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Truppensteller für Syrien

german-foreign-policy.com, 19.11.2015.
PARIS/BERLIN
(Eigener Bericht) – Die Bundesregierung schließt einen
Bundeswehr-Einsatz in Syrien nicht aus. Wie am gestrigen Mittwoch
bestätigt wurde, halten Regierungskreise in Berlin eine deutsche
Militärintervention in dem Land zur Überwachung eines künftigen
Waffenstillstands für “denkbar”. Dagegen lehnt die Bundesregierung eine
militärische Unterstützung für Frankreichs Luftschläge gegen den
“Islamischen Staat” (IS) ab. Paris hat seine Angriffe auf die Stellungen
des IS in Syrien nach den Attentaten vom vergangenen Freitag
ausgeweitet und den “EU-Bündnisfall” ausgerufen – eine bislang singuläre
Maßnahme, die sämtliche EU-Staaten, auch Deutschland, grundsätzlich zu
Hilfeleistungen verpflichtet. Hinter dem französischen Drängen, die
Bundeswehr solle sich an den Angriffen auf den IS beteiligen, steckt
nicht zuletzt das Aufbegehren gegen die deutsche Dominanz in der EU:
Paris will seine herben Einflussverluste der vergangenen Jahre auf den
zentralen Feldern der Ökonomie und der Außenpolitik durch militärische
Offensiven im Kampf gegen den IS, in dem es bereits jetzt eine
bedeutende Rolle spielt, zumindest teilweise wettmachen und die EU bei
seinem Syrien-Feldzug hinter sich scharen. Berlin verweigert sich, um
dem französischen Rivalen keinen strategischen Vorteil einzuräumen.

Zwei Varianten
Die aktuelle Debatte über einen möglichen
Bundeswehr-Einsatz in Syrien hat einen doppelten Hintergrund. Zum einen
geht es um die Frage, wie das Land nach dem etwaigen Abschluss eines
Waffenstillstands unter Kontrolle gebracht werden soll. Zum anderen
steht zur Diskussion, ob die deutschen Streitkräfte sich an den
Luftschlägen gegen den “Islamischen Staat” (IS) beteiligen sollen.
Letzteres wird vor allem von Frankreich gefordert. Im Streit darum
setzen Berlin und Paris ihren seit Jahren erbittert geführten Machtkampf
um die Hegemonie über die EU fort.

Militärisch nach vorne
Die französische Regierung hat nach den
Terrorattentaten vom vergangenen Freitag nicht nur den Ausnahmezustand
verhängt und einen massiven Gegenschlag gegen mutmaßliche Anhänger des
IS gestartet, sondern auch dramatische Maßnahmen auf den Feldern der
inneren Repression und der Militarisierung in Angriff genommen. So will
sie binnen nur zwei Jahren das Personal bei Polizei und Gendarmerie um
5.000 Mitarbeiter aufstocken; bei der Justiz sollen 2.500, beim Zoll
1.000 Stellen neu geschaffen werden. Die zuletzt geplante Streichung von
34.000 Stellen beim Militär wird nicht umgesetzt; stattdessen soll der
Verteidigungshaushalt deutlich erhöht werden. Zudem hat die französische
Luftwaffe ihre Angriffe auf die vom IS kontrollierten Gebiete Syriens
deutlich ausgeweitet und strebt darüber hinaus auch auf dem Feld der
Diplomatie eine führende Rolle im internationalen Kampf gegen den IS an.
Am nächsten Dienstag wird Staatspräsident François Hollande zu
Gesprächen mit US-Präsident Barack Obama nach Washington reisen; für den
kommenden Donnerstag sind Verhandlungen mit dem russischen Präsidenten
Wladimir Putin in Moskau geplant. Ziel sei die schnelle Verabschiedung
einer UN-Resolution, auf deren Basis die westlichen Staaten und Russland
ihren jeweiligen Kampf gegen den IS zusammenführen und effizienter
gestalten könnten, ist zu hören.

Kampf gegen den IS
Mit den Maßnahmen könnte es der französischen
Regierung zum ersten Mal seit Jahren gelingen, auf einem zentralen Feld
der Weltpolitik die Führung zu übernehmen – und sich damit zugleich in
der Außenpolitik an die Spitze der EU zu stellen. Auf ökonomischem
Gebiet ist Frankreich Deutschland hoffnungslos unterlegen und hat im
Verlauf der Eurokrise eine Niederlage nach der anderen hinnehmen
müssen.[1] Außenpolitisch dominiert seit zwei Jahren der Konflikt um die
Ukraine, in dem Paris sich der deutschen Regierung unterordnen
musste.[2] Seit geraumer Zeit versucht es nun, sich weltpolitisch mit
Luftangriffen im Kampf gegen den IS zu profilieren. Nach den Anschlägen
vom Januar in der französischen Hauptstadt hat es zudem weitere
Initiativen im internationalen “Anti-Terror-Kampf” ergriffen und unter
anderem offensiv für eine umfassende Zusammenarbeit bei der Kontrolle
der internationalen Finanzströme geworben, wie sie am Wochenende
tatsächlich auf dem G-20-Gipfeltreffen beschlossen worden ist.[3] Der
Kampf gegen den IS gilt nun als Feld, auf dem Paris seinen
internationalen Einfluss ausbauen kann – zumal die Vereinigten Staaten
angekündigt haben, ihre Militärintervention in Syrien und im Irak nicht
unbegrenzt auszuweiten.

