General

Drei Tage Undercover bei der größten politischen Konferenz der Israellobby


von Robert Bryan, Alter
Net
, 28. März 2016. Deutsche Übersetzung von Milena Rampoldi, ProMosaik
e.V.

Weder der amerikanische
Zionismus noch die Bestechlichkeit von K Street können den AIPAC-Kult im vollen
Umfang erklären.


Der American Israel Public
Affairs Committee ist ein Kult, und wie bei den meisten Kulten würden sich
seine Anhänger wahrscheinlich dieser Etikette widersetzen.

Die Organisation liefert den
100.000 Mitgliedern des AIPAC und seinen 18.000 Vertretern, die letzte Woche
seine jährliche Convention in Washington DC besuchten, einen heroischen
Vorschlag, um die israelische Sicherheit und demzufolge auch die des jüdischen
Volkes zu gewährleisten. Für seine Kritiker ist es eine Veranstaltung der
toxischsten Elemente des Zionismus und ein Symptom der Korruption, die
Lobbygruppen die Möglichkeit bieten, ihre Agenda zu erweitern, indem sie
Politiker kaufen (obwohl sie selbst kein PAC sind, läuft die Korruption der
israelischen Lobbypolitiker über eine Serie kleiner PAC-„Filialen“).

Aber weder der amerikanische
Zionismus noch die Bestechlichkeit von K Street können die kultähnliche
Beschaffenheit des AIPAC vollständig erklären. Obwohl viel über die „jüdischen
Werte“ und den Schutz des „jüdischen Volkes“ gesprochen wird, findet sich in
der Organisation fast nichts, was man im traditionellen religiösen Sinne als
jüdisch bezeichnen kann. (In der Tat verbietet die Thora ausdrücklich die vom
Staat geduldete Bestechung der Lobbygruppen wie die des AIPAC: „Nimm kein
Bestechungsgeld entgegen, denn das Bestechungsgeld macht diejenigen, die sehen,
blind und verdreht die Worte des Unschuldigen“, Exodus 23,8).  

Der AIPAC ist mehr eine
politische als eine religiöse Organisation. Denn seine Politik basiert auf
einer bewussten Missdeutung der Geschichte, die das palästinensische Volk
auslöscht und die israelischen Verbrechen schönredet. Was aus AIPAC einen Kult
macht, ist, dass er von seinen Mitgliedern die bedingungslose Treue abverlangt
– nicht von einem charismatischen Führer, sondern vom Staat Israel. Wie die
Anhänger der Unification Church von Reverend Sun Myun Moon
niemals davon überzeugt werden können, dass ihr geliebter Reverend kein Messias
war, so ist es auch für die
AIPAC-Gefolgsmänner unmöglich, auch die
offensichtlichsten Wahrheiten über die illegale Besatzung und die
Apartheidpolitik Israels anzuerkennen. Und obwohl Lobbisten den demokratischen
Prozess untergraben, indem sie Politiker bestechen, bestehen die AIPAC-Mitglieder
darauf, dass sie sich auf der Frontlinie des noblen Kampfes befinden, um die
einzige Demokratie des Nahen Ostens zu erhalten.

Ich war dabei

Ich war letzte Woche bei der
Konferenz im Convention Center in Washington dabei. Da ich wusste, dass der AIPAC
vielen meiner linken Journalistenfreunden die Presseausweise verwehrt hatte,
entschied ich mich, mich gepflegt und glatt rasiert in einem marineblauen Anzug
mit Krawatte zu präsentieren, um zu vermeiden, als potentieller Unruhestifter
wahrgenommen zu werden.

Denn Zionisten beschimpfen
schnell jeden als „Judenhasser!“, auch wenn er nur die Möglichkeit einer
„zweifachen Loyalität“ unter den amerikanischen Juden anführt. Die
Organisatoren der Konferenz schienen diesen Begriff bewusst zu fördern, indem
sie Anstecknadeln mit der ineinandergegriffenen amerikanischen und israelischen
Flagge verteilten. Ich befestigte die Anstecknadel pflichtbewusst an meinen
Rockaufschlag, drapierte meinen persönlichen Ausweis um meinen Nacken und
wappnete mich für einen dreitägigen Propagandaangriff.

