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“Lernt die Menschen kennen, über die vorschnell geurteilt wird.”


Eine wichtige Veranstaltung in Wien über Palästina, heute, den 9. Dezember
2015, Einlass ist immer um 18:30, Beginn um 19:00. Die Veranstaltung findet direkt an der U1 Station VIC/Kaisermühlen statt. Wir
bitten unsere Gäste sich am „Platz der vereinten Nationen“ einzufinden, von da
werden sie dann zum Veranstaltungssaal gelotst.
http://gruppe42.com/vortragsreihe/
„Ungerechtigkeit an irgendeinem Ort bedroht die Gerechtigkeit an jedem
anderen.“ Martin Luther King Jr.

Ramsis Kilani hätte eigentlich etwas ganz anderes vorgehabt. Er hat Anglistik,
Germanistik und Bildungswissenschaften studiert und wollte sich mit Politk nur
periphär beschäftigen. Als Deutsch-Palästinenser war er ohnehin schon von
Kindesbeinen immer mit der Politik im Nahen Osten konfrontiert, im Speziellen
fiel seine Wahrnehmung auf das Volk seines Vaters, welches bekanntlich in den
besetzten Gebieten keinen wirklich guten Stand hat – höflich und zurückhaltend
formuliert.

Der Vater von Ramsis hatte die deutsche Staatsbürgerschaft, in Siegen studiert
und war ein bekannter Architekt in Gaza, kritisch gegenüber der Hamas und
generell auch nicht sonderlich religiös. Er widersprach dem Bild des typischen
Palästinensers welches, behaftet mit Klischees, vorwiegend in deutsprachigen
Medien, mituner auch in selbsternannte „linken“ bis „linksliberalen“ gezeichnet
wird. Als im Juli 2014 eine Bombe aus israelischem Kriegsgerät auf ein Wohnhaus
viel und die gesamte, ebenfalls in Besitz der deutschen Staatsbürgerschaft,
Familie von Ramsis Kilanis Vater auslöschte und auch ihn ermordete war es auch
seltsam still im deutsch-deutschen Blätterwald. Der Schuldkomplex ist zutief
ins kollektive Bewusstsein gehämmert, blockiert jedes Gefühl von Verantwortung
und zwingt zur permanenten Rechtfertigung und Verleugnung der Kriegsverbrecher
die der hochgerüstete und zutiefst militarisierte israelische Staatsapparat
fortwährend an palästinensischen Zivilisten begeht.
 
Für Ramsis selbst war die Ermordung seiner fünf Halbgeschwister, seiner
Stiefmutter und seines Vaters natürlich ein Wendepunkt in seinem Leben. Die
Komfortzone der westlichen Wohlstandsgesellschaft, in der es sich Ramsis auch
gemütlich machen wollte wurde verlassen. Die Debatten rund um den Nah-Ost
Konflikt, die er immer gemieden hatte werden seitdem gesucht.
 

Ramsis ist dabei sich mit seinen 24 Jahren einen Namen zu machen, der für die
palästinensische Bewegung von Bedeutung sein wird und mittlerweile schon ist.
Es liegt ihm fern, seinen Willen zur Gerechtigkeit mit Hass oder Fanatismus zu
trüben, er zeichnet sich durch einen klaren und präzisen Intellekt aus und
einer natürlichen Bescheidenheit und mit diesen Eigenschaften macht er es
selbsternannten Gegnern von ihm, aus diversen extremistischen Lagern wie hart
nationalistischen aber auch von pervertierten „Linken“ der sogenannten
antideuschen Haltung, sehr schwer.
 
Kein Wunder also, dass er bis jetzt noch eher ignoriert wird und es vorerst
noch bei den anonymen Trollen aus beiden Lagern bleibt ihn zu triezen und zu
diffamieren.
 
