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Wir sind mitten im Krieg: Junge Welt interviewt Rudolph Bauer

von Arnold Schölzel, Junge Welt, 05.03.2016. Wir sind mitten im Krieg«,Gespräch. Mit Rudolph
Bauer. Über die Schwäche der Linken, wechselnde Firmenschilder der
Bertelsmann-Stiftung und das Kapern von Begriffen. 


Berlin, Bundeskanzleramt, 21. Mai 2007: zwei gute Freundinnen – Angela
Merkel (CDU, r.) und die Vorsitzende der Bertelsmann-Stiftung Liz Mohn
Foto: Arnd Wiegmann / Reuters
Rudolph Bauer … ist Politikwissenschaftler, Schriftsteller und Bildender
Künstler. Von 1972 bis 2002 war er Professor für Wohlfahrtspolitik und Soziale
Dienstleistungen im Studiengang Sozialarbeitswissenschaft an der Universität
Bremen. Zu Rudolf Bauers jüngsten Veröffentlichungen gehören die Titel:
»Rüste-Wüste«, militarismuskritische Bildmontagen (herausgegeben vom Bremer
Friedensforum), Bremen 2016; »Nel mezzo di una guerra … per un pacifismo
radicale« (Übersetzung: Milena Rampoldi), Epubli, Berlin 2016; »Kriege im 21.
Jahrhundert« (Herausgeber und Autor), Annweiler am Trifels 2015; »Wir befinden
uns mitten im Krieg. Militarisierung im Digitalen Zeitalter« (herausgegeben vom
Bremer Friedensforum), Bremen 2014; »Flugschriftgedichte«, Bremen 2013;
»Schutzschirmsprache«, politische Gedichte, mit Cartoons von Lothar Bührmann,
Bremen 2010.
Bis zum 24. März ist in Bremen die Ausstellung »Flucht« mit Bildmontagen
Rudolph Bauers zu sehen im Bürgerhaus Gemeinschaftszentrum Obervieland (BGO),
Alfred-Faust-Str. 4, Öffnungszeiten: Montag bis Freitag jeweils von 8.00 bis
21.30 Uhr
Links zu sein oder sich in der Friedensbewegung zu engagieren, ist unter
tonangebenden Intellektuellen der Bundesrepublik, in der Wissenschaft oder der
Literatur und Kunst gegenwärtig nicht gerade angesagt. Raum erhalten in den
Medien rechte Leute bis hin zu offenen Rassisten. Ist das richtig beschrieben,
wird das überschätzt?
Intellektuelle, gibt’s
die noch? Und »tonangebend«? Das bedeutet ja wohl eher: mit den Wölfen heulend.
Ich sehe leider weit und breit keine kritischen Intellektuellen im Sinne von
Voltaire (französischer Philosoph, 1694–1778) und der europäischen Aufklärung.
Aber zu Ihrer eigentlichen Frage: Aufs Unter- oder Überschätzen kommt es meiner
Ansicht nach nicht so sehr an. Angesagt ist, worauf der Spot, das
Scheinwerferlicht, gelenkt wird. Da spielen die öffentlich-rechtlichen und
privaten Fernseh- und Radioanstalten, die großen Printmedien, das Internet und
Thinktanks – wie etwa die Bertelsmann-Stiftung – eine ganz entscheidende Rolle.
Sie lenken einerseits ab, andererseits lenken und steuern sie die
Aufmerksamkeit des breiten Publikums. Kritische Stimmen und Positionen blenden
sie weitgehend aus, verbannen sie zum Totlachen ins Kabarett oder auf einen
mitternächtlichen Sendeplatz. Die Medien sind in einer schier unglaublichen
Weise einheitlich ausgerichtet, heben das eine übermäßig hervor, jagen
regelmäßig eine neue Sau durchs Dorf und verschweigen anderes total.
Unbehagen an den
Zuständen ist weit verbreitet, aber aus ihm folgt nicht viel an offenem
Protest. Woran liegt das?
