General

Nora Illi: ein Gespräch mit einer Schweizer Muslimin


von Milena Rampoldi, ProMosaik e.V. – Nora Illi ist für mich eine besondere Frau. Sie ist eine Schweizer Muslimin, die sich frei entscheidet, Niqab zu tragen. Wie man dazu steht und wie man das persönlich bewertet, hängt von der eigenen Einstellung ab. Im Interview mit mir spricht Nora Illi einige Themen an, die für mich sehr wichtig ist: Um interreligiösen Dialog zu betreiben, ist es wesentlich, die Gefühlswelt beider Seiten zu kennen und darin sieht sich Nora Illi als Konvertitin im Vorteil, um zwischen der muslimischen Welt und ihrer Heimat, der Schweiz, zu der die Muslime auch gehören, zu vermitteln. Sie unterscheidet sehr stark zwischen Tradition und Religion, Kultur und Islam, ein sehr wichtiger Ansatz in der Islamdebatte, vor allem auch im Bereich der Flüchtlingskrise. Der islamische Femminismus ist ein Femminismus, der sich im Islam und als Teil des Islam entwickelt. Im Islam sollen die Frauen stark gemacht werden. Wir haben die Aufgabe, die Frauen in den muslimischen Gemeinden zu stärken. Denn sie brauchen viel Selbstbewusstsein und Charakterstärke, um ihr Leben zu meistern. Daher müssen die islamischen Gemeinden immer mehr auf Bildung von Frauen setzen. Ich möchte mich herzlichst bei Nora Illi für Ihre Zeit bedanken.

Milena Rampoldi: Wie sehen Sie Ihre Rolle als Konvertitin? Ich bin der Anschauung, dass
wir Konvertiten die Aufgabe haben, den Dialog zwischen dem Islam und dem Westen
zu fördern und dem Westen den Islam erklären sollen, um der Islamfeindlichkeit
entgegenzuwirken. Was denken Sie darüber?

Nora Illi: Die Rolle der Konvertitin sowie auch der in der Schweiz lebenden Muslimen
sollte sein zu erklären und zu vermitteln. Ein Dialog kann jedoch nur
stattfinden, wenn sich beide gegenüber auf Augenhöhe und mit Respekt begegnen.

Natürlich haben Konvertierte insofern einen Vorteil, da sie die Argumente
und auch Gefühlswelt beider Seiten kennen.

Milena Rampoldi: Im Koran heißt es, dass es keinen Zwang in der Religion gibt. Für die
muslimischen Frauen soll der Islam eine freie Entscheidung sein. Wie können wir
diese heute in den muslimischen Gesellschaften fördern, um das Bewusstsein für
den Islam zu fördern?

Nora Illi: Die Probleme, die wir innerhalb der muslimischen Gemeinschaft im Bezug auf
Frauen sehen, sind zunächst einmal nicht religiös bedingt sondern Resultat
diverser kultureller Einflüsse.

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Betreffenden, wenn man sie darauf
anspricht und ihnen aufzeigt, welches Verhalten der Islam eigentlich von ihnen
fordert, das nur selten annehmen. Für viele steht die eigene Kultur über der
Religion, die maximal dazu dient, Vordergründig das eigene, kulturell
motivierte Handeln zu legitimieren.

Insofern sind hier die Möglichkeiten der Einflussnahme durch Muslime
jedenfalls begrenzt, solange der Islam für die Betreffenden keine übergeordnete
Instanz für Moral, Verhalten Ethik ist.

Gerade das Leben in der Diaspora scheint aber die national-kulturelle
Identität der Betreffenden noch zu stärken und vielleicht gar zu verklären, vor
allem als Gegenstück zur neuen Gesellschaft, in die man sich begibt.

Unter Umständen wäre ein Ansatz, dass die islamische Gemeinschaft sich
stärker im Bereich der Neuankommenden und der Integration engagiert, doch
leider ist das nur selten von den Stellen gewünscht, die mit den Fragen der
Integration beauftragt wurden, wird doch eine starke Religiosität stets mit
mangelnder Integration assoziiert…

Milena Rampoldi: Der islamische Feminismus ist für mich eine islamische Bewegung, die
nicht die feministischen Bewegungen im Westen imitieren soll, weil sie selbst
schon eine feministische Tradition des Islam zur Verfügung hat. Wie sehen Sie
das?

Nora Illi: Feminismus fordert doch grundsätzlich die Selbstbestimmung der Frau. Was wir
innerhalb der Feminismus-Debatte sehen, ist jedoch das Implementieren
westlicher Wertevorstellungen auf Frauen in einem völlig anderen
sozio-kulturellen und historischen Kontext. Das Absprechen der Gültigkeit eines
Lebensstils oder Wertesystems, dass sich von dem „des Westens“ unterscheidet,
ist integraler Bestandteil dieser Feminismus-Debatte, was letztlich aber lediglich
in eine andere Unfreiheit der betroffenen Frauen führt, denen damit letztlich
die Fähigkeit zur Selbstbestimmung abgesprochen wird.

Geht man zurück zu den Wurzeln des Feminismus in der arabischen Welt in der
zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, noch bevor der Terminus an sich Einzug in
die arabische Sprache gefunden hat, finden wir Frauen, für die Feminismus
untrennbar mit der Restaurierung eines ausschliesslich auf dem Islam
basierenden Gesellschaftssystems als Schlüssel für die Befreiung der Frau sahen.
Ich denke, dass dies der Ansatz ist, den wir verfolgen müssen, wenn wir von
einem „Feminismus“ in der islamischen Welt sprechen.

MR: Wie engagieren Sie sich im IZRS für die muslimischen Frauen in der
Schweiz?

