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In Myanmar ertrinkt Mohammed wie damals Aylan während der Flucht vor Krieg und Verfolgung


von Paolo Salom, Corriere
della Sera
, 05. Januar 2017, deutsche Übersetzung von Milena Rampoldi, ProMosaik.
Der Vater des Kindes enthüllt das Geschehen in einem Interview auf CCN. Es gab einen Angriff seitens der birmanischen Truppen. Die verfolgten
Rohingya hätten den Fluss überqueren sollen, um das Sammellager an der anderen Ufer, auf dem Staatsgebiet von Bangladesch, zu erreichen. 
Es wurde ja gesagt:
Nie wieder! Aber wir sehen erneut mit Schrecken den kleinen Leichnam eines
Kindes mitten im Schlamm der Strandlinie. Es hat nur wenige Fetzen am Leib,
vielleicht Windeln. Sein Leben endete in den trüben Gewässern des Flusses Naf,
während es mit der Mutter, dem Brüderchen und dem Onkel, versuchte, einem
Schicksal der Verfolgung und des Leids zu entkommen, ein Schicksal, das das
Volk der Rohingya in seinem ganzen Schrecken heimsucht. Mohammed Shohayet war
erst 16 Monate alt und hatte wenn überhaupt eine vage Ahnung, was es mit dem
Leben auf sich hatte.
Wie das Bild des
kleinen Aylan Kurdi, der
im September 2015 auf einem
türkischen Strand
ertrunken vorgefunden wurde, während er mit seiner
Familie versuchte, aus dem syrischen Bürgerkrieg zu fliehen, so geht auch das
Bild von Mohammed über die sozialen Medien durch die Welt und ruft Emotionen
und Zorn hervor. Denn ein Kind darf nicht so sterben. Aber wie viele Mohammeds
sind so in den warmen und gefährlichen Gewässern gestorben, die Myanmar und Bangladesch trennen bevor sie 
sich in den Golf von Bengalen ergiessen? Seit geraumer Zeit versuchen
humanitäre Organisationen wie Amnesty International und Human Rights Watch die
Verschwörung des Schweigens der Welt zu brechen und endlich aufzuzeigen, was im
Staat Rakhine im fernen Westen von Myanmar geschieht. Sogar ein Dutzend von
Nobelpreisträgern haben ihre Stimme erhoben. Sie haben sich an eine andere
Nobelpreisträgerin, Aung San Suu Kyi, nun Regierungschefin von Myanmar, gewendet,
damit sie endlich was unternimmt, um die willkürlichen Tötungen, die
Bombenangriffe gegen arme Dörfer durch moderne Kriegsflieger und die Verfolgung
von Menschen zu stoppen, die Tausende von Rohingya dazu gezwungen haben,
jenseits der Grenze Schutz zu suchen, und dies mit allen Gefahren, die auf
diese Weise organisierte Fluchtversuche mit sich bringen. Aber bisher gab es
nur eine einstimmige Antwort von Seiten der Behörden in Myanmar: „Das ist alles
nur erfunden, das ist nur Propaganda“. Auch Aung San Suu Kyi, die in der
Vergangenheit auf der Seite der Menschenrechte stand und heute wegen ihrer
Gleichgültigkeit hinsichtlich des Problems kritisiert wird, hat sich darauf
beschränkt, die Nachrichten über einen „wahren Völkermord gegen die Rohingya“
als „Übertreibungen der westlichen Medien“ abzutun.
Die Geschichte von Mohammed
Shohayet 
enthüllt, falls sie von unabhängigen Quellen bestätigt
werden sollte, eine Realität voller Leid und Verzweiflung. Der Vater des Kindes
hat in einem Interview an CNN vom Geschehnis berichtet. CNN hat darauf
hingewiesen, dass der Staat Rakhine im Moment Journalisten und
Menschenrechtlern den Zugang versperrt und „es daher nicht möglich war, die
Tragödie zu bestätigen“. Aber es bleiben die Bilder: das Bild eines im Schlamm
verlassenen Kindes und die Worte von Zafor Allam, dem jungen Vater, der seinen
Sohn verloren hat. „Ich befand mich mit meiner Familie auf der Flucht, teilte
er CNN mit. Unser Dorf wurde von Luftangriffen getroffen. Wir konnten nicht
bleiben: wer  blieb, wurde von den
Soldaten von Myanmar totgebrannt. Das ist meinen Großeltern passiert.“ Wir flohen
durch  die Dörfer des Urwaldes bis zum
Fluss, um von dort aus das Sammellager von Leda in Teknaf, Bangladesch zu erreichen.
Zuerst ging der Vater los, um zu gucken, ob alles in Ordnung war. Dann folgten
die Anderen. „Aber als sie alle ins Boot stiegen, fing die Polizei an zu
schießen“. Die Menschen gerieten in Panik. Das Boot kippte in den fließenden
Strom. Wer nicht schwimmen konnte, wurde von den grauen Schlammstrudeln
verschlungen, um dann tot auf eine Einbuchtung des Flusses gespült zu werden. Dieser
Schlamm gleicht dem Treibsand, von denen Salgari (1) in seinem Werk spricht,
das gerade in dieser Region beheimatet ist.
Die Rohingya sind
heute eine vergessene Minderheit des multiethnischen Myanmar.
Sie
sind eine Million „Nichtbürger“: der Staat nennt sie „illegale Einwanderer“ aus
Bangladesch, obwohl der Großteil von ihnen seit Generationen im Land lebt. Die
Rohingya sind muslimischen Glaubens und werden auch von den buddhistischen
Nationalisten wie dem Mönch Wirathu, der als der einflussreichste (unbestrafte)
antimuslimische Führer des Landes gilt, durch Pogrome, Tötungen und
Verfolgungen heimgesucht. Und Aung San Suu Kyi schweigt.
(1) Hierbei handelt es
sich um den 2015 nach 130 Jahren entdeckten Roman des italienischen Romanautors
Emilio Salgari (1862-1911) mit dem Titel „La scimitarra di Khien-Lung“. Er berichtet
vom italienischen Kapitän Robiano, der nach China, Thailand und Burma reiste,
um sich auf die Suche nach einem legendären Krummsäbel eines chinesischen
Kaisers zu machen.