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Sport als Bühne der Toleranz: ProMosaik e.V. im Gespräch mit Martin Nolte


Von Milena Rampoldi, ProMosaik e.V. – Anbei ein
wichtiges Interview mit Univ.-Prof.
Dr. jur. Martin Nolte
des Instituts für Sportrecht der Deutschen
Sporthochschule Köln. Am 9. Dezember 2015 fand der 7.
Kölner Sportrechtstag
statt, der dieses Mal auf das Thema der
Diskriminierung im Sport, das ProMosaik e.V. sehr am Herzen liegt, fokussierte. In der Vergangenheit hatten wir mit dem
österreichischen Sporthistoriker Andreas Praher und mit Eberhard Schulz über Sport gegen Rechts
gesprochen und über wie man im Sport gegen den Rechtsradikalismus vorgehen
kann. 
Das Gespräch mit Prof. Nolte fokussierte im Besonderen auf die Arten der
Diskriminierung im Sport und die Möglichkeiten, die dem Sportrecht zur
Verfügung stehen, um gegen die Diskriminierung im Sport anzukämpfen. Denn der
Sport ist eigentlich eine Bühne der Inklusion, wie Prof. Nolte uns mitgeteilt
hat. Der Sport spiegelt eine gesamte Gesellschaft wider, und daher ist jegliche
Art der Diskriminierung sehr ernst zu nehmen. Möchte Prof. Nolte nochmal für seine
Zeit und dem wissenschaftlichen Mitarbeiter Heiko Petersen für seine
freundliche Kommunikation danken. 

Milena Rampoldi: Der 7. Kölner Sportrechtstag
fokussierte auf Sport und Diskriminierung. Welche Hauptformen der
Diskriminierung gibt es im Sport?
Martin Nolte: Sport ist ein sehr passende Bühne, um
gesellschaftliches Wohlverhalten zu erlernen.
Wenn sich das aber umkehrt, setzt sich das in der
Gesellschaft durch. Daher hat das Sportrecht die Aufgabe, durch Ahndung und
Sanktionen die Durchsetzung von Verboten zu erzielen. Es gibt verschiedene Blickwinkel
auf die Problematik der Diskriminierung im Sportbereich. Die wichtigsten sind der
soziologische, politische und rechtliche. Daher ist ein interdisziplinärer
Zugang zum Thema wichtig. Mein persönlicher Schwerpunkt liegt im Sportrecht.
Neben der Diskriminierung sind auch andere Themen wie Gewalt, Doping und
Korruption wichtig. Die Herausforderung besteht darin, dass es noch alte Strukturen
gibt, heute aber internationale Konzerne regieren. Das passt nicht zusammen.
Das Ziel besteht darin, modernere Strukturen den wirtschaftlichen Veränderungen
anzupassen. Entkapitalisieren kann man den Sport nicht mehr. Durch die Sponsoren
wird der Sport politisiert, manipuliert… Der Sport nimmt für seine Interessen
die Sponsoren in Anspruch. Dazu kommen auch die Medien: diese leben auch vom Sport.
Es gibt somit vielfältige Wechselbeziehungen. Und man lebt voneinander recht gut.
Zur Frage, welche Hauptdiskriminierungen es im Sport gibt,
würde ich sagen, es handelt sich hauptsächlich um herabwürdigende Äußerungen
wegen der Religion, Herkunft, Ethnie, „Rasse“, sexuellen Orientierung,
Behinderung und Hautfarbe. Die Beleidigungen wegen der Religion betreffen vor
allem Juden und Muslime. Somit sind die religiösen Hauptdiskriminierungen im
Bereich Antisemitismus und Islamophobie angesiedelt. Wenn Leute zum Beispiel
als Judensau beleidigt werden, so kommt es nicht darauf an, dass die Person ein
Jude ist. Es geht darum, dass Eigenschaften negativ besetzt werden. Es sind
somit Beleidigungen gegen eine gesamte vermeintliche Rasse. Hier liegen auch
viele Fehlentscheidungen in diesem Sinne bei den Sportrichtern vor. Auch wenn
die Eigenschaft nicht zutrifft, ist die Person trotzdem schuldig.
