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Die Rüstungsoffensive des Westens

 
von German Foreign PolicyGerman Foreign Policy , 14. Juni 2016.

(Eigener Bericht) – Deutschland ist im vergangenen
Jahr drittgrößter Waffenlieferant weltweit gewesen und wird seine
Rüstungsexporte im kommenden Jahr weiter ausbauen. Dies berichtet der
britische Militär-Informationsdienst Jane’s. Demnach beteiligt die
Bundesrepublik sich an einer Rüstungsoffensive der NATO-Staaten, welche
die weltweiten Waffenexporte zu neuen Rekordhöhen treibt. Zwei Drittel
der globalen Ausfuhr von Kriegsgerät wird von nur sieben
NATO-Mitgliedern getätigt und stärkt im weiteren Sinne westliche
Bündnisstrukturen. Schwerpunktregion ist neben dem Nahen und Mittleren
Osten, dem Hauptschauplatz der gegenwärtigen Kriege, vor allem
Südostasien, insbesondere das Gebiet rings um das Südchinesische Meer,
in dem sich heftige Konflikte zwischen China und den westlichen Mächten
abzeichnen. Beide Schwerpunktregionen beliefert die bundesdeutsche
Rüstungsindustrie seit Jahren. Zu ihren Hauptkunden gehört nach wie vor
Saudi-Arabien, obwohl die UNO schwere Vorwürfe gegen die Streitkräfte
des Landes wegen ihrer Kriegführung im Jemen erhebt – und obwohl Jane’s
warnt, die saudischen Waffenkäufe deuteten darauf hin, dass Riad,
Schutzmacht des militanten Jihadismus in den Kriegen der Region vom
Afghanistan der 1980er Jahre bis zu Syrien, sich von den westlichen
Mächten unabhängig will.
Nummer drei weltweit
Deutschland ist im vergangenen Jahr erneut
drittgrößter Waffenexporteur der Welt gewesen. Dies bestätigt der
britische Militär-Informationsdienst Jane’s in seinem neuesten
Rüstungsbericht, der am gestrigen Montag vorgestellt wurde. Demnach
haben deutsche Rüstungskonzerne im Jahr 2015 Kriegsgerät im Wert von
4,78 Milliarden US-Dollar (4,2 Milliarden Euro) ins Ausland verkauft;
Jane’s berechnet dabei den Wert der exportierten Kleinwaffen und der
Munition nicht mit. Mehr Waffenausfuhren tätigten laut Jane’s nur die
Vereinigten Staaten, deren Exporte auf einen Wert von 22,96 Milliarden
US-Dollar stiegen – 2009 hatten sie noch bei 12,9 Milliarden US-Dollar
gelegen -, und Russland, das Rüstungsgüter im Wert von 7,45 Milliarden
US-Dollar ins Ausland lieferte. Für die Zukunft ist mit einem weiteren
Anstieg der deutschen Waffenausfuhren zu rechnen. Dies ergibt sich
daraus, dass die Bundesregierung im vergangenen Jahr Rüstungsexporte in
einer bisherigen Rekordhöhe von 12,8 Milliarden Euro genehmigt hat –
Einzelgenehmigungen im Wert von 7,85 Milliarden Euro sowie
Sammelgenehmigungen im Wert von 4,96 Milliarden Euro.[1]
Rüstungsrekorde
Der von Jane’s präsentierte Rüstungsbericht lässt zum
einen die Treiber der globalen Aufrüstung, die neue Rekordhöhen
erreicht, zum anderen auch die Schwerpunktregionen der Rüstungsverkäufe
deutlich erkennen. Jane’s zufolge sind die weltweiten Rüstungsexporte
von 2014 bis 2015 so stark gestiegen wie nie zuvor – um 6,6 Milliarden
US-Dollar – und beliefen sich auf einen Gesamtwert von 65 Milliarden
US-Dollar. Für das kommende Jahr wird ein weiterer Anstieg auf rund 69
Milliarden US-Dollar erwartet. Sowohl der aktuelle wie der erwartete
künftige Anstieg sind maßgeblich den NATO-Staaten zu verdanken, die
sieben der Top Ten-Rüstungsexporteure weltweit stellen; allein diese
sieben Staaten exportierten Kriegsgerät im Wert von 42,98 Milliarden
US-Dollar, also rund zwei Drittel aller Rüstungsexporte weltweit.[2] Die
