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Idah Nabateregga von Terre des Femmes: weibliche Genitalverstümmelung verfolgt ein Leben lang

von Milena Rampoldi, ProMosaik e.V. 
Anbei ein weiteres Interview zum Thema FGM, das ProMosaik wirklich sehr am Herzen liegt. Denn FGM bedeutet Erniedrigung von Frauen und Mädchen in gesamten Gesellschaften weltweit. Und was der Frau schadet, zerstört das gesamte soziale Gleichgewicht. Ich habe mich mit Frau Idah Nabateregga, Referentin für weibliche Genitalverstümmelung bei Terre des Femmes darüber unterhalten. Ich möchte mich nochmal herzlichst bei ihr bedanken, um so ausführlich auf unsere Fragen geantwortet zu haben.  
Genitalverstümmelung verfolgt ein Leben lang. Und wir möchten uns diesem Schatten widersetzen.


FGM ist eine Kinder- und Frauenrechtsverletzung 
deren Abschaffung dringend nötig ist!

Milena Rampoldi: Was bedeuten für Sie Frauenrechte?
Idah Nabateregga: Frauenrechte sind Menschenrechte. Das heißt gleichberechtigtes, selbstbestimmtes und freies
Leben für jeden Frauen und Mädchen weltweit! Bei Gründung der Vereinten Nationen 1945
wurde das Prinzip der Gleichberechtigung der Geschlechter von der Staatengemeinschaft
anerkannt. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte 1948 beinhaltet einen Grundsatz
der Nichtdiskriminierung aufgrund des Geschlechts. 1979 verabschiedete die
Generalversammlung der Vereinten Nationen das Übereinkommen zur Beseitigung jeder
Form von Diskriminierung der Frau (Convention on the Elimination of All Forms of
Discrimination Against Women, CEDAW). Diskriminierung wird dabei folgendermaßen
unter Artikel 1 beschrieben: “… jede mit dem Geschlecht begründete Unterscheidung,
Ausschließung oder Beschränkung, die zur Folge oder zum Ziel hat, dass die auf die
Gleichberechtigung von Mann und Frau gegründete Anerkennung, Inanspruchnahme oder
Ausübung der Menschenrechte und Grundfreiheiten durch die Frau – ungeachtet ihres
Zivilstands – im politischen, wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen, staatsbürgerlichen oder
jedem sonstigen Bereich beeinträchtigt oder vereitelt wird.”

MR: Was bedeutet Genitalverstümmelung und warum muss diese brutale Praxis
weltweit bekämpft werden?
IN: Weibliche Genitalverstümmelung (englischer Begriff: Female Genital Mutilation – FGM)
umfasst alle Verfahren, die teilweise oder vollständige Entfernung der weiblichen Genitalien
oder deren Verletzung zum Ziel haben, sei es aus kulturellen oder anderen
nichttherapeutischen Gründen. Es werden vier Formen unterschieden. Typ I
(Klitoridektomie): teilweise oder vollständige Entfernung des äußerlich sichtbaren Teils der
Klitoris und/oder der Klitorisvorhaut. Typ II (Exzision): Typ I und zusätzliche Entfernung
der inneren Schamlippen mit oder ohne Beschneidung der äußeren Schamlippen. Typ III
(Infibulation): Verengung der Vaginalöffnung mit Bildung eines deckenden Verschlusses,
indem die inneren und/oder äußeren Schamlippen aufgeschnitten und zusammengefügt
werden. Typ IV (Andere): alle anderen Praktiken wie z.B. stechen, brennen oder ätzen der
Genitalien. FGM stellt eine fundamentale Menschenrechtsverletzung dar.
FGM ist ein sensibles Thema, das fest in der Tradition und Kultur der jeweiligen Gesellschaft
verwurzelt ist. Je nach Community kann die Beschneidung unterschiedlich gerechtfertigt
werden. Häufig werden die Bewahrung der Jungfräulichkeit und der Treue zum Ehemann,

bessere Heiratschancen für beschnittene Mädchen, Hygienevorstellungen verknüpft mit
(spirituellen) Reinheitsidealen und religiöse Vorschriften als Argumente für die Beschneidung
genannt. Allerdings verlangen heiligen Schriften wie der Koran oder die Bibel den Eingriff
nicht. Die Rechtfertigungen beruhen oftmals auf Unkenntnis der weiblichen Anatomie und
auf patriarchalen Strukturen.
Gegenüber Betroffenen sollte von „weiblicher Beschneidung“ gesprochen werden – der
Ausdruck „Genitalverstümmelung“ soll die Schwere und Irreversibilität des Eingriffs betonen
und zur Aufklärung verwendet werden.

