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Kapitalismus, Rassismus, Sexismus und Krieg

Von Hans Christoph Stoodt, Unsere Zeit. 29. Januar 2016
Überlegungen und Schlussfolgerungen zu den Ereignissen in der Kölner Neujahrsnacht

(Foto: Reiner Engels, r-mediabase)
 (Foto: Reiner Engels, r-mediabase)Je län­ger die Er­eig­nis­se von Köln zu­rück­lie­gen, desto mehr Men­schen gehen davon aus, ge­si­cher­tes Wis­sen über die Vor­gän­ge zu haben, und desto we­ni­ger si­cher ist un­be­fan­ge­nen Be­ob­ach­te­rIn­nen, was dort wirk­lich ge­sche­hen ist. Si­cher ist nur eins: es gibt einen an­schwel­len­den ras­sis­ti­schen Hass­ge­sang derer, die mei­nen, sich nun kei­ner­lei Zu­rück­hal­tung mehr auf­er­le­gen zu müs­sen. Die Stich­wor­te dazu kamen, kom­men von Oben. So etwas ge­schieht nicht zum ers­ten Mal. Wir soll­ten auf öf­fent­li­cher und un­ab­hän­gi­ger Prü­fung der Er­eig­nis­se be­ste­hen.
In der Neu­jahrs­nacht sind vor dem Köl­ner Haupt­bahn­hof und am Dom un­be­kannt viele Men­schen von meist männ­li­chen Ju­gend­li­chen und Er­wach­se­nen mit Sil­ves­ter­feu­er­werk und Böl­lern be­schos­sen wor­den. Es kam zu An­rem­pe­lun­gen, Schub­se­rei­en, Dieb­stäh­len, Raub. Es sol­len sich Grup­pen von An­grei­fern um At­ta­ckier­te herum ge­bil­det und sie ge­mein­sam be­läs­tigt haben. Dabei kam es nach Be­rich­ten auch zu kör­per­li­chen An­grif­fen und se­xu­el­len Über­grif­fen auf Frau­en, die nach der der­zei­ti­gen In­for­ma­ti­ons­la­ge in zwei Fäl­len zu Ver­ge­wal­ti­gun­gen ge­führt haben. Die an­we­sen­den Po­li­zei­kräf­te sol­len völ­lig über­for­dert ge­we­sen sein, schrit­ten je­den­falls nicht ef­fek­tiv ein. Zum jet­zi­gen Zeit­punkt be­rich­tet die Po­li­zei von über 900 An­zei­gen, die nun in ra­scher Folge er­stat­tet wur­den. Es habe ei­ni­ge Fest­nah­men ge­ge­ben. Meh­re­re der Fest­ge­nom­me­nen wer­den po­li­zei­lich als „be­kann­te In­ten­siv­tä­ter“ be­zeich­net, leben also schon län­ger in Köln und Um­ge­bung.
Die po­li­zei­li­che Dar­stel­lung die­ser Er­eig­nis­se ist wi­der­sprüch­lich und hat sich nach den Er­eig­nis­sen dras­tisch ge­wan­delt. Zu Neu­jahr 2016 hieß es im of­fi­zi­el­len Po­li­zei­be­richt noch, der Über­gang ins neue Jahr sei fried­lich ver­lau­fen. Nach Me­di­en­be­rich­ten, die ab dem 2. Ja­nu­ar in ra­scher Folge die oben ge­schil­der­ten Er­eig­nis­se immer dras­ti­scher dar­stell­ten, schien bald klar zu sein: zig, nein Hun­der­te, nein min­des­tens tau­send, nein 1 500 oder 2 000 Män­ner, und zwar zwei­fels­frei vor allem „Nord­afri­ka­ner und Ara­ber“, dar­un­ter mög­li­cher­wei­se viele Flücht­lin­ge, mit­hin na­tür­lich mehr­heit­lich Mus­li­me, zu­gleich al­ko­ho­li­siert, hät­ten am Köl­ner Haupt­bahn­hof mas­sen­haft Frau­en be­läs­tigt. Es ent­stand der Ein­druck einer Art Mas­sen­ver­ge­wal­ti­gung durch, wie es BILD vor­be­hal­ten blieb zu for­mu­lie­ren, einen „Sex-Mob“.

