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Sind Schlepper bequeme Sündenböcke?

Quelle: trend.at

Fakten statt Mythen N°39 / 6. Juli 2016 von der Schweizer Flüchtlingshilfe.
von Robin Stünzi, Doktorand am Zentrum für Migrationsrecht an der Universität Neuenburg (übersetzt aus dem Französischen)
In einer Zeit, in welcher die europäische Migrationspolitik durch eine tiefgreifende
Uneinigkeit geprägt ist, scheint der Kampf gegen das Schlepperwesen einer der wenigen
Bereiche zu sein, in dem sich ein Konsens herausbildet. In der Politik und den Medien
herrscht ein Diskurs, welcher eine restriktive Migrationspolitik als Mittel präsentiert, um
Geflüchtete vor den als kriminell beschriebenen Schleppern zu «schützen», welche sie des
Geldes wegen in den Tod führen. Obschon diese Darstellung nicht jeglichem Realitätsbezug
entbehrt, gilt es, diese Sichtweise zu hinterfragen, denn die Vereinfachung dahinter und
deren politische Instrumentalisierung verhindert es, ein Verständnis für die Funktionsweise
der Schleppertätigkeit zu entwickeln. Dies erlaubt den Staaten, für die tragischen Ereignisse
keine Verantwortung übernehmen zu müssen, von welchen Schutzsuchende allzu oft
betroffen sind.

Um die bestehenden Mechanismen zu verstehen, muss man als erstes zwei Begriffe
unterscheiden, die oft und manchmal gar absichtlich verwechselt werden. Die Tätigkeiten
der Schlepper sind im Zusatzprotokoll der Vereinten Nationen als «Schleusung von
Migranten» (engl. «smuggling») definiert. Dies bedeutet, dass jemand den unerlaubten
Transport oder die unerlaubte Einreise einer Person in einen Staat erleichtert, mit dem Ziel,
sich einen finanziellen oder sonstigen materiellen Vorteil zu verschaffen. Dieser Begriff
muss von demjenigen des Menschenhandels (engl. «trafficking») unterschieden werden,
der die Ausbeutung beschreibt (namentlich durch Erpressung oder Versklavung). Obschon
in der Forschung immer öfter festgestellt wird, dass immer mehr Schlepper auf
Menschenhandelspraktiken zurückgreifen, bedingt das eine nicht notwendigerweise das
andere.

Während in der öffentlichen Diskussion oft die Verbindungen zwischen Schleppern und
organisiertem Verbrechen hervorgehoben wird, sind die wissenschaftlichen Ergebnisse
dazu differenzierter. Das Schlepperwesen wird von einem ziemlich losen Netz von kleinen,
dezentralen Gruppen dominiert, die von der Korruption lokaler Behörden an verschiedene n,
strategisch wichtigen Orten auf derselben Migrationsroute profitieren. Vereinfacht
ausgedrückt kann man in der Regel zwischen vier verschiedenen Arten von Akteuren
unterscheiden, deren Profile, Motive und Handlungsspielräume stark variieren. Die
Koordinatoren tragen die Gesamtverantwortung für die Aktivitäten, indem sie ihre
Verbindungen in die Herkunfts-, Transit- und Ankunftsstaaten nutzen. Eine Hierarchiestufe
darunter stehen die Akteure, welche Migranten anwerben, die auf der Suche nach einem
Schlepper sind, bis die erforderliche Anzahl vorhanden ist, um einen Lastwagen oder ein
Boot auszulasten. Der operative Teil der Tätigkeit wird normalerweise von ortsansässigen
Transporteuren und Führern übernommen, die auf relativ kurzen Strecken tätig sind.
Teilweise betreiben diese Transporteure zugleich die herkömmlichen Transportunternehmen
(Bus, Taxi, etc.). Schliesslich können verschiedene weitere Akteure punktuell an dieser
«Industrie» beteiligt sein, indem sie z.B. Unterkünfte, Fahrzeuge, Boote, falsche Dokumente 
oder Nahrungsmittel zur Verfügung stellen oder Grundstücke vermieten, von wo die Schiffe
ablegen können.

Angesichts dieser vielschichtigen Realität stehen die einem starken Sicherheitsfokus
verpflichteten Akteure im Kampf gegen das Schlepperwesen zwei Problemen gegenüber:
Zum einen verstärken sie oft die Verletzlichkeit der Migrierenden, da die Schlepper
aufgrund der entstehenden Hindernisse die Preise erhöhen und gefährlichere Routen und
Transportmittel nutzen. Zum anderen verfehlen sie oft ihr Ziel, da sie nicht bei den
Ursachen des Phänomens ansetzen. Tatsächlich besteht ein struktureller Zusammenhang
zwischen der Politik der Migrationsverhinderung und den Schlepperaktivitäten. Dies hat sich
in jedem historischen und geographischen Kontext bestätigt, in welchem Grenzen dazu
genutzt wurden, die Bewegungsfreiheit von Menschen einzuschränken, die – aus
unterschiedlichen Gründen – migrieren mussten.