Das hat mit der
subjektiven und objektiven Schwäche der Linken und der fortschrittlichen
sozialen Bewegungen zu tun. Als Subjekte neigen Teile der Linken zum
Sektierertum, zur vollmundigen Rechthaberei, zum spalterischen Denunzieren. Die
Pest des Gegenseitig-sich-Abgrenzens unter Linken lähmt die Bewegung. Die
Herrschenden tun zusätzlich das Ihre, den Pazifismus lächerlich zu machen, den
Marxismus zu veräppeln, die Arbeiterbewegung zu domestizieren, linke Milieus zu
unterwandern, den Sozialismus zu diskreditieren, unerwünschte Fragen als
verschwörungstheoretisch abzuwimmeln, usw. Nicht zu vergessen: Die
Berufsverbote wirken immer noch nach! Begriffe wie »Klasse«, »Bourgeoisie« oder
»Kapitalist« werden tunlichst vermieden. Das terminologische Sezierbesteck der
soziologischen und politisch-ökonomischen Analyse bleibt unbenutzt.
»Objektiv« meint hier
die materiellen und ökonomischen Ressourcen, aber auch das kulturelle und
soziale Kapital, wie Pierre Bourdieu (französischer Soziologe, 1930–2002) das
nennt. Es mangelt an gesellschaftlicher Verankerung, am Einfluss auf Bildung
und Kunst. Schauen Sie sich die Medien an! Oder die von Drittmitteln abhängige
Forschung. Oder den kommerzialisierten Kunstzirkus. Wer betreibt heute an einer
Universität noch Friedensforschung?
Eine Situation linker
Ratlosigkeit?
Nein, nein – Rat gibt es
schon. Er stößt nur nicht auf Resonanz, und manche Ratschläge werden einfach
nicht ernst genommen. Ich bin ja nicht nur Engagierter, sondern auch
Beobachter. Da sehe ich z. B. in der Friedensbewegung Menschen, wunderbare
Menschen fürwahr, die seit 35 Jahren, seit den Zeiten des Krefelder Appells, an
führender Stelle und unermüdlich aktiv sind. Sie reagieren oft auf Vorschläge,
dies oder jenes einmal anders zu sehen oder gar anders zu machen, völlig
resistent. Es muss alles so gemacht werden und ablaufen wie damals. Nehmen wir
das Beispiel »Friedenswinter«. Ich hätte die Aktion nie so genannt, weil dieser
Begriff falsche Assoziationen weckt. Was hat denn der Frieden mit dem Winter
gemein? Frieden ist Frühling, Hoffnung, Erwachen der Natur. Bei einer Beratung
in Hannover habe ich vorgeschlagen, lieber vom »Kriegswinter« zu sprechen. Mit
dem Wort würden die Älteren Erinnerungen an die schrecklichen Hungerwinter Ende
des Zweiten Weltkrieges verbinden. »Winter« und »Krieg« ergeben eine
aufrüttelnde Konnotation. Aber es stand schon alles fest. Da war nichts zu
machen. »Friedenswinter« sollte es sein. Da kamen auch welche aus der
Friede-Freude-Eierkuchen-Ecke und erklärten tatsächlich, es gehe doch um die
Erhaltung des Friedens und nicht um den Krieg. Keiner merkte etwas: Von
Friedenserhaltung oder -bewahrung kann doch gar keine Rede mehr sein. Wir sind
mitten im Krieg! Aktive, die sich auf politisches Marketing verstehen oder
einfach nur ihren Verstand benutzen, sind nicht vorhanden oder auch nicht
erwünscht.
Sie haben sich
wissenschaftlich lange mit dem sogenannten Dritten Sektor beschäftigt. Das ist
laut Lexikon der Non-Profit-Teil, das weder marktorientierte noch staatliche
Segment einer Volkswirtschaft, also Genossenschaften, Wohlfahrtsverbände oder
Stiftungen. Mit der Bertelsmann-Stiftung haben Sie sich besonders intensiv
auseinandergesetzt. Warum?
