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„Krieg gegen den Terror“ – die USA auf unendlichen Irrwegen

Von Jakob Reimann, JusticeNow!, 26. Mai 2016.

US-Präsident Obama feiert die jüngste Exekution des Taliban-Führers Mansour als „wichtigen Meilenstein“. Sein Nachfolger verspricht jedoch, um Längen brutaler zu werden. Die Exekution von Terrorführern – genau wie der „Krieg gegen den Terror“ insgesamt – ist ein unendlicher Irrweg und schafft statt Frieden nur neuen Terror.

„Die Terroristen bekämpfen die Freiheit mit List und Grausamkeit,
denn die Freiheit ist ihre größte Angst. Und sie sollten Angst haben,
denn die Freiheit befindet sich im Anmarsch.“
Unendlich viele Hoffnungen lagen auf Barack Obama, als er 2009 ins Oval Office einzog. Kaum jemand hätte es damals ernsthaft für möglich gehalten, dass er den Kriegshunger des weltweit so sehr verhassten George Bush (von dem das Eingangszitat stammt) noch übertrumpfen und doppelt so viele muslimische Länder wie sein unsäglicher Vorgänger bombardieren würde.

Töten für Frieden und Wohlstand

Am Montag gab Präsident Obama die Tötung des Taliban-Führers Akhtar Mansour durch einen von ihm autorisierten Drohnenschlag im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet bekannt. „Der heutige Tag markiert einen wichtigen Meilenstein in unseren langjährigen Bemühungen, Frieden und Wohlstand nach Afghanistan zu bringen“, pries Obama in bizarrer Weise die außergerichtliche Hinrichtung Mansours.

Das Grinsen, in das die Welt 2009 so viele Hoffnungen gesteckt hatte. Sie wurde bitter enttäuscht. Published under public domain.
„Dies ist eine Verletzung der pakistanischen Souveränität“, verurteilte hingegen Pakistans Premierminister Nawaz Sharif Obamas „wichtigen Meilenstein“ aufs Schärfste. Der Angriff fand auf pakistanischem Boden statt, Islamabad wurde weder in dessen Planung einbezogen, noch im Vorfeld darüber informiert – weshalb der Angriff der USA in der Tat als illegal eingestuft werden muss.
Getreu Orwellscher Sprachpervertierung verhöhnt Obama die afghanische Bevölkerung mit den Worten: „Der heutige Tag gibt den Menschen in Afghanistan und der Region die Chance auf eine andere, bessere Zukunft.“ – als würden die Taliban nun urplötzlich ihre Waffen niederlegen.
Obama tragikomisch weiter: er hoffe, dass die Taliban nach dem Mord an ihrem Anführer nun in einen „Aussöhnungsprozess eintreten werden, der zu langfristigem Frieden und Stabilität“ führen werde. Die dieser Hoffnung zugrundeliegende Logik liegt wohl gut versteckt in den Abgründen des Obamaschen  Universums.

„Schnallt euch an, wir werden Rache üben!“

Wie zu erwarten war, ist dann auch das genaue Gegenteil eingetreten.
Ganze zwei Tage nach Obamas „Meilenstein“-Statement, verkünden die Taliban mit dem Geistlichen Haibatullah Akhundzada ihren neuen Führer, der mit 20 Jahren Dienstalter zur alten Taliban-Garde gehört und den äußersten extremistischen Flügel der Taliban repräsentiert (auch wenn solch eine Unterscheidung in westlichen Ohren grotesk klingen mag).
Während sein ermordeter Vorgänger Mansour als „zurückgezogen“, „entspannt“, „hochintelligent“, „Mann der leisen Worte“ und „starker Befürworter von Friedensgesprächen“ charakterisiert wurde, gilt der eher unbekannte Akhundzada als „extremer Hardliner“, wie ein ehemaliger Taliban-Offizieller berichtet – „sogar nach Taliban-Standards“.
Akhundzada ist ein Vertreter der radikal-puristischen Islamlehre des Wahhabismus, der auch der Islamische Staat und das saudische Königshaus anhängen. „Genau hierin liegt die Gefahr“, bewertet der ehemalige Taliban-Offizielle, „[Akhundzada] kann die Bewegung weiter an die Ideologie des Islamischen Staats annähern.“
In der riesigen Lücke in der Felswand stand eine der 1.500 Jahre alten Buddha-Statuen, die unter Aufsicht des heutigen Taliban-Führers Akhundaza 2001 gesprengt wurden. By Afghanistan Matters licensed under CC BY 2.0.

