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Das neue Direktorium – die Aufrüstung Deutschlands?

von GERMAN FOREIGN POLICY, 25. August 2016. Nach dem Treffen des informellen neuen EU-“Direktoriums” Merkel/Hollande/Renzi am Montag setzt Bundeskanzlerin Angela Merkel am heutigen Donnerstag ihre Europa-Rundreise zur Vorbereitung einer Neustrukturierung der EU fort. Äußerer Anlass ist der bevorstehende Austritt Großbritanniens, der Verschiebungen bei den Machtverhältnissen innerhalb des Staatenbundes zur Folge hat. 

Dazu gehört, dass Berlin die bisherigen exklusiven Absprachen mit Frankreich durch ein deutsch-französisch-italienisches Dreier-“Direktorium” zu ersetzen sucht. Zugleich setzt die Kanzlerin mit ihrer aktuellen Reisediplomatie darauf, die zerstrittenen EU-Staaten in Interessengruppen aufzuspalten und diese jeweils getrennt in die Neustrukturierung einzubinden. Diesem Ziel dienen etwa die morgigen Treffen mit den Staaten der Visegrad-Gruppe und anschließend mit den EU-Mitgliedstaaten aus Nordeuropa. Die strukturellen Umbrüche werden von Berlin mit einer weiteren Verschärfung bei der äußeren Militarisierung und der inneren Repression verbunden. Vorbild der Aufrüstung, die neben dem Militär auch die Geheimdienste betrifft, sind die USA.
Die neue Nummer drei
Mit dem Dreiergipfel zu Beginn ihrer Europa-Rundreise am Montag ist es der deutschen Kanzlerin gelungen, ein informelles neues Direktorium in der EU zu etablieren. Es knüpft an die ehemaligen deutsch-französischen Zusammenkünfte an, die zur Amtszeit von Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy regelmäßig abgehalten wurden (“Merkozy”), um eine Einigung zum Vorgehen gegen die Eurokrise zu erzielen. Berlin setzte sich regelmäßig mit seinen Austeritätsdiktaten durch. Dass die damaligen Zweier- jetzt durch Dreiergipfel ersetzt werden, kommt einer Abwertung Frankreichs gleich. Paris hat in letzter Zeit, durch die deutschen Exportoffensiven ökonomisch geschwächt und durch die Austeritätsdiktate auch innenpolitisch in wachsende Schwierigkeiten geraten, tatsächlich politisch an Einfluss verloren. Zugleich hat der bevorstehende Austritt Großbritanniens aus der EU den Weg frei gemacht für die Einbindung Italiens als neue Nummer drei.
“Gleiche Regeln für alle”
Anlass für die Einbindung Italiens in das neue “Direktorium” sind heftige Unmutsäußerungen von Ministerpräsident Matteo Renzi Ende vergangenen Jahres gewesen. Renzi hatte damals zum einen gegen deutsche Willkür in der EU protestiert. So hatte er auf die deutsche Unterstützung für die Pipeline “Nord Stream” bei gleichzeitiger Verhinderung der Pipeline “South Stream” hingewiesen. Nord Stream leitet Erdgas aus Russland schon jetzt direkt nach Deutschland; der Erweiterung der Röhre um zwei neue Stränge legt Berlin keinerlei Hindernisse in den Weg.[1] Hingegen hat die EU den Bau von South Stream – einer Röhre, die Erdgas letztlich auch nach Italien transportiert hätte – durch Auflagen, die auf Nord Stream so nicht angewandt wurden, verhindert.[2] Renzi protestierte Ende 2015: “Entweder gelten die Regeln für alle, oder sie gelten für niemanden”. Zudem wandte er sich gegen eine ähnliche Ungleichbehandlung bei Erlaubnissen für staatliche Bankenbeihilfen: “Wir müssen offen sein: Europa muss 28 Ländern nützen, nicht nur einem.”[3] Zum anderen rebellierte der italienische Ministerpräsident auch klar gegen die Berliner Austeritätsdiktate. Mit Blick auf das miserable Wahlergebnis des spanischen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy am 20. Dezember 2015 konstatierte er, alle, die als “treue Verbündete” die “Politik der Härte ohne Wachstum” umgesetzt hätten, hätten inzwischen “ihre Jobs verloren”: “Das geschah in Athen, das geschah in Lissabon”, stellte Renzi fest. Eine Wende müsse her.