Für Gruppe42 ist es daher ein doppel plus großes Vergnügen, dass es uns
gelungen ist, Ramsis Kilani nach Wien zu unserer Vortragsreihe „Neoliberale
Propaganda-wie uns die Medien zur Solidarität mit den Herrschenden zwingen“,
einzuladen. Der Konflikt, der auf den vom Staatsapparat Israel unterdrückten
Palästinenser liegt, ist mitunter ein Paradebeispiel der verdrehten und
manipulativen Berichterstattung unserer sogenannten Leitmedien. Ramis Kilani
selbst, in seiner Person, ein Beweis für westliche imperialistische Propaganda,
die Kriegsverbrechen, Besatzung und Unterdrückung kleinredet und den daraus
resultierenden Freiheitskampf und leider folgenden Extremismus
aufbauscht.Ramsis wird mit seinem Vortrag „Hasbara – Myhten und Fakten“ den
Fokus auf die israelische Public Relation richten, die eingerichtet wurde um
speziell bei den Bewohnern der westlichen Hemisphäre unseres Planeten, auch
bekannt als „der Westen“ oder die „westliche Wertegemeinschaft“, die eben
vorwiegend weiß ist, eine gewünschte Solidarität zu erzwingen.Im Rahmen der
Porträtreihe die Gruppe42 zu den Vortragenden veröffentlicht stellen wir Rasmis
Kilani 4+2 Fragen:

Ramsis, beschäftigt man
sich mit Dir, dann kommt man nicht an dem schrecklichen Kriegsverbrechen
vorbei, welches die israelische Regierung an Deiner Familie begangen hat. Dein
Vater, fünf Halbgeschwister von Dir und Deine Stiefmutter wurden im Sommer
2014, während der militärischen Eskalation „Protective Edge“ getötet.Dein Vater
war auch deutscher Staatsbürger und ich erinnere mich, wie Du letzten Jahr in
einem Interview darüber erzähltest, dass es keinerlei Aktivitäten von Seiten
der deutschen Bundesregierung gab welche die Ermordung Deiner Familie
betreffen.Gab es seit damals von Seiten der Politik in Deutschland, aber auch sonst
wo von unserem Planeten irgendwelche Reaktionen darauf?

 

Bislang gab es vonseiten deutscher Politik keinerlei Reaktion, obwohl die
Familie Kilani die deutsche Staatsbürgerschaft besaß – nicht einmal die
generell üblichen Beileidsbekundigungen an die Hinterbliebenen. Alleinig das
Auswärtige Amt Berlin drückte von seinem Ableger in Ramallah sein herzliches
Beileid aus. Anbei sandte es die Untersuchungsberichte des israelischen
Militärs, das sich selbst bezüglich der Ermordung meiner Familienmitglieder –
wie in dem Fall, als israelische Soldaten vier Fußball spielende Kinder auf dem
Strand ermordete – für unschuldig und sein Handeln für korrekt befand. Das
Auswärtige Amt äußerte sich entsetzt darüber und versprach, weiterhin an dem
Fall dran zu bleiben und Druck auszuüben.

Reaktionen außerhalb politischer beziehungsweise staatlicher Institutionen gab
es einige. Ich habe natürlich auch einige Hass-Botschaften von Neo-Nazis und
Antideutschen erhalten, die die Massaker durch das israelische Militär preisten.
Ein Mitglied der rechtspopulistischen „Alternative für Deutschland“
veröffentlichte bei Facebook eines meiner Interviews und mahnte, dass das nie
und nimmer deutsche Staatsbürger sein könnten, so wie sie aussehen. Mein Vater
sei ein typischer Schmarotzer gewesen, der bloß nach Deutschland gekommen sei,
um Hartz 4 zu kassieren, seine Frau sei eine Geburtenmaschine gewesen, die
Kinder als Kanonenfutter wie am Fließband produziert hätte. Ähnliche Ansichten
wurden von anderen rassistisch motivierten Strömungen wie eben etwa den
Antideutschen geäußert. Allerdings erfuhr ich auch massiven Rückhalt vieler
Menschen aus Deutschland und rund um den Globus. Eine Sängerin drückte mir nach
einer Vortragsreihe sogar mit Tränen in den Augen ihr neues Album in die Hand,
von dem sie mir ein Lied mir und meiner Geschichte gewidmet hatte. Auch der
absolute Großteil meiner Freunde stand hinter mir und meinem Widerstand gegen
das meiner Familie und anderen angetane Unrecht. Andere wiederum sehe ich
mittlerweile nicht mehr als meine Freunde.
 
Dieses Kriegsverbrechen an
Deiner Familie ist für einen wohlstandsverwahrlosten Westeuropäer, im
Speziellen meine ich den deutschsprachigen Raum, nur sehr schwer zu begreifen.
Absurd wird es, wenn eine Täter/Opfer Umkehr betrieben wird, die maßgeblich von
den eher rechten bis rechtsextremen Parteien, aber auch von den sogenannten
Antideuschen ausgeht.Wie kannst Du für Dich das Schweigen Deiner deutschen
Mitmenschen und vor allem die Schuldumkehr aus den schon erwähnten
ideologischen Lagern aushalten?