Ausfuhren kamen, da Militärgüter aus naheliegenden Gründen nicht an
gegnerische Staaten geliefert werden, der militärischen Stärkung
westlicher Bündnisstrukturen im weiteren Sinne zugute. Hinzugerechnet
werden muss Israel, das Waffen im Wert von 2,11 Milliarden US-Dollar
ausführte. Unter den Top Ten finden sich lediglich zwei nichtwestliche
Staaten: Russland belieferte ihm nahestehende Länder mit Kriegsgerät im
Wert von 7,45 Milliarden US-Dollar, während China Militärgüter im Wert
von 1,74 Milliarden US-Dollar exportierte. Laut Jane’s wird auch der für
2016 erwartete erneute Anstieg der globalen Rüstungsexporte vor allem
auf das Konto der erwähnten NATO-Staaten gehen.[3]
Schwerpunktregion Mittelost
Geographisch lassen sich zwei Schwerpunktregionen der
globalen Aufrüstung ausmachen. Eine ist der Nahe und Mittlere Osten,
Schauplatz diverser Kriege der Gegenwart vom Irak über Syrien bis zum
Jemen. Nah- und mittelöstliche Staaten führten im vergangenen Jahr
Waffen im Wert von 21,6 Milliarden US-Dollar ein – gut ein Drittel der
gesamten Rüstungsimporte weltweit. Saudi-Arabien war mit Käufen in Höhe
von 9,33 Milliarden US-Dollar der mit Abstand größte Waffenkäufer
überhaupt; die angrenzenden Vereinigten Arabischen Emirate landeten mit
Einfuhren von Kriegsgerät im Wert von 2,08 Milliarden US-Dollar auf
Platz sieben aller Rüstungsimporteure. Gemeinsam nahmen die zwei
arabischen Golfdiktaturen, die traditionell eng mit den westlichen
Mächten kooperieren, Kriegsgerät im Wert von 11,41 Milliarden US-Dollar
ab, 17,5 Prozent aller globalen Rüstungsexporte. Jane’s zufolge wird ihr
Anteil im kommenden Jahr weiter steigen und sich bei einem Volumen von
13,15 Milliarden US-Dollar auf 19,5 Prozent belaufen. Hinzu kommen
Ägypten mit Rüstungskäufen im Wert von 2,27 Milliarden US-Dollar (Rang
4) und der Irak mit Einfuhren im Wert von 2,14 Milliarden US-Dollar
(Rang 6).[4]
Schwerpunktregion Südostasien
Zweite Schwerpunktregion der globalen Aufrüstung ist
Ost- und Südostasien. Die Rüstungsexporte in die dortigen Länder stiegen
laut Jane’s von 2009 bis 2016 um 71 Prozent. Südkorea liegt aktuell mit
Waffeneinfuhren im Wert von 2,18 Milliarden US-Dollar auf Rang 5 der
globalen Rangliste und wird im kommenden Jahr mit Einfuhren im Wert von
2,50 Milliarden US-Dollar mutmaßlich auf Rang 4 vorrücken. Taiwan,
dieses Jahr mit Rüstungsimporten in Höhe von 1,51 Milliarden US-Dollar
auf Rang 10, dürfte Jane’s zufolge nächstes Jahr mit Einfuhren im Wert
von 2,01 Milliarden US-Dollar Rang 7 erreichen. Australien, 2015 auf
Rang 3 (2,31 Milliarden US-Dollar), wird 2016 voraussichtlich auf Rang 6
fallen, allerdings immer noch Kriegsgerät im Wert von 2,06 Milliarden
US-Dollar zukaufen. Unter den von Jane’s aufgelisteten Top
Five-Rüstungskäufern des kommenden Jahrzehnts befinden sich neben
Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten auch Indonesien
mit geschätzten Einfuhren von Kriegsgerät im Wert von insgesamt 13
Milliarden US-Dollar und Vietnam mit Waffenimporten im Wert von zehn
Milliarden US-Dollar. Beide sind unmittelbare Anrainer des
Südchinesischen Meers. Die Aufrüstung derjenigen Länder Ost- und
Südostasiens, die als enge Parteigänger des Westens eingestuft werden,
lässt die Vorbereitungen der NATO und der EU für den Machtkampf gegen
China, dessen kriegerische Austragung zumindest manche US-Militärs nicht
ausschließen, klar erkennen (german-foreign-policy.com berichtete [5]).
