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Tabuisierung von Meinungsäußerung

von Abi Melzer, Der Semit, 30. September 2016. Ein offener Brief zur Auseinandersetzung zwischen dem jüdischen Publizisten Abi Melzer und der Präsidentin der jüdischen Kultusgemeinde in München, Charlotte Knobloch.


Sehr geehrte Frau Präsidentin,
Sie wagen es, mich einen
“für seine antisemitischen Äußerungen regelrecht berüchtigten Referenten“
zu bezeichnen. Nennen Sie mir einen einzigen Satz von mir, der antisemitisch
ist, einen einzigen Satz.
Sie schämen sich nicht, die
böse Beleidigung von Henryk M. Broder zu benutzen: „Abi Melzer und Hajo Meyer
machen den Adolf“. Zu Hajo Meyer schrieb Broder er sei ein „Berufsüberlebender“
weil er es gewagt hat Auschwitz zu überleben und kein Zionist zu werden.
Broder macht uns allen seit
Jahren den Joseph, und da dieser nicht so bekannt ist wie Adolf, muss man schon
hinzufügen, den Joseph Goebbels. Das scheint Sie aber nicht zu berühren. Ein
zionistischer Jude, der den Goebbels macht, ist für Sie allemal sympathischer,
als ein aufrechter Jude, der Unrecht anprangert.
Und warum mache ich den Adolf?
Weil ich Israels Politik kritisiere! Wie oft haben Sie schon gesagt, dass
Kritik an Israel erlaubt sei. Gott sei Dank benötige ich Ihre Erlaubnis nicht.
Das Grundgesetz erlaubt es mir. Sie würden es mir nie erlauben. Wie oft haben
die Siedler, die Sie unterstützen, behauptet, dass die Regierung Israels „nicht
legitim“ sei? Das freilich sage ich auch, nachdem die Regierung die Kontrolle
über diese nationalistischen, rassistischen und kolonialistischen Siedler
verloren hat. Ich darf an die Worte von Itzchak Rabin erinnern, der gesagt hat:
„Wir geben Milliarden von Dollar aus für die Sicherheit von Siedlungen, die uns
keine Sicherheit geben“. Die Illegalität wurde institutionalisiert, wie es die
stellvertretende Generalstaatsanwältin Sasson gesagt hat.
Wo waren Sie, als die Siedler
von Gusch Katif 2005 durch die Armee aus dem Gazastreifen vertrieben wurden und
ihre illegalen Siedlungen mit gelben Judensternen verließen? War das nicht auch
eine Delegitimierung und Verhöhnung des Holocaust? Dazu haben Sie geschwiegen,
aber zu meiner Kritik springen Sie wie von der Tarantel gestochen auf und
behaupten, ich sei ein Antisemit.
Wer sind Sie, dass Sie so etwas
sagen dürfen? Eine ehemalige Präsidentin des Zentralrats der Juden in
Deutschland, nicht mehr und nicht weniger, die ohne Herz und Seele hier lebt,
denn ihr Herz ist ja in Israel, wie sie oft genug beteuert haben. Sie sind
keine deutsche Jüdin, sondern eine Jüdin in Deutschland, die ihre jüdische
Identität hervorhebt und die deutsche versteckt. Das weiß jeder.  Es ist höchste Zeit für Sie, als Vorsitzende
der jüdischen Gemeinde in München, zurückzutreten, immerhin sind Sie schon mehr
als 30 Jahre auf diesem Stuhl. Das ist kein Zeichen von Demokratie, wobei es
wohl bei vielen jüdischen Gemeinden so ist, dass der Vorsitzende die Gemeinde
als sein Eigentum betrachtet. Wollen Sie im Stuhl sterben und dann in Israel
beerdigt werden?
Ja, ich stehe dazu: Der
Antisemitismusvorwurf ist dank Ihnen und Broder zu Banalität degeneriert. Sie
haben meinen Vortrag noch nicht gehört und wissen hellseherisch schon, „dass
die Grenzen zwischen legitimer, sachlicher und inhaltlicher Kritik an Israels
Politik eindeutig überschritten sind“. Sie verurteilen meinen Vortrag als
„Agitation“, ohne zu wissen, was ich sagen wollte. Solches Vorgehen sind wir in
der Regel von diktatorischen Regimen gewöhnt und als ich vor vielen Jahren
dasselbe über einen Ihrer Vorgänger, Heinz Galinski, schrieb, hat er mich
verklagt. Sein Pech war, dass das Gericht die Klage nicht annahm mit der
Begründung: „Man muss nicht Melzers Meinung sein, aber er hat das Recht, seine
Meinung zu sagen“. Es gibt doch noch anständige Richter in Deutschland.
