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Israels Sicherheitspolitik als Vorbild für Deutschland?

von bib jetzt, 4. August 2016.
Nach den letzten Gewaltattacken in Bayern werden von allen Seiten bessere
Maßnahmen gegen die Gewalt gefordert. Zwei dieser Attacken fanden ganz in
meiner Nähe statt: In München und in Grafing Bahnhof, beide von psychisch kranken,
verstörten Menschen ausgeübt ohne jeglichen politischen oder
religiösen/islamistischen Hintergrund. 
Anstatt mehr Psychologen und
Sozialarbeiter einzustellen, wird der Ruf nach mehr Polizei, ja sogar nach
inländischen Militäreinsätzen laut. 

Dabei wurde mehrmals in den letzten Tagen
Israel als Vorbild aufgeführt. Dort sei man an Gewalt im Alltag gewohnt, die
Bevölkerung nehme Einschränkungen auch im Persönlichkeitsrecht gerne in Kauf –
für eine vermeintliche Sicherheit, die gerade bei Angriffen durch Einzeltäter
nicht gewährleistet werden kann. Ein eklatantes Beispiel für diese Sichtweise
lieferte das ZDF Mittagsmagazin vom 2. August 2016, hier
nachzusehen ab Minute 31:35 bis 35:20
.
Unser Vorstandsmitglied Dr.
Martin Breidert schrieb daraufhin der ZDF-Redaktion sowie der Autorin des
Beitrags persönlich folgenden Brief, den wir Ihnen nicht vorenthalten wollen,
bringt er doch die Problematik unumwunden auf den Punkt. Gerne können auch Sie
sich ans ZDF wenden unter zuschauerredaktion@zdf.de oder
uns hier Ihren Kommentar dazu hinterlassen.
Beste Sommergrüße von
Nirit Sommerfeld


Sehr geehrte Frau Dr. Albrecht,
Ihr Beitrag im ZDF-Mittagsmagazin
vom 2.8.2016 mit dem Titel „Leben unter dem Diktat der Sicherheit“ war nicht
nur befremdlich, sondern ärgerlich und sehr, sehr einseitig.
Meinen Sie ernsthaft, Israels
Sicherheitspolitik könnte Vorbild für Deutschland und Europa sein? Nicht nur
Sie, mehrere Medien in Deutschland tönen in diese Richtung.
Mauern, Zäune und Checkpoints
scheinen für Sie nach zwei Jahren Tätigkeit in Tel Aviv offenbar zu
Selbstverständlichkeiten geworden zu sein. Für die Palästinenser, die diese
Schikanen erleiden müssen, sind sie es nicht. Israelis kommen in Ihrem Beitrag
reichlich zu Wort, um das zu erklären, was sie unter Sicherheit gegen Terror
verstehen.
Kein Wort jedoch über das Sicherheitsbedürfnis der Palästinenser. Wöchentlich
werden mehrere Palästinenser durch israelische Soldaten getötet, worüber die
UN-Organisation OCHA OPT regelmäßig berichtet. Es dürfte Ihnen in Tel Aviv
nicht entgangen sein, dass ein israelischer Soldat einen reglos am Boden
liegenden Palästinenser durch einen Kopfschuss getötet hatte. Darüber gab es in
den israelischen Medien eine ausführliche Diskussion. Die Mehrheit der Israelis
meinte, er verdiene dafür einen Orden. Soll dies Vorbild für Deutschland sein?
Der Staat Israel befindet sich seit 1948 offiziell im Ausnahmezustand, der
jedes Jahr von der Knesset verlängert wird. Das bedeutet unter anderem, dass
auch Sie der Militärzensur unterliegen. Dem Buch „Unheiliger Krieg im Heiligen
Land“ des früheren FAZ-Korrespondenten Jörg Bremer (S. 215ff) kann man
entnehmen, dass dies keineswegs nur eine Formalie ist. In welchem anderen
demokratischen Land gab es jemals einen so langen Ausnahmezustand?
Israel praktiziert Folter,
Administrativhaft ohne Anklage und Prozess, beliebig oft verlängerbar,
Militärhaft für Kinder usw. Wie soll Israel Vorbild für eine deutsche
Sicherheitspolitik sein? Amnesty International, Unicef, das Internationale
Komitee vom Roten Kreuz und der UN-Menschenrechtsrat haben immer wieder die
Verletzungen der Menschenrechte und des humanitären Kriegsvölkerrechts
angeprangert.
Meinen Sie wirklich, ein brutales Besatzungsregime, unter dem 4 Millionen
Palästinenser leiden, könnte Vorbild für eine Sicherheitspolitik in Deutschland
sein? Kein Wort in Ihrem Beitrag über das asymmetrische Verhältnis von
Besatzern und Besetzten. Die Menschen, die unter der Besatzung leiden, kommen
bei Ihnen nur als Terroristen vor. Insofern könnte Ihr Beitrag auch 1:1 von der
Hasbara, der israelischen Propagandaabteilung kommen.
Wenn Palästinenser gegen die
völkerrechtswidrige Besatzungs-, Enteignungs- und Vertreibungspolitik
Widerstand leisten, dann nennt der Staat Israel das Terrorismus, selbst wenn er
gewaltfrei ist. Der verstorbene französisch-jüdische Diplomat und
Menschenrechtler Stéphane Hessel hat diesen  verdrehenden Orwell’schen
Neusprech in seinem Büchlein „Empört Euch!“ (S. 19) beschrieben.
Sehr geehrte Frau Dr.
Albrecht,  Sie sind eine anerkannte  und preisgekrönte 
Journalistin. Ihr Beitrag im ZDF-Mittagsmagazin diente jedoch  nicht der
Information, wie es für einen öffentlich-rechtlichen Sender angemessen wäre,
sondern eher der Volksverdummung.
Mit freundlichen Grüßen
Martin Breidert
Vizepräsident der Deutsch-Palästinensischen Gesellschaft e.V.
Vorstandsmitglied im Bündnis zur Beendigung der israelischen Besatzung (www.bib-jetzt.de)
Sprecher im Koordinationsrat Palästina Israel (KoPI)