Weil es sich dabei um
eine Organisation handelt, die ich für äußerst gefährlich halte. Einerseits
erweckt sie den Eindruck der Seriosität und Wissenschaftlichkeit. Gemeinhin
gelten Stiftungen auch als etwas Honoriges, Gutes, Menschenfreundliches. In
Wahrheit aber unterminiert diese Stiftung die Demokratie, besetzt
fortschrittliche Begriffe mit reaktionärem Inhalt, propagiert den
Neoliberalismus in Ökonomie und Politik – Stichwort: Privatisierung
öffentlicher Aufgaben. Sie trägt bei zur Verflachung von Bildung und
Wissenschaft. Zusammen mit den Medien des Bertelsmann-Konzerns befördert die
Stiftung den Prozess der gesellschaftlichen Verblödung und der deutschtümelnden
Militarisierung.
Wie begründen Sie das?
Ich habe mich zunächst
damit befasst, was die Stiftung im kommunalpolitischen Bereich machte. Das
Ergebnis war: Sie hat zunächst intensiv propagiert, dass die Kommunen sich
verschulden. Das lief auch sehr gut, vor allem in sozialdemokratisch geführten
Gemeinden. Sozialdemokraten neigen ja gern zum Keynesianismus. Nachdem die
Kommunen dann aber bis über die Ohren in Schulden steckten, kam die Stiftung
erneut und erklärte: Jetzt privatisieren wir dies und jenes im öffentlichen
Dienst. »Schlanker Staat« war angesagt. Und all das, was dann von den Kommunen
noch übrig geblieben ist, sollte organisiert werden wie ein Konzern!
Management, Produktbeschreibungen, Kennziffern und dergleichen Unfug waren
angesagt. Dieser Zusammenhang ist sehr einfach nachzuprüfen, er wird
üblicherweise aber völlig übersehen. Was da passiert, ist hinterhältig. Auch
bei der Hartz-Gesetzgebung hat die Bertelsmann-Stiftung mitgemischt.
Die Idee ist demnach:
Nehmt erst einmal Kredite auf und stellt viele Infrastrukturvorhaben auf die
Beine. Wenn dann die Schulden aufgehäuft sind, heißt es: Jetzt muss
privatisiert werden. In den Kommunen womöglich noch durch die Hilfe einer
Bertelsmann-Tochtergesellschaft?
So lässt sich das
treffend zusammenfassen. Sie spielen auf »Arvato« an, eine Bertelsmann-Tochter.
Dasselbe Spiel lief auch auf der Ebene des Bundes und der Länder. Da wird die
»schwarze Null« ausgerufen und die Schuldenbremse in der Verfassung verankert –
schon gibt es hinreichend Argumente zur Rechtfertigung von Kürzungen im
Sozial-, Bildungs- und Gesundheitswesen. Für die maroden Banken sowie für
kriegerische Auslandseinsätze werden dennoch Milliarden lockergemacht. Ich
wurde bei meinen Untersuchungen derart fündig, dass ich sage: Da läuft
Unglaubliches ab. Und niemand merkt es. Obendrein wird die Bertelsmann-Stiftung
von der Finanzbehörde in Nordrhein-Westfalen auch noch als gemeinnützig
anerkannt. So entzieht man mit staatlicher Billigung der Allgemeinheit Steuern
und lässt es zu, dass ein paar Reiche mit ihren nicht versteuerten Gewinnen nach
persönlichem Gutdünken und im Profitinteresse Projekte finanzieren können, um
ihrer politischen Meinung Nachdruck zu verleihen. Natürlich bekommen dann auch
ein paar Schüler Musikinstrumente geschenkt. Und schon stimmt das soziale
Wohltäterimage der Stiftermafia.
Welchen Einfluss hat die
Stiftung in der Bundesrepublik?
Zunächst spielt sie
allein deswegen eine große Rolle, weil sie mit dem Bertelsmann-Konzern
zusammenhängt. Der besitzt im In- und Ausland Druckereien und
Dienstleistungsunternehmen, das weltgrößte Verlagskonsortium Random House, gibt
Zeitungen und Zeitschriften heraus und betreibt vor allem Fernsehsender – z. B.
die RTL-Kette. Dafür, wie dies alles ineinander greift, gibt es das
schöne Wort »Synergie«. Alles, was die Stiftung von sich gibt, wird in die
Medien geschleust, die anschließend treu darüber berichten – sogar jW.
