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Ausstellung “Palästinensische Kinder und Jugendliche zeichnen Ihre Welt”

von Ingrid Rumpf, Flüchtlingskinder im Libanon e.V.
Der Hauptgrund für die unerträgliche wirtschaftliche und soziale Situation der palästinensischen Flüchtlinge im Libanon sind die stark reglementierten Arbeitsmöglichkeiten, die zur Folge haben, dass nur gut 5% der Flüchtlinge ein rechtlich abgesichertes Arbeitsverhältnis haben. Die palästinensischen Flüchtlinge dürfen weder im öffentlichen Dienst noch in akademischen Berufen arbeiten. Auch in fast allen anderen Berufen können sie legal nur mit Arbeitserlaubnis arbeiten, eine bürokratische Bürde, die kaum ein Arbeitgeber auf sich nimmt. Die Folge ist, dass sie überwiegend als Hilfsarbeiter in der Baubranche und als Saisonarbeiter in der Landwirtschaft arbeiten und rechtlosen und schlecht bezahlten Beschäftigungen nachgehen.



Außerdem sind die palästinensischen Flüchtlinge von der öffentlichen medizinischen Versorgung des Landes ausgeschlossen und ihre Kinder können nicht die staatlichen libanesischen Schulen besuchen. Ein libanesisches Gesetz von 2001 verbietet ihnen zudem den Erwerb von Immobilien außerhalb der Flüchtlingslager und, falls sie bereits im Besitz von Immobilien sind, deren Vererbung an ihre Nachkommen. Das alles verursacht einen erheblichen Vertreibungsdruck.
Deutlich spürbar wird auf den Bildern, was die palästinensischen Kinder und Jugendlichen im Libanon außerdem bewegt: die Geschichten ihrer Eltern und Großeltern von Krieg, Flucht und Vertreibung: zuerst 1948 zur Zeit der Staatsgründung Israels, als 100.000 der insgesamt 750.000 palästinensischen Flüchtlinge im Libanon Aufnahme fanden, dann während des 16-libanesischen Bürgerkriegs, in dem drei der ursprünglich 15 Flüchtlings-lager zerstört wurden. Hinzu kommen die wiederholten Angriffe der israelischen Armee auf den Libanon nach Bürgerkriegsende, die Zerstörung eines Flüchtlingslager im Nordlibanon im Jahr 2007 durch die libanesische Armee und jetzt die Syrienkrise mit Hunderttausenden von Flüchtlingen aus Syrien. Auch die Kämpfe und Auseinandersetzungen in Israel/Palästina wirken über das Fernsehen, die Nachrichten und die Parteinahme der Erwachsenen permanent in die Erlebniswelt der Kinder hinein. Das Gefühl, Gewalt, Unrecht und Erniedrigung schutzlos ausgeliefert zu sein und für die Zukunft keine Perspektive zu haben, bestimmt den Lebensalltag dieser Kinder. Ihr Lebensalltag und damit die Bilder werden aber auch bestimmt durch die Träume und Hoffnungen, von denen sie und ihre Familien seit Jahrzehnten zehren.