Die Diskriminierung geht von beiden Gruppen, sei es von den
Sportlern als auch von den Fans aus.
Im Profisport hingegen geht die Diskriminierung eher von der
Zuschauerseite aus. Bei niederrangigen Ligen kommt auch Diskriminierung unter
den Spielern vor. Ein Beispiel ist das Spiel von Serbien gegen Italien in
Genua, das wegen serbischer Hooligans unterbrochen wurde.
Hier ein Artikel dazu.

MR: Welche Hauptziele verfolgt der Kölner
Sportrechtstag?

MN: Der Kölner Sportrechtstag ist eine wissenschaftliche
Plattform zur Erörterung von Sportfragen mit Praxisbezug. Er bietet konkrete Hilfestellung
für Probleme, die der Sport hat. In diesem Jahr geht es um das Thema der
Diskriminierung. Es wir interdisziplinär gearbeitet. Die Theorie reicht nicht.
Wir brauchen praktische Lösungen und konkrete Maßnahmen. Mein Ziel ist es, mehr
in die Praxis zu gehen und Lösungsvorschläge zu bringen. Denn die Wissenschaft
um ihrer selbst willen ist fruchtlos. Wir müssen erörtern, wie Taten zu
interpretieren sind und welche Sanktionen folgen müssen. Sehr effektiv ist die Bestrafung
der Vereine für das Zuschauerverhalten. Wenn der Verein der Fans sanktioniert
wird, so geht der Verein auch gegen die Menschen vor. Das Problem ist oft, dass
Begriffe falsch interpretiert werden. Ein Beispiel aus dem Osten ist das Wort
„Fiji“, das für Vietnamesen verwendet wird. Aber Fji ist ein Inselstaat, der nichts
zu tun hat mit Vietnam und ist eine abfällige Bezeichnung für einen Asiaten,
der oft auch als „Schlitzi-Fiji“ beschimpft wird. Es gibt keine Menschen
zweiter Klasse. Daher kann man solche Worte nicht einfach verwenden. Ein
anderes Beispiel ist „Itaka“ für einen Italiener. Das Wort bedeutete während
der NS-Zeit einen Nazi-Kollaborateur. Aber das Wort für einen südeuropäischen
Gastarbeiter zu verwenden, ist nicht zulässig. Durch diese semantische
Veränderung ist es nämlich negativ besetzt und somit beleidigend.
Ein Beispiel einer Beleidigung, die ein kroatischer Spieler
mal verwendete war „Za dom – spremni!“
Das Wort stammt aus einer kroatischen Oper des 18.
Jahrhunderts, in der sie symbolisch für die Heimatliebe steht. Aber es ist auch
ein Wahlspruch des kroatischen Regimes während der NS-Zeit, das Juden und
Serben auf dem Gewissen hat. Somit drückt der Begriff eine Sympathie für das
NS-Gedankengut aus. Somit muss man genau hinsehen und durchgreifen.
Im Rahmen der Veranstaltung werden auch pädagogische
Fanprojekte angesprochen. Hier geht man der Fragestellung nach: was macht die
Fußballliga aus pädagogischer Sicht?
MR: Welche Strategien sehen Sie, um dem
Rechtsradikalismus in den Fangruppen die Stirn zu bieten?
MN: Ich kann das Thema nur aus dem Blickwinkel des Juristen
angehen. Hier ist es von Belang, Verbote konsequent durchzusetzen und keine Abstriche
zu machen. Man sollte auch keine Ausreden finden. Alkolisiertheit ist zum
Beispiel kein Entschuldigungsgrund. Die Schuldfähigkeit ist nicht in Zweifel
gezogen durch Alkoholgebrauch. Nur der Vollrausch ab 3,0 Promille wird
berücksichtigt.
