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PatientInnen in Gaza kämpfen gegen Krebs und die israelische Belagerung




Isra Saleh el-Namey إسراء صلاح النامعي




Übersetzt von 
Ellen Rohlfs اِلِن رُلفس



Herausgegeben von 
Milena Rampoldi میلنا رامپلدی



Umaimah Zamalat dachte, ihre Papiere wären in Ordnung.
Die
52-Jährige aus Beit Lahia im nördlichen Gazastreifen hat schon eine
Bestrahlungstherapie im Makassad-Krankenhaus in Ost-Jerusalem gegen
ihren aggressiven Brustkrebs hinter sich.

Aber als sie zum Grenzposten von Erez kam, um zu einer zweiten Behandlung auszureisen, wurde sie angehalten.

„Meine Genehmigungsunterlagen, um nach Jerusalem zu fahren, gelten,
bis ich alle vier Bestrahlungen hinter mir habe. Aber hier sagt man mir,
meine Genehmigung wäre abgelaufen“, teilte Zamalat Electronic Intifada
mit.

Die israelischen Militärbehörden am Grenzposten von Erez wiesen sie
einfach ohne Erklärung zurück. Patienten aus Gaza wird ein Aufenthalt in
Jerusalem oder in israelischen Krankenhäusern für die Dauer der
Behandlung  nicht erlaubt. Sie müssen daher zwischen einer Behandlung
und der nächsten nach Hause zurück.  Sie laufen daher ständig die
Gefahr, dass ihre Genehmigungen plötzlich und aus scheinbar
unerklärlichen Gründen zurückgenommen werden.

Dies hat wiederum schwerwiegende Auswirkungen auf die Gesundheit der Patienten.

„Ich mache mir große Sorgen. Die Ärzte teilten mir mit, dass mein Fall sehr sensibel auf Verzögerungen regiert“, so Zamalat.


Palästinensische Krebspatienten demonstrieren im Dezember 2014 in Gaza Stadt. Ashraf Amra APA Images
Wenig Hoffnung

Zamalat hat um eine neue Genehmigung gebeten, um die Therapie beenden zu können. Aber sie hat wenig Hoffnung.

„Unser Problem betrifft nicht nur Krebspatienten. Es ist die
Besatzung, die uns in jeder Kleinigkeit unseres Lebens und somit auch in
unseren Krankheiten bedrückt”, sagte sie.

Das gesamte Gesundheitspersonal in Gaza dokumentierte einen
beunruhigenden Anstieg von Krebskrankheiten im verarmten Landstreifen.

Dr. Mohammed Abu Shaban ist ein palästinensischer Onkologe, der in
verschiedenen Krankenhäusern in Gaza arbeitet. Während der letzten zwei
Jahre, berichtete er in Anlehnung an die Statistiken des
Gesundheitsministeriums in Gaza, stieg die Zahl der Krebskranken auf 14
600.

„Jeden Monat gibt es wenigstens 120 neue Krebspatienten“, teilte der Arzt Electronic Intifada mit.

Abu Shaban meint, es gäbe eine direkte Verbindung zwischen der
steigenden Anzahl der Krebskranken und den drei Kriegen gegen Gaza in
den letzten acht Jahren. Ärzte in Gaza und ausländisches
Gesundheitspersonal gehen schon länger davon aus, dass Israel im
Gazakrieg neue Waffen, inklusive der Dense Inert Metal Explosives (DIME,
zu Deutsch: Sprengstoff mit dichtem, inertem Material) oder Munition
mit radioaktivem Material eingesetzt hat.

„Die israelischen Streitkräfte haben illegale Waffen mit
lebensgefährlichen, radioaktiven Materialien genutzt, die in den Boden
eindringen“, so Abu Shaban. „Leute, die in der Nähe von Abwurfgebieten
leben, sind diesen Materialien ausgesetzt. Dies erhöht das Krebsrisiko
für diese Menschen.“

Dem Arzt zufolge ist Leukämie die häufigste Krebsart im Gazastreifen.
Nach seiner Schätzung sind 25% der auf Krebs zurückzuführenden
Sterbefälle auf Leukämie zurückzuführen.

Neben der Schwierigkeit, den Zugang zur Behandlung zu erhalten,
besteht auch das Kostenproblem. Wegen der Armut und Arbeitslosigkeit,
die beide ungefähr bei 40% liegen, sind die Palästinenser in Gaza auf
Regierungshilfe angewiesen.

“Die Menschen können sich die unerschwinglichen Preise der
Gesundheitsdienste nicht leisten”, meinte Abu Shaban. “Wir brauchen
dringend mehr finanzielle Mittel, um die zusätzlichen Kosten unserer
Patienten zu decken.”