In der riesigen Lücke in der Felswand stand eine der 1.500 Jahre alten Buddha-Statuen, die unter Aufsicht des heutigen Taliban-Führers Akhundzada 2001 gesprengt wurden. By Afghanistan Matters licensed under CC BY 2.0.
Akhundaza war der Oberste Richter während der Taliban-Herrschaft und hat mit der Aussprechung unzähliger Fatwas fast ebenso viele Gräueltaten klerikal abgesegnet. So gilt er insgeheim auch als Drahtzieher der Sprengung der 1.500 Jahre alten Buddha-Statuen durch die Taliban 2001, die er als Götzen verurteilte. Gewiss ein extremer Radikaler also, der seinen Vorgänger wohl weit in den Schatten stellen wird.
Zur Machtdemonstration und eigenen Profilierung erwarten Analysten eine massive Welle der Gewalt in Akhundzadas  Anfangszeit. Auch eine anonyme Taliban-Quelle berichtet Al-Jazeera, dass die Taliban unter dem neuen Anführer blutige Rache für die Ermordung Mansours geschworen haben. Die ausländischen Mächte und die afghanische Regierung sollten sich „fest anschnallen […] wir werden Rache üben und stärker sein als je zuvor.“
Mit der Ernennung ihres neuen Chefs ging in der Tat sofort ein Anschlag in Kabul einher, zu dem sich die Taliban umgehend bekannten. Ein Selbstmordattentäter sprengte einen Bus mit Gerichtsangestellten in die Luft und riss zehn Menschen mit sich in den Tod.
Ohne den sinnlosen und vor allem illegalen Drohnenmord an Mansour wäre heute noch ein halbwegs Gemäßigter und kein ultraradikaler „Steinzeit-Mullah“ an der Taliban-Spitze, und zehn Gerichtsangestellte und zufällig anwesende Zivilisten in Kabul wären noch am Leben.
Angesichts der skizzierten Entwicklungen nur der letzten drei Tage ist Obamas Gerede vom historischen Meilenstein nichts als blanker Hohn und ein Springerstiefeltritt ins Gesicht der afghanischen Bevölkerung, der er wenige Tage zuvor noch „eine andere, bessere Zukunft“ inklusive eines „langfristigen Friedens und Stabilität“ versprochen hat.

Ein toter Führer an der Spitze

Der ursprüngliche Taliban-Führer – und enger Verbündeter des jüngst getöteten Mansour – Mullah Mohammed Omar stand 15 lange Jahre auf der US-amerikanischen most wanted list. 2013 ist er dann schließlich gestorben – ob wegen eines US-Drohnenschlags oder doch an Tuberkulose ist bis heute nicht zweifelsfrei geklärt.
Präsident Reagan trifft sich 1983 mit einer Delegation afghanischer Mudschaheddin im Oval Office. Im Zuge der Operation Cyclone wurde die Gruppe um Osama bin Laden finanziell, logistisch und vor allem mit Waffenlieferung durch die USA im Kampf gegen die Sowjetunion stark gemacht. Published under public domain.

