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SKANDALURTEIL Richter und AfD-Mitglied verbietet Extremismusforscher NPD-Kritik


von
Migazin, 20. Mai 2016.
Ein
Urteil des Dresdner Landgerichts schlägt hohe Wellen: Ein Richter und
AfD-Mitglied hat einem renommierten Extremismusforscher verboten, NPD-kritische
Äußerungen zu wiederholen. Forscher sehen die Wissenschaftsfreiheit in Gefahr.
Politikwissenschaftler
in ganz Deutschland haben das Verbotsurteil des Dresdner Landgerichts zu
NPD-kritischen Aussagen kritisiert. „Der Beschluss des Landgerichts beschneidet
die Wissenschaftsfreiheit“, erklärte die Deutsche Vereinigung für Politische
Wissenschaft am Donnerstag in Osnabrück. Die Forscher reagierten damit auf eine
einstweilige Verfügung des Landgerichts Dresdens, die dem Dresdner
Extremismusforscher Steffen Kailitz die Wiederholung NPD-kritischer Äußerungen
untersagt. (AZ: 3 O 925/16 EV)
Forschungsergebnisse
öffentlich darzustellen, gehöre zu den zentralen Aufgaben von Wissenschaftlern,
hieß es in einer Stellungnahme der Vereinigung für Politische Wissenschaft.
Natürlich dürften sowohl die Forschung als auch darauf beruhende
Schlussfolgerungen kritisiert werden. „Aber deren Veröffentlichung gerichtlich
zu unterbinden, schränkt die Freiheit der Wissenschaft unzulässig ein“,
betonten die Politologen.
Am
Mittwoch war bekanntgeworden, dass das Dresdner Landgericht dem Wissenschaftler
untersagt hat, bestimmte kritische Aussagen über die rechtsextreme NPD zu
wiederholen. Erlassen wurde das Urteil bereits am 10. Mai durch den Richter am
Landgericht, Jens Maier. Maier ist Mitglied der rechtspopulistischen AfD und
soll dem Antrag des NPD-Anwalts Peter Richter vollständig gefolgt sein, ohne
das Verbot jedoch zu begründen. Kailitz war im März im NPD-Verfahren vor dem
Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe als einer von vier Sachverständigen
aufgetreten. Er gilt als einer der renommiertesten Extremismusforscher in
Deutschland.
„Unser
Kollege Kailitz darf nicht mehr öffentlich und in Fachpublikationen vertreten,
dass die NPD ‚rassistisch motivierte Staatsverbrechen‘ plane und ‚acht bis elf
Millionen Menschen aus Deutschland vertreiben‘ wolle, darunter ‚mehrere
Millionen deutscher Staatsbürger mit Migrationshintergrund‘, hieß es in der
Stellungnahme der Politologen. Diese Äußerungen beruhten auf seiner jahrelangen
wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit politischem Extremismus im
Allgemeinen und mit der NPD im Speziellen.
Geradezu
grotesk wirke der Beschluss des Landgerichts Dresden vor dem Hintergrund, dass
Kailitz vom Bundesverfassungsgericht Anfang März als Sachverständiger im
NPD-Verbotsverfahren angehört wurde, so die Vereinigung. Aufgrund der
angedrohten weitreichenden Konsequenzen erscheine es schwer verständlich,
weshalb der Unterlassungsbeschluss ohne mündliche Verhandlung erging, und dass
eine Begründung der Entscheidung nicht vorliegt. „Wir haben volles Vertrauen,
dass der Beschluss des Landgerichts Dresden korrigiert werden wird, so dass
auch zukünftig eine politikwissenschaftlich fundierte Kritik extremistischer
Parteien möglich bleibt“, erklärten die Forscher.
Auch
Kailitz sprach in einem epd-Gespräch von einem „Skandalurteil“. Der 47-jährige
Politikwissenschaftler am Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung in
Dresden hat mittlerweile über seinen Anwalt Berufung gegen die einstweilige
Verfügung eingelegt.
Im epd-Gespräch kritisierte der Forscher, dass das
Dresdner Landgericht allein durch den Einzelrichter Maier das Urteil ohne eine
mündliche Anhörung sowie ohne Urteilsbegründung gefällt habe. Dies sei „sehr
ungewöhnlich“, sagte der Forscher. Sollte das Urteil Bestand haben, sieht
Kailitz seine Karriere als Wissenschaftler gefährdet. Weitere seiner Artikel,
Gutachten, Studien und Analysen über die NPD dürfte er dann nicht mehr
weiterverbreiten. Auswirkungen auf das laufende NPD-Verbotsverfahren in
Karlsruhe sieht der Extremismusforscher indes nicht. (epd/mig)