Die ers­ten Be­rich­te über diese der­zeit fast all­ge­mein ak­zep­tier­te Les­art der Er­eig­nis­se stammt an­schei­nend von der Face­book­sei­te „NETT-Köln“ Diese Seite war schon vor dem 31.12.2015 dafür be­kannt, dass sich dort ras­sis­ti­sche Pos­tings immer wie­der breit­ma­chen konn­ten.
Erst am 5. Ja­nu­ar tauch­te dann bei Spie­gel-On­line die Schil­de­rung der Er­eig­nis­se auf, wie sie aus „in­ter­nen“, ja „pri­va­ten“ Auf­zeich­nun­gen von Be­reit­schafts­po­li­zis­ten vor Ort ent­stam­men sol­len. Nun erst, vier Tage nach den Er­eig­nis­sen, schien es damit auch plötz­lich po­li­zei­li­che Ein­schät­zun­gen der Lage vor Ort zu geben, die den Me­di­en­be­rich­ten seit dem 2. Ja­nu­ar Recht gaben.
Wie be­last­bar diese Auf­zeich­nun­gen sind, ist noch völ­lig un­klar. An dem einen Bei­spiel, an­geb­lich von „Sy­rern“ zer­ris­se­ne Auf­ent­halts­do­ku­men­te, von dem im „in­ter­nen Be­richt“ die Rede ist – in Wahr­heit han­delt es sich dabei um un­zer­reiß­ba­re, EC-ähn­li­che Plas­tik­kar­ten, wie eine Nach­re­cher­che des Deutsch­land­funks mitt­ler­wei­le ergab – wird deut­lich: es wird genau zu prü­fen sein, wann und von wem diese „in­ter­nen“ Auf­zeich­nun­gen an­ge­fer­tigt wur­den und warum sie nicht am 1. oder 2. Ja­nu­ar, son­dern erst drei Tage spä­ter ver­öf­fent­licht wur­den. Denn dass die­ses Do­ku­ment quasi zu­fäl­lig erst Tage spä­ter ans Licht ge­kom­men sein soll, ist vor dem Hin­ter­grund der es­ka­lie­ren­den öf­fent­li­chen Dis­kus­si­on schwer vor­stell­bar.
Auch über­ra­schend vie­les an­de­re ist bis heute nicht klar. Wie viele Men­schen be­fan­den sich wann im Be­reich Haupt­bahn­hof/Dom­plat­te, wie viele waren Täter, wie viele Opfer? Geht man vom Au­gen­schein ver­öf­fent­lich­ter Vi­deo­bil­der aus, könn­ten sich ca. 1 000 Per­so­nen auf dem Platz be­fun­den haben. Dabei hat es weit über 900 Straf­an­zei­gen ge­ge­ben? Es muss ge­klärt wer­den, wie es zu sol­chen Zah­len­ver­hält­nis­sen bei be­haup­te­ter gleich­zei­ti­ger po­li­zei­li­cher Un­fä­hig­keit kom­men kann, etwas da­ge­gen zu un­ter­neh­men.
Wenn man Au­gen­zeu­gen­be­rich­te liest, stellt sich die Frage: Waren alle Frau­en al­lei­ne un­ter­wegs? Hat sich nie­mand ge­wehrt? Hat nie­mand eine Schlä­ge­rei an­ge­fan­gen? Ist ein sol­ches Sze­na­rio – hun­der­te Frau­en wer­den von hun­der­ten Män­nern in kur­zer Zeit auf engem Raum schwer se­xu­ell be­läs­tigt – ohne Mas­sen­schlä­ge­rei vor­stell­bar?
Wer waren die Täter und woher kamen sie? Wie kam es zu der früh­zei­ti­gen Be­haup­tung, es habe sich bei ihnen um „Nord­afri­ka­ner und Ara­ber“ ge­han­delt? Wo sind die Be­le­ge für eine bun­des­wei­te Ko­or­di­na­ti­on der Ver­bre­chen?
Wie kam es zur Ent­schei­dung, eine be­reit­ste­hen­de po­li­zei­li­che Re­ser­ve­hun­dert­schaft aus Duis­burg nicht ein­zu­set­zen, ob­wohl diese das von sich aus an­ge­bo­ten haben soll? Woher wuss­te diese Ein­heit über­haupt von der zeit­glei­chen Lage in Köln?