MR: Warum muss diese Praxis weltweit bekämpft werden?
IN: FGM ist eine Menschenrechtsverletzung an Frauen und Kinder (Mädchen) und betrifft oft
Minderjährige (im Alter von 0-14 Jahren). Oft entscheiden die Eltern darüber ob ein Mädchen
beschnitten werden soll oder nicht. Der Eingriff wird meist ohne die Zustimmung des Kindes
durchgeführt. FGM verursacht oft lebenslange körperliche, seelische und sexuelle
Verletzungen. Die unmittelbaren Folgen der Genitalverstümmelung umfassen enorme
Schmerzen und Blutverlust, die zu einem lebensbedrohlichen Schock führen können. Werden
mehrere Mädchen mit demselben Werkzeug beschnitten, können zusätzlich Krankheiten und
Infektionen wie HIV oder Hepatitis übertragen werden. Häufig sind chronische Schmerzen
und Infekte sowie Inkontinenz und sexuelle Störungen dauerhafte Folgen der genitalen
Verstümmelung. Die Infibulation kann zudem zu enormen Beschwerden beim Wasserlassen,
bei der Menstruation und beim Sexualverkehr führen und stellt bei Geburten ein erhebliches
Risiko für Mutter und Kind dar. Eine mögliche körperliche Folge ist Unfruchtbarkeit, was in
weiten Teilen Afrikas einen Scheidungsgrund darstellt. Hinzu kommen psychische Probleme
wie Traumata, Depressionen, Schlaf- und Essstörungen. Da FGM oft als ein Ritus des
Erwachsenwerdens verstanden wird, sind die Betroffenen häufig auch von Früh- und
Zwangsheirat betroffen. Dies erschwert ihren weiteren Schulbesuch und Bildung. Alles in
allem muss wegen all den geschilderten Gründen FGM weltweit bekämpft werden.

MR: Wie gestaltet sich das Phänomen geographisch? Wie sieht es in Europa aus?
IN: Nach Schätzungen von UNICEF sind ca. 200 Millionen Frauen weltweit betroffen. Laut
WHO werden 3 Millionen Mädchen pro Jahr genitalverstümmelt. Weibliche
Genitalverstümmelungen werden nicht nur in 29 Staaten Afrikas, sondern auch in einigen
arabischen und auch asiatischen Staaten praktiziert. Genitalverstümmelung wird in den oben
genannten Ländern von bestimmten Ethnien praktiziert. Die Verbreitung lässt sich folglich

nicht nach Staatsgrenzen, sondern nach ethnischen Gruppen bestimmen. Auch ist weibliche
Genitalverstümmelung nicht auf Anhängerinnen einer bestimmten Religion beschränkt. So
leben in den Gebieten, in denen FGM traditionellerweise verbreitet ist, MuslimInnen,
ChristInnen, zum Teil auch JüdInnen und AnhängerInnen anderer Religionen.
Aufgrund von Zuwanderung wird die weibliche Genitalverstümmelung vermehrt in Ländern
durchgeführt, in denen sie ursprünglich nicht vorkam. Dazu zählen auch europäische Staaten
(z.B. Deutschland, Frankreich, Großbritannien), die USA, Kanada und Australien. In der EU
sind über 500.000 betroffene und 180.000 gefährdete Mädchen und Frauen. Doch auch in
Deutschland ist FGM ein Problem, da durch Migration immer mehr Betroffene ins Land
kommen. Zur Zeit leben in Deutschland schätzungsweise 35.000 Betroffene und ca. 6000
Gefährdete (TERRE DES FEMMES 2015).

MR: Warum ist FGM immer noch ein Tabu und wird politisch nicht ausreichend
bekämpft?
IN: FGM ist heutzutage kein Tabu Thema mehr! Mann redet offen darüber. Diese Veränderung
liegt an Sensibilisierungsmaßnahmen unterschiedlicher Art.
In fast jedem der Verbreitungsländer ist weibliche Genitalverstümmelung gesetzlich verboten.
Viele Länder haben sich auch mit der Unterzeichnung und Ratifizierung von Abkommen wie
dem UN-Übereinkommen zur Beseitigung von Diskriminierung der Frau (CEDAW), dem
Protokoll für die Rechte von Frauen in Afrika (Maputo Protokoll) und der Istanbul
Konvention zu einem Engagement für die Überwindung von FGM verpflichtet. Gesetze sind
präventive Methoden, aber reichen nicht aus, wie die folgenden Gründe zeigen:
• Politische Ansätze sind oft mit der Kriminalisierung verbunden. Dies führt häufig zur
Verschiebung der Praxis ins Geheime.
• Einige PolitikerInnen in afrikanischen Ländern wollen sich nicht mit dem Thema
auseinandersetzen, da es Bestandteil ihrer eigene Kultur ist.
• Andere PolitikerInnen haben Angst wegen dem Thema den Wahlkampf zu verlieren.
Deswegen kommt es oft vor, dass viele Gesetzte gegen FGM nicht implementiert
werden, obwohl sie verabschiedet wurden.
• Einige politische Ansätze wie Gesetzte oder Menschenrechte werden oft als
„westlicher Einfluss“ gegenüber der afrikanische Kultur gesehen und deswegen
kritisiert.