Als ich am frühen
Sonntagnachmittag eintraf, hatten sich zahlreiche propalästinensische
Demonstranten (einher mit einem bemitleidenswerten, kleinen Kontingent von
Gegendemonstranten), die vom Weißen Haus aus hergekommen waren, vor dem
Convention Center zusammengefunden. Verschiedene Aktivisten entfalteten eine
Flagge. Es ertönten Lieder für das „Freie Palästina“. Als die Demo ihren
Höhepunkt erreichte, sprach ich kurz drei ältere palästinensische Frauen an,
die ruhig neben dem hinteren Bereich der Demonstranten standen und nicht beim
Namen genannt werden möchten. Eine der Frauen teilte mir mit, dass sie 1970 in
die USA ausgewandert war und zurückkehren möchte, sobald die Palästinenser die
Gleichberechtigung erlangen. „Solange die Amerikaner Israel unterstützen, ist
es schwierig“, meinte sie. „Wir müssen die Mentalität der Amerikaner verändern…
Denn diese halten uns für Terroristen. Aber wir sind keine Terroristen! Wir
wollen nur unser Land.“  

Als ich durch den Metalldetektor
ging und um mich sah, musste ich einfach darüber nachdenken, dass die Antisemiten,
die sich geheimnisvolle Intrigen mächtiger Juden vorstellen, äußerst
unzufrieden mit diesem Anblick sein könnten. Das Gebäude bestand aus großen
offenen Räumen, die mit Sonnenlicht gefüllt waren, das durch die Glaswände
strömte. Das Ganze glich eher einem Flughafen als einem verqualmten
Hinterzimmer. Man stand vor einer eintönigen, vorhersehbaren Atmosphäre einer
jeglichen Geschäftskonferenz, wenn auch in einer riesigen Größenordnung. Wie
auf einer typischen Konferenz, umfasste das Programm Klapptische, auf denen
Unmengen von Pamphlets und Flyern lagen. Aber anders als auf einer typischen
Konferenz, betrag das Lesematerial Themen wie die spannenden israelischen
Innovationen im Bereich der militärischen Technologie und des Träger-Screenings
für jüdische genetische Krankheiten.

Viele Besucher waren auf eine
besondere Initiative hin eingetroffen. Ein Raum neben dem Eingang mit der
Aufschrift „African American Leadership Luncheon“ war voller schwarzer
Führungskräfte, die den Versuch unternahmen, sich mit einflussreichen
pro-israelischen Aktivisten zu vernetzen. Die weißen AIPAC-Mitglieder schienen
diesen Bereich aber alle zu vermeiden. Dichte Gruppen von Oberschülern und
Studenten auf gesponserten Ausflügen gingen durch die Hallen, während alte
Männer mit der Kipakopfbedeckung Wasserflaschen zu $5 festhielten. Alle
Geschosse wimmelten von einer Mischung von gradlinige Lobbisten, schnell
sprechende Shmoozer, verrückte Eiferer und stolze Spinner. Alle hatten sich
zusammengetroffen, um das offizielle Motto dieser Jahreskonferenz zu zitieren.
Was sie vereinte, war nicht die Religion (ein beträchtlicher Teil war nicht
jüdischen Glaubens), sondern ein bedingungsloser Glaube an die
Rechtschaffenheit des Zionismus und die Unfehlbarkeit des jüdischen Staates.

Wer hat Angst vor der BDS-Bewegung?

Unterhalb einer Reihe von
Aufzügen befand sich ein riesiger Raum, der als eine lose Ansammlung von
Ständen und Pavillons eingerichtet wurde, dem sogenannten AIPAC Dorf. Ein
Plakat mit der Aufschrift „Defeating BDS on Campus: Partner Perspectives“ (Der
Kampf gegen die BDS-Bewegung an den Universitäten: Partnerperspektiven) stellte
verschiedene fanatische Anti-BDS-Sprecher vor, worunter Rabbiner Evan Goodman (Geschäftsführer
von an der UC Santa Barbara) und Roz Rothstein (Mitgründer und CEO von StandWithUs).
Ich fing an, mit meinem Handy Videoaufnahmen des Plakats zu machen, aber der
Moderator Adam Teitelbaum erwischte mich und ordnete einem Saaldiener an, mich
aufzufordern, meine Aufnahme einzustellen.

