Prof. Wilhelm Kempf: Pressemitteilung zu Antisemitismus und Israelkritik
Von Prof. Dr. Wilhelm Kempf,
Projektgruppe Friedensforschung, Universität Konstanz.
Projektgruppe Friedensforschung, Universität Konstanz.
Beunruhigt über die Schärfe der Auseinandersetzung zwischen Unterstützern und Gegnern der israelischen Politik während des 2. Libanonkrieges (2006) startete die Projektgruppe Friedensforschung an der Universität Konstanz ein bis heute laufendes Forschungsprogramm über „Israelkritik, Umgang mit der deutschen Geschichte und Ausdifferenzierung des modernen Antisemitismus“, in dessen Rahmen u.a. ein von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördertes Survey durchgeführt wurde, mittels
dessen zum einen Aufschlüsse über die Struktur antisemitischer, antizionistischer und israelfeindlicher Einstellungen gewonnnen und zum anderen herausgefunden werden sollte, in welches Weltbild kritische Einstellungen gegen Israel eingebettet sind.
dessen zum einen Aufschlüsse über die Struktur antisemitischer, antizionistischer und israelfeindlicher Einstellungen gewonnnen und zum anderen herausgefunden werden sollte, in welches Weltbild kritische Einstellungen gegen Israel eingebettet sind.
Nach verstreuten Publikationen in internationalen Fachzeitschriften liegen die Ergebnisse dieses Surveys nunmehr in Buchform vor:
Wilhelm Kempf (2015). Israelkritik zwischen Antisemitismus und Menschenrechtsidee. Eine Spurensuche. Berlin: verlag irena regener, ISBN 978–3936014–33–4, 276 S., 39.90 €.
An einer nach Alter, Geschlecht und Schulbildung für Deutschland repräsentativen Stichprobe von ca. 1000 Untersuchungsteilnehmern aus den alten und neuen Bundesländern sowie mehr als 450 mehr oder minder aktiven Israelkritikern durchgeführt, zeigen die Befunde des Surveys, dass sowohl antisemitische als auch antizionistische und israelfeindliche Vorurteile in der deutschen Bevölkerung weit verbreitet sind und – je nach Art des Vorurteils – von 7% bis 48% der Deutschen als eine legitime politische Meinung ausgegeben werden, während nur 37% eine besondere Verantwortung der Deutschen gegenüber den Juden anerkennen.
Besonders häufig vertreten werden die sekundär-antisemitische Forderung nach einen Schlussstrich unter die Vergangenheit, die Annahme einer jüdischen Weltverschwörung sowie antizionistische und israelfeindliche Ressentiments, wobei letztere insbesondere dann große Zustimmung finden, wenn sie eine deutlich erkennbare politische Konnotation besitzen, wie sie etwa in der Verurteilung Israels als Besatzungsmacht zum Ausdruck kommt. Je mehr sich diese Ressentiments jedoch in einer maßlos generalisierenden und unangemessenen Art und Weise artikulieren, desto weniger Zustimmung finden sie und desto häufiger werden sie abgelehnt.
Die weit verbreitete Annahme, wonach Antizionismus eine Spielart von Antisemitismus ist, fand jedoch keine empirische Bestätigung: Zwar gehen antisemitische und antizionistische Einstellungen häufig Hand in Hand, doch gibt es auch eine nicht unerhebliche Anzahl von Leuten, die zwar antizionistisch eingestellt sind, jegliche Art von antisemitischen Vorurteilen jedoch strikt zurückweisen.
In Übereinstimmung mit früheren Studien, wonach die Sympathiewerte für Israelis und Palästinenser positiv korreliert sind, zeigte sich zudem, dass israelfeindliche und palästinenserfeindliche Ressentiments einander nicht entgegengesetzt sind, sondern einen umfassenden Rassismus widerspiegeln, der sich gegen Juden und Israelis, Palästinenser und Araber gleichermaßen richtet.
