General

PAKT MIT ITALIENS MUSLIMEN – TEIL 2 – Eine kritische Sicht auf die Inhalte

Von Milena Rampoldi,
Islamiq, 19. Februar 2017. In Italien haben islamische Verbände und Regierung
einen „nationalen Pakt für einen italienischen Islam“ geschlossen. Ist die
staatliche Einmischung ohne Kritik anzunehmen? Dr. Milena Rampoldi geht dieser
Frage nach.


Die Moschee in Rom (Bild von ProMosaik)

Der
Pakt, den Italien mit den muslimischen Gemeinden im Lande schließen möchte,
spricht, wie ich im vorherigen Teil meines Beitrags zum Thema aufgezeigt habe,
von einem offenen und integrierten, „italienischen Islam“ im Sinne der Werte
der italienischen Verfassung. Diese sind vor allem Relgionsfreiheit, das Recht
auf Ausübung der eigenen Religion, Versammlungsrecht, die Gleichberechtigung
aller Religionsgemeinschaften und die Wahrung der Würde des Menschen unabhängig
von seiner religiösen Zugehörigkeit. Das Ganze klingt nach dem neuen
Islamgesetz in Österreich, ja, aber es ist nun die Aufgabe der Muslime, an
seiner weiteren konkreten Gestaltung dynamisch mitzuwirken und genau dies zu
verhindern. Denn ein Pakt ist immer nur in einer Dimension des Dialogs
umsetzbar.
Der
Pakt fokussiert sehr auf die Bekämpfung des muslimischen Terrorismus und auf
den interreligiösen Dialog zwecks Förderung einer offenen, antirassistischen
Gesellschaft in Italien. Somit wird einer Minderheit die Aufgabe auferlegt, dem
Rechtsradikalismus und der Minderheitendiskriminierung in Italien vorzubeugen.
Die Schlüsselfiguren dieser gelungenen Integration der Muslime in ein noch zu
änderndes Italien sollen die im Lande ausgebildeten Imame sein, die dann als
Vermittler zwischen ihren Gemeinden und der italienischen Zivilgesellschaft
auftreten sollen. Des Weiteren fordert der Staat die Transparenz über die
Finanzierungen der Moscheen. Dabei werden alle ausländischen Geldgeber, Private
wie auch Staaten in einen Topf geworden, als förderten sie den Terror. Der
Islam solle sich einfach an die italienischen Werte anpassen. Es soll ein
verantwortliches Wachstum des Islams in Italien gefördert werden.

Quo vadis Italien? – Dr. Milena Rampoldi
In Italien haben islamische Verbände und Regierung einen „nationalen Pakt für
einen italienischen Islam“ geschlossen. Ist die staatliche Einmischung ohne
Kritik anzunehmen? – Teil 1
Die
muslimischen Vereinigungen müssen sehr viel, wenn nicht alles tun, damit die
Ziele dieses Paktes auch erreicht werden. Der Staat fordert von ihnen sehr
viel, vor allem auch die Mitwirkung im Kampf gegen den Terror, damit Charlie
Hebdo sich nicht wiederholt, wobei in diesem Falle #JesuisAhmed wohl sehr wenig
zählt oder gar nicht erwähnenswert erscheint. Dem Innenministerium zufolge wäre
das Attentat gegen das französische Satiremagazin nämlich der Beweis dafür,
dass fehlende Integration den Terror fördere, als wäre das Team von Charlie das
Ergebnis des Zorns unzureichend in Frankreich integrierter Muslime.

