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BIB: ein Bündnis für die Beendigung der israelischen Besatzung JETZT

 

von Milena Rampoldi, ProMosaik. Anbei mein Interview
mit Prof. Dr. Rolf Verleger über die neue Initiative des Bündnisses BIB (Beendigung
der israelischen Besatzung), die im April 2016 ins Leben gerufen wurde. Die
Ziele des Bündnisses sind: Koordinierte Werbung in der Öffentlichkeit und bei
unseren politischen Repräsentanten für die Einhaltung rechtsstaatlicher und
völkerrechtlicher Normen in den von Israel seit 1967 besetzten
palästinensischen Gebieten und für ein Ende dieser Besatzung. Zu diesem Zweck
möchte das Bündnis in Deutschland lebende Menschen, insbesondere jüdischer und
palästinensischer Herkunft, zu gemeinsamem Handeln zusammenführen. Weitere
Informationen finden Sie auf der Webseite der Initiative:
www.bib-jetzt.de/
Milena Rampoldi: Wie kam es zur Gründung des BIB?
Rolf Verleger: Die Lage in Palästina wird immer
schlimmer. Gasa ist ein großes Gefängnis unter israelischer Besatzung, die
Westbank besteht aus Bantustans unter israelischem Militärrecht, jüdische
Fanatiker terrorisieren in Hebron eine ganze Stadt, und die Mehrheit der
jüdischen Israelis driftet immer mehr in Nationalismus und Rassismus ab.
Wir wollen dem nicht tatenlos zusehen. Daher ist unser
Projekt, der Solidaritätsarbeit mit Palästina einen organisatorischen,
professionellen Rahmen zu geben und dadurch einen verlässlichen, in der
Öffentlichkeit wahrnehmbaren Ansprechpartner für Medien und Politik aufzubauen.
Die Mehrheit der deutschen Bevölkerung sympathisiert mit den unterdrückten
Palästinensern. Wir wollen als Teil dieser Bewegung eine kontinuierliche
Lobbyarbeit machen. Zu diesem Zweck haben wir uns in einer relativ kleinen und
dadurch hoffentlich handlungsfähigen Gruppe zusammengeschlossen – bei unserer
Gründung acht Deutsche, darunter drei Juden und zwei Palästinenser. Wir kennen
uns schon lange und hoffen, etwas bewegen zu können.
MR: Warum ist eine Initiative wie diese gerade in
Deutschland und für Deutschland so wichtig?
RV: Deutschland spielt eine große Rolle bei der
Aufrechterhaltung des jetzigen Zustands – die EU übrigens auch. Im Grunde kann
man sagen, dass Deutschland die Besatzung mitfinanziert. Absurderweise tun wir
das von beiden Seiten: Wir geben z.B. den Israelis atomwaffenfähige U-Boote
teilweise als Geschenke, die den Steuerzahler Milliarden kosten, und
gleichzeitig finanzieren wir den Ausbau und die Ausbildung für Schulen, Straßen,
Krankenhäuser, Infrastruktur und die palästinensische Polizei. Umso schwieriger
finden wir es, wenn dann wie etwa in Gasa 2014 ganze Nahrungsmittel- und
Medizin-Versorgungslager der EU von der israelischen Armee bombardiert werden
und es dann keine Entschädigung dafür gibt. Ähnlich ist es mit Einrichtungen,
die von Deutschland mit aufgebaut wurden und dann z.B. durch den Mauerbau
vernichtet werden.
MR: Welche Strategien möchten Sie in Deutschland
umsetzen, um die Besatzung zu beenden?
RV: Wir fragen uns und nun auch die deutsche
Regierung: Wie können wir so eng mit einem Partner zusammenarbeiten, wenn
grundlegende und offensichtliche Verstöße gegen internationales Recht an der
Tagesordnung sind? Wir möchten die deutsche Regierung dazu ermutigen, Israel zur
Einhaltung von internationalem Recht und demokratischen Gesetzen aufzufordern –
und gegebenenfalls Konsequenzen zu ziehen, wenn das nicht geschieht.