Wie zu hören ist, wer­tet die Po­li­zei der­zeit neben zahl­rei­chen pri­va­ten Vi­deo­auf­nah­men auch 350 Stun­den Ma­te­ri­al von ver­schie­de­nen Über­wa­chungs­ka­me­ras aus. Hier­zu wurde nun Scot­land Yard um Hilfe ge­be­ten.
Wie kam es zu der zu­nächst völ­lig an­ders­lau­ten­den Ein­schät­zung der Er­eig­nis­se durch die Po­li­zei am 1. Ja­nu­ar?
Das alles und mit Si­cher­heit viele wei­te­re Fra­gen müs­sen ge­klärt wer­den, bevor eine ernst zu neh­men­de po­li­ti­sche Be­wer­tung der Vor­gän­ge er­fol­gen kann. Dass in wei­ten Tei­len der öf­fent­li­chen Dis­kus­si­on weit­rei­chen­de Schluss­fol­ge­run­gen aus den Er­eig­nis­sen ge­zo­gen wer­den, ohne dass ein ab­ge­si­cher­tes Bild der Er­eig­nis­se vor­liegt, ver­wiest auf eine ge­sell­schaft­li­che En­er­gie, die sich aus ganz an­de­ren, trü­ben Quel­len speist, als Em­pö­rung über die Er­eig­nis­se von Köln.
Dem allen soll­te sei­tens der Lin­ken im Land en­er­gisch und zäh auf den Grund ge­gan­gen wer­den.

Die Stim­mung kippt: Stun­de der Heu­che­lei und Hetze
Die Ver­öf­fent­li­chung des so be­zeich­ne­ten „in­ter­nen Ein­satz­be­richts“ am 5. Ja­nu­ar mar­kiert eine Gren­ze in der Dis­kus­si­on ent­schei­den­der staat­li­cher Funk­ti­ons­trä­ger, be­glei­tet vom größ­ten Teil der Me­di­en, die spä­tes­tens jetzt auf den main­stream der Dis­kus­si­on in den so­ci­al media ein­schwenk­ten. Mit der Ver­set­zung des Köl­ner Po­li­zei­prä­si­den­ten in den Ru­he­stand bekam die heute fast all­ge­mein ge­glaub­te Va­ri­an­te des Ab­laufs der Er­eig­nis­se quasi einen amt­li­chen Wahr­heits­an­spruch. Hier­zu paßt, was In­nen­mi­nis­ter Jäger aus dem NRW-In­nen­aus­schuß am Nach­mit­tag des 11. Ja­nu­ar vor­trug. Damit ist die wei­te­re Dis­kus­si­on vor­ge­zeich­net. Sie geht seit­her von etwas aus, das, siehe oben, kei­nes­wegs si­cher be­legt ist, ja der­zeit sogar noch gar nicht si­cher sein kann.
Diese Dar­stel­lung dien­te so­fort wei­te­ren sehr rea­len Schrit­ten. Mit ihr kipp­te die Stim­mung ge­gen­über Flücht­lin­gen im Land – und um die­ses Thema geht es die ganze Zeit bei der Dis­kus­si­on der Er­eig­nis­se ja ei­gent­lich.
Teile der Herr­schen­den nutz­ten die Gunst der Stun­de, um nun mit allem Mög­li­chen und Un­mög­li­chen durch­zu­zie­hen, was schon län­ger auf dem Wunsch­zet­tel stand. Die öf­fent­li­che Dis­kus­si­on war ei­ni­ge Tage lang von schäu­men­dem Ras­sis­mus und Na­tio­na­lis­mus ei­ner­seits, min­des­tens par­ti­el­ler Un­fä­hig­keit zu ad­äqua­ter Re­ak­ti­on der Lin­ken an­de­rer­seits ge­kenn­zeich­net. Der in­ne­re und der äu­ße­re Feind steht fast allen klar vor Augen: es ist der Kul­tur­frem­de, der Nicht-Deut­sche, der Mos­lem, dem alles, sogar Über­grif­fe auf „un­se­re [be­sitz­an­zei­gen­des Für­wort!] Frau­en“ zu­zu­trau­en ist. Es geht nicht um Klas­sen­kampf, son­dern um die Ab­wehr des Bösen aus der frem­den Re­li­gi­on, Na­ti­on, Kul­tur.
