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Die neuen Regeln des Teilhabegesetzes für Menschen mit Behinderung – unser Treffen bei Ability Watch

Von Amelia Massetti, Il Mitte, 2. Februar 2017. Deutsche Übersetzung von Milena Rampoldi, ProMosaik. Anfang Dezember hat die
Bundesregierung die neuen Regeln des Teilhabegesetzes der Menschen mit
Behinderung ratifiziert. AbilityWatch und anderen Vereinen für Menschen mit
Behinderung zufolge wurden nur wenige Änderungen vorgenommen, nachdem die
Beteiligten seit 2015 viel demonstrierten, damit ihren Anträgen auch
stattgegeben wird. Dieses Gesetz berücksichtigt den Großteil der Vorschläge nicht
und wird sogar als unverschämt bezeichnet.

Ich habe mit sehr großem
Interesse am Treffen von AbilityWatch teilgenommen und auch ein Streaming über
die entsprechenden Entscheidungen des Bundesministeriums übermittelt.
Die Kritikpunkte der
Befürworter der Bewegung „
Nicht ohne uns“ waren sehr zahlreich.
Über Monate hat die Bewegung demonstriert. Der Höhepunkt der Proteste war dann
das Baden in den kalten Gewässern der Spree in Berlin vor dem Bundestag im
November. Verschiedene Mitglieder von Vereinen von Menschen mit Seh- und
Hörbehinderung, worunter auch die ehemalige Bundesministerin für die Rechte der
Menschen mit Behinderung Verena Bendele, die selbst unter einer Sehbehinderung
leidet, Schwimmerin und Siegerin bei den paraolympischen Spielen, sind in die
eiskalten Gewässer getaucht, um zu zeigen, wie „eingefroren“ die Politik in
ihren Konventionen war und wie sehr sie die Forderungen der Menschen mit
Behinderung einfach nur ignorierte.
Während dieses sehr
interessanten Treffens habe ich Laura Monica Ocra von der RUHR-UNIVERSITÄT
BOCHUM — Autonomes Referat für Menschen mit Behinderungen  und
sämtlichen Beeinträchtigungen (AR-MBSB) Allgemeiner Studierendenausschuss (AstA)
,
über die neuen Regeln des Bundesteilhabegesetz interviewt. Bei dieser
Gelegenheit habe ich sie auch zum nächsten Treffen von Artemisia, am Dienstag,
den 14. Februar um 18 Uhr bei der ANE eingeladen.