Das funktioniert großartig. Außerdem suchen sie sich bei der Stiftung
grundsätzlich Themen heraus, die einen leicht linken Einschlag haben. Sie
schaffen es damit, die Oberen in den Gewerkschaften und in der SPD an sich zu
binden. Ich vermute, in der Linken gibt es auch genügend Leute, die sich davon
beeindrucken lassen. Auf diese Weise hat die Stiftung einen breiten politischen
Flankenschutz – auch dort, wo man Kritik vermuten sollte. Dabei geht völlig
unter, dass es sich bei Bertelsmann – in der Einheit von Thinktank und
Medienmacht – um eine Verblödungsmaschinerie sondergleichen handelt. Ziel ist
der entmündigte 24-Stunden-Konsument. Der Titel einer viel zu wenig beachteten
Buchveröffentlichung im Campus-Verlag von Thomas Schuler lautet nicht zu
Unrecht »Bertelsmann-Republik Deutschland. Eine Stiftung macht Politik«.
Welchen Anteil hat die
Stiftung an der Militarisierung der Gesellschaft?
Sie wirbt für eine
EU-Armee. Dies funktioniert bis dato zwar noch nicht in der gewünschten Weise,
aber steter Tropfen höhlt den Stein. Freilich gibt es jetzt schon eine Reihe
von Beispielen auf EU-Ebene, dass das funktionieren kann – wie die kürzlich
getroffene Vereinbarung zwischen der Bundesrepublik und den Niederlanden.
Letztere stellen die Truppentransporter, die BRD die Ausrüstung und beide
Länder die Soldaten. Ein Hinderungsgrund, warum es mit der EU-Armee nicht
rascher vorangeht, resultiert aus dem NATO-Bündnis: Da gibt es den einen transatlantischen
großen Bruder und die vielen, untereinander konkurrierenden nationalen
Mitgliedsstaaten in der EU. Innerhalb dieser Struktur kann der Große viel mehr
erreichen als wenn die Europäer etwas Gemeinsames auf die Beine stellen und ein
Gegengewicht bilden. Man kann sarkastisch formulieren: Die List der Vernunft –
Marke USA – verhindert die EU-Armee. Noch.
Aber noch einmal:
Welchen Anteil hat die Bertelsmann-Stiftung an der Militarisierung,
beispielsweise in der Wissenschaft?
Militarisierung heute vollzieht
sich generell nicht auf plumpe Weise. Man legt, wie gesagt, großen Wert darauf,
dass die Vorhaben immer einen leicht progressiven, sogar linken Eindruck
erwecken. Denken Sie an den ehemaligen Außenminister Joseph Fischer von den
Grünen: Krieg, um angeblich ein neues Auschwitz zu verhindern. Militarisierung
heute geht »soft« vonstatten. In bezug auf die Bundeswehr sieht es etwas anders
aus, da macht man das schon ziemlich offen. Dafür steht z. B. die
Venusberg-Gruppe, die 1999 unter Beteiligung der Bertelsmann-Stiftung ins Leben
gerufen wurde. Sie legte 2004 ihren ersten Bericht vor unter dem Titel »A
European Defence Strategy« (Eine europäische Verteidigungsstrategie). Die
Gruppe wurde nach dem Ort ihres Treffens, dem Venusberg bei Bonn, benannt. Sie
entstand im Rahmen des vom Centrum für Angewandte Politikforschung (CAP) der
Bertelsmann-Stiftung initiierten Projekts »Europas weltpolitische
Mitverantwortung«. Die Stiftung und die »Bertelsmann-Forschungsgruppe Politik«
des CAP nahmen Einfluss auf die personelle Zusammensetzung der Gruppe. Da waren
Leute aus Ministerien, der Wissenschaft und militärnahen Institutionen
vertreten. Das Netzwerk wurde von der als gemeinnützig anerkannten Stiftung
finanziert. Nebenbei: Sie wissen sicher, dass ATTAC vor einiger Zeit der Status
der Gemeinnützigkeit aberkannt wurde. Die Begründung: ATTAC engagiere sich
politisch. Bertelsmann darf das.
