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MUTES – das muslimische Seelsorgetelefon in Berlin


Von Milena Rampoldi,
ProMosaik e.V. – Ein Interview mit M. Imran Sagir, Geschäftsführer von MUTES,
dem muslimischen Seelsorgetelefon mit Sitz in Berlin. Für ProMosaik ist
Diversität ein zentraler Aspekt, um eine Gesellschaft im Sinne der Förderung
der interkulturellen und interreligiösen Empathie ohne die Nivellierung der
Unterschiede aufzubauen. In diesem Sinne finde ich persönlich ein spezifisches
Seelsorgetelefon für die Muslime in Deutschland sehr wichtig, auch wenn sich das Telefon alle alle Bürger und nicht nur an Muslime wendet. 

Wie wir im
Gespräch mit Imran Sagir sehen werden, richtet sich das Telefon vor allem an Muslime,
die in Deutschland aufgewachsen sind. Was vor allem wichtig ist, ist die
Wahrung der Anonymität. Menschen trauen sich, ein Thema anzusprechen, weil sie
anonym anrufen können. Zusammen mit dem Seelsorger bzw. mit der Seelsorgerin erarbeiten sie dann eine Lösung, die sie sich dann wiederum trauen, im eigenen
Leben konkret umzusetzen. Ich finde die Bereitschaft, konsequent und
dialogisch, mit allen Problemen, mit denen Muslime in Deutschland im Privat-
und öffentlichen Leben zu kämpfen haben, umzugehen, auch für das Gelingen der
gesamten Gesellschaft extrem wichtig, vor allem in einer Zeit, in der Muslime
unter Generalverdacht stehen. Wichtig ist dabei auch die Ausbildung
muslimischer Seelsorgerinnen und Seelsorger. MUTES freut sich auf neue Bewerberinnen
und Bewerber. Näheres finden Sie unter:
http://www.mutes.de/home.html
Milena Rampoldi: Welche
Hauptziele verfolgt das muslimische Seelsorgetelefon?
Imran Sagir: Es geht in erster
Linie darum, einen Seelsorgedienst für Menschen anzubieten, die Gesprächsbedarf
haben. Speziell ist unser Seelsorgetelefon an die Muslime in Deutschland gerichtet,
um sie in ihrer Lebensgestaltung zu unterstützen und ihnen diese so gut wie
möglich zu erleichtern. Es rufen größtenteils Muslime bei uns an. Manchmal
kommt es aber auch vor, dass sich Nicht-Muslime melden, denn das Angebot richtet sich an alle BürgerInnen. Unser Angebot ist ein
niederschwelliges Angebot. Ganz wichtig ist es auch, dass das Angebot anonym
ist. Die Anrufer, die sich bei uns melden, sind zwischen 20 und 40 Jahre alt.
Meistens handelt es sich um Menschen, die hier in Deutschland aufgewachsen
sind. Über 90% der Anrufer wenden sich auch in deutscher Sprache an uns. Sie
sind in Deutschland aufgewachsen oder leben seit ihrer Kindheit hier. Wir haben
zwar unsere Nummer und unsere Daten auch an die Flüchtlingsinitiativen
weitergeleitet. Aber Flüchtlinge rufen kaum bei uns an. Es handelt sich in fast
allen Fällen um Musliminnen und Muslime, die der deutschen Sprache mächtig sind. 

