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Vor neuen Kriegen

von german foreign policy, 31. August 2016.
 Das neue “Weißbuch” der Bundeswehr ist lediglich als “Meilenstein” auf dem Weg einer stetigen Weiterentwicklung der Berliner Weltpolitik und ihres Instrumentariums konzipiert. Dies geht aus einem Beitrag hervor, den zwei Weißbuch-Verantwortliche aus dem Bundesverteidigungsministerium für die führende deutsche Außenpolitik-Zeitschrift verfasst haben. Demnach muss der “Gestaltungsanspruch” des Weißbuchs, der sich ausdrücklich auf die gesamte Erdkugel sowie den Weltraum erstreckt, in der nächsten Zeit umgesetzt und “mit Leben” gefüllt werden. 
Während die Bundesregierung neue Hochrüstungspläne und neue Maßnahmen der zivilen Kriegsvorbereitung in die Wege leitet, steht auch der EU ein neuer Militarisierungsschub bevor: Unter offen proklamierter deutscher Führung sprechen sich immer mehr Regierungschefs von EU-Mitgliedstaaten für den Aufbau einer EU-Armee aus. In einer führenden deutschen Tageszeitung heißt es, zwar sei die Bilanz der bisherigen deutschen Kriege “nicht gerade positiv”. Das solle aber nicht von künftigen Militärinterventionen abhalten; man müsse lediglich die Erwartungen an sie klar herunterschrauben: Es gelte, sich keinerlei “Illusionen über rasche Erfolge zu machen”.
“Die globale Ordnung gestalten”
Das neue “Weißbuch” der Bundeswehr, das am 13. Juli öffentlich vorgestellt wurde, hat bereits weiter ausgreifende Ziele für die deutsche Weltpolitik formuliert als jedes andere Weißbuch zuvor. “Deutschlands sicherheitspolitischer Horizont ist global”, heißt es lapidar in dem Dokument, das explizit ankündigt, Berlin werde “aufgrund seiner wirtschaftlichen, politischen und militärischen Bedeutung” nun daran gehen, “die globale Ordnung aktiv mitzugestalten”. Die Bundesrepublik sei “bereit”, sich nicht nur “entschieden und substanziell als Impulsgeber in die internationale Debatte einzubringen”, sondern auch weltpolitisch “Führung zu übernehmen”. Berlins Ordnungsanspruch beziehe sich dabei nicht nur auf die globalen Handelsrouten zu Wasser, zu Lande und in der Luft, sondern “ausdrücklich auch auf den Cyber-, Informations- und Weltraum”.[1]
Nur eine Wegmarke
In einem aktuellen Debattenbeitrag in der Zeitschrift “Internationale Politik”, dem führenden Fachblatt der deutschen Außenpolitik, haben sich nun zwei Weißbuch-Projektverantwortliche aus dem Bundesverteidigungsministerium zu Wort gemeldet. Über den Diskussionsprozess, mit dem Teile der politischen, ökonomischen und akademischen Eliten sowie der kirchlichen Hierarchien und der Medien in die Erstellung des Papiers eingebunden wurden (german-foreign-policy.com berichtete [2]), schreiben Brigadegeneral Carsten Breuer, ehedem Projektbeauftragter für das Weißbuch in der Abteilung Politik des Verteidigungsministeriums, sowie Christoph Schwarz, seinerseits Referent in der “Projektgruppe Weißbuch” des Hauses: “Die Übereinstimmung in den zentralen Fragen der deutschen Sicherheitspolitik war wohl kaum jemals größer.”[3] Allerdings sei das Weißbuch keinesfalls ein “Endpunkt” der Entwicklung, sondern allenfalls “eine Wegmarke”, “ein Meilenstein auf dem Weg, Deutschlands gewachsene internationale Verantwortung” – ein gängiger verschleiernder Begriff für den deutschen Weltordnungsanspruch – “strategisch zu reflektieren und sein Instrumentarium weiterzuentwickeln”. Der jetzt im Weißbuch formulierte deutsche “Gestaltungsanspruch” müsse nun “mit Leben” gefüllt werden, konstatieren Breuer und Schwarz; seine Umsetzung und seine Weiterentwicklung hingen dabei “maßgeblich davon ab, wie nachdrücklich die Prioritäten verfolgt” und entsprechende Maßnahmen “umgesetzt werden”.
