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Algerien: sicheres Herkunftsland und Rüstungspartner von Deutschland

German Foreign Policy, 01.03.2016.

ALGIER/BERLIN

 

(Eigener Bericht) – Deutschland wird Flüchtlinge aus Nordafrika schneller als bisher abschieben können. Dies ist das Zwischenergebnis einer Maghreb-Reise, die Bundesinnenminister Thomas de Maizière am heutigen Dienstag abschließt. Gestern ist es dem Minister gelungen, die Regierung Marokkos auf eine beschleunigte Rücknahme ihrer Staatsbürger zu verpflichten; bis heute Abend sollen ähnliche Übereinkünfte mit Algerien und mit Tunesien folgen. Die Bundesregierung hat beschlossen, alle drei Länder zu “sicheren Herkunftsstaaten” zu erklären, was Asylsuchende von dort praktisch chancenlos lässt – obwohl im Maghreb harte Repression an der Tagesordnung ist. In besonderem Maße gilt dies für Algerien, das seit einigen Jahren zu den bedeutendsten Abnehmern deutscher Rüstungskonzerne gehört. Hintergrund dafür, dass Daimler in dem Land Militär-Geländewagen herstellen und Rheinmetall eine Panzerfabrik errichten darf, sind gemeinsame deutsch-algerische Anstrengungen im “Antiterrorkampf” – unter anderem in Libyen und in Mali. Kritiker warnen, ein Umschlag der sozialen Spannungen in Algerien in größere Unruhen sei nicht auszuschließen; in diesem Fall werde die Regierung kaum zögern, Kriegsgerät – auch deutsches – zur Niederschlagung von Protesten einzusetzen.