Im aktuellen Webster´s Third
New International Dictionary
liest man über Antisemitismus: Antisemitismus
sei “einst eine Ideologie“, die als “Rassismus” bezeichnet
wurde. Heute wird er definiert als “Opposition zum Zionismus – Sympathie
mit Gegnern des Staates Israel.” Das ist aus dem Antisemitismus geworden –
dank ihnen und ihresgleichen.
Der Antisemitismus war einst
ein Herrschaftsinstrument, mächtig und gefürchtet. Heute reicht er gerade
noch für drittklassige Witze, wie sie Broder gerne erzählt: „Die Meinungen über
Antisemitismus, sagt Moishe, sind wie die Meinungen darüber, wie gut meine Frau
im Bett ist – die einen sagen so, die anderen sagen so.“ Damit ist der
Antisemitismus endgültig auf dem Misthaufen der Geschichte gelandet.
Aber wer kümmert sich noch um
solche Greise wie Sie: Eitel, zynisch und selbstgefällig. Die jungen Leute
heute haben andere Sorgen und Fragen, und Antisemitismus interessiert sie nicht
so sehr. Gott sei Dank. Und neuere Untersuchungen ergeben, dass es unter den
jungen Menschen zwischen 20 und 30 weniger Antisemitismus gibt. Antisemitismus
ist etwas für Leute zwischen 60 und 70 und darüber. Also Ihre Generation.
Ein anderer jüdischer Greis,
Claude Lanzmann, beschuldigte das Kempinski-Hotel in Berlin, antisemitisch zu
sein, weil die Vorwahl von Israel nicht im Telefonverzeichnis des Hotels war.
„Die Auferstehung des Nationalsozialismus bis hin zu Auschwitz“, schien ihm
wieder möglich und Broder meinte dazu, dass Kempinski “das Palästina
Referat des Reichsicherheitshauptamts“ sei. Es sei eben eine „Schweinerei, das
in einem der wichtigsten Hotels in Berlin Israel ausgemerzt wird”. Dabei
war allenfalls der „Rechner“ des Hotels antisemitisch, denn er hat
ausgerechnet, dass die Vorwahl Israels weniger nachgefragt wird als 26 andre
Staaten, die man aufgenommen hatte, weil man nicht alle 176 Vorwahlen in die
Liste aufnehmen konnte. Der Rechner ist also ein Antisemit.
Man möchte lachen, aber das
Lachen bleibt einem im Halse stecken. Auch angesichts des Unsinns, den Sie
ständig verzapfen.
Claude Lanzmann äußerte sich in
der FAZ und beim Lesen hatte man den Eindruck, dass man die Hauszeitschrift
eines Irrenhauses in der Hand hält. Das ist das von Ihnen repräsentierte Niveau
des Antisemitismus heute, und darüber wird man noch reden dürfen, oder
bestimmen Sie, wer reden darf und wer nicht? Eigentlich müssten Sie an
vorderster Front stehen und für meine Rechte kämpfen. Aber Sie reden von
„Delegitimierung Israels“.
Hat Thomas Mann Deutschland
delegitimiert, als er seine geharnischte Kritik an den Nazis im Radio
verbreitet hatte? Hat Carl von Ossietzky Deutschland delegitimiert, als er die
Nazis in der Weltbühne scharf angriff und deshalb von ihnen später ermordet
wurde? Hat Emil Zola Frankreich delegitimiert, als er seinen berühmten Aufruf
„Jaccuse!“ zur Verteidigung von Alfred Dreifuss veröffentlichte? Haben in
diesen Tagen unzählige türkische Intellektuelle, Journalisten und Autoren die
Türkei delegitimiert, weil sie Erdogan kritisierten? Letztere haben dafür den
Alternativen Nobelpreis erhalten, wie übrigens auch Felicia Langer.
Delegitimieren Uri Avnery, Gideon Levy, Noam Chomsky, Erich Fried, Günther
Grass und andere Israel, wenn sie über Israels falsche Politik schreiben? Für
Sie ist diese Politik eine „Heilige Kuh) über die man nicht reden darf und die
immer richtig ist. Sie müssen endlich akzeptieren, dass es Menschen gibt, die
anders denken, und es sind nicht immer die Schlechtesten.