Eine Erklärung dafür liefert die Universalität der Menschenrechte, die rassistischen Vorurteilen jeglicher Art eine Absage erteilt: Je mehr sich die Befragten für die Menschenrechte engagierten, desto weniger antisemitische und antizionistische Einstellungen zeigten sie, desto weniger neigten sie zu einseitigen Schuldzuweisungen an Israel, zur Verweigerung des Bleiberechts der Juden im Nahen Osten und zur Übertragung israelfeindlicher Ressentiments auf die Juden schlechthin. Desto weniger teilten sie aber auch palästinenserfeindliche Ressentiments und desto mehr tendierten sie dazu, einen Handlungsbedarf zur Änderung der israelischen Palästinapolitik zu sehen.
Im Unterschied zu früheren Studien, die es mit der Untersuchung von Vorurteilen und Ressentiments bewenden lassen, rekonstruierte das Survey schließlich die Interpretationsrahmen, mittels deren sich die Befragten den israelisch–palästinensischen Konflikt zu erklären versuchen, und die typischen Muster, wie sie sich aufgrund ihres Konfliktverständnisses zu dem Konflikt positionieren: als bedingungslose Unterstützer der israelischen Politik, als ebenso bedingungslose Unterstützer der palästinensischen Sache oder als Kritiker, die auf einen Ausgleich zwischen den beiden Gesellschaften bedacht sind, sei es aus einer neutralen Haltung heraus oder aus Solidarität mit der einen oder anderen Seite, deren Lebensbedürfnisse sie bei Fortsetzung des Status Quo besonders beeinträchtigt sehen.
Dabei zeigt sich, dass sowohl pro–israelische als auch pro–palästinensische Hardliner nur eine Minderheitenposition einnehmen, während die Mehrheit der Deutschen auf einen Ausgleich zwischen Israel und den Palästinensern bedacht ist und sich dabei aber als ziemlich unsensibel für die Ambivalenz ihres Interpretationsrahmens erweisen.
Sowohl die Fortsetzung des Status Quo als auch eine Friedenslösung zwischen Israel und den Palästinensern ist ja für beide Seiten mit gemischten Gefühlen verbunden. Die Perpetuierung des Status Quo verspricht Sicherheit, weil an bewährten Verhaltensmustern festgehalten werden kann, und sie schafft Unsicherheit, weil die Fortsetzung der Gewalt droht. Ein Politikwechsel verspricht Sicherheit, weil ein Ende der Gewalt in Aussicht steht, und er schafft Unsicherheit, weil neue Verhaltensmuster erprobt werden müssen, deren Effektivität noch ungewiss ist. Bei der Mehrheit der Deutschen ist von einer solchen Ambivalenz jedoch nichts zu bemerken: Sie sehen – sowohl für Israel als auch für die Palästinenser – nur die hoffnungsvolle Seite einer Friedenslösung und die bedrohliche Seite des Status Quo.
Hinter diesem Gesamteindruck, der stark pazifistisch geprägt zu sein scheint, verbergen sich jedoch verschiedene Formen der Kritik aber auch der Unterstützung der israelischen Palästinapolitik, zu deren Identifizierung das
Survey die Konstellationen ermittelt hat, zu welchen sich die Positionierung zum israelisch–palästinensischen Konflikt und die damit einhergehende – oder eben auch nicht einhergehende – Ambivalenz mit antisemitischen, antizionistischen und israelfeindlichen Einstellungen einerseits sowie andererseits mit palästinenserfeindlichen und islamophoben Einstellungen, Pazifismus, moralischer Ablösung und Menschenrechtsorientierung sowie mit der emotionalen Nähe zu dem Konflikt und mit dem Wissen über den Konflikt verbindet.
Survey die Konstellationen ermittelt hat, zu welchen sich die Positionierung zum israelisch–palästinensischen Konflikt und die damit einhergehende – oder eben auch nicht einhergehende – Ambivalenz mit antisemitischen, antizionistischen und israelfeindlichen Einstellungen einerseits sowie andererseits mit palästinenserfeindlichen und islamophoben Einstellungen, Pazifismus, moralischer Ablösung und Menschenrechtsorientierung sowie mit der emotionalen Nähe zu dem Konflikt und mit dem Wissen über den Konflikt verbindet.
Als Ergebnis dieser Analyse identifizierte das Survey vier verschiedene Spielarten von Unterstützung vs. Kritik:
·
Unterstützung der israelischen Politik (26%),
Unterstützung der israelischen Politik (26%),
·
latent antisemitische Vermeidung von Israelkritik (11%),
latent antisemitische Vermeidung von Israelkritik (11%),
·
antisemitische Israelkritik (26%) und
antisemitische Israelkritik (26%) und
·
menschenrechtsorientierte Israelkritik (38%).
menschenrechtsorientierte Israelkritik (38%).