Teitelbaum, ein schick gekleideter
junger Mann mit einem aufmerksam gepflegten Bart, ist beim AIPAC als
stellvertretender Führungsentwicklungsleiter tätig. Goodman, der vor kurzem unter
Beschuss kam,
weil er versucht hatte, den Autor David Harris-Gershon wegen
seiner Unterstützung der BDS-Bewegung zu zensieren, meinte: Die Mission von
Hillel besteht darin, „eine jüdische Identität und das jüdische Volk
aufzubauen, um uns in die Lage zu versetzen, unsere Werte umzusetzen und
weltweit zu teilen.“ Ohne zu sagen, um welche Werte es dabei geht, setzte er
mit der Beschreibung fort, wie sein Ortsverband von Hillel fünf Juden und 20
Nicht-Juden 10 Tage lang zu einer „Tatsachenerkundung“ nach Israel begleitete:
„Es handelt sich hierbei um eine Reise hinter den Kulissen zwecks Aufbaus der
Gemeinschaft für universitäre Einflussgruppen… zwecks Aufbaus einer Verbindung
zu Israel für verschiedene Menschen – nicht unter der Schirmherrschaft der BDS-Bewegung,
sondern in einem positiven Sinne.“

Wenn man die absurde
Formulierung „universitäre Einflussgruppen“ ausklammert, so wurde durch seine
Beschreibung der Reise klar, dass seine Verwendung der Formulierung „jüdische
Identität“ nichts mit der Einhaltung des Sabbats oder damit zu tun hatte, aus
der Geschichte von Hiob eine Leere zu ziehen; es bedeutet einfach die Stärkung
des blinden Glaubens der Amerikaner in den israelischen Staat. Teil dieser
Mission umfasst auch die Gewährleistung dessen, dass diese Amerikaner, ob Juden
oder Nicht-Juden, nicht durch irgendwelche nervtötenden Begriffe der
Selbstbestimmung oder der universalen Menschenrechte gestört werden.

Die jüdische Identität meint in
dieser Formulierung nicht nur etwas Unmoralisches, sondern auch etwas extrem
Unjüdisches. Die talmudische Tradition schätzte schon immer schon Kritik und
Selbstkritik. Diese Werte versucht die israelische Lobby aber mit einer
pathologischen Projektierung der israelischen Verbrechen auf einen gefährlichen
Anderen zu ersetzen. Diese rückständige Logik umfasst auch die BDS-Bewegung,
die der AIPAC-Kult als eine antisemitische Bedrohung sieht, obwohl sie extrem
durchdachte Zielsetzungen und gewaltfreie Taktiken anwendet. Zehn Tage Hasbara
oder pro-israelische Propaganda reichen Goodman zufolge aus, um neue Rekruten
zu „konvertieren“, indem man ihre beeinflussbaren, jungen Köpfe wie ein hohes
Glas Kool-Aid auffrischen kann.

Der irritierendste Aspekt des
Plakats antwortete auf eine Frage eines Publikumsmitglieds um die 60, namens
Bud aus Dallas, die wie folgt lautete: „Haben Sie eine Beziehung zu den
ehemaligen Studentenvereinigungen oder den Studentenvereinen der Universitäten
hergestellt? Die Studenten, die Geld verdienen, können Druck auf die Verwaltung
ausüben, indem sie sich weigern, die Beiträge an die Universität zu bezahlen.“

Rothstein sprang sofort mit
einer bewusst vagen Antwort ein, die einen direkten Angriff gegen die
akademische Meinungsfreiheit bedeutete:

„Wir sind im Begriff gerade dies
zu tun, und zwar Gruppen von Studentenvereinigungen aufzubauen. Wir haben
bereits Gruppen in Oberlin und Vassar aufgebaut. Diese umfassen in nur zwei
dieser Universitäten Hunderte von Studenten. Sie beginnen schon damit, sich mit
anderen drei Universitäten zu befassen. Sie sind sehr erfolgreich beim Aufbau
großer Gruppen. Wenn es dann ein Problem gibt, können sie kommen und Studenten
verpflichten und betreuen. Sie können sich auch zur Verwaltung begeben und mit
dieser sprechen und somit Teil der Lösung sein. Sie haben vollkommen Recht – wir
fokussieren darauf, und wir haben tatsächlich gerade ein solches
Partnerschaftsabkommen unterzeichnet.“

Ohne vollkommen sachlich zu
sein, pries Rothstein die Idee der Studenten an, zu drohen, die Spenden
zurückzuhalten, um den Aktivismus an der Universität zu unterdrücken. Steven
Salaita
war letztes Jahr das Ziel einer ähnlichen Kampagne. Und die
antipalästinensische Zensur stellt an den Universitäten landesweit einen der
wichtigsten Probleme
bezüglich der Meinungsfreiheit
dar.