Rafah ist keine Option

Amina Ahmads Zustand verschlechterte sich vor 8 Monaten dramatisch.
2012 wurde ihr Lungenkrebs diagnostiziert. Die 46-Jährige beantragte vor
sechs Monaten die Überweisung an eines der spezialisierten
Krankenhäuser im Westjordanland oder innerhalb Israels.

Aber dazu benötigt sie eine Genehmigung.

„Ich habe meine medizinischen Berichte und alle nötigen Papiere, um
als humanitärer Notfall ins Westjordanland verlegt zu werden. Aber ich
habe noch keine israelische Genehmigung erhalten”, so Ahmad.

Eine verzögerte Erteilung der Einreisegenehmigung nach Israel kann
ernste Konsequenzen mit sich bringen. Wenn Termine verpasst werden,
müssen die Patienten das gesamte Aufnahmeverfahren erneut durchlaufen.
“Man lässt uns in Stille sterben“, meinte Ahmad.

Die Situation wäre anders, wenn der Grenzübergang von Rafah nach
Ägypten offen wäre, fügte sie hinzu. Ägypten bietet eine Pflege, die die
Krankenhäuser in Gaza nicht bieten können. Und da wäre sie mindestens
nicht „eine den Israelis ausgelieferte Geisel“. Aber Ägypten hat die
Grenze gesperrt. Seit Ende 2014 war sie nur wenige Dutzende Tage
teilweise geöffnet.

Die israelische Blockade gegen Gaza hat seit 2007 ein
Gesundheitssystem erschöpft, das schon vorher wegen der Armut,
Überbevölkerung und des schnellen Wachstums der Bevölkerung unter Druck
war.

Unter dieser Blockade, so Dr. Ahmed El Shorafa, Leiter der
Tumorklinik des Europäischen Krankenhauses in Rafah, kann die Lage nur
als „katastrophal“ beschrieben werden.

Gaza leidet unter einem ernsthaften Mangel an Medikamenten,
medizinischen Lieferungen und Ausstattungen sowie qualifiziertem und
spezialisiertem Personal. „Wir setzen dieselben Maschinen und Protokolle
ein wie vor 14 Jahren. Wir konnten nichts weiterentwickeln“, meinte El
Shorafa.

Eine unmittelbare Folge davon ist, dass die Krankenhäuser in Gaza
nicht in der Lage sind, Strahlungs- oder Chemotherapiebehandlung
anzubieten. Daher ist es notwendig, auf Krankenhäuser im Westjordanland
und Israel zurückzugreifen.


  Patientinnen protestieren gegen Reiseverbote im Januar 2016
Angst und Zorn

„In den letzten fünf Jahren haben wir beobachtet, dass die jährlichen
Einlieferungen von Patienten aus Gaza nur um 1,3 Prozent zugenommen
haben, und dies trotz einer wesentlichen Zunahme der Anzahl der
Patienten”, berichtete El Shorafa. „Die sehr eingeschränkte
Bewegungsfreiheit hat die für die Patienten aus Gaza verfügbaren
Optionen zur spezialisierten Pflege vermindert.“

In den ersten 10 Monaten des Jahres 2015 verweigerte der
Verwaltungsarm der israelischen militärischen Besatzungsverwaltung – die
Regierungsbehörde namens COGAT für die Koordinierung der Regierungstätigkeiten in den besetzten Gebieten
— 1.035 Palästinensern in Gaza die Ausreisegenehmigung, um eine
notwendige medizinische Behandlung im besetzten Westjordanland, in
Israel oder Jordanien zu erhalten.

Es geht somit um doppelt so viele Verweigerungen wie im gesamten letzten Jahr.

Der sechsjährigen Sahar Abd al-Aal wurde Schilddrüsenkrebs diagnostiziert. Sie wird gerade einer Strahlungstherapie beim al-Rantisi Kinderkrankenhaus
in Gaza Stadt unterzogen. Ihre Mutter Hafiza wartete aufgeregt auf die
Entscheidung ihrer Ärzte über die Fortführung der Behandlung.

“Meine Tochter muss die letzte Therapie durchlaufen, bevor die Ärzte
ihren Fall einschätzen können und dann auch entscheiden, ob sie nach
Außen verlegt werden soll oder nicht”, berichtete Hafiza.

“Ich habe Angst, dass meine Tochter verlegt werden muss und die Israelis die Genehmigung verweigern”, fügte sie hinzu.

Im Januar demonstrierten Dutzende von Patientinnen, um ihren Zorn über die drakonischen Einschränkungen der Bewegungsfreiheit der Patienten zu äußern, die Israel noch zu verstärken droht. 

Eine der Demonstrantinnen, Rawan Lubad, hat seit 10 Jahren
Brustkrebs. Die 61jährige leidet ununterbrochen. Sie hat zweimal einen
Überweisungsantrag gestellt. Aber er wurde zwei Mal abgelehnt.

„Ich sterbe hier. Ich fühle mich zum Tode verurteilt“, meinte sie.