Sicherheit geht vor
Der
„muslimische“ oder „islamische“ Terrorismus weird hier als homogenes und rein
religiöses Thema vereinfacht und dämonisiert. Es stimmt schon, dass der
interreligiöse Dialog eine offene Gesellschaft fördert und somit Toleranz und
gegenseitige Wertschätzung zwischen den Religionsgemeinschaften aufbaut. Aber
den Terroristen des IS, der mit dem Islam so wenig zu tun hat wie der Nationalsozialismus
mit dem Christentum oder der Zionismus mit dem Judentum, ist nicht der
„verlorene Sohn“ aus der biblischen Parabel, von dem  der Innenminister
spricht, sondern wohl eher das Ergebnis der westlichen postkolonialen,
militaristischen Kultur der Waffenexporteure, zu denen auch Italien gehört.
Antikolonialistischer Terror und der Krieg um das Öl lassen sich nicht alleine
durch den interreligiösen Dialog lösen, sondern durch die Überwindung des
Neoimperialismus des Westens in der muslimischen Welt von heute. 26% der
Waffenexporte in den Nahen Osten stammen aus der EU-„Wertegemeinschaft“, die
sich für Toleranz und Frieden in den eigenen Ländern einsetzt und die
Demokratie aber nicht exportiert, sondern nur die Waffen und vor allem Minen,
die Zivilisten in den Kriegsgebieten töten.
Vorschläge
wie die Übersetzung der Hutba ins Italienische, der Tag der offenen Moschee und
die multikulturelle muslimische Gemeinde sind gutgemeinte Vorschläge. Aber
müssen die Muslime Italiens optimistisch sein und diese „Charta“ mit all ihren
sicherheitspolitischen und pauschalisierenden Implikationen mitgestalten? Diese
Frage ist mit Ja zu beantworten, wenn auch mit Bedacht. Denn falls dieser Pakt
ergebnislos bleiben sollte, liegt dies auch an dem unzureichenden Engagement der
Muslime als Teil der italienischen Zivilgesellschaft. Die Muslime Italiens
dürfen sich dem Gespräch nicht verschließen, weil sie ein selbstverständlicher
Teil Italiens sind. Sie dürfen sich aber genau weil sie das sind, nichts
diktieren lassen.
In
einem Koranvers heißt es: „Wahrlich, Allah ändert nicht den Zustand eines
Volkes, bis sie das ändern, was in ihnen selbst ist.“ (Sure Rad, 13:11). Diese
Veränderung gilt für beide Seiten, für die italienische Gesellschaft und für
die muslimische Gesellschaft in Italien. Die Schnittstelle sind in diesem
Zusammenhang die italienischen Muslime.

Rechte du Pflichten
Was
gleich am Wortlaut des Texts auffällt, ist die absolute Verpflichtung des
muslimischen „Partners“, der alle Pflichten auferlegt bekommt. Es handelt sich
bei diesem Pakt somit nicht um eine demokratische Vereinbarung auf Augenhöhe,
sondern um einen staatlich auferlegten Zwang. Das ist absolut klar und darf
nicht ignoriert werden.
Ein
zweiter negativer Aspekt des Ganzen ist auch dieser: Die Muslime der Vereinigungen,
die diese erste „Einführungsvereinbarung“ unterzeichnet haben, vertreten auch
nicht alle Muslime der in Italien lebenden Umma. Unabhängig davon sei auch
darauf hingewiesen, wie der Islam als Religion eine kosmopolitische und
multikulturelle, antirassistische und egalitäre Komponente aufweist, die in
diesem „Pakt“ vollständig in den Hintergrund tritt.
Wie
auch bei den anderen Verhandlungen im deutschsprachigen Raum, gehen die Muslime
auch in Italien mit gesenktem Haupt in die Verhandlungen. Sie lassen sich in
einen verfassungsrechtlich bedenklichen Rahmen zwängen. Der Pakt spiegelt die
Up-Down-Kommunikation von Peter Watzlawick wider. Es entsteht eine gestörte
Kommunikation, wenn Menschen nicht komplementär und ergänzend miteinander
kommunizieren, sondern die Kommunikation auf Machtstrukturen basiert, welche
den Dialog auf Augenhöhe von Anfang an blockieren. Wo Macht herrscht, kommt es
Watzlawick zufolge zu einer starren vertikalen Komplementarität in der
menschlichen Kommunikation. Daraus folgt, dass diese Kommunikation von Anfang
an nicht erfolgversprechend sein wird.
Warum
müssen die Muslime in Italien aber weiterhin ihr Engagement für einen Pakt
unter Beweis stellen? Die Antwort: Sie müssen versuchen, dieses  Paradigma
einer vertikalen, staatliche gelenkten Kommunikation umzustürzen, um ein neues
Paradigma einer gleichgestellten und universalen Kommunikation im Sinne der
Menschenrechte und der Menschenwürde aufzubauen und gemeinsam mit den
Vertretern des Staates zu gestalten.
Muslime
wollen sich ja keine Privilegien ergattern, sondern möchten einfach nur als
Menschen und Mitbürger auf Augenhöhe wahrgenommen und respektiert zu werden.
Sie sind müde, sich dauernd dafür entschuldigen zu müssen, dass Menschen im
Namen des Islams (indem sie diesen in Wahrheit mit Füßen treten) töten, dass
Menschen im Namen des Islams (indem sie die Befreiung der Frau durch den Islam
mit Füßen treten) Frauen misshandeln und unterdrücken. Muslime sind auch müde,
der Welt verkünden zu müssen, dass es keine Diskriminierung zwischen Menschen
aufgrund sozialer, wirtschaftlicher und ethnischer Unterschiede geben darf.