MR:  Welche Hauptprobleme sprechen Muslime Ihrem
Telefon gegenüber an?
IS: Die meisten Anrufer melden
sich, weil sie zwischenmenschliche Probleme haben. Sie haben Probleme in den
Familien. Es gibt Konflikte zwischen den Generationen oder mit dem Partner. Es
gibt auch andere, die bei uns anrufen, weil sie sich einsam fühlen und nicht
wissen, mit wem sie über ein bestimmtes Thema sprechen sollen. Es fehlen ihnen
die richtigen Ansprechpartner in ihrem Umfeld. Ein Thema, das bei uns nicht zur
Sprache kommt, ist hingegen der Umgang zwischen Sunniten und Schiiten.
Menschen haben in manchen Fällen
auch psychische Probleme. Was selten vorkommt, sind Diskriminierungsfälle. Denn
wir Muslime haben ein dickes Fell. Außerdem wissen viele Muslime nicht, dass
sie sich auch mit einem solchen Thema an uns wenden können. Aber zum Thema
Diskriminierung gibt es in Berlin auch das Antidiskriminierungsnetzwerk, das
sich um die Opfer kümmert.
Einmal gab es aber bei uns auch
den Anruf einer Frau, die wegen des Kopftuchs die Arbeit verloren hatte. Sie
erhielt dann auch durch die Antidiskriminierungsstelle Unterstützung und gewann
ihre Arbeit zurück.
Interkulturelle Probleme
zwischen Muslimen kommen auch eher selten vor. Wenn es um diese Probleme geht,
dann geht es normalerweise um Heirat mit einer Person aus einer anderen
muslimischen Kultur. Dann ist die Familie dagegen, und die Person, die heiraten
möchte, braucht unsere Unterstützung. Auch Menschen, die in Mischehen leben,
wenden sich an uns. 
MR: Welche Vorteile bietet
eine solche anonyme Beratung durch Muslime für Muslime?
IS: Sich anonym an jemanden
wenden zu dürfen, ist einfacher. Man spricht lieber und leichter über die
eigenen, privaten Probleme. Zuerst spricht die Person mit uns darüber. Und dann
erst geht sie auf den nächsten Schritt über. Es ist sehr wichtig, dass die
Person durch uns aktiv wird, um die angestauten Thematiken abzuarbeiten. Die
Anonymität wirkt ermutigend auf die Anrufer. Wir wiederum machen den Menschen durch
das Gespräch Mut. Man entwickelt gemeinsam, im Beratungsgespräch, die nächsten
Schritte, um sie dann umzusetzen. Was die Anonymität für uns als MUTES
bedeutet, ist aber das: Wir wissen nicht, wie es weitergeht, wie der Anrufer
sein Problem dann löst oder auch nicht. Denn es kommt kaum ein Feedback, gerade
weil die Anrufe anonym sind. Aber, wenn auch selten, kommt es auch mal vor,
dass sich Leute wieder bei uns melden und sich bedanken. 
MR: Wie arbeiten die Seelsorgerinnen und Seelsorger? Was ist das Wichtigste in ihrer Arbeit?
IS: Unsere Kollegen sind alle
ehrenamtlich tätig. Grundsätzlich erhalten sie eine Ausbildung von 160 Stunden
mit praktischem Teil. Sie arbeiten dann bei uns 3 Mal im Monat 4 Stunden lang.
2 Stunden im Monat gibt es auch eine Supervision. Einmal im Jahr findet dann
auch eine erneute Weiterbildungseinheit von einem Abend bis zu einem Wochenende
statt. Männer und Frauen sind bei uns aktiv.
Die berufliche Situation ist
sehr verschieden, vom Unternehmer bis zur Hausfrau, wobei ein Großteil von
ihnen Akademiker sind. Im Schnitt sind die MitarbeiterInnen von MUTES 20-40 Jahre
alt. 
MR: Erzählen Sie uns ein
wenig über die Entstehung und die Geschichte Ihres Telefons.
IS: Mai 2009 sind wir an die
Leitung gegangen. Die Idee entstand aber viel früher. Es kam einfach der Wunsch
auf, ein Seelsorgetelefon auch für Russisch, Türkisch und Englisch
einzurichten. Es gab dann Diskussionen in einer Gruppe zwischen kirchlichen
Institutionen und Islamic Relief, unserem Trägerverein.
Es kamen verschiedene Fragen
auf: Es sollte ein muslimisches Seelsorgetelefon mit sprachlichen Angeboten
werden, aber für alle Muslime offen sein. Somit wäre Türkisch zu wenig.
Ein anderes Fragezeichen war: Wollen
wir uns auf ein neues Feld einlassen? Soll Islamic Relief diesen neuen Schritt
zu. Sollen Muslime mit den Kirchen und ihren Seelsorgetelefonen so eng
zusammenarbeiten? Am Ende wurde das Projekt aber umgesetzt.
Im Moment läuft der achte
Ausbildungskurs für die SeelsorgerInnen
MR: Was haben Sie bisher
erreicht und was wünschen Sie sich für die Zukunft?
IS: Bisher haben wir 28.000
Telefonate entgegengenommen. Was wir uns wünschen, sind mehr ehrenamtliche
Kolleginnen und Kollegen. Einige sind in Pause wegen Mutterschaft. Wir brauchen im Moment mehr
Personal.
Was wir vielleicht in Zukunft
auch machen möchten, ist eine Face-to-Face-Beratung.
Ein anderes Anliegen von uns
betrifft die Weiterbildung.
Was aber positiv für uns ist:
Wir haben bewiesen, dass auch Muslime in der Lage sind, einen stabilen Dienst
aufzubauen. Wir sind auch als Partner angenommen von vielen Institutionen. Die
Ausbildung wurde am Anfang nur von kirchlichen Ausbildern gemacht, weil wir
selbst keine Ausbilder hatten. Jetzt arbeiten wir mit gemischten Ausbilderteams
zusammen. Und es gibt weniger Berührungsängste als früher. Das Positive an der
Sache ist, dass Muslime immer unabhängiger werden.
MUTES freut sich auf neue
muslimische Bewerber, die sich ausbilden lassen möchten.
Zu den Sprachen möchte ich noch
etwas sagen: Wir sprechen fast immer Deutsch. Dienstag gibt es eine deutsch-türkische
Beratung. Auf Anfrage sind auch andere Sprachen möglich. Wir gucken auf den
Dienstplan und teilen das den Anrufern mit. Folgende Sprachen sind bei uns
möglich: Arabisch, Türkisch, Urdu, Englisch, Französisch, Farsi.