“Werte und Kultur”
Renzis Einbindung in die Dreiergipfel des neuen EU-Direktoriums, deren erster bereits am 27. Juni, nur wenige Tage nach dem britischen Austrittsreferendum, stattgefunden hat, hat seine scharfe Kritik an den Berliner Austeritätsdiktaten zumindest vorläufig zum Schweigen gebracht. Am Montag verlegte der italienische Ministerpräsident sich vor allem auf pathetische Worthülsen: Es gehe darum, “neu zu starten mit dem Europa der Werte und der Kultur. Die Aufgabe Europas ist es, diese Welt besser zu machen”.[4] Gleichzeitig teilte Renzis Europa-Staatsminister Sandro Gozi zu den deutschen Austeritätsdiktaten mit, sein Land bitte “nicht um Ausnahmen, sondern respektiert die bestehenden Haushaltsregelungen”; Italien werde die Vorschriften einhalten und seine Schulden reduzieren. Von einer echten Wende weg von der deutsch inspirierten Kürzungspolitik war keine Rede mehr. Die von italienischen Regierungsmitgliedern angedeutete Option, sich künftig mit der französischen Regierung zu verbünden, um der Bundesregierung auf den Dreiergipfeln Zugeständnisse in puncto Austerität abzutrotzen, steht auf wackligen Füßen: Bei den Dreiergipfeln handelt es sich lediglich um ein informelles Direktorium, das Berlin, wenn es nicht im deutschen Sinne funktioniert, jederzeit wieder stilllegen kann.
Das Land in der Mitte
Mit Blick auf die bevorstehenden Umbrüche in der EU hat Bundeskanzlerin Angela Merkel am gestrigen Mittwoch ihre Europa-Rundreise fortgesetzt und ist in der estnischen Hauptstadt Riga eingetroffen. Damit beginnt der Versuch, die zur Zeit stark auseinanderstrebenden EU-Staaten in kleine Interessengruppen zu spalten und sie jeweils getrennt in die Planungen einzubinden. Am heutigen Donnerstag reist Merkel dazu nach Tschechien, um am morgigen Freitag nach Polen weiterzufliegen, wo sie nicht nur mit der polnischen Ministerpräsidentin, sondern auch mit ihren Amtskollegen aus den übrigen Staaten der Visegrad-Gruppe [5] zusammenkommt. Anschließend findet am Freitagabend auf Schloss Meseberg bei Berlin ein Arbeitsessen der Kanzlerin mit ihren Amtskollegen aus Nordeuropa (Schweden, Finnland, Dänemark, Niederlande) statt, bevor Merkel am Samstag die Regierungschefs der vier EU-Staaten entlang der “Balkanroute” empfängt (Kroatien, Slowenien, Österreich, Bulgarien). In Vorbereitung auf den informellen EU-Gipfel am 16. September wird die deutsche Kanzlerin dann mit 15 der künftig insgesamt 27 Regierungschefs in der EU verhandelt haben. In den gegenwärtigen Umbrüchen, erklärt ein Regierungssprecher dazu, “haben wir als Deutsche, als ein wichtiges Land in der Mitte Europas mit erheblicher politischer und wirtschaftlicher Macht eine Verantwortung. Die nimmt die Bundeskanzlerin wahr.”[6]
Aufrüstung nach außen und innen
Dabei steht neben einer Neustrukturierung der inneren Machtverhältnisse in der EU offenkundig auch eine erhebliche außenpolitische Zuspitzung bevor. Man müsse “mehr für unsere innere und äußere Sicherheit tun”, kündigte Merkel am Montag anlässlich des deutsch-französisch-italienischen Direktoriumstreffens an, das hoch symbolträchtig auf einem Hubschrauberträger im Mittelmeer abgehalten wurde. Es gehe es nicht nur um die Verstärkung der Flüchtlingsabwehr, erklärte Merkel: Auch “die Kooperation im Bereich der Verteidigung” müsse “ausgebaut werden”; des weiteren solle der Austausch der Geheimdienste innerhalb der EU “intensiviert werden”.[7] Berlin schreitet bei der Aufrüstung von Militär und Geheimdiensten energisch voran: Neben der Aufstockung des Bundeswehrhaushalts, der sich laut Ankündigung der Kanzlerin dem Niveau des US-Militärhaushalts “annähern” soll (german-foreign-policy.com berichtete [8]), hat Berlin begonnen, den Etat des Bundesnachrichtendienstes (BND) deutlich zu erhöhen. Lag er 2014 noch bei rund 560 Millionen Euro, so ist er im laufenden Jahr bereits auf 724 Millionen Euro gestiegen. Seit geraumer Zeit wird immer wieder die NSA als Vorbild für den BND genannt.[9] Im Kontext mit der gestern von der Bundesregierung verabschiedeten “Konzeption Zivile Sicherheit” wird zudem über die Wiedereinführung der Wehrpflicht diskutiert [10]: Ein großer Krieg, bei dem die EU-Staaten nicht mehr mit hochspezialisierten Truppen auf fernen Kontinenten operieren, sondern an ihren eigenen Außengrenzen aufmarschieren, wird nicht mehr ausgeschlossen. Aufrüstung nach außen und innen erstrebt die Kanzlerin nun auch für die gesamte EU.