Wie ging es mit der
Venusberg-Gruppe weiter?
2005 erschien ein
zweiter Venusberg-Bericht: »Warum die Welt ein starkes Europa braucht und warum
Europa stark sein muss. Zehn Botschaften an den Europäischen Rat«. Hierauf
folgte 2006 ein Dokument der Bertelsmann-Stiftung, überschrieben mit der
Forderung »Deutschland braucht eine nationale Sicherheitsstrategie«. Zwei Jahre
später erschien das dritte und bislang letzte Venusberg-Papier: »Was folgt nach
2010? Leitlinien für die europäische Sicherheitspolitik im Zeitalter der
Globalisierung«.
An Stelle des
Venusberg-Netzwerks etablierte sich 2012 das Projekt »Elemente einer
außenpolitischen Strategie für Deutschland«. Aus ihm ging 2013/14 eine Schrift
hervor, auf die sich Bundespräsident Gauck und die Minister von der Leyen und
Steinmeier bei der Münchner Sicherheitskonferenz 2014 bezogen haben. Ihr Titel:
»Neue Macht. Neue Verantwortung. Elemente einer deutschen Außen- und
Sicherheitspolitik für eine Welt im Umbruch«.
Thinktanks wie die
Bertelsmann-Stiftung führen den Regierenden bei der Konzipierung der Außen- und
Militärpolitik die Feder?
Genau so ist es. Das
zwischen November 2012 und September 2013 erarbeitete Papier fordert von der
Bundesrepublik die Übernahme von mehr Verantwortung im Umgang mit »Störern der
internationalen Ordnung«. Es plädiert dafür, dass Europa und die Bundesrepublik
Formate für NATO-Operationen entwickeln, bei denen sie weniger auf die USA
angewiesen sind. Vor allem müsse Europa mehr Sicherheitsvorsorge in der eigenen
Nachbarschaft betreiben, und unser Land müsse dazu einen seinem Gewicht
angemessenen Beitrag leisten.
Die Inhalte dieser
Berichte wurden über die einschlägigen Medien verbreitet. Gerade aus diesem
Vorgang lässt sich ableiten: Bertelsmann verbirgt sich hinter wechselnden
Firmenschildern, nicht zuletzt, weil man das linke Image nicht verlieren will.
Letzteres rührte u. a. daher, dass Reinhard Mohn, der inzwischen verstorbene
langjährige Chef des Konzerns, in den 1950er Jahren eine Mitarbeiterbeteiligung
einführte.
Hat die Stiftung neben
den erwähnten noch andere Hausnummern?
Pauschal lässt sich
sagen: Hinter jedem Zentrum, das sich mit C schreibt, steckt Bertelsmann. Als
erstes ist das schon erwähnte CAP zu nennen. Es gibt außerdem das CKM, das
Centrum für Krankenhausmanagement an der Universität Münster – dazu sei nur
erwähnt, dass eine Tochter von Bertelsmann-Chefin Liz Mohn, Brigitte Mohn,
Mitglied im Aufsichtsrat des Rhön-Kliniken-Konzerns war – zusammen mit dem
Plagiat-Baron Karl-Theodor zu Guttenberg. Dann gibt es an der Heidelberger
Universität das Centrum für soziale Investitionen und Innovationen CSI, und es
gibt das Centrum für Hochschulentwicklung CHE in Gütersloh direkt am Sitz der
Stiftung. Das CHE propagierte das »Reform«-Leitbild von der »entfesselten
Hochschule«. Ergebnis sind unsere intellektuell platt gebügelten Universitäten
als Zuliefererbetriebe für die Ökonomie.
All die genannten
Centren haben ein positives Image – sozial, fortschrittlich, innovativ,
alternativ. Das verbindet sie übrigens auch mit vielen der
Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Deren zwiespältigen Charakter hat niemand
begriffen, mit Ausnahme offenbar von Wladimir Putin. (Lacht.)
