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Wenn Juden auf Muslime Treffen

Von Said Rezek, MiGAZIN,
15. Dezember 2016. „Ein Jude in Neukölln“, heißt das Buch. Das klingt wie: ein
Schaf unter Wölfen. Armin Langer ist der Jude, um den es geht. Er ist alles
andere als ein Schaf, das der Herde blind folgt. Und für ihn, den Juden, klingt
der Titel wahrscheinlich eher wie eine Liebeserklärung an seine Wahlheimat und
deren Bewohnern, als eine Bedrohung. 

“Ein Jude in Neukölln” von Armin Langer © Aufbau Verlag
Ármin
Langer wurde 1990 in München als Sohn ungarischer Migranten geboren. Er wuchs
in Wien und Sopron (Westungarn) auf. Mit 16 erfuhr er beiläufig im Gespräch mit
dem Vater von seinem jüdischen Hintergrund. Seine Eltern waren derart
assimiliert, dass die Religion keine Rolle spielte, nicht unüblich unter
osteuropäischen Juden. Seinem Urgroßvater wurde sein Glauben noch zum
Verhängnis. Er wurde in Auschwitz vergast.

Drei Generationen später prangert der heute 26-jährige Armin Langer das
Verhältnis seiner Glaubensgeschwister zur Shoa, dem gegenwärtigen
Antisemitismus oder die uneingeschränkte Loyalität zum Staate Israel an. Es
dürfe nicht sein, dass die jüdische Identität durch solche negativen Faktoren
geprägt werde. Ein zentrales identitätsstiftendes Merkmal kommt dabei aus
Langers Sicht zu kurz: die Lehre des jüdischen Glaubens.

Salam-Shalom vs. No-go-Areas
Um die Inhalte seiner Religion besser zu verstehen,
begab sich Langer 2013 von Budapest über Jerusalem nach Berlin, um am
renommierten Abraham Geiger
Kolleg
 ein
Rabbinerstudium zu beginnen. Er versank jedoch nicht in den unendlichen Tiefen
der theologischen Schriften, sondern widmete sich aus seinem persönlichen
Religionsverständnis heraus dem gesellschaftlichen Engagement, insbesondere dem
Kampf gegen Rassismen – egal, gegen wen sie sich richten.