Warum soll eine Kritik an
Benjamin Netanjahu anders bewertet werden, als eine Kritik am türkischen
Ministerpräsidenten Erdogan? Warum ist eine solche Kritik ein Zeichen von
Antisemitismus? Es gibt darauf eine sehr einfache Antwort: weil der
Antisemitismus der Zwillingsbruder des Zionismus ist. Sie sind wie Yin und Yang
und ergänzen sich ideal. So wie für Erdogan der Putsch im August ein „Geschenk
des Himmels“ war, so ist der Antisemitismus für Netanjahu und den Zionismus
eine willkommene Hilfe für das Ziel, Juden nach Israel zu „vertreiben“. Nein,
sie werden nicht vertrieben, aber ihre eigenen Vorstände und Präsidenten machen
ihnen so viel Angst, dass sie von selbst kommen. Es ist eine vergleichbare   Angst,
wie sie 1947/1948 Palästinenser dazu gebracht hat, vor der zionistischen
Aggression zu fliehen. In der zionistischen Propaganda heißt es: „Sie sind von
selbst geflohen!“
Sie behaupten, ich sei ein
Antisemit und unterstellen damit, dass ich mich selbst hasse, da ich Jude bin
und Antisemitismus Judenhass bedeutet. Warum soll ich mich selbst hassen? Weil
ich Israels Politik kritisiere? (Oder kritisiere ich Israels Politik, weil ich
mich selbst hasse?
Hunderttausende, wenn nicht gar
Millionen von Juden stehen dem Staat Israels und/oder seiner Politik kritisch
bis feindlich gegenüber. Es sind besonders religiös-orthodoxe Juden, Chassidim,
wie die Sattmers, die offen bekennen, anti-zionistisch zu sein, und auch
liberale, linke Juden – alles Antisemiten? Oder vielleicht Ilan Pappe, Leiter
des „European Centre for Palestine Studies“ an der Universität von Exeter, der
ebenfalls Schwierigkeiten hatte, in München seinen Vortrag zu halten? Ist Pappe
auch ein Antisemit?
Einst, gegen Ende des 19ten Jahrhunderts
war es umgekehrt. Da versuchte Theodor Herzl seinen ersten Zionisten-Kongress
in München stattfinden zu lassen und die Münchner Juden verweigerten ihm die
Räumlichkeit. Damals waren gerade einmal 1 Prozent der deutschen Juden
Zionisten. Das es später mehr wurden, darf man Adolf Hitler danken und der zumeist
diskret verschwiegenen Tatsache, dass die zionistischen Juden keine Scheu
hatten, mit den Nazis einen Vertrag abzuschließen über die Überführung
jüdischen Kapitals und jüdischen Vermögens, Fabriken etc. nach Palästina. Der
Vertrag hieß „Haavara“ und wurde gleich nach der Machtübernahme der Nazis
ausgehandelt, als ob die Zionisten auf diese Machtübernahme gewartet hätten.
Anlässlich der Unterzeichnung durch Juden und Nazis wurde eine Medaille in Gold
geprägt, die auf der einen Seite einen Hakenkreuz und auf der anderen Seite
einen Davidstern trägt. Juden, die in ein anderes Land auswandern wollten,
durften ihr Vermögen nicht mitnehmen. Der Zionismus hat schon immer
nicht-zionistische Juden benachteiligt und zum Teil ihren Tod, ihre Vernichtung
billigend in Kauf genommen. Hanna Arendt hat darüber in Ihrem Buch „Eichmann in
Jerusalem – Die Banalität des Bösen“ geschrieben und wurde, wer hätte das
gedacht, als jüdische Selbsthasserin diffamiert.
Ich bin in Israel aufgewachsen,
habe dort die Schule besucht und in der Armee gedient. Haben Sie Vergleichbares
für Israel getan? Können Sie Ähnliches vorweisen? Dass ich heute lebe ist Glück
oder Zufall, ich könnte auch tot sein, „gefallen“ wie manche meiner Freunde im
Dienste der israelischen Aggression.