Die Unterstützer der israelischen Politik können in zwei Untergruppen eingeteilt werden, deren erste überwiegend aus pro–israelischen Hardlinern besteht,
während die zweite Unterstützergruppe kleiner
ist und sich weniger radikal zugunsten der israelischen Politik positioniert.
während die zweite Unterstützergruppe kleiner
ist und sich weniger radikal zugunsten der israelischen Politik positioniert.
Beiden Gruppen gemeinsam ist zum einen die Ablehnung der meisten antisemitischen Vorurteile und zum anderen eine Tendenz zu Ressentiments gegenüber Palästinensern und Muslimen die unter einen pauschalen Terrorismusverdacht gestellt werden. Auffallend ist jedoch, dass beide Gruppen die sekundär-antisemitische Forderung nach einem Schlussstrich unter die Vergangenheit unterstützen, weshalb man sich fragen muss, wie zuverlässig die Unterstützung dieser scheinbaren Israelfreunde denn tatsächlich ist, und wie viele von ihnen sich nur deshalb zugunsten Israels positionieren, weil sie selbst vor der Welt gut dastehen wollen.
Latent antisemitische Vermeidung von Israelkritik ist für eine Gruppe von Deutschen charakteristisch, die meist keinerlei Position beziehen, relativ häufig aber auch den Eindruck erwecken, als ob sie auf Ausgleich zwischen den beiden Gesellschaften bedacht wären und dabei eher mit den Israelis sympathisierten.
Diese Kritikvermeider stellen zwar häufiger als alle anderen Gruppen das israelische Sicherheitsdilemma in den Vordergrund und tendieren sowohl zur Dämonisierung des Islam als auch zu einem pauschalen Terrorismusvorwurf gegen Palästinenser und Muslime. Sie zeigen zugleich jedoch auch eine Tendenz zu antizionistischen und israelfeindlichen Einstellungen sowie zur Annahme einer jüdischen Weltverschwörung, zu antisemitischer Täter-Opfer-Umkehr und zur Forderung nach einem Schlussstrich unter die Vergangenheit und distanzieren sich noch nicht einmal von der Unterstellung, dass die Behandlung der Palästinenser in Israel „das wahre Gesicht der Juden“ zeige.
Dass es sich bei dieser Kritikvermeidung tatsächlich um eine latent–antisemitische Haltung handelt, wird auch dadurch bekräftigt, dass sie nicht nur unter NPD–Wählern deutlich häufiger zu finden ist als im Rest der Bevölkerung, sondern auch die einzige Haltung darstellt, die sich neben einer offen antisemitischen Israelkritik auch am rechten Rand der Gesellschaft findet.
Die überwiegende Mehrheit der Deutschen ergreift stärker für die Palästinenser Partei als für Israel und kann in zwei Gruppen eingeteilt werden:
Antisemitische Israelkritiker teilen starke bis sehr starke antisemitische Vorurteile und sind nicht nur typische NPD- Wähler, sondern
häufig auch in der Mitte der Gesellschaft (insbesondere bei den Wählern von CDU/CSU) zu finden. Bei den Wählern der Grünen und der Linken sind sie etwas seltener.
häufig auch in der Mitte der Gesellschaft (insbesondere bei den Wählern von CDU/CSU) zu finden. Bei den Wählern der Grünen und der Linken sind sie etwas seltener.
Menschenrechtsorientierte Israelkritiker positionieren sich zwar ebenfalls zugunsten der Palästinenser, sie stehen antisemitischen Vorurteilen jedoch ablehnend gegenüber. Sie sind über den israelisch–palästinensischen Konflikt generell besser informiert, und zwar nicht nur besser als die antisemitischen Kritiker, sondern auch besser als die Unterstützer der israelischen Politik. Zugleich zeigen sie eine größere emotionale Nähe zu dem Konflikt, ihr Pazifismus ist stärker ausgeprägt und ihre Menschenrechtsorientierung ist konsistenter als jene der antisemitischen Israelkritiker.