Sie meinen, dass es sich
bei NGOs um von Regierungen finanzierte Nichtregierungsorganisationen handelt?
Hier darf man nicht
verallgemeinern. Aber es ist richtig, dass ein Teil der NGOs Regierungsgelder
erhält und in staatlichen Diensten tätig ist. Ein anderer Teil wird durch die
Erteilung des Gemeinnützigkeitsstatus – sprich: Steuerbefreiung – an der kurzen
Leine geführt. Das Fatale ist, dass all diese Undercover-NGOs unterschiedslos
als unverdächtig gelten, weil man sie ebenso einschätzt wie all die tollen
NGOs, die wir beispielsweise gerade beim Engagement für Flüchtlinge erleben.
Wir können feststellen, dass die Herrschenden sehr genau beobachten, was
ankommt. Das unterlaufen sie, übernehmen es und kapern gewissermaßen die
Strukturen und die Begriffe. Dann beginnt man sich zu wundern, oder auch nicht,
dass NGOs auf einmal agieren wie Regierungsfilialen; dass die von Linken hoch
geschätzte Zivilgesellschaft zu einer Uniform- oder sogar zu einer Militärgesellschaft
geworden ist; dass Solidarität einen Zuschlag bei der Lohnsteuer versüßt; oder
dass der positiv besetzte Begriff »Alternative« von der AfD verwendet wird. Das
ist holzschnittartig von mir argumentiert, aber es ist etwas Wahres dran.
Schauen Sie sich alle die privaten Hochschulen und Universitäten an, z. B. die
Hertie School of Governance in Berlin. Da sitzt dann ein Claus Offe, den ich
persönlich schätze und der früher einmal als linker Soziologe galt. Die
Stiftungen kaufen sich einfach diese Leute mit fortschrittlichem Heiligenschein
und renommieren damit. Nicht wenige von ihnen werden auf sanfte Weise umgepolt
und lassen sich von Fall zu Fall korrumpieren.
Das ist ja auch
einleuchtend: Da ist etwas Gutes, es ist dauerhaft, man gewöhnt sich dran, es
ist mit Engagement verbunden …
… das
bürgerschaftliche Engagement ist ja ebenfalls so ein Thema, das die
Bertelsmann-Stiftung aufgegriffen und in ihrem Sinne gewendet hat. Dazu gab es
von 1999 bis 2002 sogar eine Enquetekommission des Bundestages, in der frühere
Kollegen von mir saßen, die sich glücklich schätzten, weil ihr Ansatz
regierungsamtliche Weihen erfuhr. Das Schlimme ist, dass es kaum noch kritische
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gibt, die Begriffe wie
»bürgerschaftliches Engagement«, »Zivilgesellschaft«, »Alternative«, »Reform«,
»Solidarität« oder auch »Terror« unter die Lupe nehmen, sie abklopfen nach
ihrer ursprünglichen Bedeutung und aufdecken, wie verkommen sie heute verwendet
werden. Ich kann keine Subjekte benennen, die für das Weichspülen der Begriffe
verantwortlich sind, aber es gelingt einfach in großem Maßstab, gleichsam
hinter unserem Rücken, linke Begriffe zu besetzen und umzudrehen. Der Prozess
verläuft langsam, fast unbemerkt. Auf einmal aber befindet man sich in völlig
anderen gesellschaftlichen, politischen und ideologischen Zusammenhängen, wenn
man dem folgt. Ich denke, dass viele Linke oder frühere Linke diesen Vorgang
nicht bewusst wahrgenommen haben und auch nicht wahrnehmen. Das ist ebenfalls
ein wesentlicher Grund für die aktuelle Schwäche der Linken und der
Friedensbewegung sowie für die Stärke der anderen. Der Klassenkampf – um diesen
zentralen marxistischen Begriff ins Bewusstsein zu rufen – findet statt, aber
hauptsächlich als Klassenkampf von oben. Wenn darüber das Bewusstsein sich
schärft, wird es auch einen Klassenkampf von unten geben.