Amelia Massetti: Warum sind Sie mit der Genehmigung der
neuen Regeln nicht zufrieden? Können Sie uns im Detail erklären, um welche
Punkte es konkret geht?
Laura Monica
Ocra
: Wir sind mit diesen
Regeln nicht zufrieden, weil die Ratifizierung von 2009 in Deutschland nicht
zur angestrebten Verbesserung führt. Denn die Ersparnisschwelle für Menschen
mit Behinderung wird nicht von 2.600€ auf 5.000€ erhöht. Diese Schwelle
entspricht nicht den Forderungen der Menschen mit Behinderung und der Vereine,
die sich hierzu geäußert haben. Seit 2015 gab es zahlreiche Protestdemos nach
dem Motto „
Nicht ohne uns
– Nicht über uns“
. Denn diese Entscheidungen
respektieren nicht den Wunsch und die Freiheit der Menschen mit Behinderung,
die in Deutschland an der Gesellschaft teilhaben möchten.
Wir vom autonomen
Referat der Freien Universität Bochum für Menschen mit Behinderung haben, zusammen
mit anderen Referenten, über zwei Jahre lang hart betont, dass die Menschen  nicht wie Dinge behandelt werden dürfen. Denn man
fokussiert nur noch auf die Ausgaben des Staates für die Pflege der Menschen
und nicht auf die Potentialitäten und Rechte der Menschen mit Behinderung.
Wir sind alle
einzigartige Menschen und haben alle ein Potential, das in der Berufswelt nicht
anerkannt wird. Auch die jungen Akademiker mit Behinderung haben ernsthafte
Schwierigkeiten im Bereich der Integration auf dem Arbeitsmarkt.
Amelia: Können Sie das näher erklären?
Monica: Im Bereich der Pflege, vor allem in den
Heimen, werden die Anforderungen nicht berücksichtigt, sodass dem Einzelnen
nicht mehr die freie Wahl zusteht. In den Heimen leben mehrere Menschen
zusammen und alle müssen gemeinsam an einer Tätigkeit teilhaben, auch wenn
diese nicht dem persönlichen Interesse entspricht: dies ist Ausdruck fehlenden
Respekts vor der Person und ihrer besonderen Individualität. Ich komme aus
Bochum, und ich gehe gerne zu Sportveranstaltungen. Aber das darf ich nicht,
weil die Menschen alle zusammen beispielsweise ins Kino oder ins Theater gehen
müssen.
Amelia: Aber kann die Person da nicht ihr
persönliches Budget verwenden?
Monica: Natürlich kann sie das. In dieser Form wird
aber die gemeinsame Betreuung im Sinne von „Masse statt Klasse” in Frage
gestellt, weil die Besonderheit der Menschen nicht respektiert wird. Man
reduziert nämlich das  Persönliche mit
seinen spezifischen und individuellen Anforderungen und verwendet ein
Massenziel, ohne die Person zu berücksichtigen.
Auch für die Lernenden
wurden einige vorgeschlagene Artikel nicht aufgenommen, da man der Meinung war,
man sollte diese monetisieren. So wurden der Lernwille der Person und das Recht
auf die Fortsetzung eines akademischen Werdegangs nicht berücksichtigt, obwohl
man diese gar nicht quantitativ und beruflich erfassen kann. Menschen mit
Behinderung werden stigmatisiert, und die wirtschaftlichen Kostenfaktoren
werden auf die Waage gelegt.
Alle, die sich über
Monate für dieses Gesetz eingesetzt haben, dürfen nicht glauben, dass sie
einfach aufhören können zu kämpfen, sobald sie ein kleines Ergebnis erzielt
haben, für das sie sich nicht schämen brauchen.
Eine Übersicht
über die allgemeine Debatte
Die Aktivisten von Ability
Watch sind mit diesen Regeln nicht zufrieden und sind der Meinung, man sollte
weiterkämpfen. In vielen Jahren hat sich nicht viel geändert. Diese Niederlage
sollte erst der Anfang sein, um die Frustrationen und Forderungen der Menschen
mit Behinderung in den Raum zu stellen. Man sollte die Bewegung der Menschen
mit Behinderung neu politisieren: die Politiker haben nicht berücksichtigt,
dass es eine starke Bewegung sein könnte, die Aktionen einleitete, um sich
gegen die Gesetze aufzulehnen, die den Bürgern mit Behinderung aufgezwungen
werden.
Es gibt Zeugen
verschiedener persönlicher Situationen, die in den Medien bekannt gemacht
werden sollten. Es gibt wenige oder keine Kontaktpersonen mit Behinderung, die
die Lage auch wirklich kennen und wissen, unter welchem Druck die Menschen mit
Behinderung zu leiden haben, wenn sie gezwungen werden, in den Heimen zu leben.
Sie haben keine Möglichkeit, ein eigenes, unabhängiges Leben zu leben, da
dieses die Unterhaltskosten erhöhen würde.
Es gibt viele unkorrekte
Informationen, eine Mischung zwischen Überraschung und Ungläubigkeit, aber
viele wissen nicht, in welcher Lage sie sein werden und wohin diese Änderungen
führen werden. Die Menschen mit Behinderung können ihre Situation nicht ändern.
Es ist auch unmöglich, sich zu erwarten, dass alle in den Ministerien
verstehen, welche die Aspekte sind, für die man sich einsetzen sollte.
Der Wortlaut des
Gesetzes ist kompliziert und für die Menschen mit Behinderung und ihre Pfleger schwierig
zu verstehen. Die Menschen haben das Recht darauf, den Sinn dieses Gesetzes zu
verstehen. Wo Mängel vorliegen, sollen diese auch bekannt gemacht und geändert
werden.
Es wird eine Bewertung
geben, die das vorgeschlagene Modell in jedem Bundesland analysiert. Man muss
diesen Prozess kritisch begleiten, da man verstehen muss, auf welcher Grundlage
diese Bewertung erfolgt.
12. Treffen von Artemisia:
Zum Thema: „Nicht ohne
uns über uns“- Bundesteilhabegesetz
Datum : 14.
Februar 2017
Uhrzeit: 18 Uhr  
Wo: ANE
 Arbeitskreis Neue Erziehung e. V. (2. Hof -2. Etage)
Adresse: Hasenheide
54 10967 Berlin
Anfahrt: U7 Südstern
Referenten: 
Amelia Massetti, Gründerin von Artemisia – Einführung
Laura Monica
Oprea
: RUHR-UNIVERSITÄT
BOCHUM
Autonomes Referat für
Menschen mit Behinderungen 
und sämtlichen
Beeinträchtigungen (AR-MBSB)
Allgemeiner
Studierendenausschuss (AstA)

Das Treffen wird in
deutscher und italienischer Sprache abgehalten (nach Bedarf mit
Dolmetschservice)