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Nach dem Schwarzen Dienstag in Brüssel

von Milena Rampoldi, ProMosaik e.V.
Der Brüsseler Schwarze Dienstag hat natürlich ganz Europa erschüttert. Wir müssen doch versuchen, die Emotionen zu kontrollieren, um weiter denken zu können. Hier einen Beitrag zum Nachdenken von einer Muslimin. 
Terror im Herzen Europas. In den Nachrichten spricht man nur von Kontrolle, von der Notwendigkeit der Terrorabwehr, des Datenaustausches zwischen den europäischen Geheimdiensten und der Modalitäten zwecks Verhinderung der Umsetzung der Pläne durch ein Terrornetzwerk, dem man auf die Spur kommen soll und muss, koste es was es wolle. Man muss mehr kontrollieren, mehr Sicherheit aus dem Nichts erschaffen. Aber alles abschirmen ist unmöglich, dies behauptet man am Ende dieser unsinnigen Diskussion.
Wenn man nicht mehr weiter weiß, zeigt man die Flüchtlinge in Idomeni mit ihren Zetteln, auf denen „Sorry“ steht. Die Flüchtlinge entschuldigen sich für die Anschläge, für Anschläge, die sie nicht begangen haben und mit denen sie gar nichts können, denn sie sind die Opfer der westlichen Kriege und Angriffe. Gleichzeitig werden alle Muslime und somit auch alle Flüchtlinge verdächtigt. Und die Medien machen indirekt mit, denn es werden ganze Viertel, die sogenannten „umgekippten Viertel“ kriminalisiert, die wahllos durchsucht werden. Menschen werden festgenommen und wieder freigelassen, nur weil sie aus Brüssel kommen und islamischen Glaubens sind.

Es wird nach den Auswirkungen des Terrors auf die Börsen geschaut, die „zittern“, als wären Börsen die Opfer des Terrors, als würden sie menschliche Züge annehmen können. Man spricht nur von der Solidarität zwischen den Staaten und den Bekundungen derselben in den Farben der belgischen Flagge. Es geht um Nationen, die Macht des Westens und des neoliberalen Systems, die dennoch weiter besteht – trotz des „islamistischen“ Terrors –  und sich vom Terror nicht erschüttern lässt, die Kontrolle des Terrorismus, die Geheimdienste, die Grenzen des Sicherheitsstaates, aber nie um das Thema Nummer 1, wenn es um die brutalen Terrorangriffe geht, und zwar um die Zivilisten.

Terror ist blinde Gewalt gegen Zivilisten, Gewalt bewaffneter „Bürger“ gegen Bürger, um dann die Opfer des Terrors gegen das bereits vorhandene Feindbild aufzuhetzen. Der Terror beißt sich in den eigenen Schwanz. Terror verfolgt dieses Ziel und dreht sich im Kreis, aber welche sind die Ursachen des Terrors? Die Ziele des Terrors sind klar: Gewalt als Mittel zur Einschüchterung und Spaltung von Zivilgesellschaften, weltweit. Die Ursachen des Terrors sind wiederum Krieg und Gewalt und das Bewusstsein dessen, Ungerechtigkeit und Krieg mit Terror lösen zu können. Terror ist eine blinde Gewaltspirale, die aus dem Krieg stammt. Und dieser Krieg stammt im Falle der Attentäter, die sich auf den Islam berufen, mit dem sie am Ende nichts zu tun haben, auf der vom Westen erfundenen nationalen Aufspaltung des Osmanischen Reiches.

Terror hat keine Religion und die Selbstmordattentäter verstoßen gegen das Hauptgebot aller monotheistischen Religionen, aus deren Kultur sie angeblich stammen, da Selbstmord als die höchste Sünde gegen das Geschenk des Lebens gilt. Was steht historisch am Anfang dieses Wahnsinns? Die Aufteilung des Osmanischen Reiches und der Import des Nationalismus in eine multikulturelle und multireligiöse Welt, die Erfindung des ethnischen, „sekteristischen“, technologisch aufgerüsteten Bruderkriegs.

Die nächste Spirale kommt nach den zwei Weltkriegen, nach dem Zionismus, mit dem neoliberalen Modell der Rüstung um jeden Preis und den Kriegen für die Menschenrechte, der Verbindung zwischen Krieg und Kapital. Um Religion geht es schon lange nicht mehr, wahrscheinlich seit Beginn des 20. Jahrhunderts nicht mehr. Die Verherrlichung von Leben und Frieden in den monotheistischen Kulturen und Religionen ist schon lange vollkommen in den Hintergrund getreten oder vollkommen aus den Köpfen und Herzen der Menschen gelöscht. Schöpfungsgeschichte, Gerechtigkeit und Frieden, Toleranz, Respekt, Statthalterschaft* und Zusammenleben mit den anderen Kulturen, Ethnien und Religionen sind Werte, die der osmanischen Vergangenheit angehören.

Menschen sind verwirrt, krank, verarmt, perspektivenlos und vor allem blind nationalistisch und vertrauen blind in die Waffentechnologie des Westens, des Kapitals, in die Macht der Bomben, die die Welt, unsere ungerechte Welt verändern sollen, mit Gewalt. Die Technologie des Feindes und die Rüstungskonzerne des Feindes sollen den „Islam“ zum Sieg verhelfen. Man glaubt an den Krieg als Vater aller Dinge und verkleidet diese antike Philosophie mit aus dem Kontext gerissenen Koranversen und sprengt sich in die Luft, indem man Allahu Akbar ruft, während man das begeht, was der Koran als Todsünde bezeichnet.

 Man kann die Religion nicht aus dem Terrordiskurs rausnehmen, weil der Terror in den Köpfen der Muslime den Anti-Islam bedeutet. Man muss aber die Religion aus dem Terrordiskurs rausnehmen, weil sonst die „Anderen“ alle Muslime nur mehr als Terroristen diskriminieren, unter Generalverdacht stellen und aus der westlichen Zivilgesellschaft ausschließen. Aber sind Muslime denn nicht schon an sich ausgeschlossen in einer Welt, die nationalistisch denkt und den Waffenlobbys die Wirtschaft und Politik überlässt?

Wir brauchen ein dringendes Umdenken für die Zivilisten. Die Zivilisten sind die Gesellschaft. Das Kapital, die Kriegsindustrie und der Krieg gegen den Terror von Bush sind nicht wir: das sind nicht wir, die Zivilisten aus der ganzen Welt, ob nun Muslime oder Nicht-Muslime, ob nun Atheisten, Humanisten, Juden, Christen oder Agnostiker. Der blinde Terror gegen den Krieg gegen den Terror kann nur beendet werden, wenn wir als Zivilisten alle zusammen protestieren gegen diese ungerechte Welt des Krieges, des Kapitals, der pseudoreligiösen Rechtfertigungen blinder und technologischer, vernetzter und lobbystischer Gewalt, die nur die unendliche Akkumulation des Kapitals möglich macht. Denn Krieg bringt Geld. Der Krieg dem Krieg bringt Geld. Und Terror destabilisiert und wer weiß: vielleicht bringt der Terror auch noch Geld. 

* Einst sprach dein Herr zu den Engeln: “Ich setze auf der Erde jemanden ein, dem ich die Herrschaft darüber verleihe.” Die Engel erwiderten: “Setzt Du dorthin einen, der Unheil stiftet und Blut vergießt, während wir Dich preisen und Deine Heiligkeit rühmen?” Allah sprach: “Ich weiß, was ihr nicht wisst!” (Surah der Kuh, 2, 30)