Begünstigende und politische
Tätigkeiten

Die jüdischen AIPAC-Mitglieder
stellen nur eine privilegierte Abspaltung der jüdischen Bevölkerung dar; Occupy
zufolge sind sie nur 1%. Den Vorwürfen an eine mächtige jüdische Lobby, die die
US-Außenpolitik kontrolliert, begegnet man immer mit reflexartigen Antisemitismusvorwürfen.
Aber diese Vorwürfe sind nicht in der Lage, die Dynamik der proisraelischen
Lobbygruppen wie dem AIPAC zu stören, der das Geld wohlhabender Juden wirksam
einsetzt, um die US-Politik im Nahen Osten zu lenken. Als Stephen Walt und John
Mearsheimer 2007 ihr prägendes Werk The Israel Lobby and U.S. Foreign Policy
veröffentlichten, unterstellten ihnen die Zionisten antijüdische
Voreingenommenheit. Aber die Schlussfolgerung des Buches, nach der AIPAC die
US-Politik in „Würgegriff“ hält ist, ist unbestreitbar. Und die Tatsachen
sprechen für sich — AIPAC gab 2015 ungefähr $3,4
Millionen
für Lobbykampagnen aus. Davon wurden $1,67
Millionen
allein im ersten Halbjahr ausgegeben, um Lobbyarbeit im Kongress
gegen den Irandeal zu leisten – die Antisemitismusvorwürfe verfolgen Walt und
Mearsheimer bis heute.

Im prophetischen Essay
von Edward Said mit dem Titel „America’s Last Taboo“, das im Jahre 2000 Monate
nach dem Ausbruch der Zweiten Intifada in der Zeitschrift New Left Review
veröffentlicht wurde, beschrieb der Autor den AIPAC als die „mächtigste
Einzellobby in Washington.“ Said fokussierte auf Hillary Clinton, die damals
Senatorkandidatin von New York war:

„Niemand steht beispielhafter
für den Einfluss des AIPAC als Hillary Clinton. Sie überschreitet sogar die
rechtsradikalsten Zionisten in ihrer Begeisterung für Israel in ihrem gierigen
Machtkampf in New York, wo sie so weit ging, die Forderung zu stellen, die
US-Botschaft von Tel Aviv nach  Jerusalem
zu verlegen und Jonathan Pollard, dem israelischen Spion in lebenslänglicher
Haft in den USA, eine Kronzeugenregelung zu gewähren.“

Trotz ihres Rufes, unbeständig
zu sein, stellte Hillary Clinton unter Beweis, dass sich in den letzten Jahren
nicht so viel verändert hatte, als sie sich Montagmorgen im Verizon Center an
ein Publikum von Tausenden wandte. Clinton diffamierte die BDS-Bewegung als
antisemitisch und warf dieser vor, dieselben Taktiken zu nutzen, denen ihre
Befürworter oft selbst zum Opfer gefallen waren: „Erlauben Sie niemandem, Sie
zum Schweigen zu bringen, schwingen Sie große Reden oder versuchen Sie, die
Debatte abzuschließen.“

In einer verwirrenden Kritik an
Trump, warf Clinton dem republikanischen Gegner vor, genau dieselbe
rassistische Politik zu unterstützen, die Israel über Jahre umgesetzt hat:

„In einer Demokratie gibt es
Differenzen, aber was die Amerikaner in diesem Jahr in der Wahlkampftour hören,
ist etwas vollkommen anderes: Ermunterung zur Gewalt, Vermeidung einer direkten
Antwort an die weißen Suprematisten, Forderung des Zusammentreibens von 12
Millionen Einwanderern und ihrer Deportierung, Forderung der Abweisung der
Flüchtlinge aus religiösen Gründen und Vorschlag eines Einreiseverbots für alle
Muslime in die USA.“

Hillary weiß, dass das israelische
Rückkehrergesetz die jüdischen gegenüber den palästinensischen Flüchtlingen
bevorzugt. Sie weiß, dass die israelische Regierung Internierungslager in Negev
mit sudanesischen und eritreischen Asylanten füllt, von denen viele vom
Völkermord in ihren Heimatländern fliehen. Sie ist nicht so ignorant, um die
Ähnlichkeiten zwischen der Phantasie und der israelischen Realität zu
übersehen; sie will nur politisch punkten, indem sie fortschrittlich klingt.
Wenn man das Ganze auf der Grundlage der ekstatischen Reaktion auf Trump an
jenem Abend beurteilt, könnte sie aber ihr Publikum falsch eingeschätzt haben.