Die EU-Armee
Die Vorbereitungen dazu treibt Berlin nicht nur im Inland – mit neuen Hochrüstungsplänen [4] und der neuen “Konzeption Zivile Verteidigung” [5] -, sondern auch auf EU-Ebene voran. Auf ihrer EU-Rundreise in der vergangenen Woche zur Vorbereitung des informellen Gipfeltreffens am 16. September in Bratislava hat Bundeskanzlerin Angela Merkel breite Zustimmung zur Ausweitung der EU-Militärpolitik erhalten. Man wolle “für die Zukunft neue Impulse setzen”, erklärte der italienische Ministerpräsident Matteo Renzi am 22. August bei einer gemeinsam mit Kanzlerin Merkel und dem französischen Staatspräsidenten François Hollande auf einem Hubschrauberträger abgehaltenen Pressekonferenz: Es gehe dabei um “äußere Sicherheit, gemeinsame Verteidigung, Kommunikation zwischen den Nachrichtendiensten, Verbesserung der Verteidigungsindustrien”.[6] Am 26. August forderte dann der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán: “Wir müssen der Sicherheit Vorrang einräumen und den Aufbau einer gemeinsamen europäischen Armee beginnen”.[7] Bereits zuvor hatte der tschechische Ministerpräsident Bohuslav Sobotka erklärt: “Ich bin überzeugt, dass wir auf lange Sicht nicht in der Lage sind, ohne eine gemeinsame europäische Armee auszukommen.”[8] Wie der ehemalige italienische Generalstabschef Vincenzo Camporini urteilt, wird durch den EU-Austritt Großbritanniens, das bislang Schritte zum Aufbau einer EU-Armee verlässlich verhinderte, der Weg zu deren Gründung nun frei.[9]
Ein deutsches Europa
Während die EU vor ihrem nächsten Militarisierungsschub steht, wird die deutsche Dominanz über den Staatenbund, die im Polit-Establishment der Bundesrepublik wie auch der anderen EU-Staaten längst als Tatsache anerkannt wird (german-foreign-policy.com berichtete [10]), jetzt sogar offen proklamiert. “Thomas Mann hat einmal gesagt, dass wir das europäische Deutschland und kein deutsches Europa wollen”, äußerte Estlands Ministerpräsident Taavi Rõivas am vergangenen Mittwoch beim Besuch der deutschen Kanzlerin in Tallinn: “Heute kann ich sagen, dass Deutschland uns durch sein Vorbild anregt, bessere Europäer zu sein. In der Zeit, in der Europa an Krisen leidet und vor wichtigen Entscheidungen steht, brauchen wir meiner Meinung nach ein Europa, das mehr wie Deutschland aussieht.”[11]
Keine Illusionen
Unterdessen nimmt eine führende deutsche Tageszeitung die künftigen deutschen Kriege, in denen mutmaßlich auch andere EU-Staaten und womöglich die von Berlin erstrebte EU-Armee kämpfen werden, in den Blick. Über die letzten mit deutscher Beteiligung geführten Kriege urteilte der Politikwissenschaftler Wilfried von Bredow kürzlich in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung: “Die Bilanz der Militäreinsätze ist, aufs Ganze gesehen, nicht gerade positiv”.[12] Dennoch könne Berlin sich “aus lokalen und regionalen Gewaltkonflikten in anderen Teilen der Welt” nicht heraushalten, behauptet Bredow: “So bleibt nur, bei anstehenden Kriegsentscheidungen … sich keine Illusionen über rasche Erfolge zu machen, die Öffentlichkeit nicht mit nationalistischer Kriegsrhetorik oder uneinlösbaren Versprechen um Zustimmung anzugehen” sowie “die eigenen” Interessen “mit den Interessen der Verbündeten” sowie mit den anderen “an der Aufrechterhaltung der internationalen Ordnung beteiligten Mächten abzustimmen”. Die Option, auf Kriege künftig zu verzichten, wird im deutschen Establishment nicht in Betracht gezogen.
Die Bilanz der Kriege
Während Berlin sich auf neue Kriege vorbereitet, haben die deutschen Kriege der vergangenen beiden Jahrzehnte in diversen Ländern Europas, Asiens und Afrikas desolate Zustände hinterlassen. german-foreign-policy.com zieht in den kommenden Wochen in lockerer Folge Bilanz.