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Leadership for Syria: Deutscher Neukolonialismus für das Nachkriegssyrien?

von German Foreign Policy, 18. Dezember 2015.

BERLIN/DAMASKUS

 

(Eigener Bericht) – Mit groß angelegten Stipendienprogrammen sucht die Bundesregierung die künftigen Eliten eines Nachkriegs-Syriens an Deutschland zu binden. Bereits im vergangenen Jahr hat das Auswärtige Amt unter dem Titel “Leadership for Syria” begonnen, mehr als 200 ausgewählte syrische Studierende in die Bundesrepublik zu holen und sie neben dem Studium gezielt in “Regierungsführung”, Organisationsaufbau und Ähnlichem fortzubilden. Das Programm, das vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) realisiert und als dessen größtes Auslandsprogramm seit je bezeichnet wird, soll erklärtermaßen “eine ausgewählte Elite zukünftigen syrischen Führungspersonals” auf die “Mitgestaltung” Syriens nach einem Ende des Krieges vorbereiten. Es sichert der Bundesrepublik damit breite Einflusskanäle in das Damaskus der kommenden Jahrzehnte. Zusätzlich bemüht sich Berlin, Studierende aus den nach Deutschland einreisenden Flüchtlingen auszusieben und sie in seine Einflussbestrebungen einzubinden. Damit kristallisiert sich die Bundesrepublik als künftiger Bezugspunkt Nummer eins für die syrischen Eliten in Europa heraus.
Eine ausgewählte Elite
Das Programm “Leadership for Syria” ist vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) im Herbst 2014 gestartet worden. Es zielt erklärtermaßen darauf ab, “eine ausgewählte Elite zukünftigen syrischen Führungspersonals” darauf vorzubereiten, “das künftige Syrien gesellschaftlich, politisch, wissenschaftlich und ökonomisch … maßgeblich mitzugestalten”.[1] Dazu hat der DAAD mit Unterstützung des Auswärtigen Amts 200 Hochschulstipendien an Syrer vergeben, die entweder noch in Syrien lebten oder in die unmittelbaren Nachbarstaaten (Libanon, Jordanien, Türkei) bzw. nach Deutschland geflohen waren. Weitere Stipendien werden von den Bundesländern Baden-Württemberg (50) und Nordrhein-Westfalen (21) finanziert. Neben einem einführenden Sprachkurs umfassen die Stipendien des Bundes und Nordrhein-Westfalens ein obligatorisches Begleitprogramm, das den syrischen Eliten in spe “grundlegende und anwendbare Kenntnisse und Fähigkeiten aus Politikwissenschaft, Wirtschaftswissenschaft, Sozialwissenschaften sowie Handlungskompetenzen vermittelt”.[2] Um sicherzustellen, dass die Stipendiaten ihre neu erworbenen Kompetenzen tatsächlich in Syrien einbringen, sobald dies möglich ist, hat der DAAD ihnen bereits bei ihrer Bewerbung eine präzise Beschreibung verlangt, wie sie “mit ihrem akademischem Wissen und ihren akademischen Fähigkeiten dazu beitragen” wollen, “nach dem Ende des Konflikts ihr Land wiederaufzubauen”.[3]
Brückenbauer
Berlin lässt keinen Zweifel daran, dass es sich von der Stipendienvergabe an die wegen des Krieges anderweitig gänzlich perspektivlosen jungen Syrer durchaus einen eigenen Vorteil verspricht. “Wir wünschen uns für Sie eine aktive Rolle als Brückenbauer”, erklärte DAAD-Generalsekretärin Dorothea Rüland, an die anwesenden syrischen Stipendiaten gerichtet, auf einer Konferenz, die das Auswärtige Amt am 24. November in seinen Berliner Räumlichkeiten für sie abhielt. Die künftigen “Brückenbauer” zwischen Deutschland und dem Nachkriegs-Syrien diskutierten an jenem Tag mit ausgewählten Vertretern der deutschen Politik unter anderem über Maßnahmen zum Wiederaufbau ihres weithin zerstörten Landes.[4] “Wir brauchen viele Hände und Köpfe, wenn es mit dem Land irgendwann wieder aufwärtsgeht”, bemerkte Außenminister Frank-Walter Steinmeier in einer Ansprache auf der Konferenz.[5] Einige Stipendiaten äußerten, sie fühlten sich mittlerweile durchaus “in die deutsche Gesellschaft integriert”.[6] Die Hoffnung Berlins, Teile der syrischen Nachwuchseliten würden enge Bindungen an die Bundesrepublik entwickeln und in Zukunft als “Brückenbauer” zwischen beiden Ländern Einflusskanäle für Deutschland öffnen, ist begründet.
Ein Sechstel Studenten