Gladiatoren im Kolosseum

An jenem Tag entfernte ich mich
früh am Abend mehrere Blocks vom Convention Center zum Verizon Center, um mir
Trumps Ansprache anzuhören (Kasich, Cruz und Paul Ryan hielten auch ihre Rede,
aber Trump war natürlich der Held des Tages). Ich begann mit einem Paar
mittleren Alters aus New Jersey zu sprechen. Sie sagten mir, dass sie Trump trotz
seiner unverschämten Persönlichkeit unterstützten, weil „Bekannte, die ihn
kennen“, ihnen seinen  zionistischen
guten Glauben zugesichert hatten. Ich brachte die gesamte Selbstbeherrschung,
die mir noch blieb, auf, um nicht loszuschreien: „Hören Sie sich noch selbst?“
Anstatt dessen lächelte ich, nickte und ging voran.

Die sich nur langsam bewegende
Linie, um ins Stadium zu gelangen, schlängelte sich um den Block. Während ich
wartete, traf ich ein Paar aus Rancho Palos Verdes, das dem zustimmte, dass
Trump „gefährlich“ war, aber nachdem ich sie gehört hatte, wie sie fast mit
denselben Argumenten Hillary verteidigten, ging mir die Geduld aus. Gab es hier
jemanden, der sich um andere Angelegenheiten kümmerte, die nicht direkt mit
Israel zusammenhingen? Hatten sie jegliches gültige Kriterium, um einen Präsidenten
zu wählen außer dem, den Kandidaten zu nehmen, der „eher dazu bereit ist, Gaza
zu bomben?“ Ohne Ausnahme war für jeden Besucher, mit dem ich sprach, Israel
die wichtigste Angelegenheit in der zukünftigen Wahl. Wenn man den trostlosen
Zustand der amerikanischen Politik berücksichtigt, ist diese Haltung sehr
ungewöhnlich. Viele Menschen können sich keine Gesundheitsversorgung und kein
College leisten und sind extrem verschuldet. Wall Street nimmt die Mittelklasse
straffrei aus, während fast 50 Millionen Amerikaner unter der Armutsgrenze
leben. Unser Gefängnissystem sperrt mehr Leute ein als jegliche Nation dieser
Welt. Das U.S.-Budget für das Militär überschreitet das der darauffolgenden
sieben Staaten zusammen.

Dennoch ist für die ergebenen AIPAC-Gefolgsmänner
nichts wichtiger, als Israel mit Milliarden Dollar zu versorgen, um die
militärische Besatzung eines halben Jahrhunderts beizubehalten, die für
Palästina die Hölle auf Erden bedeutet. Da alle wichtigsten
Präsidentschaftskandidaten (mit der möglichen Ausnahme von Bernie Sanders) klar
gemacht haben, dass sie alles tun werden, um die israelischen Interessen,
unabhängig vom Tribut an Menschenleben, zu begütigen, so können die Mitglieder
des AIPAC-Kults nur den Kandidaten bejubeln, der das Leben der Palästinenser am
meisten verachtet.

Die Republikaner, die
Montagabend das Verizon Center in ein modernes Kolosseum verwandelten, indem
sie den Gladiator gegen den muslimischen Boogeymen spielten, die sie nach jeder
Warnung vor dem globalen Dschihadismus luden. Trump hielt eine aus den Angeln
gehobene, aber überraschend deutliche Rede, in der er versprach, den
„katastrophalen Deal mit dem Iran auseinanderzunehmen“. Indem er eine bösartige
palästinensische Gesellschaft anprangerte, in der die „Helden diejenigen sind,
die Juden ermorden“, wiederholte Trump Netanjahus Lüge,
nach der „Israel keine öffentlichen Plätze nach Namen von Terroristen benennt“.
Er verpackte Sachen, indem er seine Tochter ausnutzte, deren jüdischer Ehemann der
Herausgeber von New York Observer Jared Kushner ist und die ihm bei der
Verfassung seiner Ansprache zur Seite stand: „Meine Tochter Ivanka wird bald
ein schönes jüdisches Baby gebären!“ Die Menge, die sich schon in einen Rausch
versetzt hatte, als Trump seine islamfeindlichen Thesen verkündete, jubelte
heiser dem jüdischen Baby zu, als wäre es das eigene. Der Abend war offiziell
entgleist.