Wie gesagt, wir möchten der Solidarität mit Palästina
ein professionelles, öffentlich wahrnehmbares Gesicht geben und sie dadurch in
ihrer Wirkung verstärken. Zu diesem Zweck initiieren wir Kampagnen. Dabei
wollen wir vier Themen abdecken: Israels Landraub in der Westbank, Israels
Erdrosselung von Gasa, Unterstützung des zivilen palästinensischen Widerstands,
Unterstützung der israelischen Menschenrechtler.
MR: Was muss dringend für Gaza geschehen?
RV: Seit dem Wahlsieg der Hamas in freien, gleichen
und geheimen demokratischen Wahlen 2006 boykottiert Deutschland die von der
Hamas geführte Autonomiebehörde. Diese Politik ist ein Fehlschlag, auf dem
Rücken der Einwohner Gasas. Deutschland begibt sich aller Einflussmöglichkeiten
und macht sich zum Erfüllungsgehilfen der israelischen Besatzungsmacht. Bis vor
zehn Jahren hatten die Einwohner Gasas die Möglichkeit, in Israel zu arbeiten,
bescheidenen Handel zu treiben und dadurch die Region zu entwickeln. Das
jetzige Konzept Israels und offenbar auch der deutschen Politik läuft dagegen
darauf hinaus, dass Gasa zugrunde gehen möge. So lässt sich dieses Problem
nicht befrieden. Deutschland und die EU sollten Israel zu Öffnung und
Kooperation bewegen und mittelfristig zu signifikanten Zugeständnissen: Viele
Einwohner Gasas sind vertrieben und haben Besitzansprüche in Israel.
MR: Wie stark ist die zionistische Propaganda in Deutschland
und wie wirkt man dieser entgegen?
RV: Zionistische Propaganda ist ein Papiertiger: groß
und aufgeblasen, aber hohl. Die Idee, dass eine Gruppe von Menschen – Juden
oder sonstwer – privilegierte Rechte auf ein Land haben, entgegen
völkerrechtlichen und zivilrechtlichen Bestimmungen, widerspricht den Idealen
von Gerechtigkeit, Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Das sind Ideale, die
im heutigen Deutschland – endlich – tief verankert sind.
Blickt man ein paar Generationen zurück, sind das auch
Ideale, die gerade europäischen Juden heilig waren. Deswegen behielt der
Zionismus (also die Bewegung “Juden hin nach Palästina!”) nur eine
Randposition im Judentum, bis zur Vernichtung des europäischen Judentums durch
die Nazis. Seit dieser Katastrophe ist ein wiederkehrendes zionistisches
Argument, speziell in Deutschland (aber nicht nur hier), dass Juden als Opfer
besondere Rechte haben müssten. Daran ist natürlich etwas Wahres: Opfer haben
Recht auf Rücksicht, Entschädigung, Anerkennung ihres Leids und Zurechnung
mildernder Umstände. Aber meine Eltern (die beide KZ und Todesmarsch
überlebten; mein Vater wurde Witwer, meine Mutter wurde Waise, so heirateten
sie 1948) hatten natürlich kein Recht darauf, dass für sie anderen Menschen
Unrecht geschieht. Noch weniger haben wir Nachgeborenen ein solches Recht. Dem
Zionismus gehen die Argumente aus.
MR: Was planen Sie in der nächsten Zukunft?
RV: Wie gesagt, wir möchten Kampagnen initiieren, auf
vier Gebieten: Gegen Israels Landraub in der Westbank, gegen Israels Erdrosselung
von Gasa, für die Unterstützung des zivilen palästinensischen Widerstands, für
die Unterstützung israelischer Menschenrechtler. Wir wollen dafür als Verein
zunächst eine Halbtagskraft bezahlen. Wir hoffen, durch Ausweitung unserer
Öffentlichkeitsarbeit unsere finanzielle Basis zu verbreitern, und durch ein
Netz von Fördermitgliedern die Mittel zu gewinnen, um unsere Arbeit weiter zu
professionalisieren und auszudehnen.