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Aiman Mazyek: „Politik muss Muslime in die Rundfunkräte integrieren“

Von Said Rezek, MiGAZIN, 09.12.2016. Zentralrat-Chef
Aiman Mazyek beklagt im Gespräch mit dem MiGAZIN die negative
Islamberichterstattung in den Medien und fordert von der Politik, Muslime in
die Rundfunkräte zu integrieren. Er steht staatlicher Nachhilfe für
Medienmacher kritisch gegenüber und plädiert an die Eigenverantwortung
islamischer Dachverbände.
Aiman A. Mazyek, Vorsitzender des
Zentralrats der Muslime in Deutschland © zentralrat.de, bearb. MiG

Said Rezek ist Student der NRW School of Governance und beschäftigt sich
mit Fragen der Einwanderungsgesellschaft. 2015 erhielt er die Auszeichnung der
Akademischen Arbeit des Jahres. 2016 ist sein Buch mit dem Titel „Integration
trotz Islam?“ erschienen. Mehr von Said Rezek auf Facebook

Das Bundesinnenministerium hat am
Rande der letzten Deutschen Islamkonferenz einen Workshop für Chefredakteure und Herausgeber deutscher
Medien angekündigt. Es geht um „die mediale Wahrnehmung muslimischer
Mitbürger“. Wer ist Urheber dieser Idee?
Aiman Mazyek: Die diesjährige Islamkonferenz diskutierte die Themen Seelsorge und
Wohlfahrt. Auch außerhalb der Konferenz wurden Gespräche geführt. Dabei ging es
um Sicherheit der muslimischen Einrichtungen, präventive Maßnahme gegen
Radikalisierung sowie Islamfeindlichkeit. Auch Medienvertreter waren bei diesen
Gesprächen anwesend. Bei diesem Austausch wurde deutlich, dass sich einige
muslimische Religionsvertreter einen stärkeren Austausch mit Chefredaktionen
wünschen. So ist diese Initiative entstanden. Ursprünglich standen jedoch
andere Themen auf der Agenda und nicht die Intention, einen Workshop für
Chefredakteure anzubieten. Wir haben begrüßt, dass sich das Ministerium
unterstützend einschaltet, unser ausdrücklicher Wunsch war es aber nicht.

Wie würden Sie die
Medienberichterstattung in Bezug auf Islam und Muslime in Deutschland
beschreiben?
Aiman Mazyek: Sie ist oft defizitär und tendenziös und es gibt unterschiedliche
Gründe dafür. Spätestens nach 9/11 haben wir die fehlende Trennschärfe zwischen
Extremismus und der Religion, zwischen dem was der Glaube gebietet und dem, was
Terroristen anrichten. Dies zieht sich wie ein roter Faden durch alle
Diskussionen hindurch. Die Muslime in ihrer negativen Fratze, sprich Terror,
IS, al-Qaida dienen als Projektion und Eyecatcher für so viele Talkshows und
Überschriften. Da setzt sich natürlich ein negatives Narrativ fest.