Nun schlug auch die Stun­de pa­tri­ar­cha­ler Gen­der­ak­ti­vis­tIn­nen und einer Reihe von „Fe­mi­nis­tin­nen“ von Rechts: Alice Schwar­zer, Kris­ti­na Schrö­der Erika Stein­bach und so wei­ter hat­ten es schon immer ge­wußt. „Wie­viel Islam steckt in der Ver­ge­wal­ti­gung?“ woll­te die ehe­ma­li­ge Bun­des­fa­mi­li­en­mins­te­rin in der Sonn­tags-FAZ wis­sen. Wie­viel christ­li­ches Abend­land in Ho­lo­caust und Atom­bom­be steckt, hat die no­to­risch evan­ge­li­ka­le Fun­da­men­ta­lis­tin na­tür­lich noch nie ge­fragt. Der Se­xis­mus von RDCS-und JU-Pla­ka­ten, die Pro­pa­gan­da für‘s lus­ti­ge Frau­en­be­grabschen in Fly­ern zum Köl­ner Kar­ne­val 2016, die sei­ner­zeit er­folg­te Ab­leh­nung eines Straf­tat­be­stan­des der Ver­ge­wal­ti­gung in der Ehe durch Ver­tre­ter der kle­ri­kal-kon­ser­va­ti­ven Rech­ten wie Stein­bach und See­ho­fer – kein Thema für Schwar­zer und Schrö­der.
Ihnen, und erst recht der neo­fa­schis­ti­schen Rech­ten von AfD und PE­GI­DA bis zur NPD („Gen­der­wahn­sinn“) geht es in Wahr­heit nicht um ein ega­li­tä­res und an­ti­pa­tri­ar­cha­les Rol­len­ver­ständ­nis für Frau­en und Män­ner. Es geht ihnen mit sex and crime, der klas­si­schen Mi­schung für ge­stei­ger­te emo­tio­na­le Auf­merk­sam­keit, um die ab­len­ken­de Eth­ni­sie­rung und Kul­tu­ra­li­sie­rung se­xu­el­ler Ge­walt („trieb­ge­steu­er­te junge Mus­li­me“), kei­nes­wegs um se­xu­el­le Ge­walt von Män­nern gegen Frau­en aus­nahms­los und über­all. An­dre­as Kem­per weist ak­tu­ell dar­auf hin: heute wür­den 17 Pro­zent Män­ner und nur zwei Pro­zent Frau­en AfD wäh­len. Letz­te­re wis­sen, warum.
Ge­mein­sam mit dem gegen diese bo­den­lo­se Heu­che­lei for­mu­lier­ten Auf­ruf „Aus­nahms­los“ ist jetzt eine ge­sell­schaft­li­che Of­fen­si­ve gegen se­xua­li­sier­te und frau­en­feind­li­che Ge­walt zu for­dern, von wem auch immer sie aus­geht.
Was ist zu tun? An­ti­fa­schis­ti­sche Per­spek­ti­ven
Wir müs­sen ver­ste­hen, wel­che Ex­plo­si­on eines seit Sar­ra­zin und Bro­der etc. jah­re­lang an­ge­häuf­ten, ideo­lo­gisch-ras­sis­ti­schen Spreng­stoffs wir hier ge­ra­de er­le­ben – in­zwi­schen üb­ri­gens weit­ge­hend un­ab­hän­gig von allem, was über die Er­eig­nis­se von Köln je ge­si­chert be­kannt sein wird. Der an­ti­is­la­mi­sche Ras­sis­mus ist heute der ent­schei­den­de ideo­lo­gi­sche Kitt für die al­ler­meis­ten re­ak­tio­nä­ren, se­xis­ti­schen, mi­li­ta­ris­ti­schen und neo­fa­schis­ti­schen Be­we­gun­gen. Er hält sie zu­sam­men, er lenkt die Wut vie­ler Men­schen über ihre Lage nach „Unten“ und nach Außen, er sorgt für hohe Zu­stim­mung zu wach­sen­der Über­wa­chung und Re­pres­si­on sowie für die wach­sen­de Be­reit­schaft zum Krieg „gegen den Ter­ror“.
Kurz­fris­tig ist es not­wen­dig, zu­nächst auf einer öf­fent­li­chen und trans­pa­ren­ten Klä­rung der Er­eig­nis­se zu be­ste­hen, ja sie sel­ber in An­griff zu neh­men. Diese Auf­ga­be darf weder den Me­di­en noch der Exe­ku­ti­ve als wich­ti­ger Teil des Pro­blems über­las­sen blei­ben. Eine gute Mög­lich­keit wäre ein öf­fent­li­ches Tri­bu­nal, das alle ver­füg­ba­ren In­for­ma­tio­nen über die Er­eig­nis­se zu­sam­men­trägt, selbst er­mit­telt und die Er­geb­nis­se öf­fent­lich vor­trägt. Es gibt kei­ner­lei Grund, den staat­li­chen „Auf­klä­rungs­be­mü­hun­gen“ in die­sem Zu­sam­men­hang auch nur einen Meter weit zu trau­en.
