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Israel. Verbot des „Schweigen-Brechens“.

von Michele Giorgio, deutsche Übersetzung von Milena
Rampoldi, ProMosaik e.V.

Israel setzt die Angriffe gegen Andersdenkende
intensiver fort. Nach den Menschenrechts-organisationen ist nun „Breaking the
Silence“ das Ziel der ultra-nationalistischen und religiösen, rechten
Regierungspartei. Breaking the Silence ist eine NRO, die die Zeugen-aussagen
israelischer Soldaten über die Kriegs-verbrechen und Menschenrechtsverstöße
gegen die Palästinenser unter Besatzung sammelt.

  

Jerusalem
– 
„Die ganze Welt ist gegen
uns“. So lautete der Titel eines sehr bekannten Textes im Israel der 70er
Jahre. Er stammte vom Autor Yoram Taharlev und wurde 1969 verfasst. Es handelt
sich hierbei um einen dunklen Autor, der immer wieder wiederholte, wie
„zahlreiche Länder auf unerklärliche Weise auf der Seite unserer Feinde
stehen“. Es war keineswegs ein großartiges Werk, sondern ein einfacher und
direkte Text, der von einer banalen Musik begleitet war. „Die ganze Welt ist
gegen uns / das ist ein altes Motiv / das uns unsere Väter schon lehrten / um
es zu singen und auch zu tanzen“. In jenen Jahren war es so richtig Mode. Aber
auch heute taucht diese Botschaft in Israel bei jeder Gelegenheit auf. Eine
Meinungsumfrage aus dem letzten Jahr hat ergeben, dass sehr wohl 63% der
Israelis dem Wortlaut jenes Textes zustimmen. So wird jegliche Kritik an der
Politik der Besatzung, an den militärischen Angriffen gegen Gaza, an den
Menschenrechtsverletzungen, an der den Palästinensern verweigerten Freiheit,
heute noch mehr als damals als Angriff gegen die Existenz Israels beschrieben
oder sogar als Ausdruck expliziten oder unterschwelligen Antisemitismus
abgetan. Es ist das Steckenpferd der rechten Regierungspartei und der
religiösen Ultra-Nationalisten, die in Politik und Gesellschaft an Macht und
Einfluss gewonnen haben. Es muss aber nicht sein, dass die Feinde immer die
westlichen Länder, die „Araberfreunde“ sein müssen, gemäß einer Definition der
Presseagentur der israelischen Siedler Arutz Sheva, entweder Barack
Obama, der 2016 „endlich“ weg sein wird oder die Europäische Union, die die
Siedlungen als illegal ansieht. Und es müssen auch nicht die palästinensischen
„Terroristen“ von Hamas, Fatah, der Volksfront zur Befreiung Palästinas, die
bürgerlichen Komitees gegen die Mauer, die Jugendlichen der neuen Intifada
(gestern wurde ein anderer von ihnen umgebracht, der des Versuches angeklagt
wurde, einen Soldaten überfahren zu haben), der Führer der Palästinensischen
Autonomiebehörde Abu Mazen und der Islamistenführer Ismail Haniyeh sein. Oder
die Palästinenser mit israelischer Staatsbürgerschaft, die „fünfte Kolonne“ im
Herzen des Landes.

Der Kampf
der israelischen Rechten (und nicht nur) gegen den „Feind“ ist auch ein Kampf
gegen die anderen Juden, die in den NRO oder Vereinen tätig sind, die sich für
die Menschenrechte einsetzen, die die katastrophalen Auswirkungen der
militärischen Angriffe gegen Gaza verurteilen und die Gleichheit aller Bürger
befürworten, gegen die Ärzte, die sich der Zwangsernährung von Häftlingen im
Hungerstreik einsetzen und behaupten, dass die „verletzten Terroristen“ wie
ihre Opfer geheilt und gerettet werden müssen. Und gegen diejenigen, die die
Mörder von Ali Dawasha, der bei lebendigem Leibe in Brand gesteckt wurde, vor
Gericht bringen und wegen ihres Verbrechens verurteilt sehen wollen, während
der Verteidigungsminister Moshe Yaalon behauptet, „dass sie verhaftet und
verhört wurden, aber dass es keine ausreichenden Beweise gegen sie gibt.“ Diese
einseitige Verteidigung gilt, wie einige betonen, mit Sicherheit nicht für die
Palästinenser.

