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Trotz Repression durch die Palästinensische Autonomiebehörde, streiken die Lehrer im Westjordanland weiter


Megan Hanna ميغان حنا

Amaya al-Orzza أمية الارزا



MintPress, 29.02.2016


Übersetzt von 
Milena Rampoldi میلنا رامپلدی



Herausgegeben von 
Fausto Giudice Фаусто Джудиче فاوستو جيوديشي


Der
Streik, mit welchem die Lehrer die Einlösung der Versprechen einer
Vereinbarung von 2013 fordern,  findet inmitten einer vermehrten
Unzufriedenheit mit der Palästinensischen Autonomiebehörde unter den
Palästinensern im Westjordanland statt.

 Zwanzig
Lehrer und zwei Schuldirektoren wurden während der Proteste der letzten
Woche verhaftet. Lehrer aus dem gesamten Westjordanland streiken nun
seit mehr als zwei Wochen und fordern ihre Rechte gemäß der Vereinbarung
von 2013 mit der Palästinensischen Autonomiebehörde. Hier teilen
Studentinnen ihre Solidarität mit den streikenden Lehrern mit. (Foto:
Rich Wiles)

BETHLEHEM, besetztes Westjordanland — Die Schulen des
Westjordanlandes sind nun aufgrund eines Generalstreiks der Lehrer gegen
die Regierung der Palästinensischen Autonomiebehörde seit mehr als zwei
Wochen geschlossen.

Der Streik entwickelt sich inmitten der zunehmenden Unzufriedenheit
der Palästinenser mit der Palästinensischen Autonomiebehörde sowie in
einer immer schlechteren wirtschaftlichen Schieflage, die immer mehr
Druck auf die Palästinenser im Westjordanland ausübt, die schon so lange
unter der andauernden militärischen Besatzung von Seiten Israels
leiden. Aber eine der größten Sorgen der Lehrer betrifft die
stagnierenden Löhne, die sich nicht an den steigenden
Lebenshaltungskosten anpassen.

Die Lehrer der palästinensischen öffentlichen Schulen riefen den Streik am 10. Februar aus und  verlangten u.a. regelmäßige Gehaltsanpassungen und Förderungen, in der Reihe der Maßnahmen, die seit der Unterzeichnung einer  Vereinbarung zwischen der Palästinensischen Autonomiebehörde und der Palästinensischen Lehrergewerkschaft nach den Streiks im Jahre 2013 ausstehen.

Seit dem Beginn des Streiks haben ungefähr 35.000 Grundschul- und
Hauptschullehrer die Arbeit niedergelegt. Der Streik betrifft ungefähr 1
Million Kinder.

15.000 palästinensische Lehrer versammelten sich am 23. Februar zu
einem friedlichen Protest vor dem Palästinensischen Legislativrat in
Ramallah. Die Demo folgte einem anderen Protest der vorherigen Woche,
mit ungefähr 20.000 Demonstranten, die größte Veranstaltung seit dem Tod
des palästinensischen Führers Yasser Arafat vor mehr als 10 Jahren.

Obwohl die herrschenden Medien den Streik zu Beginn wenig beachteten,
hat die Entscheidung der Palästinensischen Autonomiebehörde, zahlreiche
Kontrollpunkte um Ramallah zu errichten, um letzte Woche die
Massenmobilisierung der Lehrer zu vermeiden, weltweite Aufmerksamkeit erregt.

Razzia gegen die Streikenden

Seit Beginn des Streiks der palästinensischen Lehrer, hat die
Palästinensische Autonomiebehörde damit angefangen, hart gegen die
Demonstranten vorzugehen. Die Lehrer gelten im Westjordanland als einer
der wichtigsten Beschäftigungssektoren, und deren Fähigkeit, sich zu
versammeln, symbolisiert ganz klar eine wesentliche Opposition. Und die
Tatsache, dass die Lehrer Druck ausüben, damit ihre Forderungen erfüllt
werden, scheint die Palästinensische Autonomiebehörde überrascht zu
haben.

Zusätzlich zu den Barrikaden, die am 23. Februar an den Kontrollpunkten errichtet wurden, wurde sogar von Fällen berichtet, in denen
die palästinensische Polizei Strafen von 300 Schekel (=71 €) an die
Fahrer verhängte, die Lehrer mitnahmen. Einige Polizeibeamt drohten auch
den Taxifahrern, die Lehrer mitnahmen, mit dem Entzug des
Führerscheins.

„Wir überquerten vier Kontrollpunkte, gingen an Polizisten,
Geheimagenten und Soldaten vorbei. Man fragte uns, ob wir Lehrer wären
oder nicht und wir mussten lügen, um durchzukommen. Als wären wir
Verbrecher“, berichtete ein Oberschullehrer aus Bethlehem, dessen Namen
wir aus Sicherheitsgründen nicht nennen dürfen, MintPress.

