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Unverantwortliche Angstmacherei mit «Terror»

Der in Deutschland geborene deutsch-iranische 18-jährige Amokläufer© cc

Urs P. Gasche / 23. Jul 2016 – Der Amokläufer brachte es zu vielen Schlagzeilen «TERROR IN MÜNCHEN». Der Isis und die rechtsnationalen Parteien freuen sich.

Ein «TERRORANSCHLAG» bringt höhere Einschaltquoten und Zeitungsverkäufe als ein «Amokläufer». Den verantwortlichen Redaktoren scheint egal zu sein, dass ihre LeserInnen und ZuschauerInnen «Terror» mit dem Isis, mit Ausländern und mit der Immigration in Verbindung bringen. Auf jeden Fall flösst ein «Terrorist mit möglichen Verbindungen zum Isis» bedeutend mehr Angst ein als die Tat eines «Amokläufers». Entsprechend gerne und vorschnell berichteten Medien auch, dass der Isis die «Verantwortung» für den «Terrorakt» in München übernommen habe. Der Isis kann sich freuen.
Angst vor Terrorismus hilft aktuell Donald Trump. Der schwer angeschlagene französischen Präsident Hollande glaubt vom ausgerufenen «Krieg gegen den Terror» ebenfalls zu profitieren.
Deutsches Handelsblatt vom 23.7.2016
Den Münchner Amoklauf bezeichnet Hollande beharrlich als «Terrorakt». Den grössten Nutzen allerdings werden in Frankreich Marine Le Pens Rechtsnationale daraus ziehen.
Die unbedarften, aber quotenbringenden Schlagzeilen dienen in den meisten Ländern Westeuropas der extremen Rechten. Je stärker die verbreitete Angst, je grösser die gefühlte Unsicherheit, je intensiver das Gefühl, dass die heute Regierenden den Terror nicht in den Griff bekommen, desto grösser das Echo auf Rufe nach der starken Partei, dem starken Mann oder der starken Frau. Desto bereitwilliger akzeptiert eine Bevölkerung den Ausnahmezustand, die totale Überwachung und eine polizeiliche und militärische Aufrüstung.
AZ-Medien vom 23.7.2016
Der ausgerufene «Krieg gegen den Terror», die geschürte Angst vor jederzeit möglichen Terroranschlägen in Westeuropa, organisiert von internationalen Terrororganisationen bzw. vom Isis, verleiten zu irrationalen, von Emotionen geschürten Reaktionen. Die Lage wird ausgenützt von der Rüstungsindustrie, der Überwachungslobby und den Abschottungspredigern.
Minimes Risiko – mit Tod durch Blitzschlag zu vergleichen
Das tatsächliche Risiko, in Paris, Nizza, München oder in der US-Stadt Orlando Opfer eines Terroranschlags oder eines Amokläufers zu werden, ist äusserst gering. Tim Harford, britischer Ökonom und Kolumnist der «Financial Times» hat die Wahrscheinlichkeiten, während eines Jahres ums Leben zu kommen, für die USA wie folgt ermittelt:
  • 1:9’000 durch Verkehrsunfall;
  • 1: 20’000 durch Mord oder Totschlag;
  • 1: 10’000’000 durch einen terroristischen Anschlag.
Die Gefahr, wegen eines Terroranschlags ums Leben zu kommen, sei in den USA undauch in Europa vergleichbar mit dem Risiko, durch einen Blitz getroffen zu werden.
Terrorangriffe und -attentate können kein westliches Land aus den Angeln heben. Das Ziel der Terroristen besteht darin, eine irrationale Angst zu verbreiten und zu irrationalen Reaktionen zu verleiten. Das scheint ihnen zu gelingen. Sogar jeder kleinere und grössere Amokläufer bringt es zu Sondersendungen und aufgeblasenen Terror-Schlagzeilen.
«Der grösste Teil der Opfer waren bisher friedliebende Muslime»
Gabor Steingart, Journalist und Geschäftsführer des deutschen «Handelsblatt» erinnerte an den grösseren Zusammenhang: «Für das feindliche Klima zwischen den Kulturkreisen trägt der Westen eine Mitschuld.» Von den 1,3 Millionen Menschenleben, die das Kriegsgeschehen von Afghanistan bis Syrien mittlerweile gekostet habe, bringe es allein der unter falschen Prämissen und damit völkerrechtswidrig geführte Irak-Feldzug auf 800’000 Tote, konstatiert Steingart. «Die Mehrzahl der Opfer waren friedliebende Muslime, keine Terroristen…
…Der Automatismus von Härte und Gnadenlosigkeit, das vorsätzliche Nicht-Verstehen des anderen, die feurigen Reden an das jeweils heimische Publikum, die schnell in Marsch gesetzten Bombergeschwader haben uns…dahin gebracht, wo wir heute stehen».
So beende man den Terror nicht, sondern fache ihn weiter an. So schaffe man keinen Frieden, so züchte man vielmehr Selbstmordattentäter.
Anstatt auf «Kampf oder Kapitulation» zu setzen, müsse man künftig «Ordnung, Respekt und Moderation» fördern: «Es gibt Alternativen zur militärischen Eskalation».
Steingart steht mit dieser Mahnung unter den führenden Köpfen der deutschen Leitmedien allein.
Die Ursachen angehen
Es gilt, die Ursachen des Terrorismus zu bekämpfen. Siehe
«Wir sind der Gegner» von Jakob Augstein in Spiegel-online
«Sind wir dem Terror ausgeliefert» von Erich Gysling
«Der Tod in Paris und unsere Schuld» von Heiner Flassbeck
«Zorn über den gleichgültigen Westen», Tages-Anzeiger vom 17.11.2015