Ich spreche Hebräisch, eine
Sprache, die Ihnen unbekannt ist. Wie kommen Sie dazu, mich in übelster Weise
zu beleidigen und zu verleumden, nur weil ich bezüglich der Politik Israels,
meines Staates – noch bin ich auch Israeli -, eine andere Meinung habe? Kennen
Sie Israel überhaupt, wissen Sie wirklich, was dort vor sich geht? Ich meine
nicht die Berichte, die Ihnen die israelische Propaganda zuflüstert und nicht den
Blick auf Israel aus einem Zimmer im Luxus-Hotel. Ich bin in meiner Schulzeit
und später in der Armee kreuz und quer durch das Land gewandert und gereist.
Nicht in einem Touristenbus und einem Reiseführer, der von der „Hasbara“
geschult wurde. Ich habe mit meinen eigenen Augen gesehen, welches Unrecht man
den Palästinensern angetan hat und noch immer täglich antut.
Wieso nennen Sie Palästinenser,
die gewaltsam – ja, das dürfen sie nach dem Völkerrecht -, die gewaltsam um
ihre Freiheit kämpfen, Terroristen? Waren denn die Kämpfer im Warschauer Ghetto
auch Terroristen? Auch sie kämpften um ihre Freiheit. Die Kämpfer des Irgun,
der Organisation von Menachem Begin, waren Terroristen, zumindest in den Augen
der Briten, aber für die Israelis waren und sind sie Helden, so wie die Kämpfer
der Hamas und der Fatah für die Palästinenser und alle anderen Araber Helden
sind. So gesehen sind sie für sehr viel mehr Menschen Helden, als die
Irgun-Terroristen.
Sie wollen verhindern, dass uns
Räume überlassen werden. Städtische Räume, die uns allen gehören, und jedem
Bürger dieses Staates zur Verfügung stehen sollten. Sie werden selbst der AfD
geöffnet, denn immerhin gilt in diesem Land noch das Grundgesetz, oder sind Sie
schon auf die israelische Verfassung eingeschworen, sodass Ihnen unser
Grundgesetz gleichgültig ist. Ihre grundgesetzwidrige Verhinderung meines
Vortrags und der vorauseilende Gehorsam (des Kulturreferats) der Stadt München bestärken
mich in meiner Erfahrung, dass  
Deutschland eine Demokratie ohne Demokraten zu werden droht. Das kommt
zum Ausdruck durch obrigkeitsstaatliche Beeinflussung der Medien, Absagen von
Veranstaltungen, die nicht der merkelschen Staatsräson genehm sind – kurzum
Behinderung der Meinungsfreiheit!
Geradezu peinlich sind die
Unterwürfigkeit und der vorauseilende Gehorsam von Amtspersonen, Politikern und
Medienleitern gegenüber der in Deutschland sehr aktiv und massiv auftretenden
Israel-Lobby und ihrer wahllosen und zynischen Instrumentalisierung des
Antisemitismus-Vorwurfs.
Es ist nach wie vor so, dass viele
Deutsche sich nicht zu Israel äußern trauen, weil sie Angst haben, von
Zionisten wie Ihnen diffamiert und diskreditiert zu werden. Ich finde das
schockierend, und eigentlich sollten auch Sie dagegen protestieren. Ich finde
im Gegenteil, dass Deutsche, die nichts zu tun haben mit der deutschen
Vergangenheit, außer der Verantwortung dafür, dass sich so etwas nie
wiederholen darf – dass solche Deutsche überall für die Einhaltung von
Menschen- und Völkerrecht eintreten müssen. Sie werden sofort erwidern, dass
sie es dürfen. Ja, Sie haben Recht, aber wenn sie es machen, dann kommen Leute
wie Sie, wie Broder und Ihresgleichen und schwingen die „Antisemitismus-Keule“.
Ich finde das unerträglich. Ich habe immer gegen Antisemitismus gekämpft, und
ich werde es immer tun! Aber Israelkritik per se mit Antisemitismus
gleichzusetzen, das ist falsch und führt in die Irre. Da mache ich nicht mit.
Alfred Grosser schrieb
unlängst: „Die Anklage des Antisemitismus gegen den verstorbenen Rupert
Neudeck, der in seinem Buch das Schicksal der Palästinenser thematisiert hat
(„Ich will nicht mehr schweigen – Über Recht und Gerechtigkeit in Palästina“ –
Melzer Verlag 2005) ist skandalös.“ Finden Sie nicht auch, dass er Recht hat?
Als Prof. Ted Hondrich 2003 in
seinem „umstrittenen“ Buch den palästinensischen „Terror“ als moralisch
berechtigten Widerstand bezeichnete, forderte der zionistische, jüdische Religionsphilosoph
Prof. Micha Brumlik, das Verbot des Buch. Es sei – na klar – „antisemitisch“!