• Radikale Strömungen innerhalb der Religionen mobilisieren die Menschen, sich für
die Beibehaltung der Praktik einzusetzen. Diese Entwicklung stellt eine
Herausforderung dar.
• Die soziale und kulturelle Verankerung sowie religiöse Sinngebung der Praktik stehen
häufig im Widerspruch zu ihrer offiziellen Ablehnung. Gesetzliche Verbote werden
häufig nur lückenhaft oder gar nicht durchgesetzt.
Aus diesen Gründen müssen Gesetzte durch staatliche Aufklärungskampagnen und lokale
Initiativen begleitet werden. Ansätze wie Aufklärung, Sensibilisierung, Dialog auf direkter
Zielgruppenebene (z.B. kulturelle und religiöse Anführer, Frauen, Männer), FGM als
Unterrichtsthema in Intergrationskursen und Generationendialoge in Gemeinden müssen
verstärkt werden. Die Überwindung von FGM braucht Zeit und langfristiges Engagement auf
lokaler, regionaler und nationaler Ebene.

MR: Welche Projekte setzen Sie um und welche sind Ihrer Erfahrung nach die besten
Strategien, um FGM aus der Welt zu schaffen?
IN: TERRE DES FEMMES ist seit 30 Jahren aktiv und arbeitet neben anderen
Schwerpunktthemen (z.B. Gewalt im Namen der Ehre, Zwangsverheiratung, häusliche und
sexualisierte Gewalt sowie Frauenhandel) weiterhin daran, weiblicher Genitalverstümmelung
ein Ende zu setzen. Unsere Vision ist Gleichberechtigung, Selbstbestimmtheit und Freiheit für
Mädchen und Frauen weltweit. TDF setzt unterschiedliche Strategien ein um diese Ziele zu
erreichen. Als wirkungsvollste Strategien haben sich solche gezeigt welche Communities
aktiv in die Lösungsfindung miteinbeziehen und gleichzeitig dem Empowerment der
Communities zuträglich sind.
Zusammenarbeit mit Communities: In den von TERRE DES FEMMES konzipierten und
koordinierten Projekten CHANGE und CHANGE Plus (www.change-agent.eu), die von der
EU Kommission ko-finanziert werden, ermutigen wir Diaspora Communities aus Ländern mit
einer hohen Prävalenzrate die Praktik der Verstümmelung zu beenden. Das Ziel ist es,
MultiplikatorInnen, so genannte CHANGE Agents, aus betroffenen Communities zu
trainieren und zu stärken. Anschließend sensibilisieren die CHANGE Agents ihre eigenen
Communities und tragen so dazu bei, dass FGM nicht weiter praktiziert wird.
TDF verbinden unsere Lobby- und Öffentlichkeitsarbeit mit Community-Aktivitäten, um die
Stimmen der Communities zu repräsentieren und gemeinsam Strategien für nachhaltige
Verhaltensänderungen zu entwickeln.

Webbasierte Plattform für Berufsgruppen: Als deutsche Partnerorganisation in dem EUfinanzierten
Projekt „United to END FGM“ erstellt TDF mit unterschiedlichen
Partnerorganisationen eine mehrsprachige Online-Wissensplattform. Die Plattform richtet
sich an Berufsgruppen, die mit betroffenen oder gefährdeten Mädchen und Frauen in Kontakt
kommen. Ab September 2017 wird diese Plattform kostenlos online verfügbar sein.
Beratung: In der TDF Beratungsstelle erhalten Betroffene und Gefährdete Unterstützung.
Sprechen Sie uns gerne an: beratung@frauenrechte.de.
Öffentlichkeitsarbeit: Das TDF-Referat „Weibliche Genitalverstümmelung“ unterstützt
MitarbeiterInnen von Behörden und Institutionen mit Infomaterialen und Beratung rund um
das Thema FGM. Nach Bedarf werden auch Fortbildungen für unterschiedliche
Berufsgruppen angeboten. Kontaktieren Sie uns: fgm@frauenrechte.de. Wir arbeiten
weiterhin daran, dass unterschiedliche Fachkräfte und Berufsgruppen, StudentInnen und
SchülerInnen in Deutschland und Interessierte in Europa über das Thema aufgeklärt und
sensibilisiert werden.
Medizinische und sozio-psychologische Versorgung der Betroffene: Durch TDF Netzwerk
(u.a. Mitgliedschaft im europäischen Netzwerk End FGM und im deutschen Netzwerk
INTEGRA) und Kooperationspartner, wie AIM in Sierra Leone und Bangr Nooma in Burkina
Faso, können wir (TDF) Kontakte für Betroffene zu unterschiedlichen Organisationen
herstellen, die medizinische, sozio-psychologische und praktische Unterstützung anbieten.
TDF Ziel ist, dass alle Mädchen vor Genitalverstümmelung geschützt werden und dass
betroffene Frauen bestmögliche Unterstützung erhalten.
Weitere Informationen zu TDF Engagement finden Sie auf www.frauenrechte.de oder
kontaktieren Sie uns per Mail an: info@frauenrechte.de.
TERRE DES FEMMES ist eine gemeinnützige Organisation und wird von Spenden
finanziert.
Werden Sie gemeinsam mit uns aktiv!