NI: Mädchen und Frauen, die aufgrund ihrer Religiosität Diskriminierung erfahren
haben, können sich an uns wenden und in jedem Fall Hilfe erwarten, sei es mit
juristischen Mitteln oder in anderer Weise.

Wir kümmern uns aber genauso um muslimische Frauen mit verschiedenen
familiären Problemen, bei denen es uns ein Anliegen ist, zu schlichten, zu
vermitteln oder zu unterstützen, je nachdem, was notwendig ist.

Ausserdem betreuen wir konvertierte Musliminnen und helfen ihnen bei ihrem
Start in der neuen Religion, der ja nun nicht nur viele neue Informationen mit
sich bringt, sondern auch das Leben an sich verändert und unter Umständen auch
Probleme in der Familie oder dem Freundeskreis produziert.

MR: Welche Tätigkeiten sind vor allem wichtig, um junge Musliminnen stark zu
machen?

NI: Aktuell wird jungen Musliminnen vor allem eines vermittelt: bist du religiös
und praktizierst du deinen Glauben entsprechend, sieht es für deine Zukunft
düster aus. Ausbildung, Arbeitssuche und selbst der Schulbesuch werden den
Mädchen massiv erschwert.

Hier gilt es in zweifacher Hinsicht anzusetzen:

Zum einen müssen wir den Mädchen den Rücken stärken und ihnen das
Selbstbewusstsein vermitteln, dass sie so, wie sie sind, gut sind und niemand
das Recht hat, sie aufgrund ihrer Religiosität zu diskriminieren. Da brauchen
die Mädchen einen langen Atmen und innere Stärke.

Der andere Punkt ist, dass wir uns aktiv überall dort einsetzen, wo
diskriminiert wird. Wir sind nicht bereits zu akzeptieren, wenn muslimischen
Mädchen aufgrund ihrer religiösen Überzeugung benachteiligt werden,
positionieren uns entsprechend in der Öffentlichkeit und wählen auch so manches
Mal den Rechtsweg, wenn e notwendig ist.

MR: Welche islamischen Themenbereiche sollten Ihrer Meinung nach mehr in die
Medien? Es dreht sich alles nur mehr um Burka und Jihad. Was fehlt in den
Medien, wenn es um den Islam geht?

NI: Man kann die Berichterstattung in den Medien über den Islam gar nicht mehr
als einseitig bezeichnen, sie ist beinahe schon partikular und selbsternannte
„Islamwissenschaftler“ oder „Reformmuslime“ deren Ziele oft kaum noch etwas mit
dem Islam zu tun haben, tragen dann noch das Übrige dazu bei.

Dabei wird zudem selten zwischen der Religion des Islam und kulturellen
Phänomenen unterschieden.

Wenn man sich jedoch das Leben des Propheten (sas) ansieht, sind es, neben
den Informationen zu den gottesdienstlichen Handlungen vor allem die
zwischenmenschlichen Aspekte, die Gesellschaft als Ort des Schutzes für den
Einzelnen, die Freigiebigkeit, die Barmherzigkeit, die Freundlichkeit, die Gerechtigkeit
und die sozialen Aspekte, die einen grossen Teil seiner Botschaft ausmachen.

Mir ist bewusst, dass diese heute vielleicht weniger umgesetzt werden, als
es wünschenswert wäre, aber wie heisst es so schön: don’t judge a book by ist
cover – genauso sollte man den Islam anhand dessen beurteilen was Muslime tun,
sondern anhand dessen, was sie gem. der Religion tun sollten.

Das impliziert nun, dass alle Muslime nicht gem. des Islams leben, doch dem
ist nicht so, doch über die wird nicht oder nur sehr verzerrt berichtet (Hijab
= Unterdrückung der Frau, egal, ob sie es freiwillig macht etc.).

MR: Die Ummah ist für mich eine multikulturelle, egalitäre und bunte
Gemeinschaft von Muslimen. Wie können wir den Austausch zwischen Musliminnen
aus verschiedenen Ländern in Einwanderungsländern wie der Schweiz fördern?

NI: Es ist dem IZRS ein ureigenes Anliegen, die Zusammenarbeit und den Austausch
der Muslime unabhängig von ihrer Ethnie oder Nationalität zu fördern.

Viele Moscheen sind jedoch um nationale Identitäten herum entstanden, was
insofern nachvollziehbar ist, dass man sich, wenn man sich in die Fremde
begibt, natürlich erst einmal an denen orientiert, welche die gleiche Sprache
sprechen und aus dem gleichen kulturellen Umfeld kommen.

Es ist aber zu beobachten, dass sich nun auch die junge Generation, die
bereits hier aufgewachsen ist, sich oftmals ebenfalls entsprechend orientiert
und das gilt es zu durchbrechen, denn das behindert nach meiner Meinung die
Bildung einer islamisch-schweizerischen Identität und trägt letztlich auch zur
Schwächung der islamischen Gemeinschaft in der Schweiz bei, die es zu selten
vermag, geschlossen aufzutreten.

Um diese Strukturen aufzulösen bedarf es eines Umdenkens, das ist eigentlich
alles. Die jungen Muslime, die heute in der Schweiz leben, sprechen alle die
selbe Sprache, gehen gemeinsam in die Schule und so ist es letzten Endes ihre
Aufgabe, die alten Strukturen der Organisation entlang nationaler Grenzen zu
durchbrechen. Wenn Vorträge, Khutbas und Unterrichte grundsätzlich auf Deutsch
stattfinden und auch in Zirkeln und untereinander in erster Linie Deutsch
gesprochen wird, wäre schon einmal eine grosse Hürde abgebaut, die viele
Muslime daran hindert, einmal eine andere Moschee zu besuchen.

Anbei ein Video, in dem Sie Nora Illi direkt erleben können:
Nora Illi im Gespräch