Der Suhrkamp-Verlag folgte dieser Forderung innerhalb von 24 Stunden. Daraufhin
habe ich das Buch neu übersetzen lassen, da Suhrkamp auf Druck der jüdischen
Gemeinde nicht bereit war, mir die Übersetzung zu überlassen, und verlegt. Der
Bayerische Rundfunk meinte dazu: „Das Verdienst des Buches besteht darin,
dass es wichtige Fragen aufwirft, über die diskutiert werden muss. Abi Melzer
hat sich um die Aufhebung der Zensur in Deutschland verdient gemacht. Ihm
gebührt unser Respekt.“
Solange es solche Stimmen in
Deutschland gibt/nicht mehr geben sollte, werde ich meine Kritik an der
israelischen Politik äußern.
Letztendlich meine ich, dass
wir beide zu unseren Quellen zurückkehren sollten. Ich, zu meinen jüdischen
Quellen, zum alten Rabbi Hillel und Sie zu ihren christlich-katholischen
Quellen. Die Tatsache, dass Sie schon Jahrzehnte einer jüdischen Gemeinde
vorstehen, besagt ja nicht, dass sie Ahnung vom Judentum haben. Das was ich als
Kind von meiner Mutter und meinem Vater an jüdischem Wissen, jüdischer Bildung,
mitbekommen habe, werden Sie kaum nachholen können. Auch ihr Partner im Geiste,
Henryk Broder, hat neulich in einem Interview Abraham mit Hiob verwechselt, was
ein Licht auf seine jüdische Bildung warf. [In einem Artikel über Michel
Friedman gebrauchte er auch die jiddisch-hebräische Redewendung „Be Esrat
Ha-Schem“, nur wieder falsch, weil er offensichtlich die Redewendung nicht wirklich
kennt. Be Esrat Ha-Schem bedeutet „mit der Hilfe Gottes“ und nicht, wie Broder
schrieb: Im Esrat Ha-Schem. So macht es keinen Sinn.
]
In einem aber hat Broder Recht
gehabt, als er über Sie schrieb, dass Sie eine „überforderte Präsidentin“ seien
und den Zustand des Zentralrats unter Ihnen als „erbärmlich“ bezeichnete. Der
Zustand der jüdischen Gemeinde in München ist, wie man hört, auch erbärmlich,
da Sie wie ein absoluter Sonnenkönig schalten und walten und sich obsessiv um
unwichtige Sachen kümmern, aber wichtige, brennende Probleme liegen lassen.
Immerhin haben Sie die Zeit gefunden, am Freitag, den 23. 9. 2016, noch eine
infame und bösartige, zwei Seiten lange Mail an den Generalvikar Dr. Peter Beer
im Erzbistum München und Freising zu schreiben und ihn (unter den gewaltigen
Druck ihrer Person und Ihrer Funktion dazu zu bringen) – mit dem Hinweis, dass
der einladende Verein „Salam Shalom“ „antizionistisch“ sei – davon zu
„überzeugen“, die am Tag zuvor von der Leitung des KKV-Hansa-Haus zugesagten
Räume zu stornieren. 
Aber selbst wenn, ist das ein
Grund, gegen Artikel 5 des Grundgesetzes zu verstoßen bzw. die Kirche zu  einem solchen Verstoß zu bewegen? Jürgen
Gansel, Mdl, schrieb: „Am 19. Juli 1950 wurde die wahrscheinlich mächtigste, in
jedem Fall aber verbal-aggressivste „Institution“ der jungen Bundesrepublik
gegründet: der Zentralrat der Juden in Deutschland“. Im Namen war schon die
Trennung zwischen Juden und Deutschen manifestiert, ansonsten würde die
Institution „Zentralrat der jüdischen Deutschen“ heißen, oder zumindest
„Zentralrat der deutschen Juden“. Schon damals hat sich der Zentralrat als
verbohrter Verteidiger des israelischen Staates, als Dauerankläger der
Deutschen verstanden. Die Anklage der Deutschen hat nachgelassen, aber bornierter
Verteidiger israelischer Interessen ist der Zentralrat auch heute noch.
Rabbi Hillel sagte vor 2000
Jahren: „Tue deinem Nächsten nicht das an, was du nicht willst, dass man dir
antut.“ Das ist das Wesen des Judentums. Darüber hat Rabbiner Leo Baeck ein
Buch geschrieben, das nach dem Krieg im Verlag meines Vaters erschienen ist.
