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Muslime in der Schweiz: ProMosaik im Gespräch mit Qaasim Illi vom IZRS


von Milena Rampoldi, ProMosaik e.V. – Anbei ein sehr aufschlussreiches Interview mit Qaasim Illi, Vorstandsmitglied des IZRS, des Islamischen Zentralrats Schweiz. Ich möchte, jenseits der vielen Berichte in den Medien über ihn und vor allem über seine Palästina-Tätigkeit, aufzeigen, woraus es ihm ankommt: um einen anerkannten Schweizer Islam, der die Einheit der Muslime jenseits der ethnischen und kulturellen Unterscheide betont.

Milena Rampoldi: Welche sind die Hauptziele es IZRS?
Qasiim Illi: Der IZRS verfolgt das Ziel, islamische Anliegen insb.
den islamischen Kultus gegenüber der Gesamtgesellschaft zu vertreten. Vertreten
umfast das Erklären, Vermitteln und nötigenfalls Verteidigen jener Anliegen.
Dem Rat geht es darum, Muslimen in der hiesigen Gesellschaft Optionen zu
schaffen, den Islam in einer klassisch-normativen (textimmanenten) Art und
Weise frei praktizieren zu dürfen. Darüber hinaus will der Rat die Einheit
unter Muslimen unabhängig von Ethnie, Nation oder Rasse fördern. Er bekennt
sich klar zum klassischen innerislamischen Pluralismus und bekämpft jede Form
des theologischen Extremismus. 

Milena Rampoldi: Wie würden Sie die Schweizer Muslime beschreiben?
QI. Die Schweizer Muslime sind hinsichtlich ihrer Herkunft
sehr different. Die Mehrheit stammt aus dem Balkan, genauer aus dem ehemaligen
Jugoslawien: Kosovo, Albanien, Bosnien und Mazedonien. Dazu kommt eine
beachtliche Anzahl an Türken und Nordafrikanern. Kaum vertreten sind Muslime
aus dem Punjab, Pakistan, Bangladesch. Über die zu erwartende Rekonfiguration
dieser Herkunftsituation in Folge des anhaltenden Flüchtlingsstroms lassen sich
heute nur Vermutungen anstellen. 
Die muslimischen Moscheevereine arbeiten formell lose in
zwei konkurrierenden Dachverbänden, der KIOS und der FIDS zusammen. De facto
ziehen jedoch die ethnischen Dachverbände, also der bosnische Dzemat, die
türkische Dianet oder die SIG (Mili Görüs) oder die Albaner Imam Union eine
viel einflussreichere Rolle. Die Zusammenarbeit auf nationaler Ebene ist nur
innerhalb der ethnischen Verbandsstrukturen kohärent. FIDS und KIOS sind
vergleichsweise schwache Organe, die lediglich versucht sind, gegenüber der
Gesellschaft das Bild eines starken Dachverbands zu generieren. 
Der Islamische Zentralrat Schweiz (IZRS) ist als
Basisorganisation nur über seine Majlis ash-Shûra strukturell mit einigen
Moscheevereinen im Land verbunden. Der Fokus liegt jedoch klar auf der
Vertretung islamischer Abliegen in der Gesellschaft und nicht auf Vertretung
der Anliegen der Moscheevereine. 

MR: Wie kann man die Schweizer Gesellschaft gegenüber Islam und Muslimen sensibilisieren?
QI: Die Sensibilisierung der Gesamtgesellschaft erfolgt primär
anhand politischer Diskussionen mit einem islamophoben Hintergrund. Bestes
Beispiel ist die Minarett-Initiative oder die nun folgende Burka-Initiative.
Hier nutzt der Rat die geschaffene Diskussion, um seine Vorstellungen einer
islamischen Identität in der Schweiz einzubringen. Seiner Meinung nach sollte
den Muslimen die Kultuspraxis in allen Gesellschaftsbereichen offen stehen.
Verbote, Einschränkungen sind kontraproduktiv und fördern die Segregation.
Ausserhalb der politischen Debatte führt der IZRS in allen
grossen Schweizer Städten monatlich Informationsstände durch. Dabei wird mit
Passanten das Gespräch über aktuelle und allgemeine Themen gesucht. Ziel ist es
zu zeigen, dass Muslime normale Menschen sind, die nichts weiter wollen, als
hier ihren Kultus möglichst frei zu praktizieren. Darüber hinaus organisiert
der Rat Vorträge, Podien und druckt Broschüren. 
Der IZRS erhebt seine mahnende, teils protestierende Stimme
lautstark, wenn Grundrechte eingeschränkt werden sollen. Der Kampf gegen Islamophobie
auf allen Ebenen ist Teil seiner Hauptaufgabe. Über die Methoden und Praktiken
hat der Rat hinreichend öffentlich informiert. 

MR: Können Sie uns etwas über die Jugendarbeit sagen?
QI: Die Jugendarbeit ist Sache der Islamischen Jugend Schweiz
(VIJS). Jene veranstaltet regelmässig Jugendsport Veranstaltungen, wie
Fussballturniere, Wanderungen, Grillfeste etc. Sie fokussiert auf die
spezifischen Bedürfnisse Jugendlicher im Rahmen von Elternberatungen und
Begleitung von Jugendlichen mit speziellen Bedürfnissen. Die Jugendarbeit ist
noch stark ausbaufähig. Mehrere Projekte sind diesbezüglich in Planung. Darüber
kann ich Ihnen jedoch zum jetzigen Zeitpunkt keine Informationen
vermitteln. 

MR: Was verstehen Sie unter Frauenarbeit? 
QI: Der IZRS verfügt
über ein separates Departement für Frauenanliegen. Hier laufen die Fäden aller
frauenspezifischen Anliegen, Sorgen und Probleme zusammen. Hier möchte ich auf das Interview Bezug nehmen, das Sie schon mit Nora Illi, meiner Ehefrau, geführt haben.

MR: Welche sind Ihre Hauptziele in der Schweiz?
QI: Unsere konkreten Ziele orientieren sich stets an der
politischen Realität. Abstarkt könnte man sagen, ist das Ziel, die
Aufrechterhaltung bestehender Grundrechte, auf dass der Islam in der Schweiz
möglichst frei von Einschränkungen praktiziert werden kann. Darüber hinaus geht
es dem Rat darum, der Jugend eine starke islamische Identität im Kontext der
Schweizer Realität zu vermitteln. Wenn ich etwas konkreter werden darf: Wir
wünschen uns, in Zukunft Teil der Gesellschaft zu sein und zwar nicht im Sinne
der Rechtspopulisten als assimilierte, identitätslose Schweizer Bürger, sondern
als Schweizer Muslime, die Land und Gesellschaft schätzen und vor allem von
Land und Gesellschaft geschätzt werden, auch wenn sie mit Kopftuch an einem
Bahnschalter oder im Aussenministerium arbeiten. Wir wünschen uns eine
Anerkennung als Muslime – im Sinne des Islams und nicht im Sinne einer
ausgebleichten islamischen Reminiszenz wie einst die Mudéjaren in
Andalusien.