Präsident Reagan trifft sich 1983 mit einer Delegation afghanischer Mudschaheddin im Oval Office. Im Zuge der Operation Cyclone wurde die Gruppe um Osama bin Laden finanziell, logistisch und vor allem mit Waffenlieferung durch die USA im Kampf gegen die Sowjetunion stark gemacht. Published under public domain.
Das Bemerkenswerte am Fall Mullah Omar ist jedoch, dass es ganze zwei Jahre dauerte, bis sein Tod bekannt wurde. Lebten nicht nur die US-Geheimdienste und die gesamte Weltöffentlichkeit bis 2015 in Unkenntnis, so hatte bis auf einige wenige Individuen in der Führungsriege der Organisation auch kein einziger Kämpfer vom Taliban-Fußvolk einen Schimmer vom Ableben ihres langjährigen Oberhaupts.
Trotz eines toten Führers an ihrer Spitze machten die Taliban-Dschihadisten das Jahr 2015 zum „blutigsten seit Beginn der Aufzeichnungen 2001“, wie die renommierte Brookings Institution ineinem Bericht festhielt.
Die einzige echte Konsequenz seines Todes ist scheinbar, dass die US-Regierung Mullah Omar nun von ihrer most wanted list streichen und sie die zehn Millionen Dollar Kopfgeld für Hinweise zu seiner Ergreifung einsparen konnte.
Wenn mit Mullah Omar der Gründer der Taliban, Oberhaupt des Islamischen Emirats Afghanistan und der „Führer der Gläubigen“ für geschlagene zwei Jahre von der Weltgemeinschaft und sogar seiner Anhängerschaft unbemerkt tot sein kann, ist dies der stärkste Beweis für das zweite mögliche Szenario für die Auswirkungen der Liquidierung eines Terrorführers: es macht schlicht und ergreifend keinen praktischen Unterschied, ob ein Terrorführer tot ist oder lebendig.

Eine naive Wunschvorstellung

Ähnliches gilt auch für den Staatsfeind #1 schlechthin. Unendliche Mythen ranken sich um den vermeintlichen Tod Osama bin Ladens im Jahre 2011 (der nebenbei bemerkt von der US-Regierung wegen nicht vorhandener Beweise nie offiziell der Anschläge vom 11. September bezichtigt wurde). Manche sagen, er sei bereits Jahre vorher einer Krankheit erlegen, andere behaupten gar, er sei noch immer am Leben.
Obwohl wir eigentlich nur sehen, wie eine Gruppe Menschen entsetzt in die Ecke eines Raumes starrt, wurde dieses Foto weltweit als der ultimative Beweis für die Exekution bin Ladens angesehen. Published under public domain.

Obwohl wir eigentlich nur sehen, wie eine Gruppe Menschen entsetzt in die Ecke eines Raumes starrt, wurde dieses Foto weltweit als der ultimative Beweis für die Exekution bin Ladens angesehen. Published under public domain.
Bereits wenige Stunden nach der nicht weniger mythenumrankten Ermordung bin Ladens durch Navy SEALs Special Forces im nordpakistanischen Abbottabad begann in der Wissenschaft die Diskussion über die Frage, ob denn der offizielle Tod des Terrorpaten bin Laden überhaupt irgendwelche merklichen Auswirkungen auf das al-Qaida-Netzwerk haben würde. Massive Zweifel am von der US-Regierung quasi-religiös vorgegebenen Dogma ‘Der Tod des Kopfes schwächt die ganze Gruppe‘ dominierten von Anfang an die Debatte.
Die so sehr erhoffte Schwächung des globalen Terrorismus durch bin Ladens Tod blieb dann auch kaum mehr als einenaive Wunschvorstellung. Durch die massive Stärkung regionaler Ableger – Al-Nusrah in Syrien, Al-Shabaab in Somalia und vor allem AQAP im Jemen – dezentralisierte und verringerte sich zwar die Macht der Al-Qaida-Zentrale im Kerngebiet Afghanistan-Pakistan, stellte dies jedoch keineswegs eine Schwächung des Netzwerks dar, sondern war vielmehr ein Terrorexport in den gesamten Nahen Osten zu verzeichnen.

Die Exekution von Terrorführern: „höchst kontraproduktiv“

Es bleibt die Frage, ob es sich bei der hier an drei Fällen exemplarisch skizzierten Widersinnigkeit und Kontraproduktivität der Exekution von Terrorführern lediglich um eine Häufung von Einzelbeispielen handelt oder ob sie womöglich doch einem allgemeinen Muster folgen?
Die endlos lange Liste der getöteten Führer von Al-Qaida, Taliban & Co. – deren Exekution gewiss jedes Mal ein „Meilenstein“ war – sollte zumindest vermuten lassen, dass die Strategie der US-Regierung aufgeht und der globale Terrorismus in deren Folge zurückgeht.

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