The Palestinian Authority security forces were reported to have removed teachers from buses and threatened to confiscate their identity cards.  Supplied: Facebook/Palestinian Teachers



Berichten
zufolge hätten die Sicherheitskräfte der Palästinensischen
Autonomiebehörde Lehrer aus den Bussen gezerrt und bedroht, ihre
Personalausweise zu beschlagnahmen. (Foto: Facebook/Palestinian
Teachers)

Infolge der Demo der vorigen Woche wurden 22 Lehrer verhaftet und 24 Stunden festgehalten, bevor man sie wieder freiließ.

Die Palästinensische Autonomiebehörde, die alles daran setzt, die
Lehrer von ihrem Streik abzuhalten, ordnete sogar den Moscheen im
Westjordanland an, den Streik während der Freitagspredigt anzuprangern.

„Ich saß gerade zu Hause, als ich den Imam der örtlichen Moschee den
Streik kritisieren hörte. Dann erfuhr ich, dass es auch in den anderen
Moscheen so war und dass die Palästinensische Autonomiebehörde dies
angeordnet hatte“, teilte Abu Suhaib, ein Hauptschullehrer aus
Bethlehem, MintPress News mit.

„Es wurden auch Gerüchte verbreitet, nach denen die
Abschlussprüfungen für die Schüler des Abiturjahres wegen des Streiks
verlegt werden müssten und dass diese somit die Fristen für die
Immatrikulation an den Universitäten verpassen würden“, setzte der
Lehrer fort. „Das ist ein Plan, um alle gegen uns aufzuhetzen, sowohl die
Eltern als auch die Schüler.“

Versuche, die Organisation zu torpedieren

Die Lehrer haben den Streik und die Demo weitgehend über die sozialen
Medien koordiniert. Seit Beginn des Streiks wurde ihre Kommunikation
aber durch dauernde Hacking-Versuche in verschiedenen von ihnen
eingerichteten Facebookgruppen gefährdet.

„Jedes Mal, wenn wir eine neue Facebookgruppe ins Leben rufen, wird
sie gehackt. Und so können wir die Informationen nicht mit anderen
Lehrern im Westjordanland teilen. Wir müssen eine neue Gruppe einrichten
und können nur hoffen, dass sie diesmal nicht so schnell gehackt wird“,
so Abu Suhaib.

Er erklärte auch, dass die sozialen Medien ein wichtiges Werkzeug für
die Koordinierung des Streiks sind, da es ja keine richtige
Gewerkschaft gibt.

Die Palästinensische Gewerkschaft der öffentlich Bediensteten wurde  2014 durch eine Verordnung des Präsidenten der
Palästinensischen Autonomiebehörde Mahmoud Abbas für illegal erklärt.
Seitdem gibt es für die Lehrer nur die Lehrervereinigung, die aber
keinen Status als Gewerkschaft aufweist. Diese Vereinigung widersetzte
sich dem aktuellen Streik, und sein ehemaliger Leiter, Ahmad Suheil,
wurde sehr stark von den streikenden Lehrkräften kritisiert, weil es der
Vereinigung an Unabhängigkeit fehlt und sie zu sehr von der
Palästinensischen Autonomiebehörde abhängt.

Trotz des zunehmenden Drucks auf die Lehrer, den Streik zu beenden,
behauptete Abu Suhaib nach der Dienstagdemo: „Der Protest kommt in
Schwung. Am Dienstag konnte man fast die Revolution riechen.“

Am selben Tag errangen die Streikenden einen wesentlichen Sieg: Suheil gab den Forderungen der Streikenden nach und kündigte.

„Wenn die Vereinigung ein Hindernis für die Vereinbarung zwischen den
Lehrern und der palästinensischen Regierung ist, dann kündige ich“, meinte er.

Die Palästinensische Autonomiebehörde macht sich Sorgen um ihre Kontrollstruktur

Die Reihe von Aktionen der Palästinensischen Autonomiebehörde, die
offensichtlich das Ziel verfolgt, den Streik und die Forderungen der
Lehrer zu diskreditieren, zeigt die fehlende Kontrolle der Regierung
über ihre Bevölkerung und die Lehrerdissidenz.

Das Interesse der Palästinensischen Autonomiebehörde an der Kontrolle
jeglichen Zeichens von Unruhe in der eigenen Bevölkerung wird klarer,
wenn man auf andere Beispiele ihrer Maßnahmen sieht, die das Ziel verfolgen, jegliche Form von Protest, vor allem gegen die israelische Besatzung, zu unterdrücken.