 Schneller abschieben
Auf seiner heute zu Ende gehenden Maghreb-Reise bemüht sich Bundesinnenminister Thomas de Maizière um eine Beschleunigung der Abschiebung von Flüchtlingen nach Marokko, Algerien und Tunesien. Am gestrigen Montag konnte de Maizière in Marokko einen ersten Erfolg erzielen: Die Regierung des Landes hat zugesagt, die Fingerabdrücke von nach Deutschland eingereisten Flüchtlingen mit ihren eigenen Datenbanken abzugleichen, um marokkanische Staatsbürger zu identifizieren und damit ihre Abschiebung zu ermöglichen. Vergleichbares will der deutsche Innenminister bis heute Abend in Algerien und in Tunesien erreichen. Ende 2015 waren in Deutschland laut offiziellen Angaben gut 8.000 Menschen aus Nordafrika ausreisepflichtig, darunter rund 2.300 aus Marokko und etwa 2.500 aus Algerien; mit einem raschen Anstieg ihrer Zahl nach Bearbeitung der noch offenen Asylverfahren wird gerechnet. Stellen die Staaten Nordafrikas sich nicht quer, gelten die Chancen für Asylbewerber von dort, in Deutschland anerkannt zu werden, als überaus schlecht: Die Bundesregierung will Marokko, Algerien und Tunesien zu “sicheren Herkunftstaaten” erklären.
Repression und Folter
Über die Lage der Menschenrechte in Algerien, dem mittleren der drei Länder, in denen der Bundesinnenminister in diesen Tagen Gespräche führt, kann man sich problemlos bei bekannten Menschenrechtsorganisationen informieren – also bei Vereinigungen, auf die auch die Bundesregierung zurückgreift, wenn es ihr darum geht, Aggressionen gegen andere Staaten menschenrechtlich zu legitimieren. Weil aber im Rahmen der Flüchtlingsabwehr kein aggressives Vorgehen gegen Algerien, sondern vielmehr eine engere Kooperation mit dem Land eingeleitet wird, interessiert es in Berlin nicht, dass die algerischen Behörden nach Auskunft von Human Rights Watch “die freie Rede und die Rechte auf Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit sowie friedlichen Protest einschränken”.[1] Dass man in dem Land als Arbeitslosenaktivist oder als Journalist unter den fadenscheinigsten Vorwänden eingesperrt werden kann, spielt ebensowenig eine Rolle wie die Tatsache, dass die algerischen Behörden sogar Proteste gegen Fracking oder Demonstrationen, die Aufklärung über das Schicksal von “Verschwundenen” aus dem algerischen Bürgerkrieg fordern, gewaltsam niederschlagen.[2] Bis heute wird auch von Folter berichtet.
Energiepartnerschaft
Bedenken diesbezüglich hat es in Berlin auch vor der aktuellen Intensivierung der Kooperation bei der Flüchtlingsabwehr nicht gegeben – denn die Bundesregierung weitet ihre Zusammenarbeit mit Algier ohnehin seit geraumer Zeit aus. Ökonomisch gewinnt Algerien nicht nur als Abnehmer deutscher Waren, sondern auch als Lieferant von Erdöl rasch an Bedeutung und ist in kurzer Zeit zum viertwichtigsten außereuropäischen Öllieferanten Deutschlands aufgestiegen; es liegt heute weit vor Saudi-Arabien. Die Bundesregierung hat mit dem Land zudem vor rund einem Jahr eine “Energiepartnerschaft” geschlossen, die unter anderem deutschen Unternehmen Vorteile bei der Expansion auf Algeriens Markt der Erneuerbaren Energien verschaffen soll.[3]
Panzerfabrik und Geländewagenwerk
Insbesondere steigen die deutschen Rüstungsexporte nach Algerien seit einigen Jahren massiv an. Lagen sie bis 2010 bei Jahreswerten allenfalls im kleinen zweistelligen Millionenbereich, so bewegten sie sich 2011 und 2012 bereits um eine Viertelmilliarde Euro und sprangen 2013 auf 825 Millionen Euro; damit war Algerien 2013 größter Abnehmer deutschen Kriegsgeräts überhaupt. 2015 landete das Land laut Auskunft der Bundesregierung unter den deutschen Rüstungskunden außerhalb von EU und NATO mit Einfuhren im Wert von 411 Millionen Euro auf Rang zwei. Ursache sind vor allem zwei Großprojekte. So hat Algier im Jahr 2012 bei ThyssenKrupp Marine Systems (TKMS) zwei Meko-Fregatten bestellt – mit der Option auf die Lieferung zweier weiterer Kriegsschiffe. Letzte Woche ist die erste davon ausgeliefert worden; die zweite wird im Herbst folgen. Die Schiffe seien mit einem gewaltigen Waffenarsenal ausgerüstet, wie es zur Zeit “keine deutsche Fregatte” besitze, heißt es in Berichten.[4] Wohl noch folgenreicher ist jedoch, dass deutsche Konzerne in den letzten Jahren in Algerien Fabriken zur Produktion von Militärfahrzeugen errichtet haben. Der Panzerbauer Rheinmetall liefert die Teile für die Herstellung von 980 Transportpanzern “Fuchs” in einer eigens errichteten Panzerfabrik, Daimler lässt Tausende Geländewagen für den militärischen und den paramilitärischen Gebrauch in dem Land montieren. Beide Fahrzeuge steigern die Beweglichkeit der algerischen Armee. Die ersten Modelle sind im vergangenen Jahr ausgeliefert worden.
Anti-Terror-Kooperation
Hintergrund für die Genehmigung der Lieferungen durch die Bundesregierung ist nicht nur das Bemühen um neue Aufträge für die deutsche Rüstungsindustrie, sondern vor allem die enge Kooperation Berlins mit Algier beim Versuch, das nördliche Afrika unter Kontrolle zu bekommen. Zielten beide Länder bereits in den 2000er Jahren gemeinsam – und ohne Erfolg – darauf ab, die riesigen Gebiete der Sahara und des Sahel dem massiven Einfluss von jihadistischen Terrorbanden, Schmugglern und Sezessionisten zu entziehen, so setzen sich diese Bestrebungen heute in erweitertem Umfang fort. “Algerien und Deutschland arbeiten im Antiterrorkampf sehr eng zusammen”, bestätigte Kanzlerin Angela Merkel am 12. Januar 2016 bei einem Berlin-Besuch des algerischen Ministerpräsidenten Abdelmalek Sellal.[5] Merkel bezog dies insbesondere auf die algerische Beteiligung an dem Versuch, in Libyen eine Einheitsregierung zu bilden [6], sowie auf das Streben nach der Beilegung des Konflikts in Mali [7]. In beiden Ländern, in denen aktuell beziehungsweise wohl bald die Bundeswehr interveniert, spiele Algerien “eine sehr aktive Rolle”, lobte Merkel. Dafür werden die Streitkräfte des Landes mit deutschen Militärgütern gestärkt.
“Wie in Syrien”
Allerdings könnten sich die deutschen Rüstungsexporte in Zukunft leicht als Beihilfe zu blutiger Repression erweisen. In der vergangenen Woche hat ein Interview der französischen Tageszeitung Le Figaro mit dem algerischen Schriftsteller Boualem Sansal für Aufmerksamkeit gesorgt. Sansal warnt, in Algerien würden die gravierenden sozialen Spannungen, unter denen das Land leidet, von der Regierung lediglich dürftig mit der Verteilung von Geldern aus dem Erdöl- und Erdgasverkauf gekittet. Insbesondere in der Jugend des Landes führe die Perspektivlosigkeit zu steigendem Unmut, der sich schon jetzt regelmäßig in Krawallen entlade. Gelinge es nicht mehr, die Spannungen zu kitten – etwa, weil die Öleinnahmen wegen des sinkenden Weltmarktpreises schrumpften und weniger Geld zur Verfügung stehe -, dann drohten, ähnlich wie Anfang 2011, größere Unruhen. Sansal ist – ganz wie zahlreiche Beobachter – überzeugt, dass die Regierung sich in einem solchen Fall auch mit Gewalt an der Macht zu halten suchen wird – “ganz so, wie Bashar al Assad es in Syrien getan hat”.[8] Nebenbei weist Sansal darauf hin, dass die algerische Regierung – auch in diesem Fall ähnlich wie Assad vor 2011 (german-foreign-policy.com berichtete [9]) – das Erstarken von Salafisten und ihre Unterstützung aus Saudi-Arabien insofern toleriert, als diese dazu beitragen, die Bevölkerung mit religiöser Propaganda vermeintlich ruhigzustellen: “In Kleinstädten und Dörfern” seien Salafisten oft beherrschend und setzten dort “ihre einschüchternden theokratischen Regeln” durch, berichtet Sansal. In den vergangenen Nicht zufällig seien in den vergangenen 16 Jahren in Algerien “mehr Moscheen gebaut worden” als “im gesamten Jahrhundert zuvor”.
Für die Zukunft lässt die Entwicklung des von Deutschland militärisch hochgerüsteten “sicheren Herkunftsstaates” Algerien, in den Berlin schon bald Flüchtlinge systematisch abschieben lassen will, wenig Gutes erahnen.