Die jetzt an­ge­sto­ße­ne Se­xis­mus-De­bat­te soll­te sei­tens der ge­sam­ten Lin­ken of­fen­siv un­ter­stützt wer­den. Das pro­pa­gan­dis­ti­sche Ge­schrei über den bösen is­la­mi­schen Sex-Mob, der „un­se­re Frau­en“ be­hel­ligt, kann durch­aus zum Bu­me­rang für die Rech­te wer­den, wenn sie an den ei­ge­nen heuch­le­ri­schen Maß­stä­ben ge­mes­sen wird. Die oben er­wähn­te fe­mi­nis­ti­sche Er­klä­rung „aus­nahms­los“ stellt dafür eine Basis dar.
An­ti­fa­schis­tIn­nen müs­sen den ge­sell­schaft­li­chen Zu­sam­men­hang von an­ti­is­la­mi­schem Ras­sis­mus, Pa­tri­ar­chat und Neo­fa­schis­mus immer wie­der kon­kret be­nen­nen und seine Aus­drucks­for­men prak­tisch be­kämp­fen. Letzt­lich heißt die­ser Zu­sam­men­hang Ka­pi­ta­lis­mus. An­ti­fa­schis­mus kann nur er­folg­reich sein, wenn er sich gegen den Ka­pi­ta­lis­mus rich­tet. Denn der Ka­pi­ta­lis­mus, heute: der Im­pe­ria­lis­mus, trägt nicht nur den Krieg, er trägt auch die Auf­recht­er­hal­tung des Pa­tri­ar­chats, den Fa­schis­mus und Ras­sis­mus in sich wie die Wolke den Regen.
In die­sem Zu­sam­men­hang ist es für mar­xis­ti­sche An­ti­fa­schis­tIn­nen be­son­ders wich­tig, den Zu­sam­men­hang zur Kriegs­fra­ge her­zu­stel­len. Das „Feind­bild Islam“ ist eben nicht nur Aus­druck der Spal­tungs­ver­su­che herr­schen­der Po­li­tik von Oben gegen Unten, nicht nur ras­sis­ti­sche Ver­tei­di­gung ver­meint­li­cher Eta­blier­ten­vor­rech­te gegen die von außen ein­drin­gen­den „Frem­den“, son­dern es ist vor allem Kriegs­pro­pa­gan­da gegen den äu­ße­ren „Feind“. Dass es sich bei der Pro­pa­gan­da von der an­geb­li­chen Ver­tei­di­gung west­li­cher Zi­vi­li­sa­ti­on gegen is­la­mi­sche Bar­ba­rei um im­pe­ria­lis­ti­sche Kriegs­het­ze han­delt, zei­gen die engen wirt­schaft­li­chen und mi­li­tä­ri­schen Be­zie­hun­gen der BRD mit der Tür­kei, mit Sau­di-Ara­bi­en und den Golf-Theo­kra­ti­en. Der hier­zu­lan­de ge­sä­te Haß auf den Islam ist Aus­druck im­pe­ria­lis­ti­scher Ideo­lo­gie nach Innen und Außen.
Hier­über müs­sen wir nicht zu­letzt in den ei­ge­nen Rei­hen für Klar­heit sor­gen. Denn An­ti­fa­schis­tIn­nen in der BRD sehen sich heute gleich zwei Quer­fron­ten ge­gen­über.