Der EU-Bündnisfall
Um im Kampf gegen den IS auch die EU hinter sich zu
sammeln, hat Paris jetzt den “EU-Bündnisfall” nach Artikel 42, Absatz 7
des Vertrags von Lissabon ausgerufen. Demnach sind alle EU-Staaten nun
verpflichtet, Frankreich zur Hilfe zu eilen. Die machtpolitischen Folgen
liegen auf der Hand: Stand die EU-Außenpolitik in den vergangenen
Jahren ganz im Zeichen des von Deutschland dominierten Kampfs um die
Ukraine und damit unter deutscher Führung, so würde sie bei einer neuen
Prioritätensetzung auf den Kampf gegen den IS stärker von Frankreich
beherrscht; Paris könnte die gegenwärtige Berliner Dominanz zumindest
relativieren. Entsprechend hat die französische Regierung durchsickern
lassen, dass sie eine Beteiligung der Bundeswehr am Kampf gegen den IS
unter ihrer Führung wünscht; von deutscher Unterstützung bei der
Luftbetankung französischer Kampfbomber und von der Bereitstellung
deutscher Transportflugzeuge ist die Rede. Berlin hingegen ist nicht
bereit, sich französischer Führung unterzuordnen; es hat klargestellt,
dass es sich nicht an den französischen Angriffen auf den IS in Syrien
beteiligen wird: Es gelte “die Einschätzung”, dass “schon genügend
Akteure mit ihren Jagdbombern” dort intervenierten, heißt es.[4] Man
werde Frankreich aber gerne helfen, indem man die Bundeswehr in den
Norden Malis entsende und die französischen Streitkräfte dort entlaste.
Tatsächlich ist ein Einsatz in Nord-Mali im Grundsatz bereits vor
Monaten beschlossen worden (german-foreign-policy.com berichtete [5]).
Verhandlungen in Wien
Gleichzeitig hält sich Berlin für einen anderen
Einsatz in Syrien bereit, bei dem es nicht unter Pariser Führung
operieren müsste. Hintergrund ist, dass zuletzt Fortschritte bei den
Wiener Verhandlungen über eine politische Lösung für den Syrien-Krieg
erzielt werden konnten. Seit die russische Intervention in dem Land
klargestellt hat, dass die westlichen Staaten einen Sturz der Regierung
Assad nicht erzwingen können [6], scheinen diese – anders als noch vor
drei Jahren [7] – zur Einigung auf einen Machtabgleich mit Russland
bereit. Ein am Wochenende in Wien erstellter “Fahrplan” sieht vor, dass
bis Anfang 2016 eine Verhandlungsgruppe syrischer Oppositioneller
Gespräche mit der Regierung aufnehmen soll. Anschließend ist binnen
sechs Monaten die Bildung einer Übergangsregierung vorgesehen; in 18
Monaten sollen Wahlen stattfinden. Parallel soll unter Anleitung der
Vereinten Nationen ein Waffenstillstand ausgehandelt werden, dessen
Einhaltung die UNO überwachen wird.
Wie in Afghanistan
Berlin sieht auf diesem Weg eine Chance, stärkeren
Einfluss in Syrien zu erhalten. Im Rahmen des UN-Verhandlungsprozesses
übernimmt mit Volker Perthes ein deutscher Regierungsberater die Leitung
der “Arbeitsgruppe Militär, Sicherheit und Terrorabwehr”, die die
Gespräche zwischen Regierung und Opposition auf diesem zentralen Feld
moderieren soll. Vieles spreche dafür, dass in Syrien “eine
internationale Peacekeeping-Mission” bevorstehe, urteilt Perthes:
“Deutschland sollte sich nicht entziehen, wenn die Vereinten Nationen
dann Truppensteller suchen” (german-foreign-policy.com berichtete [8]).
Am gestrigen Mittwoch haben nun Regierungskreise explizit bestätigt,
dass Berlin einen Syrien-Einsatz der Bundeswehr zur Überwachung eines
Waffenstillstands – im Gegensatz zur Unterstützung französischer
Luftangriffe auf den IS – nicht ausschließt.[9] Dabei wird es sich nach
Lage der Dinge um eine langfristige Stationierung deutscher Bodentruppen
mit einem “robusten Mandat” handeln – ähnlich wie in Afghanistan.
[1] S. dazu Auf dem Weg in die Zweite Liga und Der Juniorpartner.
[2] S. dazu Wie im Kalten Krieg.
[3] Michael Martens: Gegen Terroristen und für Flüchtlinge. Frankfurter Allgemeine Zeitung 17.11.2015.
[4] Lieber Mali als Syrien. Frankfurter Allgemeine Zeitung 18.11.2015.
[5] S. dazu Ins nächste Kriegsgebiet.
[6] S. dazu Konstanten westlicher Weltpolitik.
[7] S. dazu Zynische Optionen.
[8] S. dazu Deutschlands ordnungspolitischer Radius.
[9] Bundesregierung schließt Syrien-Einsatz nicht aus. www.spiegel.de 18.11.2015.