Es ist eine immer härtere, ausgedehntere und rücksichtslose Offensive, die sei
es auf den Straßen als auch im Saal der Knesset stattfindet. Der interne
Widerstand ist der neue Feind, der fast so schlimm ist wie die  Palästinenser, ähnlich wie die BDS-Bewegung,
gegen die eine internationale Gegenoffensive im Gange ist, die zum Großteil von
den Geldern finanziert wird, die Sheldon Adelson, der israelisch-amerikanische
Millionär, König der Spiellokale in den USA und Eigentümer der verbreitetsten
israelischen Zeitung Yisrael HaYom und Propagandamaschine des
Premierministers Benjamin Netanjahu, sammelt.

Niemand wird verschont, nicht einmal das Staatsoberhaupt Reuven Rivlin, der
auch Parteifreund der Likud-Partei ist, die die relative Mehrheit im Land hat
und am Ende auf heißen Kohlen trotzdem gestimmt hatte, an einer Konferenz
teilzunehmen, bei der auch einigen Vertreter von „Breaking the Silence“ (Bts)
dabei waren. Diese NRO sammelt die Zeugenbericht israelischer Beamter und
Soldaten über die Menschenrechtsverletzungen und –missachtungen zu Lasten der
Palästinenser. Der letzte Bericht der Organisation, der vor dem Sommer
veröffentlicht wurde, schloss Dutzende von Erklärungen und Offenbarungen über
die in Gaza während des Angriffs „Protective Edge“ im Sommer 2014 verübten
Kriegsverbrechen ein. Diese Materialien könnten beim Internationalen
Strafgericht verwendet werden, um Kommandeure der israelischen Streitkräfte und
israelische politische Führer, die Protagonisten jenen Angriffs, vor Gericht zu
bringen.

Gerade gegen die Soldaten, die das Schweigen brechen, ist eine Offensive auf
allen Ebenen im Namen der Verteidigung um jeden Preis der Handlungsweise der
Streitkräfte im Gange. Der Minister Yaalon hat den Soldaten verboten, gegenüber
den Aktivisten von „Breaking the Silence“ auszusagen. Die rechtsextreme
Jugendvereinigung Im Tirzu behauptet, Beweise zu haben, dass „diese Feinde
Israels“ auch von den Palästinensern mitfinanziert werden. Der Verein der „Im
Kampf gefallenen Soldaten“ hat intensiv gefordert, dass die NRO sofort als
gesetzeswidrig erklärt wird. Vor allem hat sich der Premierminister dafür stark
gemacht. Er hat vor der Knesset die israelischen Streitkräfte und ihre
Operationen laut verteidigt, indem er Leute wie den Führer der
Labouristen-Partei Herzog zum Schweigen brachte, der sein Recht auf Widerstand
zögernd zum Ausdruck gebracht hatte. Bts-Sprecher Avihai Stoller erklärte
gegenüber der italienischen Tageszeitung Il Manifesto, „dass die rechten
Regierungsparteien das Ziel verfolgen, alle zum Schweigen zu bringen, die sich
der Besatzung der palästinensischen Gebiete widersetzen. Sie handeln durch
Gesetze und durch Anstiftung auf den Straßen, indem sie Lügen über uns
verbreiten“. Nach fast 50 Jahren militärischer Besatzung, fügt Stoller hinzu,
„während derer wir die Rechte der Palästinenser mit Füßen getreten haben,
dürfen wir uns nicht wundern, dass diese Missachtung nun auch innerhalb der
israelischen Gesellschaft erfolgt. Es war nur eine Frage der Zeit.“ Stoller ist
sich sicher darüber, „dass dieser Angriff gegen Andersdenkende noch intensiver
fortgesetzt wird“. Abschließend meint er aber: „Ich vertraue in unsere
Entschiedenheit. Denn wir werden auf jeden Fall unsere Stimme hörbar machen.“