Das ist mein Verständnis von Judentum.
Als ich vor vielen Jahren
einmal Ihren Vorgänger Heinz Galinski kritisierte, meinte sein unmittelbarer
Nachfolger, Ignaz Bubis, ich hätte nicht das Recht, Galinski zu kritisieren,
denn, fragte er: „Was haben Sie schon für das Judentum getan?“
Die Frage hat mich überrascht.
Ich fand sie einigermaßen lächerlich. Benötigt man eine besondere Erlaubnis, um
Politiker zu kritisieren, selbst wenn sie „Juden“ sind?
Das Judentum ist geprägt durch
seine Propheten. Und was waren die Propheten anderes als Kritiker. Für mich
bedeutet Judentum auch: alles zu hinterfragen und sich auf die Seite des Rechts
und der Gerechtigkeit zu stellen. Für mich bedeutet Judentum: Kritik. Mein
Vater und ich haben keine Häuser im Westend gebaut oder mit Grundstücken spekuliert.
Mein Vater verlegte Martin Bubers „Jüdische Schriften“, und ich verlegte den
„UN-Goldstone-Report“ und daneben noch eine Reihe jüdischer und israelischer
Autoren wie Uri Avnery, Gideon Levy, Israel Shahak, Erich Fried u.v.a. Es ist
mir aber bekannt, dass das bei den jüdischen Verbänden und besonders beim
Zentralrat der Juden nicht zählt. Das Volk des Buches hält nichts von Büchern.
Als mein Vater finanzielle Schwierigkeiten wegen seines Mammut-Projektes der
Herausgabe sämtlicher Schriften von Ludwig Börne hatte, bat er den Zentralrat
um Hilfe und schlug vor, dass der Zentralrat 100 Einheiten des fünfbändigen
Werkes für jüdische Gemeinden in Deutschland kauft. Der Zentralrat hat aber
nicht einen Finger gekrümmt, um zu helfen. Wenn der Zentralrat für jede
Gemeinde eine einzige Kassette des 7000 Seiten Werkes gekauft hätte, wäre
meinem Vater schon geholfen gewesen. Aber nicht einmal für die Bibliothek des
Zentralrats wurde ein Exemplar bestellt. Geholfen hat damals die Stadt
Frankfurt. Wie soll ich vor Leuten Respekt haben, die nicht wussten, wer Löw
Baruch, genannt Ludwig Börne, war. Werner Nachmann, der damals ihr Vorgänger
war, wurde kurz darauf gefeuert, weil er viele Millionen unterschlagen und
gestohlen hat.
Sie diffamieren und beleidigen
mich und sagen ich sei ein Antisemit, also ein Rassist. Was würden Sie davon
halten, wenn ich dasselbe von Ihnen sagen würde. Sie sind vielleicht keine
Antisemitin, aber offensichtlich eine Rassistin. Sie hassen keine Juden, Sie
hassen Araber, also andere Semiten, nämlich Palästinenser. Und wer
Palästinenser hasst, kann auch Juden hassen. Ich sehe da keinen wesentlichen
Unterschied, zumal die Palästinenser die echten Semiten und auch die echten
Juden sind
, sie sind moslemische und zum Teil christliche Juden. Die v. a.
europäischen Juden (ihrerseits) sind ja keine Semiten, sondern Nachkommen der
Khasaren, und Sie sind ganz sicher keine Semitin, sondern eine Urbayerin aus katholischem
Geschlecht. Sie sollten deshalb vorsichtiger mit all diesen ethnischen,
religiösen und nationalen Begriffen umgehen und sie nicht rufmörderisch gegen
andere Menschen  instrumentalisieren.
Sie beleidigen nicht nur mich,
sondern auch eine Unzahl braver deutscher Bürger, die sich für die Rechte der
Palästinenser einsetzen. Mit welchem Recht tun Sie das? Etwa weil die
Bundeskanzlerin Angela Merkel das unglücklich falsche Wort geprägt hat, dass
die Sicherheit Israels deutsche „Staatsräson“ sei? Altkanzler Schmidt nannte
das „töricht“! Wenn nur die Sicherheit Israels Deutschland angeht, bedeutet
das im Umkehrschluss, dass die Sicherheit der Palästinenser die Deutschen anscheinend
nichts angeht. Gottseidank gibt es in diesem Land genug Menschen, die das
anders sehen. Mit diesem verunglückten Satz hat sie nur noch mehr Öl ins Feuer
gegossen, und Leute wie Sie freuen sich offensichtlich, wenn im nächsten Krieg
„unsere Soldaten“ wieder siegen.