Im Vordergrund steht unverkennbar die Sehnsucht nach Palästina, dem Heimatland der Eltern und Großeltern dieser Kinder und der Traum von der Anerkennung des Rechts auf Rückkehr. Diese Sehnsucht nach einem eigenen palästinensischen Staat verbunden mit dem Traum nach Rückkehr zeigt sich in etlichen typischen Symbolen. Leicht erkennbar ist die palästinensische Flagge mit ihren Farben grün, rot, schwarz und weiß. Ein anderes Symbol ist der Harram Ascharif, das Allerheiligste, mit dem Felsendom und der Al-Aksa-Moschee in Ost-Jerusalem. Durch die völkerrechtswidrige Einverleibung Ost-Jerusalems als Teil des Großraums Jerusalem in den israelischen Staat und durch den von Israel stark reglementierten und restriktiven Zugang fühlen sich die Palästinenser permanent in ihren Rechten, aber auch in ihrer Religiosität und in ihrer Würde verletzt.
Ein besonderes Symbol für die individuellen Ansprüche auf Rückkehr und/oder Entschädigung ist der Schlüssel, der auf vielen Bildern zu sehen ist. Unzählige palästinensische Familien verwahren bis heute den Schlüssel zu ihrem Haus im heutigen Israel zusammen mit den Besitzdokumenten feierlich in einer Schachtel und vererben ihn an ihre Kinder. Es gibt übrigens eine israelische Friedensorganisation, Zochrot – Wir erinnern -, die versucht, in Israel die Vertreibungsproblematik von 1948 bewusst zu machen, indem sie u.a. Führungen zu den zerstörten palästinensischen Dörfern in Israel anbietet. Diese Organisation hat sich als Pendant zu dem palästinensischen Haustürschlüssel das Schlüsselloch als Emblem erkoren.
Ein weiteres Symbol für den Flüchtlingsstatus ist der Handala, eine Comic-Figur des palästinensischen Künstlers Naji Al-Ali. Sie stellt das palästinensische Flüchtlingskind dar,
das nicht bereit ist, seine Heimat Palästina aufzugeben. Man sieht es immer von hinten,
weil es unverwandt auf seine Heimat zurückschaut und sich von niemandem das Recht
auf Rückkehr streitig machen lässt, weder von der internationalen oder der israelischen
Politik noch von den eigenen politischen Führern.



Mit der schwierigen wirtschaftlichen und sozialen Situation für palästinensische Flüchtlinge
sehen sich natürlich auch die palästinensischen Flüchtlinge aus Syrien konfrontiert, die
seit Beginn der Syrienkrise im Libanon Schutz gefunden haben. Sie haben selbst unter
dem Assad-Regime ein erheblich besseres Auskommen gehabt. Das staatliche Gesundheits-
und Bildungswesen stand ihnen in Syrien offen, sie konnten alle Berufe ergreifen
und auch außerhalb der Flüchtlingslager Eigentum erwerben. Der Schock über die Zustände
im Libanon hat dazu geführt, dass von den 90.000 palästinensischen Flüchtlingen
aus Syrien, die sich noch 2013 im Libanon aufhielten, mehr als die Hälfte das Land wieder
verlassen haben und u.a. nach Europa weitergeflüchtet sind. Die noch verbliebenen ca.
40.000 palästinensischen Flüchtlinge halten sich meist illegal im Land auf, weil ihnen die
Mittel für eine Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis fehlen. Das hat Einfluss auf alle
Lebensbereiche: selbst illegales Arbeiten außerhalb der Flüchtlingslager wird unmöglich,
Neugeborene können nicht registriert, Bildungsabschlüsse nicht anerkannt und Krankenhausbehandlungen nicht durchgeführt werden. Wer wollte da nicht mit seiner Familie nach besseren Chancen in Europa suchen?



Wer Fluchtursachen ernsthaft bekämpfen will, muss sich deshalb in Bezug auf die
palästinensischen Flüchtlinge im Libanon drei Dinge bewusst machen:
Er muss erstens die Hilfsorganisarionen vor Ort einschließlich der internationalen
UNRWA mit ausreichenden Mitteln ausstatten!
Er muss zweitens die libanesische Regierung dazu bringen, die soziale und wirtschaftliche Lage der Palästinenser im Land zu verbessern! Das kann aber nur gelingen kann, wenn sich der Libanon nicht demografisch bedroht fühlen, also nicht fürchten muss, die mehr als 10% ganz überwiegend sunnitischen Palästinensern als libanesische Staatsbürger einzubürgern. Der multikonfessionelle Libanon mit seinem mühsam zwischen Christen, Sunniten, Schiiten und Drusen austariertem politischen Gleichgewicht würde sonst explodieren.
Er muss aber drittens vor allem bereit sein, bei der Lösung des Nahostkonflikts die palästinensischen Anliegen ebenso zu würdigen wie die israelischen! Dazu gehört,
das durch Vertreibung und Enteignung erlebte Unrecht und das völkerrechtlich verbriefte Recht auf Rückkehr und/oder Entschädigung anzuerkennen und damit den Kern der palästinensischen Identität zu respektieren. Der Blick ausschließlich durch unsere westliche,
insbesondere unsere deutsche Brille auf den Nahostkonflikt wird den Tatsachen vor Ort
nicht gerecht und wird einer ernsthaften Lösung immer im Wege stehen.