General

Stefano Montanari: Menschenrechte, Gerechtigkeit und Dialog dürfen nicht abstrakte Begriffe bleiben. Sie müssen aktive Leitgedanken unseres Handelns sein.

von Milena Rampoldi,
ProMosaik. Hier im Folgenden mein Interview mit dem Autor Stefano Montanari,
dem Gestalter des Kinderbuchprojektes “Ein unerwarteter Freund”, das bereits in
mehrere Sprachen, u.a. auch ins Deutsche übersetzt wurde. Ich habe mich mit
Stefano über die Bedeutung der Literatur unterhalten, um menschenrechtliche Themen
zu übermitteln. Ich habe ihn über die Entstehung seines Buches und Projektes
befragt und andere Themen rund um die Erziehung und den Kampf für eine bessere
Welt angesprochen. Die Hauptthemen des Buches sind die kulturelle Diversität,
die dialogische Kooperation und der Kampf gegen Rassismus und Diskriminierung.

Stefano Montanari

Milena Rampoldi: Welche
Bedeutung hat deiner Ansicht nach die Literatur für die Menschenrechte?
Stefano Montanari: Die
Literatur spielt eine wesentliche Rolle in der Bewusstseinsbildung einer Person
und in ihrer Neigung hin zu bestimmten Themen. Daher fällt das Individuum oft
als erstes autoritären Regimen zum Opfer, die keine Kritik und kein freies
Denken tolerieren und die Literatur und andere Ausdrucksformen nutzen, um zu
indoktrinieren und zu kontrollieren.
Durch die freie
Literatur kommen wir in Kontakt mit neuen Ideen, lernen verschiedene Welten
kennen und stellen uns selbst in Frage. In diesem Zusammenhang spielt die
Literatur für die Kinder eine 
Schlüsselfunktion, weil sie ihnen die Möglichkeit bietet, die Welt
jenseits des familiären Umfeldes zu entdecken, ihre Nuancen kennenzulernen und
bessere die eigene Rolle zu verstehen. All dies erfolgt innerhalb weniger
Minuten in einem sicheren Umfeld.
In meinem
persönlichen Leben hat die Literatur meine Ausbildung und meine berufliche
Orientierung sehr stark beeinflusst. Nach mehr als 20 Jahren für die Förderung
und den Schutz der Menschenrechte war sie eine wichtige Inspirationsquelle in
diesem meinem Lebensverlauf.
Ich glaube, dass
mich gerade eine Lektüre aus meiner Kindheit dazu bewegt hat, diesen Weg
einzuschlagen. “Il giovane gambero” (Der junge Krebs) von Gianni Rodari hat
mich ganz besonders beeindruckt: der Mut des Protagonisten, die Welt auf andere
Weise zu entdecken als die Mehrheit war ein Beispiel, das mich in meinem
Erwachsenenleben begleitet hat.
Daher ist die
Literatur für mich ein Pfeiler der Erziehung zu den Menschenrechten für
Menschen aller Altersstufen.
Milena Rampoldi: Wie
entstand die Idee dieses Buches?
Stefano Montanari: Die
Idee des Buches kam mir voriges Jahr spielend in den Sinn, als ich eines Tages
mit meinen Kindern, die damals 3 und 4 Jahre alt waren, über die Menschenrechte
sprechen wollte. Wir haben uns zusammengesetzt und haben zwei Gestalten
erfunden und haben sie untereinander interagieren lassen. Das Spiel hat uns zu
einigen interessanten Gedanken über die Diversität angespornt. Dies hat mich
dann dazu bewegt, die Geschichte zu erarbeiten 
und zu strukturieren.
Und in einem
Zeitalter wie dem unseren, in dem die Viren des Populismus und des
Nationalismus unsere Gesellschaften polarisieren, habe ich mir gedacht, dass
ein Buch über den Respekt des Anderen eine notwendige Handlung war, um den Versuchungen
zu widerstehen, sich in sich selbst und in die falsche Sicherheit unserer
Gemeinden zurückzuziehen.