In allen Konflikten dabei
Dabei beliefert auch die Bundesrepublik beide
Schwerpunktregionen der globalen Aufrüstung – und das bereits seit
Jahren (german-foreign-policy.com berichtete [6]). Zählten
beispielsweise 2014 mit Singapur, Indonesien und dem Sultanat Brunei
drei Anrainer des Südchinesischen Meeres zu den Top Ten auf der
Empfängerrangliste des deutschen Rüstungsexportberichts, so fand sich
dort 2015 mit Südkorea, dem Berlin Waffenlieferungen im Wert von mehr
als einer halben Milliarde Euro genehmigte, ein Anrainer des gleichfalls
von Konflikten durchzogenen Ostchinesischen Meeres auf Platz zwei – ein
weiterer Beleg dafür, dass etwaige bewaffnete Konflikte mit China zu
einem nennenswerten Teil mit deutschen Waffen ausgetragen würden.
Weitere Spitzenplätze auf der deutschen Exportrangliste 2015 halten
Länder des Nahen und Mittleren Ostens. Kuwait (Platz 10) erhält demnach
Waffen im Wert von 125 Millionen Euro; Saudi-Arabien ließ sich Berlin
2015 die Lieferung von Kriegsgerät im Wert von 270 Millionen Euro
genehmigen.
Außer Kontrolle
Vor allem die fortgesetzte Hochrüstung Saudi-Arabiens
besitzt besondere Brisanz. Riad wird seit geraumer Zeit weltweit wegen
seiner überaus brutalen Kriegführung im Jemen kritisiert. Zuletzt kam es
zu einem Eklat, als UN-Generalsekretär Ban Ki-moon den Vorwurf
zurückzog, die von Saudi-Arabien geführte Kriegskoalition habe im Jemen
Dutzende Schulen und Krankenhäuser bombardiert und dabei mindestens 470
Kinder umgebracht.[7] Menschenrechtsorganisationen bestätigen den
Vorwurf. Ban berichtet nun, Riad habe ihm gedroht, die Zahlungen an die
Vereinten Nationen komplett einzustellen, sollte er die saudischen
Streitkräfte wegen des Kriegs im Jemen kritisieren; er habe sich deshalb
gezwungen gesehen, Riads Erpressung nachzugeben, um nicht die
Finanzierung wichtiger UN-Hilfsprojekte aufs Spiel zu setzen.[8] Die
saudischen Streitkräfte nutzten Berichten zufolge für ihre Angriffe auf
den Jemen von Anfang an auch deutsche Waffen.[9] Jane’s berichtet nun
außerdem, dass Riad zur Zeit nicht nur zu einem großen Teil
Offensivwaffen kauft, sondern auch “viel in Späh- und
Überwachungstechnik” investiert, was “auf ein wachsendes Streben nach
Unabhängigkeit” von den USA und den anderen westlichen Mächten hindeuten
könne.[10] Die saudische Monarchie gilt nicht nur als fanatischer Feind
Irans; sie hat sich darüber hinaus in diversen Kriegen vom Afghanistan
der 1980er Jahre bis zum heutigen Syrien-Krieg als maßgebliche
Schutzmacht des militanten Jihadismus hervorgetan.[11] Löst Riad sich –
von den NATO-Staaten exzessiv hochgerüstet – aus der Bindung an den
Westen, dann wäre eine weitere außenpolitische Radikalisierung des
salafistischen Königreichs Saudi-Arabien nicht auszuschließen.
 
[1] Antwort des Bundesministeriums für Wirtschaft und
Energie auf Schriftliche Anfragen des Abgeordneten Jan van Aken (Die
Linke). Deutscher Bundestag, Drucksache 18/7721, 26.02.2016.
[2] Es handelt sich um die Vereinigten Staaten, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Kanada, Italien und Spanien.
[3], [4] Record-breaking $65 Billion Global Defence Trade in 2015 Fueled
by Middle East and Southeast Asia, IHS Jane’s Says.
www.businesswire.com 13.06.2016.
[5] S. dazu Ostasiens Mittelmeer (I) und Ostasiens Mittelmeer (II).
[6] S. dazu Der Zweck der Rüstungsexporte.
[7] UN beugen sich Druck aus Saudi-Arabien. Frankfurter Allgemeine Zeitung 10.06.2016.
[8] Ban wirft Riad Erpressung vor. Frankfurter Allgemeine Zeitung 11.06.2016.
[9] S. dazu In Flammen (II) und In Flammen (III).
[10] Deutschland ist weltweit drittgrößter Waffenexporteur. www.zeit.de 13.06.2016.
[11] S. dazu Der Hauptsponsor des Jihadismus.