Ihre Positionierung zugunsten der Palästinenser wird umso radikaler, je besser sie über den Konflikt informiert sind, je größer ihre emotionale Nähe zu dem Konflikt ist, je stärker ihr Pazifismus ausgeprägt ist, je konsistenter ihre Menschenrechtsorientierung ist, je mehr sie die Einschränkung von Menschenrechten ablehnen, je weniger sie zu moralischer Ablösung neigen und je stärker sie für die Opfer von Menschenrechtsverletzungen eintreten.
Bei den antisemitischen Israelkritikern ist es genau umgekehrt. Je radikaler sie sich zugunsten der Palästinenser positionieren, desto schlechter sind sie informiert, desto weniger emotionale Nähe zu dem Konflikt haben sie, desto geringer ist ihre pazifistische Einstellung, desto inkonsistenter ist ihre Menschenrechtsorientierung und desto weniger treten sie für die Opfer von Menschenrechtsverletzungen ein.
Im Unterschied zu den menschenrechtsorientierten Israelkritikern, die Vorurteilen jeglicher Art eine Absage erteilen, sind die antisemitischen Israelkritiker dabei nicht nur antisemitisch, antizionistisch und israelfeindlich eingestellt, sondern sie zeigen sich generell vorurteilsbeladen und teilen auch palästinenser- und islamfeindliche Ressentiments.
Während antisemitische Hardliner in der deutschen Bevölkerung relativ häufig sind, sind Hardliner, die sich aufgrund ihres Menschenrechtsengagements auf die Seite der Palästinenser schlagen, nur selten und in der Mitte der Gesellschaft – und bei der Wählerschaft der beiden großen Volksparteien CDU/CSU und SPD überhaupt nicht
– zu finden. Die überwiegende Mehrzahl der menschenrechtsorientierten Israelkritiker ist relativ gemäßigt.
Unter den aktiven Israelkritikern, die über verschiedene Institutionen rekrutiert
worden waren, die sich für Frieden im Nahen Osten einsetzen, bilden die Hardliner zwar die Mehrheit, eine antisemitische Israelkritik ist bei ihnen jedoch nicht zu finden, und wenn es stimmt, was der französisch–jüdische Philosoph Bernard–Henri Lévy in seiner vielbeachteten Rede vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen gesagt hat, wenn es stimmt, dass der Kampf gegen den Antisemitismus die vorderste Frontlinie im Kampf um die Menschlichkeit ist, dann darf sich dieser Kampf nicht durch eine Fehleinschätzung der Situation auf Abwege bringen lassen und Israelkritik pauschal als antisemitisch stigmatisieren.
worden waren, die sich für Frieden im Nahen Osten einsetzen, bilden die Hardliner zwar die Mehrheit, eine antisemitische Israelkritik ist bei ihnen jedoch nicht zu finden, und wenn es stimmt, was der französisch–jüdische Philosoph Bernard–Henri Lévy in seiner vielbeachteten Rede vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen gesagt hat, wenn es stimmt, dass der Kampf gegen den Antisemitismus die vorderste Frontlinie im Kampf um die Menschlichkeit ist, dann darf sich dieser Kampf nicht durch eine Fehleinschätzung der Situation auf Abwege bringen lassen und Israelkritik pauschal als antisemitisch stigmatisieren.
Immerhin vier von zehn Deutschen stehen der israelischen Politik deshalb kritisch gegenüber, weil sie für die Menschenrechte eintreten, Antisemitismus und Islamophobie gleichermaßen ablehnen und eine Politik verurteilen, die nicht nur den Palästinensern Unrecht antut, sondern auch Israel von innen heraus zu zerstören droht. Das jedenfalls ist es, was kritische jüdische Intellektuelle in Israel und in der Diaspora, in Deutschland und den USA befürchten, wenn es in Israel nicht zu einem Politikwechsel kommt. “Wenn wir die Situation belassen, wie sie ist“, schreibt der israelische Schriftsteller
Etgar Keret, „ohne den Menschen, die unter unserer Besatzung leben, eine Lösung anzubieten, wird das letztlich unser Land zugrunde richten“.
Etgar Keret, „ohne den Menschen, die unter unserer Besatzung leben, eine Lösung anzubieten, wird das letztlich unser Land zugrunde richten“.