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Reiner Braun: Es gibt nur diese zwei Möglichkeiten: entweder mehr Krieg oder mehr Frieden. Und wir entscheiden uns für den Frieden


von Milena Rampoldi, ProMosaik e.V. – Ein wichtiges Interview mit Reiner Braun über die Ramsteinkampagne, den Widerstand gegen die Atomwaffen und die Herausforderungen der Friedensbewegung. Reiner Braun, geboren 1952 in Braunschweig, wo er Germanistik und Geschichte sowie Journalistk studierte. Nach seinem Studium wurde er Gründungsmitglied
und Executive Director von INES (International Network of Engineers and
Scientists for Global Responsibility) bis 2001.
Er ist seit 1981 in der Friedensbewegung aktiv, war ab 1982
Büroleiter und später auch Initiator der „Krefelder Initiative gegen den Atomtod“.
Seit 1982 aktiv bei den „Naturwissenschaftlern für den Frieden“, ab 1987 bis
2001 ihr Geschäftsführer. Ab 2003 bis Ende 2005 Mitarbeit beim Projekt Einsteinjahr
2005 des Max – Planck – Instituts für Wissenschaftsgeschichte und der Max –
Planck – Gesellschaft (MPG). Ab 2006 arbeitet Reiner Braun als Geschäftsführer der VDW
(Vereinigung Deutscher Wissenschaftler und der IALANA (International Lawyer
against Nuclear Arms. Er ist in nationalen und internationalen Netzwerken und
Koalitionen aktiv. Seit September 2013 ist er einer der beiden Co-Präsidenten
des IPB (International Peace Bureau). Reiner Braun ist Mitherausgeber u.a. der Biographie des
Nobelpreisträgers Joeph Rotblat und des Buches „Einstein und Frieden“ sowie
mehrerer Sachbücher zu Abrüstung und zu globalen Fragen u.a. Ressourcen und
Konflikte.

 

Milena Rampoldi: Wie fanden Sie Ihren Weg zur
Ramsteinkampagne?
Reiner Braun: Die Ramsteinkampagne ist für mich die logische
Konsequenz der Aktionen des letzten Jahres. Der Krieg weist im Moment eine
große Bedeutung auf. Und das logische Zentrum dieses Krieges, das Herz dieses
Krieges ist Ramstein. Somit liegt es auf der Hand, Ramstein in die Mitte der
Kampagne zu stellen. Wir verfolgen damit das Ziel, jeden krieg von deutschem Boden
zu beenden. In Ramstein befindet sich die größte Militärbasis in Deutschland.
Ramstein ist auch die Einsatzzentrale für die Atomwaffen. Es gibt nur diese
zwei Möglichkeiten: entweder mehr Krieg oder mehr Frieden. Und wir entscheiden
uns für den Frieden. Wir haben in diesem Zusammenhang eine längerfristige,
langjährige Kampagne für Ramstein geplant. Im September war die erste, größte
Aktion, die ein großer Erfolg war. Es folgte eine umfassende Aktionsplanung mit
den folgenden Schritten:

– Ein großes Camp
– Eine große öffentliche Veranstaltung
in Kaiserslautern zur Aufklärung
– Eine Menschenkette von Kaiserlautern bis zur Basis über eine
Entfernung von 20 km, mit ungefähr 20.000 Leuten. Das ist eine große
Herausforderung, da wir viel mehr Menschen brauchen als im September.

Die
umfassende Vorbereitung erfolgt in den Ramsteinkomitees auf regionaler Ebene.
Sehr wichtig ist in diesem Zusammenhang der Austausch zwischen den Gruppen. Ein
wesentlicher Aspekt ist auch die Alternative zur Basis Ramstein. Ramstein soll
zur zivilen Nutzung konvertiert werden. Die Vorbereitung erfolgt online und offline.
Wir veröffentlichen auch eine Zeitung für die Kampagne und versenden
Newsletter. 