Milena Rampoldi: Welche
sind die Hauptbotschaften, die du mit diesem Kinderbuch übermitteln möchtest?
Stefano Montanari:
Ich möchte den Kindern die Bedeutung der Gerechtigkeit, des Respektes des
Anderen und der Freundschaft vermitteln. Das Buch soll ein spielerisches
Instrument für die Eltern, Lehrer und Erzieher sein, die ein zeitgenössisches
Problem wie die Zurückweisung des Anderen behandeln und Debatten über die
Richtigkeit der Gehorsamsverweigerung anspornen möchten.  
Milena Rampoldi: Welche
sind die besten Strategien, um sich für die Gerechtigkeit und den Dialog
einzusetzen?
Stefano Montanari: Der
Schlüssel ist die Erziehung, aber nicht nur auf theoretischer Ebene. Wir Eltern,
Lehrer, Erzieher und Politiker haben die Verpflichtung, in Übereinstimmung mit
den demokratischen Werten und den Menschenrechten zu handeln, auf deren
Grundlage wir die Welt nach der Katastrophe des Zweiten Weltkrieges neu
aufgebaut haben. Gerechtigkeit und Dialog sind Teil dieser neuen Gründung und
müssen die Übertragung unseres Wissens an die neuen Generationen fundieren.
Und wir Erwachsene
müssen mehr von uns selbst verlangen und Denken und Handeln miteinander
vereinen. Die Menschenrechte, die Gerechtigkeit und der Dialog dürfen nicht zu
abstrakten Begriffen werden, sondern aktive Leitgedanken sein, die unser Handeln
begründen.
Wir dürfen nicht aus
Opportunismus von den ethischen Prinzipien abweichen. Wenn ich meinen Kindern
sage, sie sollen nicht bei Rot über die Straße gehen, ich das aber bei der
ersten Gelegenheit mache, so verliere ich meine Glaubwürdigkeit in ihren Augen,
auch wenn gerade kein Auto in Sicht ist.
Milena Rampoldi: Welche
sind deiner Meinung nach die besten pädagogischen Ansätze anhand von Märchen
und Fabeln?
Stefano Montanari: Fabeln
und Märchen dürfen nicht indoktrinieren, sondern sie müssen entwicklungsfördernd
sein. Sie müssen die natürliche Neugierde der Kinder erwecken, sie zum
Nachdenken anregen und sie dabei unterstützen, Fragen zu stellen und ihre
Träume anzuspornen. Die Kinderliteratur wird oft als Literatur zweiter Klasse
angesehen, aber ich bin überzeugt, dass dies vollkommen falsch ist: für mich
stellt sie ein Schlüsselelement dar, um Kritikfähigkeit und die notwendigen Abwehrmechanismen
aufzubauen, um uns den Bedrohungen unserer Freiheiten zu widersetzen.

Milena Rampoldi: Erzähl
uns von der Bedeutung der Übersetzung eines Buches wie diesem?
Stefano Montanari: Das
Buch ist im Moment in verschiedenen zweisprachigen Versionen verfügbar, und
zwar auf Italienisch, Englisch, Deutsch, Französisch, Spanisch und Bulgarisch. Wir
übersetzen es auch gerade ins Russische, Ukrainische, Polnische, Kroatische,
Bosnische, Rumänische und Romani.
Wir haben uns dazu
entschieden, um die Neugierde der Kinder zu fördern, um neue Töne und
verschiedene Zeichen kennenzulernen und zu verstehen, dass der “Andere” auch
eine andere Sprache sprechen kann, auch wenn er dadurch genau dasselbe sagt wie
man selbst. Die Sprachen sind nämlich die ersten Unterschiede, die den Kindern
auffallen und zu Barrieren werden können. Und wir möchten die Kinder dabei unterstützen,
Brücken zu bauen, um diese Barrieren zu überwinden.