…Eyecatcher für Talkshows?
Aiman Mazyek: Nehmen wir das Beispiel der Talkshow „Anne Will“. Dort wurde neulich
eine Frau mit Nikab eingeladen und auf der anderen Seite ein sogenannter
Islamkritiker, der sich auch noch anmaßt, im Namen der schweigenden Mehrheit
der Muslime zu sprechen. Natürlich kommt da Krawall heraus. Der Großteil der
Muslime kommt dabei schon lange nicht mehr zu Wort.
Oder nehmen wir die völlig abartige Markierung und Kennzeichnung des
Ex-Linksextremisten als „Pornoislamisten“. Immer klebt dabei das Etikette Islam
dran. Selbst die seriöse Tageszeitung SZ zitierte ihn vor wenigen Tagen im
Titel: „Ich handelte im Auftrag Allahs“. Eine kritische Hinterfragung dieses
Satzes in die Berichterstattung findet kaum statt, gleichsam wird von den
Muslimen Selbstkritik beinah zum elften Gebot erkoren.
Welche Folgen hat das?
Aiman Mazyek: Solche Talkshowauftritte und Schlagzeilen nutzen insbesondere
Populisten, Rechte und Rechtsradikale für ihre Politik. Sie bedienen das
Narrativ über die Islamisierung Europas und arbeiten jetzt einen von diesem
Diskurs längst bereiteten Boden. Und sie ernten. Und wie. Und alles schreit
auf: Wie kann das ein? Obgleich man jahrelang selbst daran mitkonstruiert hat.
Die Rechtspopulisten machen es dreist, weil sie unverhohlen lügen, wo andere
Parteien zurückstrecken. Das Absurde ist, dass Muslime am Ende auch noch gefragt
werden, warum sie sich nicht mit den Aussagen eines „Pornoislamisten“
auseinandersetzen, distanzieren und hinterfragen, warum er sich auf den Islam
beruft. Die eigentliche Frage lautet: Warum erkennt die Öffentlichkeit nicht,
dass die Aussagen dieses verqueren Mannes krude und quatsch sind, oder
zumindest als Schutzbehauptung fungieren?

Es gibt also Nachholbedarf.
Dennoch hat der deutsche Journalistenverband davon abgeraten, am Workshop des Ministeriums teilzunehmen. Sie
bräuchten keinen
staatlich organisierten Nachhilfeunterricht
. Was halten Sie davon?
Aiman Mazyek: Ich habe durchaus Verständnis dafür, dass Medien genau darauf achten
wollen und müssen, dass die Gewaltenteilung aufrechterhalten bleibt. Inzwischen
hat ja das Ministerium da auch erwartungsgemäß und für uns nicht überraschend
einen Rückzieher gemacht.
Aber ich hätte mir eine ganz andere Diskussion von uns muslimischen
Vertretern mit dem Ministerium gewünscht und habe das bereits selbstkritisch
intern auch angemahnt: Was kann die Politik leisten, dass wir flächendeckend
muslimische Vertretungen in Rundfunkräten haben? Das ist durchaus eine wichtige
Position, da es über die Rundfunkräte auch Korrektive gibt. Genau um diese geht
es den muslimischen Vertretern im Grunde. Aktuell fehlen diese. Und da ist die
Politik der richtige Ansprechpartner. Ich weiß nicht, ob eine Sendung wie bei
„Anne Will“ mit muslimischer Präsenz in den Rundfunk- und Medienräten
durchgegangen wäre. Aber im Rundfunk saß keine muslimische Stimme, obwohl die
Zusammensetzung unserer Gesellschaft das gebietet und Muslime jährlich zig
Millionen an Gebühren an die Anstalten überweisen. Wenn wir wirklich etwas
verändern wollen, müssen wir diese Themen anpacken. Die Öffentlichkeitsarbeit
der Religionsgemeinschaften hingegen sollte nicht staatlich organisiert werden,
sondern von den muslimischen Vertretern selbst ausgehen.
Würden Sie das konkretisieren?
Aiman Mazyek: Der Zentralrat der Muslime ist ein bisschen der „einsame Ritter“ in
diesem Bereich. Aus unserer Arbeit in der Praxis kann ich berichten, dass die
Chefredaktionen grundsätzlich offen für Gespräche sind. Erst vor zweit Tagen
hatten wir ein gutes Gespräch, eine zwölfköpfige Gruppe von Anchormans,
Moderatoren und Chefredakteuren von N24, Pro Sieben, Sat.1 und dem
Kabelfernsehen war bei uns zu Gast. Ich habe in den letzten Jahren viele
Tageszeitungen oder auch Lokalzeitungen und andere Stellen besucht bzw. bin von
ihnen eingeladen worden. Dabei haben wir von unterschiedlichen Möglichkeiten
Gebrauch gemacht: Blattkritik, Einladungen zu Interviews oder
Hintergrundgesprächen. Auch das gehört mit zum Geschäft der Medien und der
Öffentlichkeitsarbeit. Insofern kann ich die anderen Religionsgemeinschaften
nur aufmuntern und ermutigen, ihre Öffentlichkeitsarbeit entsprechend zu
erweitern – Stichwort Manpower – und zu professionalisieren.

