rassistischer und anti-semitischer NGOs stammen: «Die
Kritik ist nicht neu. NGO-Monitor, eine israelische Organisation, weibelt seit
langem gegen die Finanzierung von angeblich antisemitischen NGO durch die
Schweiz, Dänemark, Schweden und die Niederlande.»
Für
die Basler Zeitung dagegen ist es klar, dass Imarks
Behauptungen, die Schweiz unterstütze rassistische und antisemitische
Organisationen, richtig ist. Man beachte die Formulierung: «Der
Entscheid fiel mit 111 zu 78 Stimmen deutlich aus. Unterstützt wurde der
Vorstoss durch die SVP, Burkhalters FDP und eine knappe Mehrheit der CVP. SP,
Grüne und Grünliberale – inklusive deren Abgeordnete aus der Nordwestschweiz –
wollten dem Bundesrat weiterhin erlauben, rassistische und anti­semitische
Organisationen mit Steuergeldern zu unterstützen.»
 Wie sollte die BaZ
einem SVP-Nationalrat nicht glauben schenken, wo sie doch selbst in festen
SVP-Händen ist?
Der
neuste Schachzug der Israel-Lobby
Was
man wissen muss – im Sinne eines Nachtrags zum oben stehenden
Bericht:
Es
tönt echt wissenschaftlich: «Die Sprache der Judenfeindschaft im 21.
Jahrhundert». Das Buch mit diesem Titel hat 456 Seiten und kostet gebunden EUR
79.95. Aber auch für das eBook zahlt man dasselbe. Man zahlt also nicht etwa
für das viele Papier, sondern für den Inhalt.
Die
Schweizer Israel-Lobby-Website Audiatur-online hat vor ein
paar Tagen auf dieses Buch aufmerksam gemacht. Die Headline: Die Israelisierung des
Antisemitismus.
 Die gemäss Audiatur «wissenschaftliche»
Untersuchung hat nämlich herausgefunden: Die Antisemiten reden und schreiben
nicht mehr schlecht über die Juden, sie reden und schreiben jetzt schlecht über
Israel. Die Motivation aber sei, so Audiatur, dieselbe:
Antisemitismus.
Die
beiden Autoren des wissenschaftlichen Wälzers hatten die Glanzidee, 14’000
Emails, Briefe und Postkarten auszuwerten, die auf der Israelischen Botschaft
in Berlin und beim Zentralrat der Juden in Deutschland eingetrudelt sind,
offensichtlich in der – wohl doch eher fragwürdigen – Annahme, dass die Leute,
die der Israelischen Botschaft und dem Zentralrat der Juden in Deutschland Post
zukommen lassen, eine besonders repräsentative Bevölkerungsgruppe sind. Befund
der Untersuchung: Die Antisemiten kritisieren jetzt nicht mehr «die Juden», sie
kritisieren jetzt Israel. Das Phänomen heisst: die Israelisierung des
Antisemitismus. Zitat: «Im 21. Jahrhundert ist die im antisemitischen
Denken begründete und auf Juden ausgerichtete Kritik an Israel die dominante
verbale Form geworden, in der anti-jüdische Ideen artikuliert und verbreitet
werden.»
 Und: «Wenn Israel, der jüdische Staat, als eindeutig
böse und unmoralisch denunziert wird, ist Antisemitismus klar im Spiel. Moderne
Antisemiten haben das ‘jüdische Problem’ in das ‘Israel-Problem verwandelt.’»
Auf
einem Verlagsflyer,
ebenfalls auf der Website von Audiatur-online einzusehen, kann
man denn auch ein paar Empfehlungen dieses Buches über die «Israelisierung des
Antisemitismus» lesen. Zum Beispiel und nicht ganz überraschend von Josef
Joffe, in Lodz in Polen geborener Jude, Herausgeber der deutschen Wochenzeitung Die
Zeit
 und immer vorne mitdabei, wenn es um Iran-Bashing geht: «Die
beiden Verfasser
 (dieser Studie) haben das Verdeckte ans
Tageslicht gebracht und Neuland erschlossen. Das Buch ist eine große
wissenschaftliche Arbeit.»
Nun
wissen wir es also – einmal mehr: Wer kritisiert, dass Israel immer mehr
besetztes Land in Palästina selber besiedelt und de facto annektiert,
ist einfach ein Antisemit – und damit natürlich disqualifiziert. Er soll bitte
das Maul halten. Ein zwar nicht ganz neuer, aber jetzt «wissenschaftlich»
fundierter Schachzug der Pro-Israel-Lobby.
Zum
Thema Antisemitismus und Kritik an Israel gibt es ein hervorragendes Buch – von
einem in Israel lebenden und in Israel renommierten Juden. Avraham Burg:
«Hitler besiegen. Warum Israel sich endlich vom Holocaust lösen muss.» Deutsche
Ausgabe Campus Verlag, Frankfurt a. M. 2009. – Avraham Burg zeigt in dem Buch auf,
wie sich Israel selber schadet, wenn es jede politische Kritik mit dem Hinweis
auf den Holocaust gleich mit der Antisemitismus-Keule zurückweist. Lesenswert!
Auch
das im Jahr 2006 vom NZZ-Buchverlag NZZ Libro herausgegebene,
heute aber leider vergriffene Buch der Radio SRF-Korrespondentin Karin Wenger:
Checkpoint Huwara; Israelische Elitesoldaten und palästinensische
Widerstandskämpfer brechen das Schweigen» ist auch heute noch eine
empfehlenswerte Lektüre zur Situation in Israel.
Nur,
wer bei der Lektüre dann zustimmend nickt, muss wissen: Er ist –
«wissenschaftlich» bestätigt – ein Antisemit.