Aber Ted Cruz kam auch nicht zu
kurz und begann seine Ansprache mit der Geschichte von Purim, indem er den
niederträchtigen Haman als Symbol für den „radikalen islamischen Terrorismus“
nutzte. Cruz schoss den Vogel im Kampfrausch ab, indem er Clinton schalt, nicht
genug zu tun, um die israelischen Kriegsverbrechen während der Operation
Protective Edge zu rechtfertigen:

„Hamas würde Raketen in
Grundschulen platzieren. Sie richteten ihre Hauptquartiere im Sitz eines
Krankenhauses ein. Ich würde anmerken, dass Hillary Clinton 2014 dies wie folgt
erörterte: ‘Hamas positioniert seine Raketen, Wurfwaffen in Bereichen, in denen
Zivilisten leben. Das hat teilweise auch damit zu tun, dass Gaza sehr klein und
dicht besiedelt ist.’ Gut, Frau Außenministerin, mit allem Respekt, aber die
Gründe, wofür sich die Raketen in den Schulen befinden, haben nicht mit Gazas
Größe, sondern wohl eher damit zu tun, dass Hamas ein terroristisches Monster
ist, das Kinder als menschliche Schutzschilder missbraucht.“

Die unabhängige
UN-Ermittlungskommission über den Gazakonflikt von 2014 gelangte
zur Schlussfolgerung
, dass Israel und nicht Hamas menschliche
Schutzschilder nutzte, während die UN-Erkundungsmission über den Gaza-Konflikt
Protective Edge wie folgt beschrieb: als einen „bewusst
unverhältnismäßigen Angriff, um eine Zivilbevölkerung zu bestrafen, zu entwürdigen
und zu terrorisieren.“ Aber für Ted Cruz und seinen harten Sockel ist das
Massaker nur insofern wesentlich, als es eine andere Gelegenheit bietet, um sich
bei der israelischen Lobby einzuschleimen.

Die Freiheit besiegt die
Tyrannei

Die Dienstagkonferenz endete mit
einer Skypeverbindung mit Netanjahu und einer Feuer-und-Schwefel-Ansprache von Bob
Menendez, dem ethisch herausgeforderten Senator aus New Jersey, der der viertgrößte Empfänger von
Spenden der proisraelischen Lobbisten im Kongress ist. Netanjahu konnte nicht
persönlich erscheinen, weil er verlegen auf seinen Besuch in Washington DC verzichtet
hatte,
und dies zweifelsohne, um ein anderes verbittertes Treffen mit Obama
zu vermeiden.

„Ich bin zuversichtlich, dass
die Tendenz, sich Israel anzuschließen mit der Zeit über die Tendenz siegen
wird, Israel schlechtzumachen“, verkündete Bibi. „Denn am Ende siegt die
Freiheit über die Tyrannei.“ Ich schlich zu einem jungen Mann, der allein dort
stand und fragte ihn: „Sind denn die Palästinenser unter Besatzung frei?“ Der
Mann war völlig unvorbereitet, zögerte und stammelte, bis er am Ende mit den
Worten herausplatzte: „Fragen Sie Ihren AIPAC-Vertreter vor Ort.“ Zionistischen
Hardlinern zuzusehen, wie sie sich drehen und winden, wenn man sie danach
fragt, die Existenz des palästinensischen Volkes mehr als die Besatzung
anzuerkennen, ist so ähnlich, als würde man dem Kurzschluss eines Roboters
zusehen, nachdem man ihm einen Eimer Wasser auf den Kopf geschüttet hat.