Voraussichtlich verstärkt wird dieser Effekt durch die nach wie vor zahlreich vor allem nach Deutschland strömenden syrischen Flüchtlinge. “Leadership for Syria” ist in Syrien selbst sowie unter syrischen Flüchtlingen in den Nachbarländern auf ein immenses Echo gestoßen; der DAAD berichtet von rund 5.000 oft verzweifelten Bewerbern, von denen lediglich ein minimaler Teil ein Stipendium und damit die Chance auf eine attraktive Zukunft erhielt. Das UN-Flüchtlingshilfswerk hat letzte Woche bestätigt, dass sich vergleichsweise viele Studierende unter den fliehenden Syrern befinden, die von der türkischen Küste auf griechische Inseln übersetzen und anschließend meist in die Bundesrepublik weiterreisen wollen; in einer Stichprobe des UNHCR befanden sich 16 Prozent Studenten, während darüber hinaus die Hälfte der Flüchtlinge angab, früher einmal studiert zu haben.[7] “Leadership for Syria”-Stipendiaten berichten immer wieder, sie beteiligten sich intensiv an der Unterstützung für nach Deutschland gelangte Flüchtlinge aus ihrem Herkunftsland. Manche schildern, wie sie in deutschen Flüchtlingslagern auf Familienmitglieder stießen – oder auch auf ehemalige Kommilitonen, die von “Leadership for Syria” nicht profitieren konnten und es nun auf eigene Faust mit der Flucht nach Deutschland versuchten.
Elitennetzwerke
Die Bundesregierung verstärkt unterdessen ihre Bemühungen um Flüchtlinge, die ausreichende Qualifikationen für ein Hochschulstudium mitbringen – nicht nur, aber besonders auch aus Syrien. Im kommenden Jahr soll es neue Stipendien für syrische Studierende geben. Zudem hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung angekündigt, in den nächsten Jahren rund 100 Millionen Euro zur Förderung studierfähiger Flüchtlinge auszugeben, davon 27 Millionen Euro im Jahr 2016.[8] Anders als Schulabschlüsse aus dem Irak, aus Afghanistan oder Eritrea sei das syrische Abitur “durchaus gleichwertig mit dem deutschen”, wird ein DAAD-Experte zitiert: Wer es erfolgreich abgelegt habe, könne in Deutschland – die nötigen Deutschkenntnisse vorausgesetzt – sofort für ein Hochschulstudium zugelassen werden.[9] Völlig unabhängig von der Frage, wieviel Flüchtlinge in Zukunft nach dem Abschluss ihres Studiums tatsächlich für die erhofften Aufbauarbeiten im womöglich befriedeten Syrien zur Verfügung stehen, bilden die in Deutschland verbleibenden syrischen Akademiker mit ihren Verbindungen in ihre einstige Heimat gleichfalls ein neues Element deutsch-syrischer Elitennetzwerke, auf die Berlin politisch aufbauen kann.
Bezugspunkt Nummer eins
Für Deutschland könnte sich damit tatsächlich die Chance ergeben, zum dominanten Zielland für die künftigen syrischen Eliten zu werden. In zahlreichen Ländern – nicht nur – der arabischen Welt sind bis heute die einstigen Kolonial- oder Mandatsmächte der europäische Orientierungspunkt in Sachen Bildung; dies ist gewöhnlich eng mit exklusivem kulturell-politischem Einfluss verbunden. Ein extremes Beispiel ist Algerien, dessen Studierende laut Angaben des UNESCO Institute for Statistics (UIS) zu mehr als 85 Prozent französische Hochschulen besuchen. Britische Hochschulen verzeichnen beispielsweise sechsmal so viele Studierende aus dem Irak wie ihre deutsche Konkurrenz. Die Bundesrepublik war bislang nirgends in der arabischen Welt Zielland Nummer eins. Im Fall Syriens lag im Jahr 2012 Frankreich mit – laut UIS – 1.828 Studierenden klar vor Deutschland mit 1.570. Mittlerweile hat sich das Verhältnis jedoch umgekehrt: Laut UNESCO ist die Zahl syrischer Studierender in Frankreich auf 1.446 gesunken und liegt hinter derjenigen in der Bundesrepublik (1.577). Die neuen Stipendienprogramme sind in Verbindung mit der Popularität als Fluchtzielland geeignet, Deutschland aus der Perspektive auch der syrischen Eliten klar in den Vordergrund zu rücken. Damit könnte Berlin im Falle Syriens erreichen, was bislang in Europa den einstigen Kolonial- und Mandatsmächten vorbehalten war: kultureller Bezugspunkt Nummer eins für das Establishment eines Landes der arabischen Welt zu sein.