 

Nun ja, vorab möchte ich einwerfen, dass ich selbst ja eben ganz sicher auch
vom westeuropäischen Wohlstand verwöhnt wurde und gar nichts anderes wirklich
kenne. Umso schwerer war möglicherweise auch für mich der Schlag. Natürlich
wusste ich auch vor ihrem Tod um die Situation im Gazastreifen, in dem mein
Vater mit seiner Familie lebte. Ehrlich gesagt bin ich mir sogar ziemlich
sicher, dass ich selbst als Jugendlicher bereits sehr viel mehr über Palästina
und das zionistische Projekt des Siedlerkolonialismus wusste, als viele
Politiker und vor allem als alle rechtsextremen Personen aus den Kreisen der
neonazistischen oder antideutschen Szene zusammen. Das ist auch gar nicht
unbedingt als Prahlerei zu verstehen, da es kein schönes Los ist mit einer
solchen Last an Politisierung aufzuwachsen. Ich wünschte mir vielmehr, dass
niemand das müsste. Aber mit palästinensischem Elternteil ist man automatisch
politisiert und setzt sich mit dem Leid des eigenen Volkes auseinander. Das
geht vielen anderen verfolgten und unterdrückten Volksgruppen ähnlich.

Ich gehe mit der öffentlichen Meinung im deutschsprachigen Raum seither anders
um als früher. Zuvor habe ich jegliche offene Konfrontation vermieden und mich
an dem stillen Wissen darüber, dass die Situation nirgends so irrational wie in
Deutschland und – etwas abgemildeter – im restlichen deutschsprachigen Raum
ist. Dass das bloß nationalistische Tendenzen sind, die durch eine rein
nationale Perspektive, die sich auf die deutsche Geschichte bezieht, entsteht,
ist offensichtlich. Besonders krass sind dort die Antideutschen, die sich als
„links“ verstehen, doch nicht aus ihrer nationalistischen Perspektive
ausbrechen können, keine internationale Empathie entwickeln und stattdessen an
rassistischen Stereotypen von Jüdinnen und Juden und Araberinnen und Arabern
festhalten. Im Endeffekt bin ich mir aber glücklicherweise bewusst, dass man
solche reaktionären Bewegungen zwar nicht verniedlichen und unterschätzen
sollte, sie aber im Endeffekt auch nicht gänzlich ernst zu nehmen sind. Solche
politischen Perspektiven gleichen mehr einer psychischen Krankheit als einer
rationalen Analyse der geopolitischen Umstände, zu der sie durch ihre
ideologische Brille nicht in der Lage sind. Es gibt weltweit keine Linke, die der
antideutschen Position bezüglich des Siedlerkolonialismus in Palästina auch nur
ansatzweise gleicht – und das ist auch gut so. Das sollte einem zu denken
geben, doch anscheinend glauben einige deutsche Demagogen nach wie vor, dass
der deutsche Geist dem aller anderen grundsätzlich überlegen ist und das an der
abweichenden Meinung der internationalen Linken nichts merkwürdig zu finden
ist.
 Du hast Anglistik,
Germanistik und Bildungswissenschaften studiert. Das wirkt ja oberflächlich
betrachte nicht besonders politisch und lässt darauf schließen, dass Du es
eigentlich nicht darauf angelegt hattest Menschenrechts- und Friedensaktivist
für Palästina zu werden.Hat Dich der Mord an Deiner Familie dazu veranlasst
kritischer und aktiver zu werden?

 

Das ist richtig. Ich hatte nie vor, mich öffentlich zu politischen Themen zu
äußern und damit zur Zielscheibe zu werden. Gerade da in Deutschland sehr viel
auf dem Spiel steht, wenn man dies bezüglich Palästina tut. Es war nie mein
Plan und mit Sicherheit nicht der meines Vaters für mich. Jedoch kann ich nicht
damit leben, dass andere Menschen ähnliches durchmachen wie meine Familie und
ich selbst. Es wird Zeit für ein Umdenken und ich möchte meinen bescheidenen
Teil dazu beitragen. Das Schweigen zu und die Unterstützung von
Siedlerkolonialismus im 21. Jahrhundert ist ein Armutszeugnis für die
Menschheit – aber seien wir ehrlich, wohin man auch schaut, was ist das nicht?!

 
Was Deiner Familie angetan
wurde betrifft ja mittlerweile einen großen Teil der Palästinenser.Wie würde
für Dich in Deinem Fall Gerechtigkeit aussehen?