Menendez hielt sich eng an den
säbelrasselnden Ton der Konferenz und warnte, dass sich „Iran nie ändern wird.
Den Teufel, den man jetzt sieht, ist der Teufel, den man immer schon kannte.“ In
einem nicht so subtilen Angriff an Trumps vermeintliche Neutralität, rühmte
sich Menendez mit den Worten: „Im Unterschied zu einigen
Präsidentschaftskandidaten, bin ich nicht der Ansicht, dass die USA neutral
bleiben dürfen, wenn Israel überleben soll.“ Zusammen mit seinen Kollegen, den
Senatoren Mark Kirk und Chuck Schumer wurde Menendez vor einigen Jahren
bekannt, weil er im Jahre 2013 ein strenges, vom AIPAC unterstütztes
Sanktionengesetz namens Nuclear Weapon Free Iran Act verabschiedete. Letztes
Jahr warf das Justizministerium Menendez 14
Korruptionsfälle
, einschließlich acht Bestechungsfällen, vor. Für seine
Gerichtsverhandlung verließ sich Menendez voll und ganz auf die proisraelischen
Oligarchen,
die seine Verteidigung übernahmen.

Die letzte Person, mit der ich
sprach, bevor ich das Convention Center verließ, war ein leise und ruhig
sprechender weißhaariger Mann aus Kalifornien namens Walter, der mit seiner
Frau herumstand, als die Menge nach der Sitzung vom Dienstagmorgen
herausmarschierte. Indem er die iranische Gefahr hochspielte, fragte er: „Wie
würden Sie sich fühlen, wenn Sie morgen aufwachen und rausfinden würden, dass
es Israel nicht mehr gibt?“


„Das wird nicht geschehen“, antwortete ich. „Ich denke, dass der Iran genau
weiß, dass die USA ihn am nächsten Tag auslöschen würde, würde er Israel
angreifen.“

Walter dachte einen Augenblick nach. „Ich bin wirklich zynisch über die
Loyalität der USA gegenüber Israel, weil der Großteil dieser Loyalität in der
Art und Weise existiert, auf die Organisationen wie der AIPAC auf sie
fokussieren, und somit nur in diesem einen Bereich“. Wie die meisten Menschen,
mit denen ich sprach, teilte Walter den zielstrebigen AIPAC-Fokus und seine
unnachgiebige Paranoia. „Sie kümmern sich um nichts anderes. Sie agieren als
Lobbys im Kongress im Auftrag Israels. Und Fazit ist: wäre der AIPAC nicht da,
glauben Sie dann wirklich, dass sich der Kongress darum kümmern würde? Wenn
Israel etwas zustoßen sollte, dann wäre alles zu Ende, oh mein Gott, was für
eine fürchterliche, grausame Sache, und dann würden sie weitermachen.“

Als ich anführte, dass den Palästinensern, die im Westjordanland unter der
Besatzung leben, das Wahlrecht verwehrt wird, antwortete Walter: „Das ist genau
der Punkt, an dem unser Sohn ein Problem mit Israel hat. Er denkt, sie sollten
sich zurückziehen, aber das Westjordanland ist Samaria, und das ist der
ursprüngliche Teil Israels. Das ist die Region, aus der die Juden stammen.“
Sein Sohn „nahm eine Zeit lang an der BDS-Bewegung teil und so ähnlich… er kann
die Siedlungen nicht ausstehen, weil er denkt, dass sie unglaublich
antagonistisch sind. Und würden sie mit dem Siedlungsbau aufhören, so würde das
einen großen Schritt hin zum Frieden bedeuten.“

Nachdem ich eine weitere Abschweifung über die gerechte jüdische Forderung auf
das alte Samaria gehörte hatte und mir auch noch anhörte, wie „verschiedene
Völker dort lebten“, fragte ich Walter und seine Frau Judy, warum ihre
Abzugsleinen eine andere Farbe hatten als meine. Sie erklärten mir, dass sie
beitragszahlende Mitglieder waren. Ich sagte, dass ich ein pleite Millennial
war und mir gerade noch das Ticket leisten konnte. Als er das Wort „Millennial“
hörte, kämpfte Walter um die richtigen Worte, um meine Generation zu
beschreiben. „Eine Sache ist sicher“, fing er an, „die Zukunft ist in unseren
Händen.“ Es war ein abgedroschenes, aber auch zärtliches Gefühl. Und ich
lächelte wider Willen und verabschiedete mich von Walter und Judy, bevor ich
die Konferenz für immer verließ.

Robert Bryan ist Journalist und
schreibt im Besonderen für Jacobin und Mondweiss.