Eine im Herbst 2015 durchgeführte Umfrage
hat ergeben, dass die Popularität der Palästinensischen
Autonomiebehörde und von Präsident Abbas das absolute Tief erreicht hat –
ungefähr zwei Drittel der Palästinenser glauben nicht, dass die
Palästinensische Autonomiebehörde in ihrem Interesse handelt. Der
Entschluss der Palästinensischen Autonomiebehörde, Kontrollpunkte
aufzustellen, um die Demonstranten aufzuhalten, verursachte große
Empörung in den sozialen Medien und untermauerte mit Sicherheit nicht
die These, nach der die Palästinensische Autonomiebehörde die
Palästinenser unterstützt.


http://tlaxcala-int.org/upload/gal_12925.jpg



Beim Analysieren der Begründungen der Palästinensischen
Autonomiebehörde zur Beendigung des Streiks, ist es wichtig, die
fehlende Unabhängigkeit der Regierung zu betonen. Die Palästinensische
Autonomiebehörde entstand infolge der Abkommen von Oslo und handelt unter dem Dach und mit der taktischen Akzeptanz durch Israel.
Israel ist einer der wichtigsten Akteure, der an einer ruhigen Lage im
Westjordanland interessiert ist. Denn eine Revolte, auch wenn es sich um
örtliche Angelegenheiten wie die Lehrerrechte handelt, gibt Anlass zu
tiefer Besorgnis.

Die Palästinensische Autonomiebehörde ist die verantwortliche Entität
für die Verwaltung des Westjordanlandes und seiner Bevölkerung. Sie
schafft Arbeitsplätze für eine Gesellschaft mit einer hohen Arbeitslosenrate und kümmert sich um die Sicherheit.

Wie die „Sicherheitskoordination“ zeigt,
kommt diese Sicherheit oft mehr Israel als der Bevölkerung des
Westjordanlandes unter der Palästinensischen Autonomiebehörde zugute. Im
vorigen Monat kam der Leiter des Palästinensischen Nachrichtendienstes
 Majid Faraj unter Beschuss, als er Defense News
mitteilte, dass die “Nachrichtendienst- und Sicherheitskräfte der
Palästinensischen Autonomiebehörde seit Oktober 200 Angriffe gegen
Israel verhindert, Waffen beschlagnahmt und ungefähr 100 Palästinenser
verhaftet haben”. Obwohl die „Sicherheitskoordination“ zwischen der
Palästinensischen Autonomiebehörde und Israel kein Geheimnis war, stieß
die Offenbarung solcher Details durch den Leiter der Geheimdienste
inmitten der aktuellen Lage auf weitgehende Kritik von Seiten der
palästinensischen Gesellschaft.

In der Zwischenzeit überwacht Israel alle möglichen Quellen der
Unruhe, einher mit den politisch motivierten Demos gegen die Besatzung.

„Berichten zufolge war Israel eine führende Stimme, die letzten
Sommer die Lösung der Krise der UNRWA-Schulen forderte. Ein solcher
Druck stünde aber nicht im Zusammenhang mit humanitären Fragen, sondern
wäre im Potential der Unstabilität begründet, die auf die Schließung der
Schulen für Tausende von Schülern zurückzuführen wäre”, teilte Simon
Reynolds, Sprecher des Badil Resource Center, MintPress mit, indem er
auf eine bedrohliche und gerade noch vermiedene Verspätung in der
Eröffnung der Schulen des Hilfswerkes der Vereinten Nationen für die
Palästina-Flüchtlinge aufmerksam machte.

Dies könnte auf das Interesse Israels am aktuellen Streik und auf den
Druck, den es auf die Palästinensische Autonomiebehörde zwecks seiner
Beendigung ausüben könnte, schließen lassen. Obwohl die Palästinensische
Autonomiebehörde sei es wirtschaftlich als auch praktisch von Israel
kontrolliert ist, darf die Rolle der USA nicht unterschätzt werden. Die
USA waren die Vermittler in den Abkommen, die zur Errichtung der
Palästinensischen Autonomiebehörde führten. Somit sind die USA einer der
größten Spender für beide, sei es für die  PA als auch für  Israel.

Der US-Einfluss auf die Aktionen der PA
ist klar, denn nicht nur besitzen die USA eine direkte Drucklinie auf
die Palästinensische Autonomiebehörde. Sie beeinflussen auch die
israelische Politik und Praxis. Die US-Außenpolitik hat in der
Geschichte die israelischen Interessen unterstützt. Und diese wären von
jeder Unruhe in den besetzten Gebieten bedroht.

Ob dies nun eine breite politische Revolution oder nur ein einfacher
Streik von Lehrern ist, die mehr Lohn für sich fordern: die
Palästinensische Autonomiebehörde ist misstrauisch gegenüber jeglichem
Aspekt, der den aktuellen Status quo gefährden könnte, der zweifellos
Israel und somit auch seinen Verbündeten wie den USA zugutekommt.