 

Alleine in 2014 sind 89 palästinensische Familien gänzlich ausgelöscht worden,
145 Familien verloren mehr als drei Familienmitglieder. Es gibt nichts, was
einem die ermordeten Liebsten zurück geben könnte. Allerdings wäre ein erster
Schritt in Richtung Gerechtigkeit die Verurteilung derjenigen, die an der
Ermordung beteiligt waren. Mit ihrem Einverständnis mit Prozessen in Den Haag
machte die palästinensische Regierung – darunter auch die Hamas – ihre
Einverständnis deutlich, diese Gerechtigkeit herbeizuführen. Die israelische
Regierung allerdings erkennt wie ihr Schutzpatron, die Vereinigten Staaten den
internationalen Strafsgerichthof nicht an und glaubt, über dem Gesetz zu
stehen. Indem der israelische Staat die eigenen Massenmörder vor Prozessen
schützt und sie für unschuldig erklärt, verhindert er Gerechtigkeit. Und
Gerechtigkeit ist das Stichwort. Es gibt kaum eine Krisenregion in der öfter
das Wort „Frieden“ fällt. Doch es kann keinen Frieden ohne Gerechtigkeit geben.
Ein ungerechter Frieden ist überhaupt kein Frieden. Er würde bloß neues
Konfliktpotential schaffen. Ohne das durchgesetzte Recht auf Rückkehr der für
das zionistische Kolonialprojekt ethnisch gesäuberten Palästinenserinnen und
Palästinenser wird es keine Gerechtigkeit geben. Ohne dass Israel seine Politik
der Rassensegregation und den durch ethnische Säuberung verwirklichten
Siedlerkolonialismus nicht aufgibt, kann es keinen gerechten Frieden und auch
keine Demokratie geben. Allerdings ist exakt das die Essenz der Ideologie des
Zionismus. Solange folglich diese rassistische Ideologie nicht überwunden ist,
kann es keinen gerechten Frieden und eine gemeinsame Aussöhnung geben.
 
Am 9. Dezember wirst Du zum
ersten Mal in Wien sein und hier Deinen Vortrag „Hasbara – Mythen und Fakten“
halten.Was erwartet uns?

 

Ich freue mich bereits sehr auf meinen ersten Aufenthalt in Wien. Von meinem
Vortrag kann man definitiv einige dokumentierte Informationen erwarten, die
vielen bislang nicht geläufig sind. Darüber hinaus werde ich mir Mühe geben,
dass Ganze so interaktiv wie möglich zu gestalten und in offenen Diskurs, der
für alle Beteiligten horizonterweiternd sein sollte, zu treten. Thematisch
erwartet Teilnehmer der Abstieg in die unergründlichen Sphären der
Kriegspropaganda und ihrer Techniken. Ich möchte systematisch politisch
institutionalisierte Abgründe, aber eben auch Grund zur Hoffnung und eine
Perspektive aufzeigen.

„Hasbara“ ist die Public Relations die für die israelische Regierung läuft und
zu Ungunsten der Palästinenser die Folgen der Besatzung verniedlicht, verdreht
oder schlicht ignoriert.Kannst Du einen Vorschlag abgeben, wie Menschen sich
dieser Form der Manipulation entziehen können um einen ehrlichen Blick auf die
herrschenden Verhältnisse, die Euch Palästinenser betreffen, erreichen können?

Der sinnvollste Weg, Propaganda zu entgehen, ist, sie nicht mehr zu konsumieren
– auf allen Ebenen. Ein unbefangener Blick aus von gesundem Menschenverstand
geprägten Kinderaugen – losgelöst von jeglicher Ideologie und Konditionierung –
kann Wunder wirken. Lernt die Menschen kennen, über die vorschnell geurteilt
wird. Redet miteinander statt übereinander!Ohne jegliche Recherche und
wissenschaftliche Lektüre kann, so denke ich, allerdings kein realistisches
Bild entstehen. Befasst euch mit anderen historischen Siedlerkolonialismen der
Geschichte, recherchiert, wo sie gescheitert und erfolgreich waren und warum.
Bezieht auch Gegenpositionen mit ein und lest so breitgefächert wie möglich.
Ich bin mir sicher, dass je mehr Wissen man sich aneignet umso mehr eine
gefestigte und individuelle Perspektive entstehen kann.
 
Das Gespräch für Gruppe42
führte Stephan Bartunek.