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Stefan Frey von Flüchtlingshilfe Schweiz: „Es gibt keine Flüchtlingskrise, sondern eine Flüchtlingsschutzkrise“

von Milena Rampoldi, ProMosaik. Anbei mein Interview mit Stefan Frey von Flüchtlingshilfe Schweiz. Möchte ihm nochmal für seine ehrlichen und klaren Antworten danken. Er sagt uns: Es gibt keine Flüchtlingskrise… sehr wohl aber eine Flüchtlingsschutzkrise. Aus Fremden werden Nachbarn, wenn wir die Menschen aufnehmen, so einfach und so schwierig ist es.
Milena Rampoldi: Welche sind die Hauptziele
von Flüchtlingshilfe Schweiz?
Stefan Frey: Die Schweizerische Flüchtlingshilfe SFH ist der Dachverband
der im Asyl- und Flüchtlingsbereich tätigen Hilfswerke Caritas Schweiz,
Hilfswerk der Evangelischen Kirchen Schweiz HEKS, Schweizerisches
Arbeiterhilfswerk SAH, Verband Schweizerischer Jüdischer Fürsorgen VSJF,
Stiftung Heilsarmee Schweiz sowie der Schweizer Sektion von Amnesty
International. Sie wurde 1936 gegründet und vertritt seither die Interessen von
Asylsuchenden und Flüchtlingen bei den Behörden, in der Politik und der Öffentlichkeit.
Es geht der SFH darum, dass die in der Schweiz Schutz
suchenden Menschen in Menschenwürde aufgenommen werden und in Sicherheit eine
neue Existenz inmitten der hiesigen Gesellschaft aufbauen können.
MR: Welche sind die Mythen, die
es im Bereich der Flüchtlingskrise und somit auch der Flüchtlingshilfe
abzubauen gilt?
SF: Es gibt keine Flüchtlingskrise, weder in der Schweiz noch
im übrigen Europa. Es gibt eine Flüchtlingsschutzkrise, die ihre Ursachen in
einer seit Jahren nachhaltig aufgebauten Desolidarisierung innerhalb der
Gesellschaft und innerhalb der Staatengemeinschaft Europas hat.
Wenn die unbestritten vorhandene politische, soziale und
wirtschaftliche Herausforderung im Zusammenhang mit den Flüchtlingsbewegungen
nicht menschenwürdig und im Sinne einer nachhaltigen Integration aus
politischem Kalkül nicht bewältigt wird, ist das europäische Friedensprojekt
gescheitert.
MR: Aus welchen Hauptländern
stammen die Schweizer Flüchtlinge und mit welchen Hauptproblemen haben sie zu
kämpfen?
SF: Die Haupt-Hekrunftsländer sind derzeit Afghanistan,
Eritrea, Irak und  Syrien. Die Zusammensetzung kann sich innert kurzer
Zeit immer wieder ändern. Das Hauptproblem sind die nach wie vor viel zu langen
Asylverfahren, welche eine schwere hypothek für eine erfolgreiche Integration
darstellen. Sollte die Asylreform, über die am 5. Juni 2016 abgestimmt wird,
angenommen werden, ist eines der wesentlichsten Probleme gelöst. Was es
anschliesend braucht, ist eine kohärente Integrationsstrategie, die aus vielen
guten Einzelprojekten eine landesweit harmonisierte und wirksame Integration
von Flüchtlingen ermöglicht.
Daneben ist der Status des „vorläufig Aufgenommen“ (F) für
rund die Hälfte aller Menschen, die in der Schweiz Schutz erhalten höchst
problematisch.
MR: Worum geht es am 05. Juni
2016 in der Abstimmung über die Asylgesetzrevision?
SF: Es geht um schnellere und faire Verfahren, die sozusagen
ab Ankunft der Schutz suchenden Person einen Rechtsschutz gewähreistet. Die
Verfahren werden an einem einzigen Ort, wo alle Akteure untergebracht sind,
durchgeführt. Im übrigen verweise ich Sie an die Website www.asylgesetzrevision.ch, wo sie
die wesentlichsten Punkte zusammengefasst finden. 

MR: Wie können Flüchtlinge ein
Land bereichern?
SF: Indem aus Fremden Nachbarn werden. Dazu müssen sich beide
aufeinander zu bewegen.
MR: Wie kann Flüchtlingshilfe
dazu beitragen, die Gesellschaft bunter und toleranter zu gestalten?
SF: Wir versuchen z.B. durch Projekttage in Schulen den
direkten Kontakt mit Flüchtlingen zu ermöglichen. Tausende von Schulkindern
erhalten so jedes Jahr ein ungeschminktes Bild vom Flüchtlingsalltag. Mit dem
Projekt Gastfamilien wollen wir die Integration beschleunigen und mit der
Förderung von Ausbildungen wollen wir die Abhängigkeit von Sozialhilfe
verkürzen. Ob die Schweiz dadurch bunter wird, wissen wir nicht, aber wenn sie
nicht noch brauner wird, ist das auch schon gut.