Warum fordern Sie Angela Merkel
nicht auf, endlich den Satz zu korrigieren und zu sagen: „Ein gerechter Frieden
im Nahen Osten ist deutsche Staatsräson“.
Merkel hat sich vorbildlich um
die Flüchtlinge bemüht und ihre Aussage: „Wir schaffen das!“ wird in die
Geschichtsbücher eingehen. Im Nahostkonflikt allerdings hat sie eine
historische Chance verpasst, vermittelnd einzugreifen und beide Seiten zur
„Räson“ zu bringen.
Und was macht Ihr Nachfolger im
Amt des Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dr. Josef
Schuster? Er gießt gleichfalls Öl ins Feuer und warnt vor den moslemischen
Flüchtlingen, weil sie seiner Meinung nach den „arabischen“ Antisemitismus nach
Deutschland mitbringen. Er fordert von den Flüchtlingen den „Nachweis“, dass
sie keine Antisemiten sind und Israel respektieren. [Lächerlicher kann sich
der Zentralrat nicht mehr zeigen. Das erinnert an den Witz: „Jankele wird
vorgeworfen, dass seine Schwester eine Hure ist. Er beteuert, dass er keine
Schwester hat. Es hilft nicht. Die Schwester, die er nicht hat, ist eine
Hure“.]
Die Obsession mit der Sie gegen
Bürgerrechte, gegen das Grundgesetz und für eine umstrittene Politik des rechtsnationalen
Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu eintreten, ist unerträglich und im
Grunde genommen dumm, denn damit gewinnen Sie gewiss keine Freunde. Sie
behaupten mein Vortrag sei eine „offensichtlich antijüdische
Propaganda-Veranstaltung“ und eine „Stärkung des Antisemitismus in München“.
Ich frage mich warum Sie nicht die Wahrheit sagen, dass ich nämlich ein
gnadenloser und unerbittlicher Gegner der israelischen Politik bin.
Man muss
kein Antisemit sein, um Israels Politik zu kritisieren. Es reichen ein gesunder
Menschenverstand und eine liberale demokratische Gesinnung. Warum Sie immer die
Antisemitismus-Keule schwingen, um jeden Kritiker niederzumachen, ist mir
unbegreiflich. Warum wollen Sie nicht eine offene und ehrliche Debatte
zulassen. Das ist allerdings eine rhetorische Frage, denn die Antwort liegt auf
der Hand: Sie und alle, die hinter Ihnen stehen, bis hin zu Benjamin Netanjahu
haben Angst vor einer ehrlichen und offenen Debatte,  vor einer offenen Aussprache, haben Angst vor
der Wahrheit, denn Sie wissen sehr genau, dass Israel dem palästinensischen
Volk großes Unrecht angetan hat, indem es den Palästinensern ihre Heimat
gestohlen hat. Selbst David Ben-Gurion wusste das und schrieb in seinen
Memoiren, dass die Palästinenser „uns das nie verzeihen und vergessen werden“.
Deshalb haben Sie sich gegen die Nakba-Ausstellung gewehrt und, Gott sei Dank,
verloren. Im Inneren ihres Herzens wissen auch die Israelis, dass sie den
Palästinensern Unrecht getan haben, und dieses Wissen, dieses schlechte Gewissen,
kann Verständnis und Reue hervorrufen, es kann aber auch Hass und Abwehr
erzeugen. Wie sagte es Ihr Protegé Henryk M. Broder: „Die Deutschen werden den
Juden den Holocaust nie verzeihen“. Und zum Nahost-Konflikt schrieb er in der
Jüdischen Allgemeine, als Sie Vorsitzende waren und somit Herausgeberin dieses
ominösen Blattes: „Es stimmt, Israelis sind Täter. Aber Täter sein macht
Spaß“.  Die Israelis werden den
Palästinensern nie verzeihen, dass sie Täter werden mussten.
Ich habe mich schon vor langer
Zeit auf die Seite des Rechts und der Gerechtigkeit geschlagen. Sie müssen
weiter damit leben, dass Sie Unrecht rechtfertigen und verteidigen.
MfG
Abi Melzer
Ein nicht-zionistischer Jude