Sie fordern Muslime in die
Rundfunkräte. In Bremen ist das bereits der Fall. Woran scheitert es denn in
anderen Bundesländern?
Aiman Mazyek: Ich weiß nicht, ob das eine Frage des Scheiterns ist, es gibt
Vertreter auch schon im ZDF-Rundfunkrat oder im SWR. Ich selber sitze im Beirat
von RTL, einem freiwilligen Rat der Hausleitung und Chefredakteure von RTL,
N-TV und VOX u.a. Es ist vor allem eine politische Entscheidung. Die Medienanstalten
alleine dafür verantwortlich zu machen, dass Muslime kaum einbezogen werden,
ist verkehrt. Natürlich können Verantwortliche in den Rundfunkanstalten auch
etwas dazu beitragen. Die letzte Entscheidung liegt aber bei der Politik.
Dieses Thema betrifft aber nicht nur das Fernsehen, sondern auch die Deutsche
Welle oder das Deutschlandradio und natürlich die vielen Landesstellen der
Öffentlich-Rechtlichen. Es gibt also eine ganze Menge zu tun.

Wäre die Anerkennung als
Körperschaft des öffentlichen Rechts ein Weg, um Muslime in Rundfunkräte zu
integrieren?
Aiman Mazyek: Um Mitglied im Rundfunkrat zu sein oder einen Rundfunkvertrag mit
Muslimen zu schließen muss man nicht Körperschaft des öffentlichen Rechts sein.
Dieser Status würde es aber erleichtern.

Eine andere Möglichkeit zur
Selbstregulierung der Medien ist der Pressekodex des Presserats. Danach soll
die Herkunft von Straftätern nicht genannt werden, wenn es für das Verständnis
der Tat irrelevant ist. In Freiburg gab es kürzlich eine Vergewaltigung mit anschließendem
Mord. In vielen Medien wurde die Herkunft des mutmaßlichen Täters genannt.
CSU-Generalsekretär Scheuer fordert eine Änderung des Pressekodex. Was halten
sie von dieser Richtlinie – besonders im Kontext des Freiburger Falls?
Aiman Mazyek: Ich war jetzt beim 60-jährigen Festakt des Presserats und ich habe in
der Tat eine noch kritischere Würdigung der Umsetzung des sehr guten Kodexes
vermisst. Hier sehe ich eine Reihe von Defiziten, wie man auch am Freiburger
Fall sehen konnte. Aus den sozialen Medien oder auch aus bekannten rechten
Medien wurde viel Druck erzeugt, nach dem Narrativ: „Warum versuchen die
Medien, diese Berichterstattung zu kaschieren?“ Und dann entsteht ein Druck,
welchem sich Medien beugen. Sie begehen dann einen Fehler, wie bei den
Übergriffen nach der Kölner Silvesternacht. Sie versuchen, Druck aus dem Kessel
zu nehmen. Und dabei passiert genau das, was der Kodex eigentlich nicht will:
Die Herkunft oder die Religion wird in den Vordergrund gestellt und es wird auf
der anderen Seite übertrieben.
Mit diesem Phänomen sollte sich der Presserat gezielt auseinandersetzen. Es
war meines Erachtens ein Fehler, dass die Tagesschau
davon nicht berichtet hat
. Auf der anderen Seite gehört ein Mord
nicht in die 20-Uhr-Nachrichten, nur weil der Verdächtige ein Flüchtling ist.