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Großbritannien wird nicht so bald die EU verlassen


Gilad Atzmon, 30.06.2016


Übersetzt von 
Milena Rampoldi

Herausgegeben von 
Fausto Giudice


Trotz
des Brexitreferendums wird Großbritannien die EU auf voraussehbare Zeit
nicht verlassen. Keiner in Großbritannien hat bisher den Wunsch
geäußert, den Artikel 50 zu erlassen und den offiziellen EU-Austritt
einzuleiten.


Zusätzlich zu den komplexen Fragen rund um die gesetzlichen
Auswirkungen der Volksbefragung und den dazu kommenden Komplikationen
infolge einer möglichen schottischen Sezession, ist nun klar geworden,
dass die Befürworter der Austrittskampagne über ihren Sieg überrascht
waren. Sie wissen offensichtlich nicht, wie sie sich der Beute ihres
Erfolgs entledigen sollen. In der Tat sind viele Befürworter des Brexit
und auch jeder andere in Großbritannien erleichtert über Camerons
Entschluss, Großbritannien noch drei Monate Ruhe zu gönnen. Man geht
davon aus, dass diese Zeit der gesamten Nation ausreichen wird, um den Begriff EU mal zu googeln, um zu verstehen, wofür er überhaupt steht.


Boris Johnson plädiert in der West Drayton- Moschee in London für den EU-Austritt
Es ist
offensichtlich, dass die führenden konservativen Austrittsbefürworter
Michael Gove, Liam Fox und Boris Johnson alle den Ehrgeiz haben, der
nächste britische Premierminister zu werden. Aber wenn Sie von Gove oder
Fox erwarten, eine kohärente EU-Austrittsstrategie auszuarbeiten, sind
Sie entweder optimistisch oder naiv. Diese korrupten Politiker, die auch
zu den hingebungsvollsten Dienern der ausländischen Lobby der CFI
(Conservative Friends Of Israel) gelten, schweigen ganz sonderbar über
den Brexit. Sie tun so, als hätte es ihn nie gegeben. Und sie schweigen
mit Sicherheit nicht aus Bescheidenheit.
Im Unterschied zu Gove und Fox scheint der konservative Politiker Boris
Johnson, der die EU-Austrittskampagne anführte, die Seiten gewechselt zu
haben. Der Mann ist absolut ratlos über seinen ungewollten Sieg. „Das
Ergebnis 52 gegen 48 war nicht gerade umwerfend“, meinte er gegenüber der BBC.


2014 mit den Cheeky Girls
In einem Artikel nach der Volksbefragung, der auf The Telegraph erschien,
schrieb Johnson: „Ich kann nicht ausreichend betonen, dass
Großbritannien ein Teil Europas ist und auch immer sein wird. Es wird
eine intensive und verstärke Kooperation und Partnerschaft mit Europa in
unzähligen Bereichen geben: im künstlerischen und wissenschaftlichen
Bereich, an den Universitäten und im Umweltschutz. Die Rechte der
EU-Bürger, die in diesem Land leben, werden umfassend geschützt, und
dasselbe gilt auch für die britischen Bürger, die in der EU leben.“ Ich
erinnere mich nicht, je Corbyn oder den Premierminister Cameron gehört
zu haben, die Beziehung Großbritanniens zu Europa mit solchen
begeisterten Begriffen zu beschreiben.
Falls sich jemand Sorgen um jegliche wesentliche Auswirkung macht, dann
beruhigt ihn Johnson vollkommen. „Die Briten werden weiterhin in die EU
reisen und auch dort arbeiten können; sie dürfen dort leben, dorthin
reisen, dort studieren, Eigentum erwerben und sich auch dort
niederlassen… es wird weiterhin einen freien Handel geben und so auch
den Zugang zum nationalen Markt. Großbritannien ist und wird auch immer
eine Großmacht in Europa bleiben. Es wird weiterhin Top-Table-Meinungen
anbieten und ausschlaggebenden Einfluss in der Außenpolitik,
Verteidigung, Terrorbekämpfung und im Austausch nachrichtendienstlicher
Informationen ausüben – all dies müssen wir gemeinsam leisten, um unsere
Welt sicherer zu gestalten.“


Lancierung von Boris Bikes, gesponsert von Barclay’s Bank, in Fulham und Wandsworth, im Südwesten von London
Wo bleibt denn
dann die Änderung oder was bleibt von der Austrittsaufforderung übrig?“
Die einzig Änderung – und diese wird nicht so schnell kommen – besteht
darin, dass sich das Vereinigte Königreich vom komplexen und trockenen
Rechtssystem der EU befreit.“
Johnson sagt uns praktisch, dass die einzige Auswirkung des Brexit darin
bestehen wird, einige kleinere Streitfragen mit Brüssel über die
Einwanderung zu klären. „Die Regierung wird in der Lage sein, die
demokratische Kontrolle über die Einwanderungspolitik erneut zu
erlangen. Diese wird auf der Grundlage eines balancierten und auf
menschlichen Punktezahlen basierten Systems, das den Anforderungen von
Handel und Industrie gerecht wird, erfolgen.“ Wie es aussieht, brauchte
Boris Johnson nur einen Tag und Camerons Rücktritt, um sich in einen
„Bleib-Enthusiasten“ zu verwandeln.
Und das ist gar nicht so überraschend. Denn die Brexit-Volksbefragung
war ein abscheuliches, opportunistisches politisches Spiel. Die
Brexitbefürworter der Torys gehören zu den abscheulichsten
Neokonservativen des politischen Theaters in Europa. Die Ergebnisse der
Volksbefragung sind aussagekräftig. Auch wenn Sie London, Schottland und
Nordirland aus und vor lassen, wird klar, dass der Großteil der Briten
seine Unzufriedenheit zum Ausdruck bringt. Diese Briten sind überdrüssig
von den Politikern, die von Parteipolitik und globalem Bankwesen
kontrolliert werden und möchten eine wahre Zukunftsperspektive sehen.
Die Menschen, die gegen die EU wählten, wählten diesen Typ des globalen
Kapitalismus ab, der die politischen Karrieren von Boris Johnson, Liam
Fox, Michale Gove, David Cameron und auch von Jeremy Corbyn und seiner
heimtückischen Labour-Partei unterstützt.
Großbritannien wird die EU kurzfristig nicht verlassen. Denn kein Akteur
der britischen politischen Arena ist in der Lage, ein solches Manöver
auch umzusetzen. Aber die Briten haben ihren Politikern eine klare
Botschaft übermittelt. Und dieser Zorn wird nicht einfach abklingen.


Boris an einer Seilrutsche am Victoria-Park in Ost-London