Ei­ner­seits pro­pa­gie­ren nam­haf­te Theo­re­ti­ker der An­ti­fa wie Peter Scha­ber eine Zu­sam­men­ar­beit an­ti­im­pe­ria­lis­ti­scher und in­ter­na­tio­na­lis­ti­scher Kräf­te mit so­ge­nann­ten an­ti­na­tio­na­len Grup­pen. „An­ti­na­tio­nal“ nen­nen sich heute meist Grup­pie­run­gen, die kaum an­de­re Er­klä­rungs­mus­ter und Po­li­tik­an­sät­ze ver­fol­gen, wie die bei vie­len in­zwi­schen voll­ends dis­kre­di­tier­te „An­ti­deut­sche“. Ihre Ar­beit dient dazu, „an­ti­deut­sche“ Po­si­tio­nen in lin­ken Grup­pen er­neut dis­kurs­fä­hig zu ma­chen. „An­ti­deut­schen“ und „an­ti­na­tio­na­len“ Grup­pen ge­mein­sam ist die An­nah­me der Exis­tenz eines Is­lam- oder IS-Fa­schis­mus. Ein­ge­schlos­sen und ak­zep­tiert wird dabei in der ak­tu­el­len Kur­dis­tan­so­li­da­ri­tät nicht sel­ten sogar die Nähe zur NATO. Es ist klar, dass es auf die­ser Basis schwie­rig wird, gegen den an­ti­is­la­mi­schen Ras­sis­mus in der BRD aktiv zu sein. Tat­säch­lich ist genau damit min­des­tens zum Teil die of­fen­kun­di­ge Schwä­che der an­ti­fa­schis­ti­schen Be­we­gung im Kampf gegen eine um PE­GI­DA und die AfD ent­ste­hen­de neo­fa­schis­ti­sche Mas­sen­be­we­gung zu er­klä­ren.
An­de­rer­seits sind Teile der Lin­ken und an­ti­fa­schis­ti­schen wie an­ti­im­pe­ria­lis­ti­schen Be­we­gung zur Zu­sam­men­ar­beit in einer an­de­ren Quer­front be­reit: mit El­säs­ser, Jeb­sen, Tei­len der Frei­den­ker, Tei­len der Ar­bei­ter­fo­to­gra­fie, der Grup­pe „Band­brei­te“, den Frie­dens­win­ter-Ak­ti­vis­ten und Mon­tags-Mahn­wächt­lern, deren Nähe zu PE­GI­DA und an­de­ren rech­ten Grup­pen zur Ge­nü­ge be­legt ist. Für sie ist nicht der Ka­pi­ta­lis­mus, son­dern ein­zig der US-Im­pe­ria­lis­mus die Wur­zel allen Übels, an­ge­sichts des­sen man auch mit dem deut­schen Ka­pi­tal ge­mein­sa­me Sache ma­chen und sich zudem zB. mit Pu­tins Ruß­land ver­bün­den soll­te.
Läuft die erste Quer­front-Po­si­ti­on ob­jek­tiv auf eine Art „an­ti-is­lam­fa­schis­ti­sches“ tak­ti­sches Bünd­nis mit der NATO ein­schließ­lich der Bun­des­wehr, ob­jek­tiv sogar auch mit Er­do­gans Tür­kei hin­aus, führt die zwei­te Po­si­ti­on zu einer Ent­las­tung des deut­schen Im­pe­ria­lis­mus und sei­ner he­ge­mo­nia­len und ag­gres­si­ven Ge­gen­wart nach Innen und nach Außen.
Er­gibt sich in der ers­ten der bei­den skiz­zier­ten Quer­fron­ten ob­jek­tiv eine Schnitt­men­ge mit PE­GI­DA in der Be­reit­schaft, gegen „den Islam“, „die Sala­fis­ten“, „den IS“ ge­mein­sa­me Sache mit Tei­len des Im­pe­ria­lis­mus und sei­nes Ge­waltap­pa­rats zu ma­chen, ist die Schnitt­men­ge in der zwei­ten Quer­front mit PE­GI­DA deren Na­tio­na­lis­mus und die Be­reit­schaft zum Burg­frie­den mit Deutsch­land, so­lan­ge es nur gegen den US-Im­pe­ria­lis­mus, „gegen Ame­ri­ka“, geht.
Der an­ti­fa­schis­ti­schen Be­we­gung in der BRD steht des­halb eine an­stren­gen­de und schwie­rig Phase bevor: sich wie­der Klar­heit zu ver­schaf­fen, was An­ti­fa­schis­mus heute heißt, die ei­ge­nen Kräf­te auf der Basis die­ser Klar­heit zu kon­so­li­die­ren, sich neu und ef­fek­tiv lokal, re­gio­nal, bun­des­weit und dar­über hin­aus zu or­ga­ni­sie­ren, neue Bünd­nis­se zu er­ar­bei­ten und gleich­zei­tig, wo immer es nötig ist, han­delnd ein­zu­grei­fen.