Noch im selben Jahr gründete er mit Mitstreitern die Salam-Shalom
Initiative, um den interreligiösen Dialog zwischen Juden und Muslimen zu
stärken. Langer leugnet mit keiner Silbe den existierenden Antisemitismus unter
Muslimen, ebenso wenig islamophobe Einstellungen unter Juden. Er wehrt sich
jedoch dagegen, bestimmte Berliner Bezirke, aufgrund ihres hohen Anteils von
Personen mit islamischer Religionszugehörigkeit als „No-go-Areas“ für Juden zu bezeichnen.
Dies behauptete bspw. Daniel Alter,Antisemitismus-Beauftragter der Jüdischen Gemeinde Berlin.
Juden gehören zum Mainstream
Laut Langer gehören
Juden nach Jahrhunderten der Unterdrückung längst zum Mainstream Europas,
insbesondere in Deutschland. Daraus resultiere vor allem für deutsche Juden
eine Verantwortung, sich gegen Diskriminierung anderer Minderheiten hierzulande
einzusetzen. Das Engagement gegen die Benachteiligung, der in Deutschland
lebenden Muslime, stellt für Langer eine Herzensangelegenheit dar. Er
untermauert sein Engagement mit diversen Studien und Statistiken.
Wer meint, er hätte
es bei der Lektüre mit abstrakten Thesen a la Sarrazin zu tun wird bereits nach
wenigen Seiten, eines Besseren belehrt. Langer berichtet von Gesprächen und
Begegnungen mit Muslimen unterschiedlicher Herkunft, in Moscheen und Cafés der
Hauptstadt. Der Charme, mit dem der Autor, die Konversationen beschreibt, ist
ehrlich. Er bedient sich arabischer Floskeln und Füllwörter mit der Präzision
eines Schweizer Uhrwerks.
Muslime sind die neuen Juden
Unweigerlich komisch
ist der Austausch mit einem türkischstämmigen Muslim namens Ozan, seinerseits
Rassismusforscher. Letzterer nennt Langer, Akhi, was auf Arabisch so viel
bedeutet wie Bruder. Ungeachtet seiner Sympathie kritisiert er den
Meinungsbeitrag des angehenden Rabbiners „Muslime sind die neuen Juden“,
welcher im September 2014 im Tagesspiegel veröffentlicht wurde. Ozan findet
diesen Titel undifferenziert. Aus seiner Sicht sind höchstens 80 Prozent der
Inhalte des Artikels zutreffend. Langer fragt scherzhaft nach: „Warum nicht
90?“ Letztlich verständigten sich die beiden auf 85 Prozent.
Der humor- und
respektvolle Umgang, den Langer an den Tag legt, spricht für ihn. Sein Artikel
im Tagesspiegel hatte in den Tagen und Wochen nach der Veröffentlichung hohe
Wellen geschlagen. Verantwortliche des Geiger-Kollegs legten ihm daraufhin zum
wiederholten Male nahe, sich mit kontroversen Meinungsäußerungen
zurückzuhalten. Dazu zählt auch der interreligiöse Dialog zwischen Juden und
Muslimen, zu dem der Aktivist unermüdlich aufruft.
Langer gegen das jüdische Establishment
Wenn das Wort
alternativlos seine Berechtigung hat, dann für Langer, der wohl nicht im Traum
daran gedacht hat, sich zurückzuhalten. Selbst dann nicht, wenn er von seinen
Glaubensgeschwistern, als einen sich selbst hassenden Juden bezeichnet wird.
Selbstbewusst entgegnet er den Kritikern, dass bedeutende jüdische
Intellektuelle wie Hannah Arendt einst selbst mit solchen Vorwürfen
konfrontiert wurden.
Langer machte sich im jüdischen Establishment,
darunter im Zentralrat der Juden, keine Freunde. Das Verhältnis zwischen dem
Vorsitzenden Schuster und dem angehenden Rabbiner Langer, gipfelte in
Rassismusvorwürfen. Schuster hatte in einem Zeitungsinterview behauptet: „Viele der Flüchtlinge fliehen vor dem Terror des
‚Islamischen Staates‘ und wollen in Frieden und Freiheit leben, gleichzeitig
aber entstammen sie Kulturen, in denen der Hass auf Juden und die Intoleranz
ein fester Bestandteil sind.“
 Langer
schlug dem Zentralrat der Juden daraufhin eine Namensänderung vor, und zwar in:
„Zentralrat der rassistischen Juden.“
Langers Wortwahl
löste bundesweite Empörung aus und machte vor den Wänden des Geiger-Kollegs
nicht halt. Er entschuldigte sich zwar für die Tonart, blieb jedoch inhaltlich
bei seiner Kritik. Antisemitismus mit der Ethnie der Flüchtlinge zu verbinden,
ist aus seiner Sicht schlicht rassistisch, vielmehr handele es sich bei
Antisemitismus um ein gesamtgesellschaftliches Problem. Kurze Zeit später
verlor Langer seinen Studienplatz, mit der Begründung, dass er dem Ansehen der
gesamten jüdischen Gemeinschaft im Land geschadet habe.
Armin, der Kämpfer
Armin Langer wäre
jedoch nicht Armin Langer, wenn er nicht weiterkämpfen würde. Sein Vorname
Ármin stammt aus der gleichen Wurzel wie das Wort Armee und bedeutet Kämpfer.
Auf einem seiner Schachtfelder wird er sich weiter darum bemühen, Rabbiner zu
werden. Mehrere ausländische Universitäten haben bereits Interesse am
engagierten Neukölner signalisiert. Nach dem Lesen dieses Buches kann man nicht
anders, als Langer viel Erfolg bei der Fortsetzung seiner Ausbildung zu
wünschen. Andererseits wäre es ein großer Verlust, wenn er Deutschland
verlassen würde.
Eins ist jedoch
sicher. Er wird kein üblicher jüdischer Gelehrter. Er will ein alternatives
Vorbild sein. Das ist er nicht zuletzt aufgrund seiner Homosexualität, aus der
er kein Geheimnis macht. Armin Langer ist einer jener Menschen, die sich nur
schwer in eine Schublade einordnen lassen.

Er scheut keine
heiklen Themen und erst recht keine Konflikte. Das Wort Jisrael bedeutet,
derjenige, der mit Gott kämpft und überlebt. Judentum bedeutet für Armin Langer
einen ewigen Kampf. Unabhängig davon, wo Langer studieren wird, ist davon
auszugehen, dass er sich weiter gegen jede Art von Diskriminierung und für ein
besseres Miteinander der Religion einsetzen wird. Wer diese Ziele und Ideale
teilt, für den ist dieses Buch Inspiration und Motivation zugleich, es Armin
Langer gleichzutun.

Das Interview von Said Rezek mit ProMosaik finden Sie hier.
Das Interview mit der Initiative Salaam-Schalom finden Sie hier.