Neben der Gerichtsbarkeit müssen pädagogische Projekte
umgesetzt werden, die an der Wurzeln anpacken und die Hintergründe vor Augen halten,
die normalerweise auf Ängste, Unverständnis, Unkenntnis, u.ä. zurückzuführen
sind. Die Sportvereine sind aber auf Inklusion ausgerichtet. Somit sollte Ausgrenzung
nicht dazugehören. Aber Diskriminierung ist ein gesellschaftliches Phänomen,
und daher findet es sich auch im Sport wieder.
MR: Wie wichtig ist Sport für die Gestaltung einer
diversifizierten und toleranten Gesellschaft?
MN: Sehr wichtig. Sport ist eine ideale Bühne, um Verhaltensweisen
zu erlernen. Inklusion, Integration, usw. Es gibt da sehr viele Projekte in
diesem Bereich. Aber die Gleichheit hat im Sport auch seine Grenzen: einerseits
wegen des Leistungsvergleichs und andererseits wegen der Aufteilung in Männer
und Frauen. Es gibt auch das Problem der zweigeschlechtlichen Sportler. Personen
lassen sich umoperieren. Und umoperierte Männer haben bei Frauenwettkämpfen
bessere Chancen. Es ist aber kein Massenphänomen. Wollte damit nur zum Ausdruck
bringen, wie der Sport auch aufteilt und differenziert, aber nicht
diskriminiert. Geschlecht und Leistung sind aber Differenzierungen und nicht
Diskriminierungen.
MR: Wie sehen Sie die Diskriminierungskurve in der
Geschichte des deutschen Sports? Welche Fortschritte gibt es, welche sind die
Haupthindernisse für einen Sport ohne Diskriminierungen?
MN: Das Dritte Reich war Diskriminierung pur. Die
Diskriminierungsverbote von heute kommen aus der Erfahrung der Deutschen mit
dem Dritten Reich. Nach dem zweiten Weltkrieg wurden völkerrechtliche Diskriminierungsverbote eingeführt, die
dann in den Verfassungen und so auch im Grundgesetz von 1949 der BRD verankert.
Der Grundsatz war der des „Nie wieder!“
Auch auf Länderebene und dann auch auf internationaler Ebene
wurden diese Verbote umgesetzt, so auch in der Olympischen Charta. Dasselbe
gilt für die Satzungen und Statuten der einzelnen nationalen Organisationen.
Nach der Teilung Deutschland entwickelten sich BRD und DDR
im Bereich der Sportgerichtsbarkeit vollkommen anders. Die
Diskriminierungsverbote wurden in beiden Ländern eingeführt.
Die Frage, die sich in diesem Zusammenhang stellt, ist aber
folgende: Wie wurden diese Verbote gelebt? Die Rechtsrealität in beiden Staaten
war vollkommen anders, und somit auch die Rechtsüberzeugung in der Praxis. Die Durchsetzung
der Verbote in der DDR war fast nicht vorhanden. Alles war staatlich gelenkt.
Im Westen war das ganz anders. Es gab private Sportorganisationen und eine
eigene Verbandsgerichtsbarkeit. Ich bin der Überzeugung, dass der Sport seine
eigenen Regeln durchsetzen soll. Der Staat greift nicht direkt in die
Sportgerichtsbarkeit ein. Er verletzt sonst die Autonomie des Sports. Ein
Beispiel ist der Dopingfall von Pechstein. Vgl. hierzu den folgenden Artikel:
Es gibt auch Strafrechtsnormen. Der Staat kann eingreifen,
z.B. bei Volksverhetzung.
Es ist aber nicht die Aufgabe des Staates, die eigenen
Regelwerke des Sports durchzusetzen.
Deren Durchsetzung liegt in der Verantwortung der
Sportgerichtsbarkeit.
MR: Wie kann die Welt des Sports Migranten, Asylanten,
Ausländer und alle, die „Anders“ sind, inklusiv behandeln und in ein gemeinsames
Projekt integrieren?
MN: Es gibt solche Versuche vor allem in Großstädten wie Berlin.
Das kann man in Sportvereinen bewusst machen. Das sind dann Themen, die mehr
mit der Pädagogik zu tun.