Aktuell
ist die Koordinierung des Libyeneinsatzes völkerrechtswidrig. Auch die
Einsatzkontrolle der Aufklärungsflugzeuge nach Syrien geht direkt von Ramstein
aus. Jeder Militäreinsatz hat in Deutschland irgendwie mit Ramstein zu tun. Und
so auch alle Drohneneinsätze der Welt. Daher ist Ramstein so bedeutet. Ramstein
ist eine US-Basis auf deutschem Boden. Wäre der politische Wille da, könnte man
die Basis einfach kündigen, und in zwei Jahren wäre sie weg. Aber es bedarf des
politischen Willens in diesem Sinne. Auch die Natoeinsätze laufen über
Ramstein. Somit ist Deutschland auch mitverantwortlich für alle Einsätze, die
vom deutschen Boden ausgehen. Daher ist es wesentlich, die Basis zu schließen
und zu zivilen Zwecken zu konvertieren. Da die Gegend um Ramstein eine arme
Gegend in Deutschland ist und die US-Arbeitsplätze wichtig sind, muss man nach
Alternativen suchen. Durch die Umweltverschmutzung infolge der Einrichtung der
Basis verschwand der Tourismus. Dieser kann erneut ins Leben gerufen werden.
Die Gegend ist ruhig und angenehm. Die Flora und Fauna, die hier vorhanden ist,
ist oft selten. Ein Naturschutzpark und andere alternative Projekte wären somit
ideal für die Region.
MR: Wie fanden Sie in Ihre Lebensgeschichte den Weg
zum Pazifismus?
RB: Ich bin seit 35 Jahren in der Friedensbewegung tätig.
Der Weg dorthin gestaltete sich für mich einfach. 1980 fand die
Gründungsversammlung des Krefelder Appells statt. Nach dem Studium fing ich
1982 im Büro des Krefelder Appells an. 1987 wurde ich dann Geschäftsführer. Von
2006 bis 201 leitete ich die Vereinigung Deutscher Wissenschaftler. Im Moment
bin ich Geschäftsführer der IALANA (International Association of Lawyers
against Nuclear Arms
, teilweise übersetzt als Internationale Juristen
und Juristinnen gegen den Atomkrieg
) und Sprecher der Berliner Vereinigung
„Kooperation für den Frieden“.
MR: Wie motivieren wir die Jugendlichen heute zum pazifistischen
Handeln?
RB: Die Situation ist heute für junge Menschen komplizierter
als damals. Für uns waren Jugend und Studium ein kulturelles Erlebnis, das uns
die Möglichkeit bot, uns kreativ weiterzuentwickeln. Im Neoliberalismus
hingegen ist das Studium wie ein Zwang, charakterisiert von Aufstiegsterror und
Anpassungsdruck. Somit sind auch die Möglichkeiten, sich zu engagieren,
komplizierter geworden. Aber es engagieren sich viele. Nur die Formen dieses
Engagements haben sich mit der Zeit verändert. Durch das Internet kam es zu
einer neuen Individualisierung. Die Menschen agieren weitgehend allein. Und
dies ist natürlich nicht förderlich für die Solidarität. Es muss kollektiv
gehandelt werden. Ein subjektiver Fehler der Friedensbewegung ist auch zu
verzeichnen. Sie war zu elitär. Es war schwer da reinzukommen. Außerdem
herrscht die Trennung in verschiedene Vereine vor. Die Situation ist
komplizierter geworden. Der Pazifismus ist auch komplizierter geworden. Es ist
auch schwierig, sich zu engagieren, weil man die Situation nicht kennt. Die
politische Elite hat aus den 1980er Jahren auch gelernt. Heute ist eine
Sturmbewegung wie die der 1980er Jahre nicht mehr möglich. Die Friedensbewegung
ist kontrolliert. Wir werden politisch bekämpft. Es gibt auch innere
Spaltungen, die die Sache noch erschweren.
Der Kalte Krieg ist zu Ende. Die Ost-West-Situation ist
nicht mehr da. Die Ost-West-Konfrontation hatte gewisse Regeln, an die sich
beide gehalten haben, wie z.B. die Kubakrise zeigt. Heute hingegen herrscht in
der Politik die Regellosigkeit vor. Zum Fall Syrien möchte ich sagen, wie
wichtig die Kernforderung des Waffenstillstands ist. Man muss alles tun, um
alle Konfliktparteien an den Tisch zu bekommen. Das ist die Voraussetzung alles
weiteren Vorgehens. Es muss soziale Sicherheit geschaffen werden, denn
ansonsten bleibt das Nachschubproblem des IS bestehen. Ohne soziale
Gerechtigkeit werden wir den IS nicht los.
MR: Wie sehen Sie die Lage in Palästina? Welche
Lösungsansätze sehen Sie?
RB: Dieser jahrzehntelange Konflikt, für den man sich kaum eine
Lösung vorstellen kann, kann nur durch Verhandlungen und Diplomatie gelöst
werden. Wir müssen uns von alten Konzepten und Ideen freimachen und die Lage
ganz neu bewerten. Vorschläge müssen im Wesentlichen aus der Region kommen, von
den aufbegehrenden jungen Menschen. Bei jeder Überlegung, die auf schnelle
Lösungen dringt, bin ich skeptisch. Ich halte die Lage für so verfahren, dass
Lösungen lange brauchen und ein grundsätzliches Umdenken voraussetzen.
MR: Wie wichtig ist heute das Engagement gegen Atomwaffen?
Berichten Sie uns von Ihren Erfahrungen.
RB: Ich bin gerade von der großen Demonstration gegen
Atomwaffen aus London zurück. Die Ablehnung der Modernisierung der atomaren
U-Boote in Großbritannien ist ein ermutigendes Zeichen des Protestes gegen Atomwaffen.
Wir müssen weltweit den Kampf gegen die Atomwaffen intensivieren. Atomwaffen
bedeutet nach wie vor das Ende jeglichen Lebens auf dem Planeten. Deshalb muss
alles getan werden, um ihren Einsatz zu verhindern.
Die Frustration, die durch die  Atommächte hervorgerufen werden, die gegen
internationale Verträge und Vereinbarungen keinen Schritt zur Abrüstung gegen
wollen, kann nur durch mehr Aktionen und eine enge Zusammenarbeit der Willigen
(abrüstungsbereiter Staaten) überwunden werden. Die open ending working group
und die Aktionen um den Marshall Island Case sind gute Beispiele. Ziel bleibt
eine Nuklearwaffenkonvention, in der eine Welt ohne Atomwaffen festgeschrieben
wird.